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5.3 Die Müdigkeit und die Reaktivität – das Erschöpfungssyndrom

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Als Folge der „übermäßigen Reizung“1 des Bruchstück-Menschen durch äußere und innere Impulse, sowie nicht verarbeitete Erinnerungsbilder, entsteht eine tiefe „Schwere und Müdigkeit“.2 Die „Fülle disparater Eindrücke“3 erscheint ihm „größer als je: (…) das tempo dieser Einströmung ein prestissimo; die Eindrücke wischen sich aus; man wehrt sich instinktiv, etwas hereinzunehmen, tief zu nehmen, etwas zu ‚verdauen‘“.4 Der Erschöpfte sehnt sich nach „Ruhe, Gliederausstrecken, Frieden, Stille“5 und verlernt, „zu agiren“.6

Aufgrund der Müdigkeit rufen alle Anforderungen, die von der Außenwelt an ihn herangetragen werden, bei dem Erschöpften Unlust hervor. Er weicht allem, „was Affekt macht, was ‚Blut‘ macht“,7 aus, denn seine Erschöpfung bewirkt „eine tiefe Verminderung und Herabstimmung des Willens zur Macht, eine meßbare Einbuße an Kraft“.8 Im Gegensatz zum Starken, der auf „Steigerung“9 aus ist, geht es dem Schwachen lediglich um die „Erhaltung des Lebens“.10

Unfähig, sein Leben aktiv zu gestalten, „reagirt“11 der Schwache nur noch „auf Erregungen von außen her“.12 Sein schwacher, richtungsloser Wille „wird erst auf einen Anstoß hin tätig“,13 und das Wollen wird ihm zur Qual. Meist bewirkt die „machtlose ‚Müdigkeit‘“,14 dass seine Reaktion „unbeherrscht und masslos“15 wird. Die „physiologische Hemmung und Ermüdung“16 führt nach Nietzsche jedoch unweigerlich zu einem Verdruss an sich selbst:

„Möchte ich irgend Jemand Anderes sein! so seufzt dieser Blick: aber da ist keine Hoffnung. Ich bin, der ich bin: wie käme ich von mir selber los? Und doch – habe ich mich satt! (…) Auf solchem Boden der Selbstverachtung, einem eigentlichen Sumpfboden, wächst jedes Unkraut, jedes Giftgewächs, und alles so klein, so versteckt, so unehrlich, so süsslich. Hier wimmeln die Würmer der Rach- und Nachgefühle; (…) hier wird der Aspekt des Siegreichen gehasst.“17

Der aus der Unzufriedenheit folgende „Überdrusse am Leben“18 findet seinen Niederschlag in der Ressentiment-Moral. Im Gegensatz zum Vornehmen, dessen Moral „aus einem triumphirenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst“,19 negiert die Sklaven-Moral die Wirklichkeit und sagt „von vornherein Nein zu einem ‚Ausserhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘: und dies Nein ist ihre schöpferische That“.20

Aufgrund der Unfähigkeit, sein Leben handelnd zu gestalten, verneint der Ressentiment-Mensch das Schaffen und alles, „was die aufsteigende Bewegung des Lebens, die Wohlgerathenheit, (…) die Selbstbejahung“21 ausmacht. Er wendet sich gegen die Wirklichkeit, verlangt, dass „Alles anders“22 sein sollte und erwartet, dass dem „menschlichen Wohlbefinden die Einrichtung der Welt“23 entspreche. Dazu erfindet er „eine andre Welt (…), von wo aus jene Lebens-Bejahung als das Böse“24 erscheint. Die Eigenschaften, die die „Realität ausmachen, Wechsel, Werden, Vielheit, Gegensatz, Widerspruch, Krieg“25 werden negiert, da der Erschöpfte sich von ihnen überfordert fühlt. Die Forderung nach einer Welt der Passivität, die den Wünschen des eigenen „Herzens genugthut“,26 bezeichnet Nietzsche als „anthropocentrische Idiosynkrasie“.27

Vorrangig wendet sich die Kritik des Ressentiment-Menschen gegen das Leiden, das ihm „sinnlos[ ]“28 erscheint und gemäß seiner Wunschwirklichkeit nicht existieren „sollte“.29 Da für Nietzsche das Leiden jedoch zum Leben gehört, und dem Menschen notwendig begegnet, ist dieser Wunsch unerfüllbar und „verschlimmert (…) das Leiden nur noch“.30 Während eine „aktive Haltung dem Leiden Sinn vermittelt, verursacht eine reaktive Haltung Empörung“31 und macht das als sinnlos erlebte Leiden zur Last.

Von seelischer Selbstvergiftung und Hasskonserven

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