Читать книгу Handbuch Wirtschaftsstrafrecht - Udo Wackernagel, Axel Nordemann, Jurgen Brauer - Страница 319

a) Verkehrsauffassung und Begriff des Verbrauchers und Verwenders

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Soweit es den Informationsschutz und den Schutz vor Täuschungen betrifft, ist die Verkehrsauffassung als unbestimmter Rechtsbegriff Maßstab für die Bewertung der Eignung einer Handlung zur Irreführung.[65] Die Bestimmung der Verkehrsauffassung erfolgt zunächst über gesetzliche Vorgaben, wenn und soweit bestimmte Erwartungen, die der angesprochene Verkehrskreis an ein Erzeugnis haben darf, gesetzlich fixiert sind (normative Bestimmung).[66] Von diesen Vorgaben abweichende tatsächliche Erwartungen des Verkehrskreises sind irrelevant.[67] Sind solche gesetzlichen Bestimmungen nicht vorhanden, so kann auf das Deutsche Lebensmittelbuch (§ 15 LFGB, LMR 6610 ff.) zurückgegriffen werden, das „ein bedeutsames Auslegungshilfsmittel“[68] darstellt. Im Grundsatz ist aber die Auffassung der am Verkehr mit Lebensmitteln beteiligten Kreise, mithin der Verbraucher, Hersteller, Importeure und Händler, hinsichtlich Kennzeichnung, Aufmachung und Angabe über die Beschaffenheit des Erzeugnisses zur Bestimmung der Verkehrsauffassung entscheidend.[69] Besonderes Gewicht kommt angesichts des Schutzzwecks des § 11 LFGB dabei der Erwartung des Verbrauchers zu,[70] so dass letztlich maßgebend ist, wie dieser die Angaben, Aufmachung oder Kennzeichnung verstehen darf.[71] Demnach sind die Begriffe der Verkehrsauffassung und der berechtigten Verbrauchererwartung im Wesentlichen deckungsgleich.[72]

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Soweit Futtermittel betroffen sind, gilt das Ausgeführte entsprechend, nur dass durch § 19 LFGB der Verwender geschützt ist, wobei hier zwischen einem Inverkehrbringen (auch) für private und nur für gewerbliche Verwendung zu differenzieren ist.[73]

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Bei der Bestimmung der Verkehrsauffassung ist auf den konkreten Adressatenkreis, auch unter Berücksichtigung der örtlichen und zeitlichen Besonderheiten des Absatzmarktes, abzustellen.[74] Maßstab im Kontext des Täuschungsschutzes ist grundsätzlich der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige, nicht der flüchtige Durchschnittsverbraucher;[75] insofern hat sich das Verbraucherleitbild auch im deutschen Strafrecht europäisiert.[76] Der BGH sieht das in seiner Entscheidung zum Betrug durch sog. Abo-Fallen[77] evtl. noch anders; für das Lebensmittelstrafrecht ist demnach von einer europäisierten Betrachtungsweise auszugehen (vgl. aber zum europäischen Verbraucherbegriff auch Rn. 278).

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Die Feststellung der Verkehrsauffassung obliegt dem Tatrichter, der keinen Sachverständigen hinzuziehen muss, soweit nicht über die allgemeine Lebenserfahrung hinausgehende Sachkunde oder spezielles Fachwissen erforderlich ist[78] oder sich die Verkehrsauffassung aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt.[79] Für die Bestimmung der Eigenschaften eines Lebensmittels in ökotrophologischer, pharmakologischer oder medizinischer Hinsicht dürfte hingegen regelmäßig eine sachkundige Begutachtung unumgänglich sein.[80]

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Ergeben sich im europäischen Binnenverkehr im Hinblick auf die jeweils in unterschiedlichen Mitgliedstaaten herrschenden Verkehrsauffassungen Differenzen, so gilt hinsichtlich des Täuschungsschutzes der Grundsatz, dass ein in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebrachtes Erzeugnis nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe in einem anderen Mitgliedstaat als nicht verkehrsfähig angesehen werden darf.[81]

Handbuch Wirtschaftsstrafrecht

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