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„Was denken sonst die Nachbarn?“

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Wir haben in einem Wohngebiet am Rand von Oberhausen gelebt, an der Stadtgrenze zu Essen. Man konnte sozusagen fast rüberspucken. Das war eine Wohnsiedlung, die wir Kolonie nannten, in der jeder jeden kannte. Sie lag so zwischen den Städten, dass wir vom Kirchenkreis her zu Essen gehörten. Ich bin jedoch in Oberhausen zur Schule gegangen. Meine Großeltern haben ihr ganzes Leben lang dort in der Kolonie gewohnt. Sie kannten wirklich jeden und waren auch in der Kirchengemeinde sehr engagiert. Es gab aber immer diesen Makel: Unsere Familie war kaputt oder hatte zumindest erhebliche Macken, doch wir mussten das unter den Tisch kehren, denn: „Was denken sonst die Nachbarn?“ Dieser Spruch hat mich in meiner Kindheit sehr geprägt.

Ich habe deshalb auch meine Familiengeschichte lange Zeit verdrängt und wollte nicht darüber reden. Dass ich von den Eltern abgeschoben worden bin, aber auch, dass meine Mutter Alkoholikerin ist, wurde selbst, als ich schon Jugendliche war, nie so deutlich ausgesprochen, denn: „Was denken denn die Nachbarn?“ Das war immer ganz wichtig, weil man so eng zusammengelebt hat. Es war fast wie auf dem Land, obwohl es mitten im Ruhrgebiet lag. Mein Vater ist schließlich irgendwann ins Gefängnis gekommen, und dann wurde mir das alles erst so richtig bewusst.

Meine Großeltern haben immer sehr darauf geachtet, dass ich in einem guten Umfeld aufwachse. Der katholische Kindergarten war der beste vor Ort. Meine Oma hat mich mit dem Fahrrad dorthin gefahren, daran erinnere ich mich. So bin ich sehr behütet groß geworden. Später war ich in einer Grundschule bei uns in der Kolonie und dann auf einem besonderen Gymnasium in Oberhausen, das geprägt war von Montessori-Pädagogik. Da war ich von der fünften Klasse an unter lauter versnobten Kindern, denn dort kam die gesellschaftliche Oberliga aus Mühlheim und Oberhausen zusammen. Ich war da eher eine Exotin.

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