Читать книгу Die Lagune - Armand Marie Leroi - Страница 37
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ОглавлениеIn den kühlen Flüssen und Seen von Makedonien lebt ein Wels mit liebevollen Gewohnheiten:
Das Männchen des Flussfisches glanis kümmert sich sehr um seine Jungen. Das Weibchen lässt sie nach der Geburt zurück, aber das Männchen bleibt und bewacht die Eier dort, wo sich am meisten Laich gesammelt hat. Sein einziger nützlicher Beitrag besteht darin, in den 40 oder 50 Tagen, die es dauert, bis die Jungen sich entwickeln, andere kleine Fische daran zu hindern, die Eier zu stehlen, und die Jungen damit vor anderen Fischen zu retten. Fischer wissen, wann es die Eier bewacht, weil es murmelnde Geräusche von sich gibt, während es sie vor anderen winzigen Fischen beschützt. In seinem Verweilen bei den Eiern ist es so liebevoll und besitzergreifend, dass es den Nachwuchs selbst dann nicht im Stich lässt, wenn an tiefen Wurzeln befestigte Eier von Fischern in seichte Gewässer bewegt werden. Hier kann es dabei beobachtet werden, wie es nach den kleinen Fischen schnappt, wenn sie sich nähern. Erfahrene Hakenfresser werden ihren Nachwuchs trotzdem nicht verlassen, sondern stattdessen die Haken zerstören, indem sie mit ihren kräftigsten Zähnen daraufbeißen.
Was für ein reizendes Bild: Der männliche Wels, von seiner nichtsnutzigen Gefährtin im Stich gelassen, hält streitlustig vor sich hin murmelnd die Stellung in alle Richtungen, während seine unglückselige Brut sich unter seinen Flossen zusammendrängt. Es könnte eine Charakterskizze aus einer Fabel sein. Das wäre nicht vollkommen unaristotelisch. Er beschreibt verschiedene Tiere als »gutmütig«, »träge«, »intelligent«, »schüchtern«, »heimtückisch« und in einem Fall als »vornehm und mutig und von hoher Geburt« – den Löwen natürlich – und all das klingt ein wenig nach Äsop.
Im Jahr 1839 identifizierten Georges Cuvier und Achille Valenciennes Aristoteles’ glanis als Flusswels, Silurus glanis. Sie waren umsichtig genug, Aristoteles’ Bericht über die väterlichen Instinkte des Fisches nicht direkt abzutun, kommentierten jedoch, dass sie »ans Wunderbare grenzen«, was auch stimmt. Im Jahr 1856 nahm Louis Agassiz, Professor für Zoologie an der Harvard University, den glanis noch einmal unter die Lupe. Agassiz war deutlich geneigter, Aristoteles Glauben zu schenken. Elternverhalten war erst vor Kurzem auch bei Fischen dokumentiert worden. Er selbst hatte beobachtet, wie ein amerikanischer Wels Nester für seine Jungen baute und für sie sorgte, warum sollte ein makedonischer also nicht Ähnliches leisten? Andererseits kannte der in der Schweiz aufgewachsene Agassiz die Lebensgewohnheiten von S. glanis genau und hatte ihn niemals seine Jungen bewachen sehen.
Das Problem wurde gelöst, als Agassiz einige griechische Fische von einem Dr. Röser erhielt, dem Leibarzt des griechischen Königs. In seiner Sammlung befanden sich »ein halbes Dutzend Exemplare mit der Bezeichnung Glanidia, im Acheloos gefangen, in dem auch Aristoteles seine Informationen über den Glanis sammelte. »Name und Ort lassen keinen Zweifel daran, dass ich im Besitz des wahren Glanis des griechischen Philosophen bin, dass dieser Glanis zu den Siluridae gehört, aber nicht der Silurus glanis der systematischen Autoren ist.« Im Jahr 1890 beschrieb sein Assistent Samuel Garman den makedonischen Wels als eine neue Art, Silurus aristotelis, der sich von S. glanis hauptsächlich dadurch unterschied, dass er vier Barteln unter dem Maul hatte statt sechs.
Aristoteles’ Beschreibung der Brutgewohnheiten des S. aristotelis trifft genau zu, wenigstens soweit wir sie kennen. In einer anderen Passage beschreibt er das Balzverhalten des Fisches, die äußere Befruchtung, die »Scheide« (Eihülle), die sich nach der Befruchtung entwickelt, die embryonischen Augen, die einige Tage später entstehen, und das ungewöhnlich langsame Wachstum der Larven. All dies ist so detailliert, dass Aristoteles den Fisch gut selbst studiert haben könnte; er lebte schließlich als Mann und als Junge in Makedonien. Seine Beschreibung des Elternverhaltens von S. aristotelis stimmt ebenfalls mit der Wirklichkeit überein. Die Weibchen schwimmen tatsächlich nach der Eiablage davon und überlassen dem Männchen das Wachestehen. Und das Männchen gibt tatsächlich ein »Murmeln« von sich, um andere Fische zu vertreiben (indem es mit den Brustflossen auf den Thorax trommelt). Eins verwundert dennoch an seinem Bericht: Aristoteles behauptet, dass das Männchen fünfzig Tage lang Wache hält. Das erscheint sehr lang, denn die Jungen schlüpfen bereits nach etwa einer Woche. Ich habe Experten für diese Art befragt, ob die Männchen sich auch um die heranwachsende Brut kümmert, wie Aristoteles behauptet, aber sie wussten es nicht.
glanis – Aristoteleswels – Siluris aristotelis
Jemand sollte das untersuchen, denn Aristoteles hat uns vielleicht noch mehr über den Fisch zu erzählen. Und er sollte das bald tun: Die Weltnaturschutzunion IUCN führt S. aristotelis als »stark gefährdet«.