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Den Kinderglauben in Soweto verloren

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Erst als ich nach dem Abitur von zu Hause weggegangen bin, zunächst ins Freiwillige Soziale Jahr, dann nach Südafrika und anschließend zum Theologiestudium, habe ich angefangen, mich mit meinem Elternhaus kritisch auseinanderzusetzen. In der Zeit fand ich meinen Vater sehr anstrengend. Liebenswert, wie er ist, aber trotzdem. Inzwischen ist das alles wieder völlig anders, und er ist auch älter und milder geworden. Aber damals … Als ich zum Beispiel das erste Mal in Soweto auf einer Müllkippe stand, habe ich gedacht: „Was ich zu Hause immer erzählt bekommen habe, vor allem von meinem Vater, was er als Pfarrer gesagt hat, dass nämlich Gott alle Menschenkinder behütet – was soll das jetzt bedeuten, wenn ich hier sehe, wie Kinder im Müll nach etwas Essen suchen? So eine Art von Behütetsein will ich nicht für mich, entweder gilt das für alle oder für niemanden!“

Ich wusste auch nicht mehr, was all diese Kindergottesdienstgeschichten bedeuten sollten, in denen Mauern zusammenfielen, weil die Posaunen bei Jericho spielten – und gleichzeitig war in Südafrika mit der Apartheid ein Unrechtssystem aufgebaut worden, in dem über Jahrzente keine einzige Mauer fiel. Mein Vater hat eine Theologie nach Auschwitz, eine Theologie, die solche Fragen nach dem Leid ernst nimmt und nach Gott in dieser gar nicht heilen Welt sucht, nicht nachvollziehen können. Das hat er, glaube ich, als Angriff von meiner Seite empfunden. Ich habe mich sehr allein gelassen gefühlt und dann woanders nach Antworten gesucht. In dieser Zeit bin ich auch sehr selten nach Hause gefahren. Als ich 19, 20, 21 war, war das eine sehr kritische Zeit für mich. Ich hatte auch vorher schon viel über Südafrika gelesen, damals setzte der politische Wandel gerade langsam ein, aber als ich das dann alles selbst sah, hat es mich richtig umgehauen. Das Ergebnis war, dass ich meinen schönen Kinderglauben erst einmal komplett verlor.

Dann habe ich Theologie studiert. Damals habe ich auch schon in einer Wohngemeinschaft gewohnt und mit anderen Studierenden viel diskutiert. Ich hatte an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal tolle Lehrer, die waren mir damals viel wichtiger als meine Eltern. Ein Professor wie Bertold Klappert zum Beispiel, der dafür sorgte, dass man Jüdinnen und Juden kennenlernte, die mit einem die Bibel gelesen haben – dadurch habe ich auf einmal ganz anders auf die Texte geschaut. Er hat mir auch ein Buch über die Theologie nach Auschwitz empfohlen, von einem Juden geschrieben. Das hat mir sehr geholfen, weniger „vollmundig“ zu sprechen, als ich das von zu Hause kannte. Ich habe allmählich gelernt, nicht mehr mit diesem leichten Kindergottesdienstglauben durchs Leben zu gehen, aber trotzdem noch zu glauben. Wenn man meine jüngste Schwester zum Beispiel nach dieser Zeit fragen würde, dann würde sie sagen, dass es für sie toll war, eine große Schwester zu haben, die in der Stadt wohnte und neue Ideen in ihr Leben brachte. Sie war 15, ich war 19, und Wuppertal war aus unserer ländlichen Sicht schon eine richtige Stadt. Das Studium war wichtig für mich, aber es war sicherlich eine schwierige Phase für meine Ursprungsfamilie.

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