Читать книгу Von seelischer Selbstvergiftung und Hasskonserven - Barbara Gründler - Страница 14
3.2 Exkurs: Die Sprachspieltheorie Ludwig Wittgensteins
ОглавлениеZur bislang dargestellten definitorischen Problematik hätte Ludwig Wittgenstein vermutlich seine auf den ersten Blick enigmatische Formel: „Sage mir wie du suchst und ich werde Dir sagen was du suchst“1 in die Diskussion eingebracht.
In der Spätphilosophie Wittgensteins ist es „ein Kategorienfehler, den Gegenstand, auf den ein Wort sich bezieht, als seine Bedeutung zu behandeln“.2 In § 383 der Philosophischen Untersuchungen schreibt er:
„Wir analysieren nicht ein Phänomen (z.B. das Denken), sondern einen Begriff (z.B. den des Denkens), und also die Anwendung eines Worts. So kann es scheinen, als wäre, was wir treiben, Nominalismus. Nominalisten machen den Fehler, daß sie alle Wörter als Namen deuten, also ihre Verwendung nicht wirklich beschreiben, sondern sozusagen nur eine papierene Anweisung auf so eine Beschreibung geben.“3
Und in § 432 fügt er hinzu: „Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? – Im Gebrauch lebt es. Hat es da den lebenden Atem in sich? – Oder ist der Gebrauch sein Atem?“4 In diesen Zitaten wird deutlich, dass nach Wittgenstein die Bedeutung eines Zeichens „nicht ein Bedeutungskörper, eine Entität“5 ist, sondern dass ein Zeichen erst dadurch sinnvoll wird, „daß es einen regelgeleiteten Gebrauch hat“.6
Diese Aussagen werden vor dem Hintergrund Ludwig Wittgensteins Sprachspieltheorie verständlich, mit der er am Ende der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts den linguistic turn der Philosophie einleitete. Mit dieser Theorie wandte er sich gegen die naive Selbstverständlichkeit, mit der wir die Sprache verwenden, ohne uns der „Verhexung unsres Verstandes“7 durch sprachliche Bilder, die uns gefangen halten, bewusst zu werden.
Diese Bilder beziehen sich auf einen mutmaßlichen semantischen Wesensbegriff, den, wie oben beschrieben, Experten und Laien spontan mit einem Term, wie dem der „psychischen Krankheit“, verbinden. Eine derartige Sprachauffassung, in der die Bedeutung eines Wortes sein „Gegenstand“8 ist, hatte Wittgenstein selbst im Rahmen seiner Frühphilosophie in Form der Abbildtheorie vertreten und in seinem Werk Tractatus logico-philosophicus dargelegt. Da er als Grundschullehrer im täglichen Gespräch mit seinen Schülern jedoch die Erfahrung machte, dass seine frühe Sprachphilosophie wenig mit der tatsächlich gesprochenen Sprache gemein hatte, postulierte er im Rahmen seiner Spätphilosophie, dass die Bedeutung eines Wortes „sein Gebrauch in der Sprache“9 sei. Diese Erkenntnis leitete er aus der Beobachtung ab, dass „das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“.10 Die kleinen Verständigungssysteme, mit denen Kinder ihre Muttersprache erlernen, und die immer mit Tätigkeiten verwoben sind, bezeichnet Wittgenstein als Sprachspiele. Auf diese einfachen Sprachspiele, die „in sich geschlossene Systeme der Verständigung“11 sind, bauen mit der Zeit komplexere Sprachspiele auf. Auch „das Ganze“,12 also die Sprache einer Kultur und Sprechergemeinschaft, nennt Wittgenstein Sprachspiel.
Durch die Spielanalogie hat Wittgenstein die Aufmerksamkeit auf verschiedene Ähnlichkeiten zwischen Sprache und Spiel gelenkt. So hängen beim Spiel und bei der Sprache verbale und nonverbale Tätigkeiten zusammen. Wittgensteins Vergleich der Sprache mit einem Schachspiel ist in diesem Zusammenhang sehr anschaulich, denn ebenso, wie der Spieler die Bewegungen von Schachfiguren beim Spielen erlernt, lernen Kinder die Verwendung von Wörtern ihrer Muttersprache nicht über explizit gelernte Regeln, sondern in bestimmten Kontexten. Ein Satz ist dabei „ein Zug oder eine Bewegung im Spiel der Sprache; er wäre bedeutungslos ohne das System, von dem er ein Teil ist“.13 Die Tatsache, dass alle Sätze eines „sinnkonstituierenden Kontextes“14 bedürfen, wird als Kontextualismus bezeichnet.
Neben der Praxisverwobenheit fällt die Regelhaftigkeit der Tätigkeiten als weiteres gemeinsames Kriterium von Sprache und Spiel auf. Wie ein Spiel nach bestimmten Spielregeln abläuft, gibt es auch bei der Sprache „konstitutive Regeln, nämlich die Regeln der Grammatik“.15 Diese Regeln bestimmen, „was richtig und sinnvoll ist, und definieren damit das Spiel/die Sprache“.16
Die Bedeutung der Schachfigur ist somit nicht ihr Gegenstand, d.h., die hölzerne Spielfigur, sondern „die Summe der Regeln, die ihre möglichen ‚Züge‘ bestimmen“.17
In Analogie dazu ist auch die Bedeutung eines Wortes nicht sein Gegenstand, sondern „durch die Regeln bestimmt, die seine Funktion bestimmen“18. Durch Wittgensteins Vorschlag, dass Bedeutung Gebrauch ist, verwirft er die Suche nach einem Gegenstand jenseits des Zeichens.
Der Gebrauch erfolgt, wie bereits erwähnt, in Übereinstimmung mit grammatischen Regeln. „Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.“19
Aufgrund dieser Erkenntnisse vertritt Wittgenstein die Ansicht, dass „die scheinbare Struktur der Wirklichkeit nichts als ein ‚Schatten‘ der Grammatik“20 sei. Da die Grammatik „bestimmt, was als Darstellung der Wirklichkeit zählt“,21 ist sie einer „außersprachlichen Wirklichkeit nicht verantwortlich“.22 Dadurch kann sie „in einem philosophisch relevanten Sinn weder richtig, noch falsch sein“.23
Der unterschiedliche Umgang mit der Welt in verschiedenen Kulturen und Sprachen ist für Wittgenstein ein Beweis für die „Willkürlichkeit der Grammatik“.24 Somit entwickelte sich das „Abbildparadigma“25 des Tractatus zu einem „konstruktivistischen Paradigma“.26
In seinem Buch „Sprache und Lebensform“ hat der Philosoph und Psychologe Hans Rudi Fischer auf die „Doppelnatur des Sprachspielbegriffs“27 hingewiesen. Als Untersuchungsgegenstand kennzeichnet das Sprachspiel die in sich geschlossenen Verständigungseinheiten, mit denen Kinder die Sprache erlernen, während es als Untersuchungsmethode eine „Betrachtungsart“28 darstellt.
Fischer vergleicht die methodologische Funktion des Sprachspiels mit einer Vivisektion, die unter einem Mikroskop stattfindet:29 Ebenso, wie ein Forscher Aufbau und Funktion einer lebenden Froschzelle untersucht und analysiert, betrachtet Wittgenstein ein einzelnes Sprachspiel. Zelle und Sprachspiel können als geschlossene Funktionssysteme betrachtet werden, die beide allerdings nicht losgelöst vom Ganzen, dem Frosch bzw. dem Kontinuum „Sprache“, existieren können.
Das Objektiv im Mikroskop des Forschers symbolisiert die Perspektive, aus der die Betrachtung stattfindet. Diese kann sich „verschieben und ist letztlich willkürlich, wie unser Sprachspiel“.30 Während z.B. für einen Biologen die Froschzellen die „einfachen Elemente“ wären, und ein Muskel ein komplexes System, würde sich die Perspektive eines Genforschers deutlich verschieben, da für ihn die Gene „einfache Elemente“ im hochkomplexen System einer Zelle darstellen würden. Die zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Formel: „Sage mir wie du suchst und ich werde Dir sagen was du suchst“, veranschaulicht somit die Funktion des Sprachspiels als „Betrachtungsweise“.31