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4.Stellung des Vorsatzes
Оглавление67Lange Zeit umstritten war die Frage, an welcher Stelle des dreigliedrigen Verbrechensaufbaus (Tatbestandsmäßigkeit – Rechtswidrigkeit – Schuld) der Vorsatz zu prüfen ist. Dass ein solcher Vorsatz regelmäßig erforderlich ist, ergibt sich aus § 15 StGB.
Gesetzestext
§ 15 StGB: Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
68Zwar kennt unser StGB eine Vielzahl auch fahrlässig zu begehender Delikte, wie z. B. die fahrlässige Tötung, § 222 StGB. Insbesondere bei den Delikten, die sich gegen fremdes Vermögen oder Eigentum richten, wie z. B. beim Diebstahl, § 242 StGB, oder bei der Sachbeschädigung, § 303 StGB, findet sich eine solche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit jedoch nicht. Aus § 15 StGB ergibt sich nun, dass die Notwendigkeit vorsätzlichen Verhaltens in jedes einzelne Delikt des Besonderen Teils des StGB mit hineinzulesen ist, wenn in der entsprechenden Vorschrift nicht ausdrücklich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit angeordnet wird. Dies hat zur Folge, dass z. B. § 212 StGB („Wer einen Menschen tötet […], wird […] bestraft“) i. V. m. § 15 StGB wie folgt zu lesen ist: „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet […], wird […] bestraft“.
69Begreift man den Vorsatz als Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung,24 so wird deutlich, dass es sich dabei jedenfalls um ein subjektives Element handeln muss. Der Täter muss einerseits die konkreten Umstände kennen, die dazu führen, dass sein Handeln einen gesetzlichen Tatbestand erfüllt, und er muss diese Tatbestandsverwirklichung auch wollen.
Bsp.: Wenn Anton den still in einer Ecke stehenden Bruno mit einer Pistole erschießt (nur dieser äußere Tathergang ist im Übrigen von einem außenstehenden Beobachter objektiv erkennbar), liegt eine vorsätzliche Tötung nur dann vor, wenn Anton subjektiv die vorliegenden Umstände auch kennt. Er muss also wissen, dass er auf einen Menschen (und nicht z. B. auf eine Schaufensterpuppe) schießt, dass es sich bei der Pistole um eine scharfe Waffe (und nicht um eine Spielzeugpistole, mit der er nur drohen wollte) handelt und dass die Waffe auch geladen ist. Neben diesem Wissen um die einzelnen Umstände muss er den tödlichen Erfolg auch wollen, was z. B. dann ausscheidet, wenn er Bruno mit dem Schuss nur erschrecken, nicht aber treffen oder ihn nur verletzen, nicht aber töten wollte. – In der Praxis stellen sich für den Richter gerade in diesem Bereich große Nachweisprobleme, insbesondere wenn der Täter, wozu er ein Recht hat, in der gerichtlichen Hauptverhandlung schweigt. Die objektiv vorliegenden Umstände kann man durch Zeugenaussagen aufklären, was der Täter aber subjektiv wusste und wollte, bleibt nach außen stets unsichtbar.
70Es läge nun nahe, sowohl das Vorliegen des Straftatbestandes selbst als auch die Bestimmung der Rechtswidrigkeit (und insoweit also die gesamte Unrechtsebene) rein objektiv zu bestimmen und von der Persönlichkeit des Täters abzukoppeln. Dies hätte den Vorteil, dass alle subjektiven Elemente als Bestandteile der Schuld angesehen werden könnten und auch dort zu prüfen wären. Vorsatz und Fahrlässigkeit wären demnach reine Schuldelemente und wären vom objektiven Unrecht der Tat abzukoppeln. So sah dies in der Tat der klassische Verbrechensaufbau, der in Deutschland noch bis in die Mitte des 20. Jh. hinein absolut herrschend war, vor.25 Diese Ansicht wird auch als „kausaler“ Verbrechensaufbau bezeichnet, weil hiernach allein die kausale Verursachung einer unerwünschten Rechtsfolge (also z. B. des Todes eines anderen Menschen) das Unrecht der Tat begründet.
Bsp.: Einen Menschen zu töten, ohne dass dabei ein Rechtfertigungsgrund eingreift, stellt nach dieser Lehre stets Unrecht dar. Dabei soll es gleichgültig sein, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat oder gar den tödlichen Erfolg überhaupt nicht vermeiden konnte, weil dieser nicht vorhersehbar war. Auch dann, wenn einem penibel alle Verkehrsregeln einhaltendem Autofahrer plötzlich ein Betrunkener vors Auto torkelt oder ein Kind zwischen zwei parkenden Autos auf die Straße springt und es zu einem tödlichen Unfall kommt, läge nach dieser Ansicht „Unrecht“ vor und es wäre lediglich die Schuld ausgeschlossen.
71Schon das genannte Beispiel zeigt die Schwächen des klassischen Verbrechensaufbaus. Denn es muss bereits für die Frage des Unrechts eine Rolle spielen, ob nun eine vorsätzliche Tötung vorliegt, die Tötung lediglich fahrlässig herbeigeführt wurde, oder ob der Verursachung eines tödlichen Erfolges überhaupt kein Pflichtverstoß zugrunde liegt. Einerseits muss der Grad des Unrechts bei einer vorsätzlichen Tötung höher sein als bei einer fahrlässigen Tötung (es wird hier eben gerade nicht das gleiche „Unrecht“ begangen, obwohl in beiden Fällen ein Mensch getötet wird), andererseits muss bereits das Vorliegen von Unrecht insgesamt ausscheiden, wenn man demjenigen, der den Tod eines anderen verursacht, überhaupt keinen Vorwurf machen kann, weil er dessen Tod weder vorhersehen noch vermeiden konnte und er sich in keiner Weise pflichtwidrig verhalten hat.26 Insoweit liegt es nahe, subjektive Elemente bereits auf der Ebene des Tatbestandes eines Delikts zu berücksichtigen.
Bsp.: Für diese Überlegung spricht ferner, dass subjektive Elemente bei der Bestimmung des jeweiligen Delikts ohnehin nicht völlig ausgeblendet werden können. So fordern manche Tatbestände ausdrücklich ein besonderes subjektives Element, so z. B. die Absicht rechtswidriger Zueignung beim Diebstahl, § 242 StGB. Wer sich von seinem Nachbarn einen Rasenmäher (eine fremde bewegliche Sache) nur für eine Weile eigenmächtig „ausleihen“, später aber zurückgeben will, der nimmt den Rasenmäher zwar weg, weil er fremden Gewahrsam bricht und eigenen Gewahrsam begründet27, es liegt aber tatbestandlich nur eine straflose Gebrauchsanmaßung (furtum usus) und eben gerade kein Diebstahl vor, weil es bereits an der Zueignungsabsicht fehlt. Würde die Zueignungsabsicht als subjektives Element erst auf der Schuldebene geprüft, wäre der Unrechtsgehalt einer straflosen Gebrauchsanmaßung und eines strafbaren Diebstahls gleich, was angesichts der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung für die Straflosigkeit des furtum usus nicht sein kann.
72Diese berechtigte Kritik am klassischen Verbrechensaufbau wird von der modernen Lehre berücksichtigt, die heute nahezu unbestritten ist. Diese geht davon aus, dass das Unrecht gerade nicht rein objektiv zu betrachten sei, sondern subjektive Merkmale des Täters mit zu berücksichtigen sind. Erreicht wird dies dadurch, dass – jedenfalls beim Vorsatzdelikt – bereits der Tatbestand in einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand aufgespalten wird. Während im objektiven Tatbestand sämtliche objektiv bestimmbaren Elemente der jeweiligen Strafvorschrift zu prüfen sind, folgt dann im subjektiven Tatbestand eine Prüfung des entsprechenden Vorsatzes und sonstiger, bei manchen Delikten zusätzlich geforderter, subjektiver Merkmale (Zueignungsabsicht, Bereicherungsabsicht etc.).28
Prüfungsschema
I. Tatbestand
1. objektiver Tatbestand
2. subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
73Für den bereits genannten Tatbestand des Diebstahls, § 242 StGB, ergibt sich somit folgendes Prüfungsschema: Im objektiven Tatbestand sind die objektiven Elemente des § 242 StGB zu prüfen: Der Täter muss eine fremde bewegliche Sache wegnehmen. Im subjektiven Tatbestand folgt eine Prüfung des Vorsatzes, der sich auf alle vier genannten objektiven Tatbestandsmerkmale erstrecken muss. Der Täter muss also wissen, dass er eine Sache wegnimmt, die beweglich und für ihn fremd ist. Eben dies muss er auch wollen. Darüber hinaus muss er, da der gesetzliche Tatbestand eben dies fordert, auch mit Zueignungsabsicht handeln. Diese Zueignungsabsicht29 ist ebenfalls als Element des subjektiven Tatbestandes zu prüfen.
Prüfungsschema
I. Tatbestand
1. objektiver Tatbestand
– Sache, fremd, beweglich, wegnehmen
2. subjektiver Tatbestand
– Vorsatz bzgl. der Elemente Sache, fremd, beweglich, wegnehmen
– Zueignungsabsicht
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
74Erwähnt werden soll an dieser Stelle noch die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (oder auch: Lehre vom Gesamtunrechtstatbestand), die in der strafrechtlichen Literatur heute teilweise vertreten wird.30 Sie deckt sich inhaltlich weitgehend mit der modernen Lehre, legt allerdings in Struktur und Aufbau der Straftat ein leicht abgewandeltes System zugrunde. Nach dieser Lehre besteht die Straftat letztlich nur aus zwei Elementen, nämlich dem Tatbestand auf der einen und der Schuld auf der anderen Seite. Der Tatbestand gliedert sich dabei in positive und in negative Tatbestandsmerkmale (hieraus leitet sich auch der Name dieser Lehre ab). Unter den positiven Tatbestandsmerkmalen werden die im gesetzlichen Tatbestand niedergelegten Merkmale verstanden (d. h. die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale im Sinne der modernen Lehre). Dazu treten bereits im Rahmen der Tatbestandsprüfung die „negativen“ Tatbestandsmerkmale, worunter nichts Anderes zu verstehen ist als das Fehlen von Rechtfertigungsgründen. Auch diese müssen dann bereits auf dieser Ebene von einem entsprechenden Vorsatz umfasst sein. Nur wenn die positiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Fehlen von Rechtfertigungsgründen als negativen Tatbestandsmerkmalen festgestellt ist, ist nach dieser Lehre der Tatbestand und somit gleichzeitig auch das Unrecht erfüllt.
Prüfungsschema
I. Tatbestand (Gesamtunrechtstatbestand)
1. positive Tatbestandsmerkmale
a) objektiver Tatbestand
b) Vorsatz bzgl. des Vorliegens des objektiven Tatbestandes
2. negative Tatbestandsmerkmale
a) objektives Fehlen von Rechtfertigungsgründen
b) Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit
II. Schuld
Klausurtipp
In Klausuren muss in aller Regel nicht begründet werden, warum welche Prüfungsreihenfolge gewählt wird. Dies betrifft insbesondere die genannten Modelle des Straftataufbaus. Man entscheidet sich für einen bestimmten Aufbau (zweckmäßigerweise für den herrschenden) und prüft diesen konsequent durch. Da die verschiedenen Lehren nur in wenigen Punkten zu unterschiedlichen Lösungen führen, muss lediglich dann, wenn ein solcher Punkt in einer Klausur einmal problematisch ist (in der Regel bei der Erörterung der entsprechenden Theorienstreitigkeiten), auf die verschiedenen Theorien bzw. auf den gewählten Aufbau eingegangen werden.
Literaturhinweise
Ambos, Ernst Belings Tatbestandslehre und unser heutiger „postfinalistischer“ Verbrechensbegriff, JA 2007, 1 (kurze Darstellung mit anschaulichen Schemata); Werle, Die allgemeine Straftatlehre – insbesondere: Der Deliktsaufbau beim vorsätzlichen Begehungsdelikt, JuS 2001, L 33, L 41, L 49, L 57 (umfassender Überblick anhand von anschaulichen Beispielen)