Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 39
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ОглавлениеAber es gibt eine Entdeckung, für die Aristoteles die volle Anerkennung gebührt. Er beschrieb die bemerkenswerten Embryonen des Grauen Glatthais.
Als er erkennt, dass Dornhaie, Haie, Rochen und Zitterrochen aus Knorpel bestehen, wo die meisten Fische Knochen haben, gibt er ihnen die Sammelbezeichung selachē[∗]. Er weiß, dass sie externe Geschlechtsteile haben und kopulieren, aber auch hier ist er wieder vorsichtig – »Fischer erzählen« – bei der Beschreibung, wie das vonstatten geht. Er merkt an, dass einige selachē wie die batides (Rochen) und skylion (Kleingefleckter Katzenhai) Eier mit harten Schalen und Fäden daran legen – die »Seemäuse«, die manchmal an Stränden angespült werden –, aber dass die meisten lebende Junge gebären. Darüber hinaus ist ihm bekannt, dass beim Aufschneiden eines weiblichen akanthias galeos (Dornhais) die Föten noch in ihren Eierschalen zu finden sind; die Art ist, wie wir sagen würden, ovovivipar.[∗] Das war wahrscheinlich allgemein bekannt. Heutzutage werden die Haibabys, die als koytabakia oder Welpen bekannt sind, mit Knoblauchsoße verspeist.[∗∗]
Die selachē sind eindeutig merkwürdige Fische. Aber ein Hai, der leios galeos, ist ganz besonders seltsam. Hier:
Die Tiere wachsen mit einer an der Gebärmutter angewachsenen Nabelschnur heran, mit dem Ergebnis, dass der Embryo, während die Eier aufgebraucht werden, dem eines Vierfüßers ähnelt. Eine lange Nabelschnur ist am unteren Teil der Gebärmutter befestigt, jede mit einer Art Saugnapf. Der Embryo ist in der Mitte mit der Nabelschnur verwachsen, an der Leber. Die Ernährung in einem sezierten Embryo ist wie im Ei, auch wenn das Ei nicht mehr vorhanden ist. Ein Chorion und Eihüllen umgeben jeden der Embryos, wie bei Vierfüßern. Im frühen Stadium zeigt der Kopf des Embryos nach oben, wenn er ausgewachsen und vollständig ist, nach unten. …
Plazenta-Hai
Die Beschreibung könnte nicht eindeutiger sein. Aristoteles legt dar, dass die Jungen des Grauen Glatthais, Mustelus mustelus, durch eine Nabelschnur und eine Art Plazenta mit dem Uterus ihrer Mutter verbunden sind. Er merkt sogar an, dass dieses bemerkenswerte Arrangement normalerweise nur bei lebend gebärenden Vierfüßern anzutreffen ist – also bei Säugetieren.
In den 1550er-Jahren bestätigten Pierre Belon und Guillaume Rondelet die besonderen Fortpflanzungsstrukturen des Grauen Glatthais. Letzterer zeichnete sogar ein Haibaby, das an einer Nabelschnur am Bauch seiner Mutter hängt. Im Jahr 1675 sezierte der dänische Naturforscher Niels Stensen (Steno) ein Exemplar und zeigte, wie die Nabelschnur seine Eingeweide versorgt. Danach geriet der Graue Glatthai für fast zwei Jahrhunderte in Vergessenheit. Cuvier und Valenciennes erwähnen ihn nicht. Johannes Müller entdeckte ihn 1839 wieder. In einer meisterhaften Sektion zeigte er, dass die Plazenta des Grauen Glatthais in Wirklichkeit der Dottersack ist, der mit der Gebärmutterwand verwachsen ist und dessen Struktur so komplex ist wie die jeder Säugetierplazenta. In Würdigung seines Meisters betitelte er seine Monografie Über den glatten Hai des Aristoteles.
Viele Zoologen haben Aristoteles gepriesen, weil sie einen der ihren in ihm sahen. Manche übersahen in ihrer Begeisterung seine Fehler; sie schrieben ihm ihre eigenen Einsichten und ihre Besessenheit von Präzision zu und meinten das als Kompliment. Die Einschätzung eines Gelehrten und Zoologen jedoch erscheint mir ganz besonders schön und richtig:
Ich nehme an, dass Aristoteles im Hinblick auf die Biologie dasselbe tat wie Boyle und eine ähnliche Tradition durchbrach; und hierin liegt eine seiner größten Leistungen. Auch vor seiner Zeit gab es reichlich Naturkunde, doch sie gehörte dem Bauern, dem Jäger und dem Fischer – und es war (zweifellos) noch etwas für den Schuljungen, den Müßiggänger und den Dichter übrig. Aber Aristoteles machte daraus eine Wissenschaft und eroberte sich damit einen Platz in der Philosophie.
So D’Arcy Thompson.
∗ Zu denen auch seine Überzeugung gehört, dass unser Herz nur drei Kammern habe statt der vier, die es tatsächlich hat – entweder gelingt es ihm hier nicht, den rechten Vorhof von der rechten Herzkammer zu trennen, oder er hält den rechten Vorhof irrtümlich für einen Teil der Vena cava. In diesem Zusammenhang bringt er auch die Verbindung der Lungenarterien durcheinander – sie münden in den rechten Vorhof, nicht in die Vena cava. Auch nimmt er an, dass die Venen des Verdauungssystems zusammenfließen und in die untere Vena cava münden, statt in die Leber zu führen (er übersieht also das Pfortadersystem der Leber); weiterhin, dass die Kopfvene am Ohr von der Drosselvene abzweigt (das tut sie nicht; sie fließt in die Schlüsselbeinvene), und dass im Gehirn kein Blut fließt. Er erfindet außerdem ein Venenpaar, das von der unteren Vena cava in die Arme verläuft (das könnte eine hippokratische Nachwirkung sein). Ich habe hier Arterien von Venen unterschieden, er tut das nicht. Natürlich weiß er nicht, dass Blut zirkuliert.
∗ Aristoteles’ selachē entspricht nicht der Ordnung Selachii, zu der nur die Haie gehören, sondern ungefähr unserer Teilklasse Elasmobranchii, zu der Haie und Rochen gezählt werden.
∗ Aristoteles behauptet auch, dass der batrachos (Seeteufel, Lophius piscatorius) ein Knorpelfisch sei, der eine Masse hartschaliger Eier an der Küste ablegt. Obwohl er den Fisch gut kennt, liegt er hier vollkommen daneben. Zunächst einmal ist Lophius kein Knorpelfisch, zweitens legt er zwar Eier, aber die Beschreibung seiner Eiermasse stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein, denn wie Alexander Agassiz 1882 zeigte, legt der Seeteufel Millionen von Eiern in gewaltigen, gallertartigen, pelagischen »Vorhängen«. Meiner Meinung nach haben entweder Aristoteles, seine Informanten oder nachfolgende Schreiber den batrachos hier teilweise mit den batos (Rochen) verwechselt.
∗∗ Skylion leitet sich vom attisch-griechischen Wort für »Welpen« ab.