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Unterabschnitt 2:Vergabeverfahren und Auftragsausführung

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§ 119 GWBVerfahrensarten

(1) Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen erfolgt im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren, im Verhandlungsverfahren, im wettbewerblichen Dialog oder in der Innovationspartnerschaft.

(2) 1Öffentlichen Auftraggebern stehen das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer Wahl zur Verfügung. 2Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist.

(3) Das offene Verfahren ist ein Verfahren, in dem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert.

(4) Das nicht offene Verfahren ist ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert.

(5) Das Verhandlungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln.

(6) 1Der wettbewerbliche Dialog ist ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. 2Nach einem Teilnahmewettbewerb eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe.

(7) 1Die Innovationspartnerschaft ist ein Verfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen. 2Nach einem Teilnahmewettbewerb verhandelt der öffentliche Auftraggeber in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über die Erst- und Folgeangebote.

Schrifttum: Knauf, Das Verhältnis der nachrangigen Vergabeverfahrensarten, NZBau 2018, 134 ff.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1, 2
B. Regelungsbereich der Vorschrift 3–45
I. Zulässige Verfahrensarten (§ 119 Abs. 1 GWB) 4
II. Verhältnis der Verfahrensarten (§ 119 Abs. 2 GWB) 5–8
III Verfahrensarten 9–38
1. Offenes Verfahren (§ 119 Abs. 3 GWB) 9–11
2. Nicht offenes Verfahren (§ 119 Abs. 4 GWB) 12–15
3. Verhandlungsverfahren (§ 119 Abs. 5 GWB) 16–30
4. Wettbewerblicher Dialog (§ 119 Abs. 6 GWB) 31–35
5. Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7 GWB) 36–38
IV. Teilnahmewettbewerb 39–45

A.Vorbemerkungen

1Die Vorschriften über die Auswahl der richtigen Verfahrensarten nach § 119 GWB i. V. m. der VgV und den Vergabeverordnungen sind bieterschützend und begründen subjektive, einforderbare Rechte i. S. v. § 97 Abs. 6 GWB.1 § 97 Abs. 6 GWB gewährleistet ein subjektives Recht auf Einleitung und Durchführung eines nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 GWB geregelten Vergabeverfahrens. Die Verletzung dieser subjektiven Rechte unterliegt der durch § 155 GWB eröffneten Nachprüfung.2 Die falsche Vergabeart kann auch der Bieter regelmäßig geltend machen, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Angebots beteiligt hat, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund der Wahl der falschen Vergabeart nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt.3

2Die in § 101 Abs. 6 GWB a. F. noch zusätzlich erwähnte elektronische Auktion und das dynamische elektronische Verfahren, die Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren, jedoch keine eigenständigen Verfahrensarten darstellen, finden sich jetzt in § 120 Abs. 1 und 2 GWB.

B.Regelungsbereich der Vorschrift

3§ 119 GWB beschreibt die wesentlichen Merkmale des offenen, des nicht offenen Verfahrens, des Verhandlungsverfahrens, des wettbewerblichen Dialogs und der Innovationspartnerschaft. Einzelheiten zu den Verfahrensarten, insbesondere zu deren Zulässigkeitsvoraussetzungen4 sowie zu einzuhaltenden Fristen sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen geregelt.

I.Zulässige Verfahrensarten (§ 119 Abs. 1 GWB)

4§ 119 Abs. 1 GWB benennt die zulässigen Verfahrensarten zur Vergabe von öffentlichen Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen abschließend und entspricht inhaltlich dem § 101 Abs. 1 GWB a. F. Hinzugekommen als zulässige Verfahrensart ist die Innovationspartnerschaft, die mit Art. 31 VRL als neue Verfahrensart eingeführt wurde. Andere Verfahrensarten als die in § 119 Abs. 1 GWB benannten stehen nicht zur Verfügung.

II.Verhältnis der Verfahrensarten (§ 119 Abs. 2 GWB)

5§ 119 Abs. 2 GWB regelt das Verhältnis der Verfahrensarten untereinander. Wesentliche Neuerung ist die Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren, nachdem § 101 Abs. 7 GWB a. F. den noch Vorrang des offenen Verfahrens vorgab. Mit der Wahlfreiheit zwischen diesen beiden Verfahrensarten soll die Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber erhöht werden, indem sie eine dem jeweiligen Auftragsgegenstand angemessene Lösung ermöglicht, ohne die Wahl an bestimmte, im Einzelfall zu dokumentierende Voraussetzungen zu knüpfen.5 Insbesondere die Frage, ob die Durchführung der einen oder der anderen Verfahrensart i. S. d. § 97 Abs. 1 GWB wirtschaftlicher sein könnte, ist deshalb keine abzuwägende und zu dokumentierende Voraussetzung für die Wahl des offenen oder des nicht offenen Verfahrens.

6Entsprechend Art. 26 Abs. 4 VRL, der für das Verhandlungsverfahren dieselben Zulässigkeitsvoraussetzungen vorgibt wie für den wettbewerblichen Dialog, sind diese beiden Verfahrensarten gleichrangig nebeneinander getreten.6 Die Gleichrangigkeit wird mit den Zulässigkeitsvorgaben in § 14 Abs. 3 VgV oder § 3a EU Abs. 4 VOB/A umgesetzt. Aufgrund der Zulässigkeitsvorgaben sind diese beiden Verfahrensarten und auch die Innovationspartnerschaft subsidiär zu dem offenen und dem nicht offenen Verfahren.

7§ 119 Abs. 2 GWB gibt die grundsätzliche Rangfolge der Verfahrensarten vor. Teilweise abweichende Rangfolgen sind festgelegt in

– § 130 Abs. 1 GWB für soziale und andere besondere Dienstleistungen,

– § 131 Abs. 1 GWB für Aufträge über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr,

– § 141 GWB für Sektorenauftraggeber,

– § 146 BGB für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge.

Konzessionsgeber sind bei der Vergabe von Konzessionen nicht an die in § 119 GWB aufgeführten Verfahrensarten für die Vergabe öffentlicher Aufträge gebunden. Das Konzessionsvergabeverfahren kann gem. § 151 GWB frei ausgestaltet werden.

8Die einzelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfahrensarten sowie die jeweiligen Verfahrensabläufe sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen festgelegt. Die Feststellung in § 74 VgV, dass Architekten- und Ingenieurleistungen in der Regel im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb oder im wettbewerblichen Dialog vergeben werden, stellt dabei keine von § 119 Abs. 2 GWB abweichende Rangfolge sondern nur einen Hinweis an die Praxis7 dar, nachdem das Verhandlungsverfahren als einzige Verfahrensart vorzuschreiben, so wie es die VOF vorsah, in Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU nicht mehr möglich war.

IIIVerfahrensarten

1.Offenes Verfahren (§ 119 Abs. 3 GWB)

9Nach § 119 Abs. 3 GWB, dessen Definition § 101 Abs. 2 GWB a. F. entspricht, ist ein offenes Verfahren ein Verfahren, in dem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert.

Das offene Verfahren ist stark formalisiert, um den Grundsätzen des freien Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz möglichst optimal Rechnung zu tragen. Kennzeichnend für das offene Verfahren sind vor allem folgende Verfahrensgrundsätze:

– die Veröffentlichung von Vorinformationen und Vergabebekanntmachungen

– die unbeschränkte Teilnahmemöglichkeit

– die Bindung an bestimmte Mindestfristen

– die eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung

– die Geheimhaltung der Angebote

– das Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 5 VgV)

– die Wertung der Angebote auf der Grundlage vorab festgelegter Kriterien.

10In der Natur des offenen Verfahrens liegt es, dass alle Interessenten ohne vorherige Prüfung ihrer Eignung zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden bzw. dazu berechtigt sind. Die Prüfung der Eignung findet erst im Rahmen der Angebotsprüfung statt.8

11Der Beginn des Vergabeverfahrens im offenen Verfahren ist durch den Tag der Absendung der Auftragsbekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union gekennzeichnet. Die Absendung einer Vorinformation9 stellt noch nicht den Beginn des Vergabeverfahrens dar.10

Einzelheiten zu dem offenen Verfahren sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen geregelt.11

2.Nicht offenes Verfahren (§ 119 Abs. 4 GWB)

12Gemäß § 119 Abs. 4 GWB ist ein nicht offenes Verfahren ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert. Diese Definition entspricht inhaltlich der Definition des § 101 Abs. 3 GWB a. F., wobei § 119 Abs. 4 GWB darüber hinaus klarstellt, dass der Teilnahmewettbewerb nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien durchzuführen ist.12

13Anders als beim offenen Verfahren werden Unterlagen zu den Eignungsvoraussetzungen nicht erst mit der Angebotsabgabe verlangt, sondern bereits im Teilnahmewettbewerb.13

14Auch bei dem nicht offenen Verfahren handelt es sich um ein förmliches Vergabeverfahren. Es gelten deshalb auch weitgehend die Regeln des offenen Ver­fahrens, insbesondere die Grundsätze der eindeutigen und erschöpfenden Leistungs­beschreibung, der Geheimhaltung der Angebote und das Nachverhandlungsverbot.14

15Einzelheiten zu dem nicht offenen Verfahren sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen geregelt.15

3.Verhandlungsverfahren (§ 119 Abs. 5 GWB)

16Nach § 119 Abs. 5 GWB ist ein Verhandlungsverfahren ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb16 an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren über die Angebote zu verhandeln. Die Anpassungen gegenüber dem Wortlaut des § 101 Abs. 5 GWB a. F. sind sprachlicher Natur.17

17Das Verhandlungsverfahren ist kein förmliches Vergabeverfahren und der Auftraggeber unterliegt weniger Verfahrensbeschränkungen als im offenen und nicht offenen Verfahren. Die VgV sowie die Vergabeverordnungen enthalten auch nur wenige Vorgaben zum Ablauf und zur Strukturierung der eigentlichen, vom Auftraggeber individuell festlegbaren Verhandlungen.18 Für Auftraggeber ist es deshalb besonders wichtig, dieses Verfahren für die Bewerber und Bieter so transparent wie möglich zu gestalten, aber ebenso praktikabel und effizient, damit es frei von Verzögerungen verläuft. Schließlich ist das Verhandlungsverfahren kein rechtsfreier Raum und hat sich der Auftraggeber auch hier an den Vergabegrundsätzen zu orientieren. Das gilt namentlich für die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz und der Gleichbehandlung.19 Der Auftraggeber ist auch im Verhandlungsverfahren verpflichtet, die Bieter gleich zu behandeln. Er muss allen Bietern die gleichen Informationen zukommen lassen und hat ihnen die gleichen Chancen einzuräumen, innerhalb gleicher Fristen und zu gleichen Bedingungen Angebote abzugeben. Das Transparenzgebot verpflichtet ihn, den Verfahrensablauf – soweit bekannt – mitzuteilen und davon nicht überraschend und willkürlich abzuweichen.20

18Wie im nicht offenen Verfahren, beim wettbewerblichen Dialog oder bei der Innovationspartnerschaft geht dem eigentlichen Verhandlungsverfahren der Teilnahmewettbewerb voraus.21 Wann ein Verhandlungsverfahren mit und wann es ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden kann, ist in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen zu entnehmen.22

19Das Verhandlungsverfahren unterscheidet sich vom offenen bzw. nicht offenen Verfahren dadurch, dass sowohl der Leistungsgegenstand nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten festgeschrieben sein muss, als auch darin, dass Angebote – insbesondere auch sog. indikative Angebote – grundsätzlich abgeändert werden können, nachdem sie abgegeben worden sind.23 Nach Ablauf der Frist für den Eingang der Erstangebote beginnt ein dynamischer Prozess, in dem sich durch Verhandlungen sowohl auf Nachfrage- als auch auf Angebotsseite Veränderungen ergeben können,24 wobei über in den Vergabeunterlagen festgelegte Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien nicht verhandelt werden darf.25 Ungeachtet der durch den dynamischen Prozess eröffneten Spielräume zur Konkretisierung des Auftragsinhalts erlaubt es ein Verhandlungsverfahren aber nicht, im Ergebnis der mit den Bietern geführten Gespräche andere Leistungen zu beschaffen als mit der Auftragsbekanntmachung angekündigt wurde. Die Identität des Beschaffungsvorhabens, so wie es die Vergabestelle zum Gegenstand der Ausschreibung gemacht hat, muss vielmehr gewahrt bleiben.26 Ausgeschlossen sind somit Modifikationen, durch die der Wesenskern der Ausschreibung geändert, also der Leistungsgegenstand ausgewechselt wird.27

20Das Verhandlungsverfahren eröffnet der Vergabestelle bei der Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung keine größeren Freiheiten als bei den anderen gem. § 119 GWB zulässigen Vergabearten, insbesondere gilt auch hier das in § 121 GWB verankerte Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, die von allen Bietern gleich zu verstehen sein muss, um vergleichbare Angebote zu erhalten.28 Die Unternehmen müssen ihre Angebote auch gemäß den von der Vergabestelle aufgestellten Anforderungen abgeben und die Vergabestelle darf einen Zuschlag nicht auf ein Angebot erteilen, das der Leistungsbeschreibung nicht entspricht.29 Legt die Vergabestelle noch im Laufe des Verhandlungsverfahrens fest, Angebotsänderungen der Bieter nicht mehr zu akzeptieren, sind hiervon abweichende Angebote zwingend auszuschließen.30 Ebenso ist es dem öffentlichen Auftraggeber verwehrt, ohne Weiteres auf Mindestanforderungen zu verzichten, die er zuvor als bindend festgelegt hat, wenn zumindest einer der Bieter sie erfüllt hat.31

21Im Verhandlungsverfahren darf der öffentliche Auftraggeber den im Verfahren verbleibenden Bietern feste Fristen, etwa für die Überarbeitung ihrer Angebote,32 setzen. Gesetzte Fristen müssen jedoch angemessen sein.33 Macht der Auftraggeber von der Befugnis, verbindliche Fristen zu setzen, Gebrauch, bindet er sich auch selbst. Er hat bei Fristüberschreitungen damit kein Ermessen, ob er Konsequenzen zieht, beispielsweise ein überarbeitetes Angebot wegen Fristüberschreitung zurückweist, oder nicht.34 Vielmehr ist die Nichtberücksichtigung wegen des Gebots der Gleichbehandlung aller Bieter zwingend. Die Vorschriften des VwVfG für eine Fristverlängerung oder für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind weder direkt noch analog anwendbar.35 Jedoch kann sich aus § 20 VgV eine Verpflichtung ergeben, Fristen zu verlängern.

22Der Grundsatz der Chancengleichheit und des fairen Wettbewerbs um den ausgeschriebenen Auftrag gebieten es, dass kein Bieter sein Angebot im Nachhinein, d. h. nach Ablauf der vom Auftraggeber festgelegten Einreichungsfrist bzw. nach Abschluss der Verhandlungsrunden, ändern kann,36 anderenfalls ein unzulässiges Nachverhandeln vorliegt. Wird den Bietern die Nachbesserungsmöglichkeit aber in gleichem Maße gewährt, steht jedenfalls der Gleichbehandlungsgrundsatz der Fortsetzung des Verfahrens nicht entgegen.37

23Verhandeln im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens heißt, dass der Auftraggeber und potentielle Auftragnehmer den Auftragsinhalt und die Auftragsbedingungen solange besprechen, bis klar ist, wie die Leistung ganz konkret beschaffen sein soll, zu welchen Bedingungen der Auftragnehmer diese liefert und grundsätzlich auch, zu welchem Preis geliefert wird.38 Ein Vertrag wird am Ende des Verhandlungsprozesses mit dem Unternehmen geschlossen, das bis zum Schluss übrig geblieben ist. Dabei kann der Verhandlungsprozess, soweit der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen darauf hingewiesen hat,39 in Phasen ablaufen, nach deren jeweiligem Ende Unternehmen ausscheiden, beispielsweise weil sie technisch nicht die gewünschte Leistung erbringen können oder wollen,40 um so die Zahl der Angebote, über die verhandelt wird, anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien zu verringern.

24Hat sich der öffentliche Auftraggeber nicht in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung vorbehalten, den Auftrag auf der Grundlage der Erstangebote zu vergeben, ohne in Verhandlungen einzutreten,41 gebietet es der Wettbewerbsgrundsatz, dass der Auftraggeber zumindest eine Verhandlungsrunde durchführt42 und dabei grundsätzlich mit mehreren Bietern verhandelt.43 Das bloße Einreichen von Angeboten erfüllt dabei noch nicht den Begriff der Verhandlung.44 Ein Anspruch auf Durchführung von mehreren Verhandlungsrunden lässt sich aus den vergaberechtlichen Bestimmungen jedoch nicht herleiten.45 Auch die Fortführung des Verhandlungsverfahrens mit dem einzig verbliebenen Bewerber konterkariert nicht das Wettbewerbsprinzip. Allein die Tatsache, dass sich für das Verhandlungsverfahren nur ein Bewerber qualifiziert, rechtfertigt deshalb auch keine Beendigung des Verfahrens.46

25Werden Verhandlungen geführt, darf nach § 51 Abs. 2 VgV bei einer geeigneten Anzahl von Bewerbern die Zahl derjenigen, die nach einem Teilnahmewettbewerb zu Verhandlungen aufzufordern sind, nicht unter drei liegen. Daraus folgt aber nicht, dass bis zum Ende des Verhandlungsverfahrens mit allen Interessenten weiter verhandelt werden muss. Die Vergabestelle hat vielmehr im Verhandlungsverfahren bei der Entscheidung, mit welchen Bietern sie nach Abgabe der Erstangebote Verhandlungen beginnt und zum Abschluss bringt, unter Beachtung der Wettbewerbs- und Transparenzprinzipien und des Gleichbehandlungsgebots einen Ermessensspielraum. Liegt zwischen den Angeboten etwa ein erheblicher Preisabstand, so ist es sachlich gerechtfertigt, die Nachverhandlungen mit den preisgünstigsten Bietern zu beginnen und auf diese zu beschränken.47 Der Verhandlungs- und Ausleseprozess als solcher muss aber wiederum diskriminierungsfrei und transparent verlaufen.48

26Verhandelt der Auftraggeber mit mehreren Bietern gleichzeitig, hat er zur Sicherung eines geordneten Wettbewerbs und der Gleichbehandlung das letzte Angebot (last and final offer) der verbleibenden Bieter zeitgleich, also zu einem genau festgesetzten Termin einzuholen.49 Sollen die Bieter ihr letztes Angebot im Anschluss an eine mündliche Verhandlung abgeben, kann der Auftraggeber einen manipulationsfreien Wettbewerb dadurch sicherstellen, dass er sich die Angebote – wie in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen vorgesehen50 – in einem verschlossenen Umschlag übergeben lässt und diese erst öffnet, wenn ihm alle Umschläge vorliegen.51

27Unklar ist, ob im Hinblick auf die Vorgaben in der Richtlinie52 und die Regelungen in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen für das Verhandlungsverfahren und den Wettbewerblichen Dialog53 eine Verhandlung mit einem „Preferred Bidder“ rechtlich möglich ist, nachdem in der Schlussphase eines Verhandlungsverfahrens noch so viele Angebote vorliegen müssen, dass ein echter Wettbewerb gewährleistet ist. Ob dies in jedem Fall ausschließlich zu parallelen Verhandlungen zwingt und lineare Verhandlungen bei Aufrechterhaltung weiterer Angebote in einer Art „Warteschleife“ ausgeschlossen sind, ergibt sich aus den Vorschriften nicht.54 Zulässig dürfte es aber sein, jedenfalls gegen Ende des Verhandlungsprozesses einen Preferred Bidder zu benennen, mit dem die letzten Feinheiten des Vertrags verhandelt werden.55

28Hebt die Vergabestelle ein offenes oder nicht offenes Verfahren mangels wertbarer Angebote auf und geht ins Verhandlungsverfahren über und beteiligt in diesem dieselben Bieter wie im offenen Verfahren zuvor, so sind die im offenen Verfahren angegebenen Zuschlagskriterien zugrunde zu legen, auch wenn keine erneute Bekanntgabe von Zuschlagskriterien im Verhandlungsverfahren erfolgte. Denn aus der maßgeblichen Sicht der in das Verhandlungsverfahren übernommenen Bieter stellen sich, obwohl es sich bei dem offenen Verfahren und dem nachfolgenden Verhandlungsverfahren formalrechtlich um zwei eigenständige Vergabeverfahren handelt, beide Vergabeverfahren tatsächlich und wirtschaftlich als einheitliches Verfahren dar, für das deshalb einheitlich die im offenen Verfahren festgelegten und bei Eintritt in das Verhandlungsverfahren nicht mehr geänderten Kriterien gelten. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Durchführung eines anschließenden Verhandlungsverfahrens nur zulässig ist, wenn die ursprünglichen Bedingungen des Auftrags nicht grundlegend geändert werden.56

29Die Aufhebung eines Verhandlungsverfahrens richtet sich nach § 63 VgV Für Verhandlungsverfahren auf der Grundlage der Sektorenverordnung enthält § 57 SektVO eine besondere Vorschrift zur „Einstellung“ von Verhandlungsverfahren.57

30Eine Beendigung eines Verhandlungsverfahrens ist jedenfalls dann möglich, wenn die in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen genannten Aufhebungsgründe vorliegen.58 Eine Aufhebung bzw. Einstellung eines Verhandlungsverfahrens darf jedoch ebenso wenig wie die Aufhebung von Ausschreibungen in anderen Verfahrensarten gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen und muss dem Transparenzgebot genügen. Voraussetzung ist deshalb regelmäßig, dass die Verhandlungen soweit geführt worden sind, bis sich absehen lässt, dass kein Angebot abgegeben wird, das den Bedingungen der Ausschreibung entspricht oder ein wirtschaftliches Ergebnis liefern wird.59 Wurden in einem Verhandlungsverfahren nur mangelhafte, dem zwingenden Ausschluss unterliegende Angebote abgegeben, kann der Auftraggeber aber von einer Aufhebung bzw. Beendigung absehen und allen Bietern unter Hinweis auf die nach Auffassung der Vergabestelle vorliegenden Mängel und unter Wahrung der Transparenz und Gleichbehandlung die Möglichkeit einräumen, diese Mängel zu beheben. Eine formale Beendigung des Verhandlungsverfahrens und die erneute Einleitung eines solchen würden in diesem Fall lediglich zu einem vermeidbaren Zeitverlust führen und sich als überflüssige Förmelei darstellen.60

Einzelheiten zu dem Verhandlungsverfahren sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen geregelt.61

4.Wettbewerblicher Dialog (§ 119 Abs. 6 GWB)

31§ 119 Abs. 6 GWB definiert den wettbewerblichen Dialog gegenüber § 101 Abs. 6 GWB a. F. neu und passt sich damit der Formulierung in Art. 30 Abs. 3 VRL an. Nach § 119 Abs. 6 GWB ist ein wettbewerblicher Dialog ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Nach einem Teilnahmewettbewerb62 eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe.

32Für öffentliche Auftraggeber kann es – ohne dass ihnen dies anzulasten wäre – objektiv unmöglich sein, die Mittel zu bestimmen, die ihren Bedürfnissen am besten gerecht werden, weil sie nicht beurteilen können, was der Markt an technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen bietet. Diese Situation kann insbesondere bei innovativen Projekten, bei der Realisierung großer, integrierter Verkehrsinfrastrukturprojekte oder großer Computer-Netzwerke oder bei Projekten mit einer komplexen, strukturierten Finanzierung eintreten.63 Für die Beschaffung von Standarddienstleistungen oder Standardlieferungen, die von vielen Marktteilnehmern erbracht werden können, ist der wettbewerbliche Dialog daher nicht die richtige Verfahrensart.64

33Der wettbewerbliche Dialog soll bei diesen Vorhaben sowohl den Wettbewerb gewährleisten als auch dem Erfordernis gerecht werden, flexibel genug zu sein, dass ein ständiger Dialog mit den beteiligten Unternehmen geführt werden kann, der alle Aspekte der Auftragsvergabe berührt und im Weg von Verhandlungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führt.65 Wie auch beim Verhandlungsverfahren dürfte eine Beschränkung des Dialogs auf einen „Preferred-Bidder“ allenfalls gegen Ende des Verfahrens zulässig sein.66

34Der wettbewerbliche Dialog steht allen Auftraggebern nach § 99 GWB, mit Umsetzung der SRL auch den Sektorenauftraggebern nach § 100 GWB gleichermaßen zur Verfügung (§ 141 Abs. 1 GWB) und kann auch im Rahmen der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen gewählt werden (§ 146 Satz 2 GWB). Auch Konzessionsgeber nach § 101 GWB können einen wettbewerblichen Dialog durchführen, nachdem sie in der Ausgestaltung des Verfahrens zur Vergabe der Konzession frei sind.67

35Die Einzelheiten zum Ablauf des wettbewerblichen Dialogs sind in der VgV sowie in den Vergabeverordnungen geregelt.68

5.Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7 GWB)

36§ 119 Abs. 7 GWB definiert das Verfahren der Innovationspartnerschaft, das mit Art. 31 VRL neu eingeführt wird. Die Innovationspartnerschaft ist ein besonderes Vergabeverfahren zur Entwicklung und dem anschließenden Erwerb innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen befriedigt werden kann. Sie ermöglicht es öffentlichen Auftraggebern, eine langfristige Innovationspartnerschaft mit einem oder mehreren Partnern für die Entwicklung und den anschließenden Erwerb neuer, innovativer Leistungen zu begründen, ohne dass ein getrenntes Vergabeverfahren für den anschließenden Erwerb erforderlich ist. Voraussetzung ist, dass für solche innovativen Leistungen die vereinbarten Leistungs- und Kostenniveaus eingehalten werden können.69

37Die Innovationspartnerschaft stützt sich im Kern auf die Verfahrensregeln, die für das Verhandlungsverfahren gelten, da dies für den Vergleich von Angeboten für innovative Lösungen am besten geeignet ist, wobei die Auftragsvergabe auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses erfolgt. Unabhängig davon, ob es um sehr große Vorhaben oder um kleinere innovative Vorhaben geht, sollte die Innovationspartnerschaft so strukturiert sein, dass sie die erforderliche Marktnachfrage bewirken kann, die die Entwicklung einer innovativen Lösung anstößt, ohne jedoch zu einer Marktabschottung zu führen. Vor diesem Hintergrund darf die Innovationspartnerschaft nicht genutzt werden, um den Wettbewerb zu behindern, einzuschränken oder zu verfälschen. In bestimmten Fällen könnten solche Effekte durch die Gründung von Innovationspartnerschaften mit mehreren Partnern vermieden werden.70

Vergaberecht

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