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12. Gefahrübergang

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Der Sachmangel ist demnach also kein Wesensmerkmal der Sache, sondern er verweist auf die Nichterfüllung eines ganz bestimmten Versprechens einer konkreten oder abstrakten Eigenschaft, welche der Sache anhaften soll. Da jedes Gut aber für den Inhaber das Risiko seines Fortbestands und seiner gleichbleibenden Güte trägt, bedarf es für die Gewährleistungshaftung eines zeitlichen Moments, auf den sich das Versprechen des Verkäufers bezieht. Mängel, die erst später entstehen, etwa nach der Ingebrauchnahme durch den Käufer, können ihm nicht mehr angelastet werden, es sei denn, dass deren Ursache zu einer Zeit gesetzt worden war, während welcher der Verkäufer dieses Risiko noch zu tragen hatte.

Die zeitliche Abgrenzung des Risikos ist insb. deshalb notwendig, weil in Folge des Trennungsprinzips, dem das BGB folgt, schuldrechtlicher Kaufabschluss, Besitzübergang und Eigentumserwerb regelmäßig auseinanderfallen. § 446 S. 1 wählt hier eine Art Mittelweg und lässt die Übergabe der verkauften Sache maßgebend sein (geschuldet ist gem. § 433 Abs. 1 S. 1 Übergabe und Übereignung). Der Übergabe gleichgestellt wird insoweit der Annahmeverzug des Käufers (§§ 446 S. 3, 300 Abs. 2). Soweit die Vertragsparteien keine abweichende Risikoverteilung getroffen haben, ist der Käufer in seinem garantierten Interesse an vertragsgemäßer Sachqualität so lange schutzwürdig, bis die Ware in tatsächlicher Hinsicht aus dem Vermögen des Verkäufers in das seinige übergeht. Ab diesem Zeitpunkt muss er auf sie aufpassen, kann ihre Menge nachzählen (vgl. § 434 Abs. 3) oder sie handelsrechtlich prüfen und rügen (vgl. § 377 Abs. 1 HGB, widrigenfalls als Folge dieser Obliegenheitsverletzung unter Kaufleuten ein Gewährleistungsverlust eintritt, § 377 Abs. 2 HGB: „gilt die Ware als genehmigt“).[58]

Gefahrübergang meint also die Preisgefahr. Die Risikoabgrenzung des § 446 ist jedoch nicht in allen Fällen interessengerecht. Sie passt regelmäßig für Hol- und Bringschulden (vgl. § 269 Abs. 1). Gerade im Hinblick auf das Transportrisiko im Zusammenhang mit der Übergabe kann auch ein sog. Distanzkauf (Schickschulden) vereinbart werden, wonach der Verkäufer die Versendung an den Wohnsitz des Käufers auf dessen Verlangen hin schuldet, die Lieferung aber nicht auf seine Gefahr erfolgen soll. Wurde eine solche Vereinbarung getroffen, spricht § 447 Abs. 1 vom Versendungskauf und lässt die Gefahr bereits mit Übergabe an die Transportperson (Spediteur gem. § 453 HGB, Frachtführer gem. § 407 HGB etc.) und damit bereits vor Übergabe an den Käufer übergehen.[59] Distanz- bzw. Versendungskauf beruht deshalb auf einer Risikoklausel. Ob eine solche gewollt ist, unterliegt der Vertragsauslegung.

Kein Versendungskauf, sondern Bringschuld liegt vor, wenn auch die Montage beim Kunden geschuldet wird, die z.B. durch die Möbelspedition miterledigt wird; anderes kann auch nicht durch AGB vereinbart werden.[60] Im Handelsverkehr verwandte Klauseln wie „ab Lager“, „ab Werk“ oder „frei Haus“ etc. sind meist keine Risikoklauseln, sondern bloße Spesenklauseln, welche nur die Tragung der Transportkosten, nicht des Transportrisikos regeln. Beides darf nicht verwechselt werden (vgl. § 269 Abs. 3). Im E-Commerce wie im gesamten Versandhandel ist es typischerweise Aufgabe des Verkäufers, die Versendung der Kaufsache – auf eigene oder fremde Kosten – zu veranlassen, es handelt sich deshalb regelmäßig um einen Versendungskauf. Es kann dahinstehen, ob Käufern optional die Abholung der Ware ermöglicht wird, die Bestellung des Käufers enthält ggf. die schlüssige Erklärung, dass die Kaufsache ihm geliefert werden solle. Gem. § 447 trägt damit der Käufer das Versandrisiko; wichtige Ausnahme[61] ist der Verbrauchsgüterkauf, bei dem § 447 durch § 475 Abs. 2 für den Normalfall ausgeschlossen ist, also trotz Versendungskaufs der Verkäufer das Versandrisiko trägt.

Beim Versandhandel liegt infolge der AGB bisweilen auch Kauf auf Probe vor (vgl. § 454), so dass Gefahrübergang dann sowieso erst mit Billigung eintritt (vgl. § 455).[62]

Beispiel:

Wird eine Warensendung bei hilfsbereiten Nachbarn des Empfängers abgegeben, fällt deren Unachtsamkeit in das Versandrisiko. Trägt dieses beim Versendungskauf wegen § 447 der Käufer, muss er unter allem Umständen den Kaufpreis bezahlen (vgl. § 326 Abs. 1, Abs. 2) und kann Zug um Zug Abtretung von schuldrechtlichen und deliktischen Ansprüchen des Verkäufers gegen den Transporteur bzw. die Nachbarn (!) verlangen (Paketannahme begründet ein Auftragsverhältnis zwischen Paketdienst und Nachbar, § 662, mit Haftung gegenüber dem Auftraggeber, also Paketdienst, nach § 280 Abs. 1), vgl. §§ 320 Abs. 1, 285 (Fall der Drittschadensliquidation). Der Erwerber ist meist nämlich noch nicht Eigentümer (obwohl der Verkäufer bereits erfüllt hat, § 447). Die Übergabe der Kaufsache an die Transportperson, geschweige denn an die Nachbarn, ist unabhängig von der Anwendbarkeit von § 446 (bei Beförderungspflicht des Verkäufers) oder § 447 (bei Distanzkauf und Beförderung auf Verlangen des Kunden) im Regelfall nicht dergestalt als Besitzkonstitut vereinbart, dass der Verkäufer den Eigentumsübergang auf den Käufer nach §§ 929 S. 1, 930 herbeiführen dürfte; geschuldet wird Übereignung nach § 929 S. 1. – Eine andere Vereinbarung ist im Kaufvertrag denkbar, etwa wenn der Käufer bereits vor Ort bezahlt hätte; danach wäre der Erwerber dann bereits Eigentümer, obwohl der Verkäufer ggf. nach § 946 während eines von ihm noch geschuldeten Transports weiterhin die Preisgefahr trüge (Transportschäden blieben – deshalb – nach § 434 Abs. 1 S. 1 der Mängelgewährleistung unterstellt).

Bei einem Versendungskauf nach bereits erfolgter Übereignung fielen Erfüllung und Übergang der Preisgefahr zusammen, wodurch die Drittschadensliquidation in dieser Fallgestaltung z.T. entbehrlich würde, weil der Erwerber zumindest eigene Deliktsansprüche wegen Eigentumsverletzung gegen den Transporteuer bzw. die hilfsbereiten Nachbarn(!) geltend machen könnte.

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