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4. Die „Verstimmten“ vor dem Hintergrund der Philosophie Peter Sloterdijks

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Das Denken Peter Sloterdijks ist in besonderer Weise von einem Grundverständnis des menschlichen Daseins in Stimmungen, Resonanzen, Tönen und Schwingungen durchdrungen. Seine in der Sphären-Trilogie ausführlich dargelegte Erkenntnis, dass Subjektivität „nicht von fundamentaler, sondern von medialer Natur“1 ist, steht in der Tradition Hegels und Heideggers, mit denen die große „Mediendämmerung“2 in der Philosophie eingeleitet wurde.

Schon im Fruchtwasser schwebt der Fötus nach Sloterdijk in einer beseelten Sphäre und wird durch die mütterlichen Geräusche, die ihn als „musique maternelle“3 durchdringen, zum medialen Klangkörper. Durch die fluidale Union mit der Mutter wird „eine einzige gemeinsame Subjektivität über zwei Partner resonierend verteilt“4 und ein erster „zwei-einig gemeinsamer Erlebnis- und Erfahrungsraum“5 gebildet, der das Grundverhältnis des Menschen als „Sein-in-Sphären“6 begründet.

Die Zerstörung seiner ersten Lebenssphäre in ihrer „weltarmen Vollkommenheit“7 und das Drama seines „frühen Abschieds vom Meer“8 führt beim Neugeborenen zu einer „präobjektive[n] Verneinung“9 und „Verstimmung“.10 Durch den Gebrauch einer medialen Terminologie bringt Sloterdijk zum Ausdruck, dass es sich bei diesem Nein zur Welt noch nicht um die Haltung eines gereiften Subjekts gegenüber einem Objekt handelt, sondern dass das Neugeborene als Vorsubjekt zu betrachten ist.G

Nach seiner Geburt wird der ungewollt aus dem Paradies Vertriebene nach Sloterdijk immer wieder versuchen, sich mit anderen zusammenzutun, um, geprägt von der Erinnerung an das „Innengewesen-Sein“,11 beseelte Endosphären der Geborgenheit zu schaffen. Da Sloterdijk einen lebbaren Modus von Subjekthaftigkeit als „Teilhabe an sphärischen Resonanzen“12 definiert, bedarf jeder Mensch der Öffnung auf einen oder mehrere andere hin. Nur in der sphärischen Gegenwart eines anderen in einem „für beide offenen seelischen Raum“,13 ist es dem medialen und durchlässigen Menschenwesen möglich, Selbstbewusstsein zu entwickeln. Gerade in Momenten der Inspiration, der Begeisterung oder der Hingabe wird der mediale Charakter des Menschen besonders deutlich erkennbar.

Das menschliche Vermögen, die Stimmung und den Klang des gemeinsam bewohnten Raumes als „Beziehungs- und Beseelungssphäre“14 hervorzubringen, bezeichnet Sloterdijk als Fähigkeit zur lokalen „Weltschöpfung“.15

Gleichzeitig kann der Mensch auch durch die Rückwirkung der Welträume „eingestimmt, umgestimmt und verstimmt“16 werden. Gerade die furchteinflößende Erfahrung des „Ungeheuren“,17 in dem sich der Mensch nach seiner Geburt zurechtfinden muss, kann nachdrücklich zu Verstimmungen und einer allmählichen Konsolidierung der ursprünglichen präobjektiven Verneinung führen.

Die „Verneinung als Verstimmung“18 behindert nach Sloterdijk das Zur-Welt-Kommen des Menschen, das nicht mit dem Durchtrennen der Nabelschnur abgeschlossen ist, sondern einer nachträglichen Einwilligung ins Dasein bedarf. Um sich „in die Welt wie in einen Strom voranschreitender Geburt“19 einlassen zu können, ist eine stets neu zu vollziehende „Bejahung als Einstimmung“20 erforderlich, bei der die vorgeburtliche „Ja-Stimmung (…) in erwachsene Gesten der Selbstwahl“21 übergehen muss. Archaische Gelöstheit mit erwachsener Gelassenheit neu verknüpfend, kann den im Verlauf des Lebens und unzähligen Konflikten „gehärteten“22 Subjekten eine reflektierte Selbstübernahme gelingen.

Exemplarisch für eine „spezifisch menschliche Verstimmung“23 führt Sloterdijk die Grunderfahrung der Depression als „Negation der sphärischen Union“24 an. Die „antisphärische Ringsum-Isolierung“25 erwächst aus einer Verschließung in sich selbst, einer Weigerung der Seelenraumteilung und einer „Unmöglichkeit, ins Offene umzuziehen“.26 Durch „Erstarrung und Verneinung“27 wird der Depressive undurchlässig für Schwingungen und Resonanzen und büßt seine Klangkörpereigenschaften ein. In diesem Zusammenhang verweist Sloterdijk im ersten Buch der Sphären-Trilogie auf Thomas Macho, der alle sogenannten seelischen Störungen als Teilhabeverzerrungen und „Medienkrankheiten“28 interpretiert.

Die Betrachtung der „psychisch kranken“ Menschen als Verstimmte wirft einen erhellenden Blick auf die Schwierigkeiten der Betroffenen, interpersonale Resonanzräume und Sphären zu bilden. Nur allzu oft leiden die von Sloterdijk in Reminiszenz an Heidegger auch als „Sorgen-Kinder“29 Bezeichneten an einer „Störung der sozialen Teilhabe“,30 Bindungsarmut und einer Existenz am Rande der Gesellschaft, die vor dem Hintergrund Sloterdijks Sphärentheorie auch auf eine Einschränkung ihrer medialen Klangeigenschaften zurückgeführt werden kann.

Ein Platz in der Internationalen der Verlierer und Ausgeschlossen, die bereits in Kapitel 2.4 beschrieben wurde, scheint den meisten Betroffenen somit gewiss.

In den nun folgenden Kapiteln soll das Ressentiment mit seinem Nein zu den harten Tatsachen der Wirklichkeit als mögliche Hauptursache der Klanghemmung im seelischen Resonanzfeld der Verstimmten untersucht werden.

G Sloterdijks psychoanalysekritischer Standpunkt kommt in seiner Auseinandersetzung mit der tiefenpsychologischen Terminologie zum Ausdruck, die suggeriert, dass ein Neugeborenes Objektbeziehungen eingehen könnte. Auch die Vorstellung, eine Therapie müsse mit einer Reise in die Kindheit verbunden sein, hält er für „einen der schädlichsten Irrtümer der modernen psychologischen Ideologie“ (Sloterdijk 1993, S. 286).

Von seelischer Selbstvergiftung und Hasskonserven

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