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1. Einleitung

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Nichts fehlt den modernen Wissenschaften vom Menschen so sehr, wie das von Friedrich Nietzsche in der Vorrede zu seinem Werk Die Fröhliche Wissenschaft dankbar beschworene

„Frohlocken der wiederkehrenden Kraft, des neu erwachten Glaubens an ein Morgen und Uebermorgen, des plötzlichen Gefühls und Vorgefühls von Zukunft, von nahen Abenteuern, von wieder offenen Meeren, von wieder erlaubten, wieder geglaubten Zielen.“1

Diese Einsicht betrifft vor allem den Bereich der Psychiatrie, der sich traditionell mit den Fragen des Menschseins beschäftigt. Die Auslegung des Menschen im letzten Abschnitt der Epoche der Neuzeit ist nach Heidegger Zeichen des „europäischen Nihilismus“2 und Folge einer Entwicklung, die mit Descartes begann. Der cartesianische Ansatz begründete eine naturwissenschaftlich orientierte Medizin und Psychiatrie, in der der Mensch auf eine seelenlose Körpermaschine reduziert wurde. Da die Eigenschaften des Lebendigen nicht ohne Verlust in messbare chemo-physikalische Daten uminterpretiert werden können, führte der Reduktionismus zu einer deutlichen Einbuße an Einsichten in das Wesen des Menschen. Von nun an erwarteten viele Ratsuchende von den Professionellen „eine bloße Restitution oder Reparatur“,3 eine Hoffnung, die weit von dem ursprünglichen Verständnis von Medizin und Therapie als „Heilkunst“4 entfernt lag, das der Philosoph Hans-Georg Gadamer in seinem Aufsatz Hermeneutik und Psychiatrie ausführlich beschrieben hat.

Von der Erstarrung vieler Psychiater, Psychologen und Therapeuten in reduktionistisch geprägten Vorstellungen vom Menschen konnte ich mich während meiner fast zwanzigjährigen Tätigkeit als Fachberaterin für Psychotraumatologie und Ergotherapeutin im beruflichen Alltag überzeugen. Die wissenschaftliche Rückführung psychischer Krankheiten auf Genetik und eine „gestörte[ ] Hirnchemie“5 führte zu dem auch in der Bevölkerung weit- verbreiteten Glauben, dass Psychosen und Depressionen schnell mit den richtigen Medikamenten aus der Welt zu schaffen seien.

Auch wenn die Entdeckung der Psychopharmaka zu einer „Humanisierung der Psychiatrie“6 geführt hat und das Leid vieler Betroffener verringern konnte, stellt sich dennoch die Frage, ob ihre Verordnung tatsächlich zu einem Rückgang der Erkrankungen führt. Nicht nur die überfüllten Wartezimmer der Psychiater, sondern auch Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, nach denen Depressionen in Europa schon heute als häufigste psychiatrische Diagnose gelten und „im Jahre 2020 weltweit die häufigste Krankheit nach der koronaren Herzkrankheit“7 sein werden, scheinen den uneingeschränkten Glauben an die Chemie ad absurdum zu führen.

Überzeugender als die gängigen naturwissenschaftlichen Modelle vermögen Friedrich Nietzsches und Peter Sloterdijks philosophische Zeitdiagnosen die Ausbreitung der depressiven Weltmüdigkeit zu erklären, die ihren Ausgang in Europa nahm und sich epidemisch über den gesamten Erdball auszubreiten begann. Als Zeichen einer „unaufhaltsamen nihilistischen Lebenshemmung“8 stellt die Depression nach Sloterdijk die „Bejahbarkeit des Lebens im ganzen in Frage“9 und kann als Zeugnis einer „Machtergreifung des Ressentiments“10 betrachtet werden.

Durch die Lektüre von Peter Sloterdijks Buch Zorn und Zeit auf Nietzsches ingeniöse Entdeckung des Ressentiments aufmerksam gemacht, begann ich, meine Mitmenschen und mich selbst aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Überall dort, wo Unzufriedenheit, Herabsetzungsbedürfnisse, Missgunst, Groll, Schuldzuschreibungen, Rachewünsche und Verbitterung über nie verwundene Kränkungen sklerotisch zutage traten, und den freien Lebensvollzug behinderten, schien Nietzsches Ressentimenttheorie sowohl eine Erklärungsgrundlage, als auch einen Ausweg zu bieten. Mit dem Denken Nietzsches und Sloterdijks gerieten Horizont und „offnes Meer“11 erneut in den Blick, und so entstand der Wunsch, mich „mit listigen Segeln auf furchtbare Meere“12 einzuschiffen, um im Selbstversuch eigene Ressentiments zu überwinden und auch den psychiatrischen Fachbereich im Sinne dieses Geistes zu beleben und zu bereichern.

Als Teil dieses Vorhabens kann die vorliegende Untersuchung betrachtet werden, die im Geist einer Fröhlichen Wissenschaft verfasst ist, und „nicht nur das Lachen und die fröhliche Weisheit, sondern auch das Tragische mit all seiner erhabenen Unvernunft“13 beinhalten soll. Die Chance, Peter Sloterdijk für die Betreuung dieser Forschungsarbeit gewinnen zu können, ist ein besonderes Glück auf diesem Weg. Auch für die Möglichkeit, in meinem Beruf vielen Menschen begegnen zu dürfen, die mich an ihrem Leben teilhaben lassen, und mir Einblick in ihr Ressentiment und dessen Überwindung gewähren, bin ich dankbar.

Um meine Forschungsergebnisse verständlich darlegen zu können, soll zunächst eine kurze Beschreibung von Genese und Phänomenologie des Ressentiments erfolgen. Dazu werden im zweiten Kapitel die Thesen Nietzsches, Schelers und Sloterdijks entfaltet, die das Ressentimentphänomen unter den maßgeblichen psychologischen, gesellschaftlichen und sozio-politischen Gesichtspunkten beschrieben haben. Von den neueren Studien zum Ressentiment, die im Verlauf der Untersuchung Erwähnung finden sollen, hat mich besonders die Arbeit Eike Brocks unter dem Titel Nietzsche und der Nihilismus inspiriert.

Im dritten Kapitel soll daraufhin eine Darstellung des psychiatrischen Sprachspiels erfolgen, das im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen wird. Um die große Gruppe der Ratsuchenden zu charakterisieren, die sich aufgrund ihrer sogenannten „psychischen Krankheit“ an die Anbieter professioneller Hilfe wenden, stellt sich zunächst die Frage nach einer Bestimmung des meist vorbehaltlos benutzten Krankheitsbegriffs in der Psychiatrie. Nach dessen Referenten soll vor dem Hintergrund der wittgensteinschen Sprachspieltheorie gesucht werden, die Sloterdijk als „die bis dahin ernsteste Neuaufnahme des Nietzscheschen Programms der Fröhlichen Wissenschaft“14 betrachtet. Aus der Vielfalt der mit dem Begriff der „psychischen Krankheit“ verwobenen Sprachspiele sollen einige besonders prägnante Beispiele herausgegriffen und illustriert werden. Dazu gehören nicht nur religiöse, normative, moralische, medizinische und mediale Sprachspiele, sondern auch die philosophischen Sprachspiele Peter Sloterdijks und Dietmar Kampers zum Begriff der Sucht. Aufgrund der mit psychiatrischen Diagnosen häufig verbundenen Stigmatisierung und der besonders eindrücklich von Michel Foucault beschriebenen gesellschaftlichen Ausgrenzung der Betroffenen soll nach einem neuen und nicht-pathologisierenden Terminus gesucht werden, der die Missstimmung vieler Ratsuchender zum Ausdruck bringt.

Mit dem in der Tradition Heideggers stehenden Begriff der Verstimmung wird im vierten Kapitel eine neue Sichtweise auf die sogenannten „psychisch Kranken“ inauguriert. Die Verstimmung soll im Rahmen Peter Sloterdijks sphärologischen Denkens als Weise des In-Beziehung-zu-anderen-Stehens beschrieben werden. Hinter der Einschränkung der seelischen Resonanzfähigkeit verbirgt sich häufig eine ressentimentgeprägte Haltung der Selbst-, Welt- und Lebensverneinung.

Da Nietzsche den modernen europäischen „Durchschnittsmenschen“15 als „Schwachen“16 und „Mensch[en] des Ressentiment“17 decouvriert hat, liegt die Vermutung nahe, dass dieser Typus auch außerhalb des Fachbereichs Psychiatrie anzutreffen ist. Häufig reicht ein Blick in den Spiegel, um ihm zu begegnen. Die gesellschaftlich erwünschte und daher stetig vorangetriebene Schwächung des modernen Menschen betrifft gemäß Nietzsche insbesondere das Willensvermögen. Überall dort, wo „das Leben möglichst klein“18 gehalten werden soll, steigt jedoch das Ressentiment.

Trotz der generalisierten Ausbreitung des Ressentiments machte ich die Beobachtung, dass die „psychisch Kranken“ aufgrund ihrer häufig durch gesellschaftlichen Ausschluss bedingten Ohnmacht in besonderer Weise Merkmale des Ressentimentmenschen tragen, und diese durch das Aufsuchen eines „Experten“ und die damit verbundene Selbstoffenbarung offener zu erkennen geben, als andere. Überdies scheint in jedem der gängigen „psychiatrischen Krankheitsbilder“ ein Aspekt der in mehreren Schritten verlaufenden Ressentimententwicklung, die Amandus Altmann auch als „Strukturmomente der Moral“19 bezeichnet hat, besonders deutlich zutage zu treten.

Aus dieser Beobachtung entstand eine der Hauptthesen dieses Forschungsprojekts, die im fünften Kapitel untersucht werden soll. Sie lässt sich durch die Vermutung formulieren, dass die jeweilige Kardinalsymptomatik der wichtigsten „psychiatrischen Krankheitsbilder“ als Zuspitzung und Höhepunkt unterschiedlicher Stadien der Ressentimentgenese betrachtet werden können.

In der anhand von Fallbeispielen aus meiner beruflichen Praxis geführten Untersuchung sollen unter anderem „Krankheitsbilder“ wie das ADHS-Syndrom, die Borderline-Persönlichkeitsstörung, das Erschöpfungssyndrom, die posttraumatische Belastungsstörung, die dissoziale Persönlichkeitsstörung oder die Depression dargestellt und unter dem Blickwinkel des Ressentiments analysiert werden. Zudem wurde aus dem großen Bereich der Angsterkrankungen die soziale Phobie, aus dem Bereich der Psychosen die paranoide Psychose ausgewählt.

In die Untersuchung fließen auch die Forschungsergebnisse führender Vertreter der aktuellen psychiatrischen Fachliteratur mit ein. Dazu gehören unter anderem die viel beachteten letzten Arbeiten der Psychiater Allen Frances und Andreas Heinz.

Die zweite Gruppe, die das Sprachspiel der Psychiatrie konstituiert, rekrutiert sich aus den Helfern unterschiedlicher Fachrichtungen. Nicht nur bei Ärzten und Psychologen, sondern auch bei Therapeuten, Pflegern, Pädagogen und Sozialpädagogen ist häufig ein ausgeprägtes Ressentiment zu bemerken, das sich jedoch meist hinter freundlichen Mienen verbirgt. Den Verstimmten diverse Theorien, Medikamente, Verhaltensmaßregeln, Mittel und Methoden anbietend, die das Leiden vermindern sollen, ähneln viele von ihnen der Figur des „asketischen Priesters“,20 die Nietzsche in seinem Werk Zur Genealogie der Moral beschrieben hat. Auch dieser ist ein Mensch des Ressentiments, wenngleich sein Wille zur Macht über andere im Gegensatz zu den Schwachen unversehrt ist.

Auf der Grundlage dieser Beobachtung soll im sechsten Kapitel die nächste Hauptthese der Arbeit entfaltet werden. Diese besteht in der Annahme, dass viele Anbieter professioneller Hilfe als Vertreter des priesterlichen Typus zu betrachten sind, der mit Hilfe einer dogmatischen Lehre die Herrschaft über Schwache anstrebt. Dabei gelingt ihm eine Richtungs-Veränderung des Ressentiments, die zwar einer Explosion des seelischen Giftes vorbeugen kann, jedoch die Herzen der „Kranken“ in wahre Mördergruben verwandelt.

Verbunden mit dieser Fragestellung sind sowohl eine umfassende Analyse des priesterlichen Ressentiments als auch die Darstellung der offiziellen Lehre im Rahmen des sogenannten „asketischen Ideals“21 der psychiatrischen Wissenschaft. Auf das eingangs beschriebene nihilistische Menschenbild zurückgehend, zieht Letztere nach Nietzsche eine „Verarmung des Lebens“22 mit sich.

Gleichzeitig fungiert diese These als Prüfstein für Nietzsches am Ende der Genealogie der Moral formulierte Feststellung, die Wissenschaft sei nicht die Gegnerin, sondern die „beste Bundesgenossin“23 des Christentums. An der Richtigkeit dieser bereits 1887 von Nietzsche veröffentlichten Einschätzung zweifeln auch knapp 130 Jahre später immer noch viele moderne Vertreter des wissenschaftlichen Diskurses mit Nachdruck, glauben sie doch, sich auf die Wahrheit zu berufen.

Wie genau sich der scharfsinnige Schluss des Philosophen jedoch im Sprachspiel der Psychiatrie bestätigt hat, soll in der vorliegenden Untersuchung anhand einer vergleichenden Studie von Christentum und Wissenschaft gezeigt werden. Das sechste Kapitel kann somit als Beleg, praktische Anwendung und Ausarbeitung von Nietzsches Beobachtung betrachtet werden. Darüber hinaus stellt es den Versuch dar, Nietzsches Denken, das in der Wissenschaftstheorie „fast nirgends präsent“24 ist, in den psychiatrischen Diskurs einzuführen.

Für das Phänomen der gut besuchten Wartezimmer in psychiatrischen Praxen und das kontinuierliche Ansteigen psychiatrisch etikettierter Verstimmungen sollen im Rahmen der Analyse mögliche Erklärungen gefunden werden. Schon im Vorfeld der Untersuchung können sie jedoch als Hinweis auf die fehlende Heilkraft der priesterlichen Remeduren gewertet werden, die nur auf Tröstung und Schmerzlinderung angelegt sind.

Da die Medikation der Priester bewusst und unbewusst nicht auf eine Überwindung des Ressentiments angelegt ist, sondern diese um jeden Preis vermeiden will, liegt die Vermutung nahe, dass eine mögliche Genesung der Verstimmten auf eben diesem Weg erfolgen müsste. Als letzte Hauptthese des Forschungsprojekts führt diese Schlussfolgerung im siebten Kapitel zur Suche nach Denkansätzen zur Überwindung des Ressentiments.

Wollen die Verstimmten ihr Ressentiment als eine der möglichen Ursachen ihres Leidens überwinden, so benötigen sie die Unterstützung von „kühnen Suchern, Versuchern“25 und philosophischen „Räthselrather[n]“26 mit oder ohne akademische Weihen, die in Fragen des Ressentiments versiert und im Selbstversuch erfahren sein müssen.

Da der Kampf gegen das Ressentiment immer nur von jedem Einzelnen geführt werden kann, sind auch für die fröhlichen Wissenschaftler „Selbst-Befragung, Selbst-Versuchung“27 und Selbst-Reflexion erforderlich, um stets aufs Neue die eigenen Vorurteile, Besserwissereien, Anmaßungen und Schuldzuschreibungen in den Blick zu bekommen. Das Eingeständnis, am gleichen Übel zu leiden, wie die Verstimmten, kann Machtdiskurse beenden und stattdessen eine Haltung der Solidarität und des Mitgefühls begründen.

Die langsame Genesung vom Ressentiment kann als lebenslange Aufgabe betrachtet werden, und ist eine „Kunst für Künstler, nur für Künstler!“28 Für unbeteiligte „Objektivir- und Registrir-Apparate mit kalt gestellten Eingeweiden“29 unzugänglich, muss diese Kunst ein Gegengift gegen den Nihilismus entwickeln, das den Missmut, die Unzufriedenheit sowie die Selbst- und Weltverneinung einzudämmen und den Willen zu stärken vermag. Mögliche Ingredienzien dieses Antidots sind im Denken einiger Philosophen zu finden, die im letzten Teil des Buches zu Wort kommen sollen.

So hat Blaise Pascal in seinen Pensées ein meiner Einschätzung nach nicht vom Ressentiment geprägtes Menschenbild entworfen, das sich zur Einübung in die Kunst „gut nicht – zu – wissen“30 anbietet. Nach der Darstellung von Pascals Auslegung des Menschen soll anhand der hermeneutischen Herangehensweise Hans-Georg Gadamers gezeigt werden, wie durch die Kunst des Fragens feststehende Meinungen gelockert werden können, um die Sache selbst in die Schwebe und ins Offene zu bringen. Durch ein Infragestellen der Meinungen und Überzeugungen können sich auch die mit ihnen verbundenen Emotionen verwandeln und ihre oft beengenden Klammern um den Fühlenden lockern oder lösen. Die Idee der Befreiung liegt auch Walter Benjamins These von dem Verzicht auf Belehrung und Rat zugrunde. Ähnlich wie Gadamer geht es ihm darum, die hierarchischen Verhältnisse zwischen Gesprächspartnern zu nivellieren, um die „Überwindung der Herabsetzungs-Bedürfnisse“,31 die als untrügliche Zeichen für das Vorhandensein von Ressentiment gelten, einüben zu können.

Um negativen Selbst- und Welturteilen den Boden zu entziehen, entwickelt Nietzsche im Rahmen seiner Lebensbejahungsphilosophie die Kunst der Transfiguration. Diese auf den Perspektivismus gründende „Kunst sich vom Ressentiment schadlos zu halten“32 lehrt die Einübung in wohlwollende Sichtweisen und gilt als Hinweis darauf, dass unsere beste Kraft im Wollen liegt. Gerade das Wollen-Lernen soll als „einer der Kernpunkte von Nietzsches Philosophie“33 in Kapitel 7.3.2.7 dargelegt werden.

Das Transfigurieren ermöglicht nicht nur die Abkehr von nihilistischen Betrachtungsweisen, sondern auch eine Überwindung der qualvollen Fixierung auf die Vergangenheit, die besonders für den therapeutischen Kontext von großem Interesse sein dürfte. Als „offensive[s] Exerzitium“34 könnte die antinihilistische Kunst der Transfiguration die Zufriedenheit des Einzelnen steigern und dazu beitragen, die bisher „mächtigste und schädlichste“35 Weise der Welterzeugung zu modifizieren, die das Ressentiment gemäß Peter Sloterdijk generiert hat.

Möglichkeiten zu einer Überwindung des Geistes der Rache erkennt der französische Literaturwissenschaftler René Girard vor allem im Freiwerden vom Begehren, das seiner Einschätzung nach die Entstehung von Neid und Eifersucht begünstigt. Seine Gedanken zum Verzicht auf Vergeltung und jedwede Designierung von Schuldigen sollen als Beitrag zur Suche nach Strategien zur Überwindung des Ressentiments in die folgende Untersuchung einfließen.

Auch die von Peter Sloterdijk entworfene Ethik der Großzügigkeit, bei der „Gesten des Raumgebens und Raumnehmens“36 im Vordergrund stehen, kann als sprudelnde Inspirationsquelle für alle diejenigen, die dem Ressentimentdenken die Stirn bieten wollen, betrachtet werden. Sloterdijks Beschreibung des Menschen als Wesen der Fülle stellt einen lebensbejahenden Gegenentwurf zu den Anthropologien des Mangels dar, auf die sich die ressentimentgeprägten und erotisierten Konsumgesellschaften gründen. Allein Großzügigkeitsgeschehen vermögen seiner Meinung nach „das Ressentiment als erste Geschichtsmacht abzulösen“,37 und so ist eine Stärkung der großmütigen und generösen Komponenten der menschlichen Natur Teil seiner philosophischen Umstimmungsarbeit, die auch für angehende „Philosophen der Zukunft“38 maßgeblich ist.

Von Zarathustras Ausführungen über die „schenkende Tugend“39 ausgehend, soll im vorletzten Kapitel eine mögliche Form der Gabe entworfen werden, in der das Gegengift gegen die Vergiftungserscheinungen des Ressentiments gereicht werden könnte. Nicht nur die Philosophie Nietzsches, sondern auch die Theorie der Verausgabung des französischen Philosophen Georges Bataille soll im Rahmen der Untersuchung herangezogen werden, um die notwendigen Kenntnisse eines philosophischen Toxikologen zu illustrieren. Kann dieser darüber hinaus zu einem lachenden Verschwender werden, so stellt er die Leichtigkeit unter Beweis, die einem Philosophen der Zukunft zu wünschen wäre.

Möglichkeiten der Genesung vom Ressentiment bietet auch das Denken Byung-Chul Hans. Die Ausklammerung des Anderen und Fremden als Zeichen des Ressentiments betrachtend, plädiert er für eine bewusste Hinwendung zu allen Phänomenen der Negativität, die dem Leben seine Lebendigkeit verleihen.

Über das Sprachspiel der Psychiatrie hinaus ist das vorliegende Buch eine Einladung an alle Leser zum Selbstexperiment. Ohne Absolutheitsansprüche zu erheben, soll die Ressentimentheorie jedoch lediglich als neue Sichtweise und Angebot an alle diejenigen verstanden werden, die nach neuen Denkmöglichkeiten jenseits des Ressentiments suchen.

Als „Versuch über die Bejahung“40 soll sie im Sinne Sloterdijks umstimmen und zur Einstimmung ins Dasein und zum Gutheißen der eigenen Existenz einladen.

Die bewusste Entscheidung, viele Originalzitate insbesondere von Nietzsche und Sloterdijk in den Text einfließen zu lassen, soll als Reminiszenz an die Sprachgewalt ihrer Verfasser verstanden werden, die durch keine Paraphrasierung ersetzt werden kann.

Von seelischer Selbstvergiftung und Hasskonserven

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