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aa) Drittverantwortung

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Heute besteht Einigkeit darüber, dass der Täter nicht für Erfolge haften darf, deren Verhinderung in den Verantwortungsbereich eines Dritten fällt.[57] Eine derartige Verantwortungsverlagerung spielt dabei vor allem im Bereich ärztlicher Heileingriffe immer wieder eine Klausurrolle:

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Fall 2: B fährt unter Missachtung der Vorfahrt den C an, der eine Schulterluxation (Ausrenkung des Schultergelenks) erleidet. C wird ins Krankenhaus eingeliefert, wo ihm Arzt A ein Muskelrelaxanz spritzt, damit die Schulter – aufgrund der durch dieses Mittel bewirkten Muskelerschlaffung – leichter wieder eingerenkt werden kann. Leider vergisst A, den C zu beatmen, was aber bei dieser Form des Eingriffs dringend notwendig wäre, weil durch das Muskelrelaxanz auch die Atemmuskulatur „lahm gelegt“ wird. C läuft blau an und stirbt den Erstickungstod. Strafbarkeit von A und B? (Schulterluxations-Fall)

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Lösung:

A. Strafbarkeit des A

I. A könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB strafbar gemacht haben, indem er dem C das Mittel spritzte, ohne ihn zu beatmen.

1. Tun oder Unterlassen? Die Frage stellt sich hier, weil A sowohl gehandelt hat, indem er das Mittel spritzte, als auch etwas unterlassen hat, indem er nicht für künstliche Beatmung sorgte.

Achtung Klausur: Vergessen Sie beim Fahrlässigkeitsdelikt niemals, an das Problem der Abgrenzung von Tun und Unterlassen zu denken. Es ist dort deshalb so wichtig, weil die Fahrlässigkeit stets ein Unterlassungselement beinhaltet, nämlich die Nichtbeachtung der gebotenen Sorgfalt. Dennoch ist die Abgrenzung von Tun und Unterlassen beim Fahrlässigkeitsdelikt natürlich nicht immer zu prüfen, weil die Nichtanwendung der gebotenen Sorgfalt sich vielfach schon eindeutig und untrennbar im Tun erschöpft (Bsp.: zu schnelles Fahren bedeutet Nichtberücksichtigung der gebotenen Geschwindigkeit und ist daher vom aktiven Tun nicht trennbar). Deshalb ist das Nichtbeachten der Geschwindigkeit im Rahmen des aktiven Fahrlässigkeitsdelikts auch lediglich bei der Sorgfaltspflichtverletzung anzusprechen. Dort aber, wo das aktive Tun von einem davon trennbaren Unterlassen (das Unterlassen der Beatmung und das Spritzen des Mittels sind vorliegend nicht notwendig miteinander verbunden) begleitet wird, stellt sich die Abgrenzungsfrage in so deutlicher Weise, dass man in der Klausur die Frage vorab behandeln muss!

Der BGH stellt dabei auf den Schwerpunkt der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit ab, während die Lit. zum Teil auf das Kriterium des Energieeinsatzes abhebt bzw. bei kausalem aktiven Handeln grundsätzlich das Hauptgewicht im positiven Tun erblickt (Näheres dazu später, Rn. 477). Danach dürfte vorliegend nach allen Auffassungen der Schwerpunkt in einem aktiven Tun zu sehen sein, weil das Mittel eben nur gespritzt werden darf, wenn dessen Auswirkungen durch begleitende Beatmung aufgefangen werden. Umgekehrt entfaltet die unterlassene Beatmung ihre tödliche Wirkung nur durch die Verabreichung des Mittels, sodass alles für einen Schwerpunkt im aktiven Tun spricht.

2. Kausalität zwischen Handlung und Erfolgseintritt – dem Tod des C – ist zu bejahen.

3. Die Sorgfaltspflichtverletzung lag hier in der Nichtvornahme der notwendigen Behandlung, obwohl dem Arzt die Auswirkungen nach medizinischem Standard bekannt gewesen sein mussten.

4. Pflichtwidrigkeitszusammenhang (Zurechnungszusammenhang) zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und Erfolg: Dieser ist hier ebenfalls gegeben, weil sich im Erfolg gerade die von A durch die Nichtbeatmung geschaffene Gefahr verwirklicht hat.

5. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

6. Schuld Es ist davon auszugehen, dass A nach seinen persönlichen Fähigkeiten in der Lage war, die objektive Sorgfaltspflicht zu erfüllen und den Erfolg vorauszusehen.

Hinweis: Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung und subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolges sind beim Fahrlässigkeitsdelikt als besondere Schuldmerkmale zu prüfen.

Sonstige Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.

7. Ergebnis: A ist strafbar wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB.

II. Das gleichzeitig verwirklichte Durchgangsdelikt der fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB tritt hinter § 222 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück.

B. Strafbarkeit des B

I. B könnte sich dadurch, dass er C anfuhr und so dessen medizinische Behandlung auslöste, an deren Folgen C schließlich verstarb, ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht haben.

1. Der tatbestandliche Erfolg ist eingetreten. C ist tot.

2. Zwischen der Handlung des B und dem Tod des C besteht auch ein kausaler Zusammenhang, weil das Anfahren durch B nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Tod aufgrund der dadurch letztlich ausgelösten Verabreichung des Muskelrelaxanzes entfiele.

3. B handelte auch sorgfaltspflichtwidrig, da er durch die Vorfahrtsmissachtung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.

4. Fraglich ist vorliegend allerdings, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen Sorgfaltspflichtverletzung und eingetretenem Erfolg aufgrund des Fehlverhaltens des A unterbrochen wurde.

a) Nach h. M. ist bei tödlichen groben ärztlichen Kunstfehlern eine Zurechnung des Todes zur Person des Ausgangstäters (hier B) nicht gegeben, da bei schweren ärztlichen Verfehlungen von einer Verantwortungsverschiebung auf den Dritten (Arzt) und deshalb von einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs auszugehen sei. Dagegen bleibt nach h. M. bei leichten Kunstfehlern die Zurechnung des Erfolges zur Person des Täters bestehen, weil mit derartigen Fehlleistungen grundsätzlich zu rechnen sei.[58]

b) Ein Teil der Lit. will dagegen unterscheiden:[59]

- Die Zurechnung zum Ersttäter soll auf jeden Fall ausgeschlossen sein, wenn der Tod durch eine vom Arzt eröffnete neue Gefahrenquelle eintritt (z. B. Narkosefehler, falscher Schnitt oder falsches Medikament).
- Wenn der Arzt dagegen die Ausgangsgefahr (hier: Verletzung durch das Anfahren) aufgrund eines Behandlungsfehlers nicht abwendet (z. B. falsche Versorgung der Wunde), so soll die Zurechnung zum Ersttäter (jedenfalls bei bloß leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit des Arztes) erhalten bleiben.

c) Stellungnahme: Auf den ersten Blick scheint die Lit. eine sinnfällige Differenzierung anzubieten. Jedoch fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die Unterscheidung nur schwer zu treffen ist. Mag ein falsches Medikament noch eindeutig eine neue Gefahr eröffnen, so lässt sich dies bei einer zu hohen Dosierung schon nicht mehr sagen. In Wahrheit ist nicht zu übersehen, dass der Ersttäter die ärztlichen Gefahren grundsätzlich allesamt mit eröffnet. Insbesondere ist nicht leicht verständlich, weshalb der Ausgangstäter, obwohl er die Notwendigkeit einer Narkose mit eröffnet, mit deren Gefahren nichts zu tun haben soll. Gerade wenn man – wie allgemein bekannt – davon ausgehen darf, dass jede Narkose gefährlich ist, dann darf der Täter von der Verantwortung für die üblichen Gefahren und damit auch für die „üblichen“ Fehler dieser Behandlungsmaßnahme nicht entlastet werden, wenn er es war, der die Behandlung mit ihren Konsequenzen zu verantworten hat. Richtiger ist daher wohl grundsätzlich die Verantwortung danach zu bestimmen, ob sich der Fehler noch im Rahmen des „Üblichen“ bewegt. Damit ist der h. M. grundsätzlich Recht zu geben, die eine Verantwortung des Ausgangstäters grundsätzlich nur bei grobem ärztlichen Fehlverhalten ausschließt, da mit leichten und mittleren Kunstfehlern stets zu rechnen ist. Der Streit kann vorliegend jedoch letztlich dahinstehen, weil alle Theorien hier zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges gelangen. Denn das Fehlverhalten des Arztes war hier nicht nur so gravierend, dass von einem groben Verschulden des A auszugehen ist, sondern es wurde von A im Sinne der Lit. auch eine ganz neue Gefahr des Erstickungstodes eröffnet.

5. Ergebnis: B ist nicht wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar.

II. Gegeben ist aber jedenfalls eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB, da B durch das sorgfaltswidrige Anfahren des C die Schulterluxation kausal und zurechenbar durch objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Straßenverkehr bewirkt hat.

Achtung Klausur: Vergessen Sie niemals, dass trotz Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs beim „großen“ Delikt sehr wohl noch das „kleinere“ Delikt objektiv und subjektiv zurechenbar erfüllt sein kann.

Examens-Repetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, eBook

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