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– ihm zur antizipierenden Prüfung und Berücksichtigung solcher Risiken ausreichende öffentliche Mittel nicht zur Verfügung standen.

32Die Auslegung der Reichweite dieses Ausnahmetatbestandes hat sich demnach in besonders hohem Maße an den Gegebenheiten des Einzelfalls zu orientieren, um sicherzustellen, dass dem öffentlichen Auftraggeber einerseits kein „billiger“ Ausweg aus dem Vergaberecht geebnet wird, er andererseits aber auch nicht am Maßstab einer unterstellten potenziellen Allwissenheit gemessen wird, weil beides der ratio legis der Bestimmung zuwiderlaufen würde. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob und inwieweit der Ursprungsvertrag bereits von seinem Gegenstand her von erkennbaren Unsicherheiten behaftet war. Ist dies zu bejahen, ist der Auftraggeber zunächst verpflichtet, alle Möglichkeiten der Vertragsgestaltung zur Reduzierung solcher Unsicherheiten auszuschöpfen, etwa durch Optionen oder Überprüfungsklauseln. Nur wenn dies nicht ausgereicht hat, die nachträglich eingetretenen unvorhergesehenen Umstände antizipierend zu berücksichtigen, darf der Auftraggeber den Ausnahmetatbestand des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB in Anspruch nehmen.39

33Auch die Änderung eines Vertrages aufgrund unvorhersehbarer Umstände ist nur insoweit zulässig, als sich dadurch der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert.40 Der Umfang der Änderungen hat sich darüber hinaus auf das Maß zu begrenzen, das zur Reaktion auf die eingetretenen unvorhersehbaren Umstände notwendig und erforderlich ist. Nicht davon gedeckte Änderungen dürfen daher nicht „bei Gelegenheit“ miterledigt werden.

34Für Vertragsänderungen aufgrund unvorhersehbarer Umstände gilt ebenso wie für die vergabefreie Beschaffung zusätzlicher Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen die Obergrenze von 50 % des ursprünglichen Auftragswertes (§ 132 Abs. 2 Satz 2 GWB).41

IV.Zulässiger Wechsel des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GWB)

35Die Vorschrift formuliert drei Ausnahmen von dem in § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GWB verankerten Grundsatz, dass ein nachträglicher Auftragnehmerwechsel eine wesentliche Vertragsänderung darstellt und die Pflicht zur Neuausschreibung auslöst.

36Der erste Fall des zulässigen nachträglichen Wechsels des Auftragnehmers liegt vor, wenn dieser nachträgliche Wechsel bereits in Gestalt einer klar und eindeutig formulierten Überprüfungsklausel i. S. d. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB im Ursprungsvertrag vorgesehen war (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a) GWB). Dies folgt bereits daraus, dass ein bereits im Ursprungsvertrag geregelter Vertragseintritt eines Dritten für den Fall, dass der ursprüngliche Vertragspartner leistungsunfähig wird (step-in right), nicht als Vertragsänderung, sondern als Durchführung des Ursprungsvertrags anzusehen ist. Dies ist insbesondere bei PPP-Projekten von erheblicher Bedeutung, weil aufgrund von deren Langfristigkeit ein Vertragseintritt Dritter nicht selten erforderlich ist, um die Abwicklung des Projekts nicht zu gefährden. Dafür wäre eine mit dem Vertragseintritt eines Dritten verbundene Pflicht zur Neuausschreibung äußerst hinderlich und kontraproduktiv.

37Der zweite, in § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) GWB geregelte, praktisch sehr relevante Fall eines zulässigen nachträglichen Auftragnehmerwechsels betrifft Konstellationen, bei denen der Wechsel Folge bzw. Bestandteil einer konzernrechtlichen Umstrukturierung oder gesellschaftsrechtlichen Neuorganisation im Bereich des ursprünglichen Auftragnehmers ist. Dieser wird im Rahmen derartiger Transaktionen zwar durch eine andere juristische Person ersetzt, wirtschaftlich verbleibt der Auftrag jedoch bei demselben Wirtschaftsteilnehmer. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn ein Auftrag an eine 100 %-ige Tochtergesellschaft übertragen wird, zwischen der und dem bisherigen Auftragnehmer ein Gewinn- und Verlustausgleichsvertrag sowie eine solidarische Haftungszusage besteht sowie eine Erklärung abgegeben wurde, dass sich an der bisherigen Gesamtleistung nichts ändern wird.42 Als weitere Fälle einer Unternehmensumstrukturierung ohne Auswirkungen auf den Wettbewerb nennt das Gesetz die Übernahme, den Zusammenschluss, den Erwerb und die Insolvenz, als deren Folge vom Auftragnehmer geschlossene Verträge auf eine andere juristische Person übergehen. Ist der Austausch des Auftragnehmers im Rahmen einer Unternehmensumstrukturierung allerdings mit weiteren wesentlichen Änderungen des Ursprungsvertrages verbunden, entfällt die Privilegierung als eine an sich ausschreibungspflichtige, aber ausnahmsweise vergabefrei mögliche nachträgliche Änderung des Ursprungsvertrages.

38Schließlich stellt es gem. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. c) GWB einen weiteren Fall eines zulässigen Auftragnehmerwechsels dar, wenn der öffentliche Auftraggeber selbst vertragliche Verpflichtungen des Auftragnehmers gegenüber seinen Nachunternehmern übernimmt. Da ein öffentlicher Auftraggeber jederzeit bei der Erfüllung seiner Aufgaben auf eigene Ressourcen zurückgreifen kann, fehlt es hier strenggenommen bereits an einem Austausch des Auftragnehmers, weil aus vergaberechtlicher Sicht als Auftragnehmer nur ein Unternehmen, nicht aber der öffentliche Auftraggeber in Personalunion fungieren kann.

E.Grenzen einer zulässigen Änderung (§ 132 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB)

39Der Umfang einer gem. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB zulässigen nachträglichen Änderung eines laufenden Vertrages wird durch § 132 Abs. 2 Satz 2 GWB pauschal auf 50 % des ursprünglichen Auftragswerts begrenzt. Ist jedoch der Auftraggeber mit der Situation konfrontiert, dass er eine nachträgliche Änderung, sprich Erweiterung des ursprünglichen Auftragsvolumens wegen der Erforderlichkeit zusätzlicher Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB) oder des Eintretens unvorhersehbarer Umstände (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB) mehrmals aufeinanderfolgend vornehmen muss, ist dies zulässig. Die pauschale Begrenzung auf 50 % des ursprünglichen Auftragswertes gilt gem. § 132 Abs. 2 Satz 3 GWB dann für jede einzelne nachträglich vorgenommene Änderung. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift bleibt für jede wiederholte Änderung allein der ursprüngliche Auftragswert die rechnerische Bezugsgröße der zulässigen 50-%-Pauschale. Der Wert der vorausgegangenen Änderungen darf daher in deren Berechnung nicht mit einbezogen werden.

40Die Möglichkeit mehrfacher aufeinander folgender vergabefreier Änderungen gem. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB darf indessen nicht rechtsmissbräuchlich in Anspruch genommen werden. Ein solcher Rechtsmissbrauch liegt gem. § 132 Abs. 2 Satz 3 GWB vor, wenn eine notwendige Änderung, die nach den eingetretenen, dem Auftraggeber bekannten, Umständen in ihrem Wert oberhalb der Pauschale von 50 % des ursprünglichen Auftragswertes liegt, in mehrere aufeinanderfolgende Änderungen aufgeteilt wird, die jeweils unterhalb dieser Pauschale verbleiben. Eine solche Aufteilung dient in diesem Fall einzig dem Zweck, die Beschränkung des § 132 Abs. 2 Satz 2 GWB auszuhebeln, und verstößt damit gegen das vergaberechtliche Umgehungsverbot.

F.De-minimis-Klausel (§ 132 Abs. 3 GWB)

41Erhöht sich der Auftragswert eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit, ohne dass damit eine Veränderung des Auftragscharakters einhergeht, hängt es vom Umfang der Erhöhung ab, ob eine erneute Ausschreibung durchgeführt werden muss. § 132 Abs. 3 GWB definiert in Umsetzung von Art. 72 Abs. 2 VRL Geringfügigkeitsschwellen, bei deren Unterschreitung die Erhöhung nicht als wesentlich und damit als nicht vergaberechtsrelevant angesehen wird.

42Die Grenzziehung zwischen geringfügigen und nicht geringfügigen Erhöhungen des Auftragswertes erfolgt auf zweierlei Weise. Nach § 132 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist eine Erhöhung unbeachtlich, wenn sie unterhalb des für die jeweilige nach dem Vertrag zu erbringende Leistung geltenden Schwellenwerts gem. § 106 GWB i. V. m. Art. 4 VRL verbleibt. Daneben sieht § 132 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB eine Definition der Geringfügigkeit in Form der Festlegung bestimmter Prozentanteile am ursprünglichen Gesamtauftragswert vor; für Liefer- und Dienstleistungsaufträge beträgt dieser 10 %, für Bauaufträge 15 %.

43Die vorgenannten Regelungen sind kumulativ anzuwenden; erst wenn eine Erhöhung nach beiden Berechnungsarten unterhalb der Geringfügigkeitsschwelle verbleibt, kann von einer Neuausschreibung abgesehen werden. Wird der Auftragswert eines Dienstleistungsauftrags also beispielsweise von 4 Mio. Euro auf 4,4 Mio. Euro erhöht, greift die de-minimis-Regel des § 132 Abs. 3 GWB nicht, obwohl der Auftragswert nicht über 10 % angehoben wird, weil die Erhöhung für sich genommen, den Schwellenwert für Dienstleistungen deutlich übersteigt.

44Gemäß § 132 Abs. 3 Satz 2 GWB ist bei mehreren aufeinanderfolgenden Änderungen der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich. Die Formulierung dieser Vorschrift differenziert nicht danach, ob sich die mehrfache aufeinander folgende Erhöhung einem „Gesamtvorsatz“ verdankt oder im Zeitpunkt der ersten Erhöhung(en) die Notwendigkeit weiterer Erhöhungen (noch) nicht bekannt waren. Auch eine ohne konkreten „Gesamtvorsatz“ erfolgende mehrfache Erhöhung des Auftragswerts stellt im Ergebnis eine wesentliche Änderung des ausgeschriebenen Vertrages dar, sobald die einzelnen Erhöhungen zusammengerechnet die de-minimis-Grenzen des § 132 Abs. 3 GWB überschreiten.

45Bei Unterschreitung der de-minimis-Grenzen des § 132 Abs. 3 GWB kann allein deshalb eine Neuausschreibung unterbleiben. Werden diese Grenzen überschritten, so folgt hingegen daraus noch nicht die Pflicht zu einer Neuausschreibung. In diesen Fällen ist vielmehr die Prüfung der in § 132 Abs. 2 GWB geregelten allgemeinen Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige vergaberechtsfreie Zusatzbeauftragung desselben Auftragnehmers vorzunehmen, von deren Ergebnis es im Einzelfall abhängt, ob der Auftraggeber auch die Auftragserteilung auch in Ansehung einer Überschreitung der de-minimis-Grenze vergabefrei realisieren kann.

G.Wertberechnung bei Indexierung des Vertrages (§ 132 Abs. 4 GWB)

46Enthält ein öffentlicher Vertrag eine Indexierungsklausel, erhebt sich die praktische Frage, ob für die Berechnung der Höhe von Auftragswertänderungen als Ausgangspunkt der Preis vor oder nach der Anwendung der Indexierungsklausel anzuwenden ist. § 132 Abs. 4 GWB löst in Umsetzung von Art. 72 Abs. 3 VRL diese Frage dahingehend, dass für die Wertberechnung gem. § 132 Abs. 2 Satz 2 und 3 und Abs. 3 GWB der angepasste, d. h. der höhere Preis als Referenzgröße heranzuziehen ist.

H.Bekanntmachungspflichten (§ 132 Abs. 5 GWB)

47Nachträgliche Auftragsänderungen, für die der öffentliche Auftraggeber die Ausnahmeregelungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB für eine vergaberechtsfreie Durchführung43 in Anspruch nimmt, sind im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen. In der Bekanntmachung sind die in Anhang V Teil 6 der VRL aufgelisteten Angaben zu machen. Hierdurch wird gewährleistet, dass eine sich auf diese Bestimmungen stützende Direktvergabe an den bereits gebundenen Auftragnehmer transparent gemacht wird und ggf. einer Nachprüfung durch interessierte Wirtschaftsteilnehmer unterzogen werden kann.

§ 133 GWBKündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen

(1) Unbeschadet des § 135 können öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit kündigen, wenn

1. eine wesentliche Änderung vorgenommen wurde, die nach § 132 ein neues Vergabeverfahren erfordert hätte,

2. zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Absatz 1 bis 4 vorlag oder

3. der öffentliche Auftrag aufgrund einer schweren Verletzung der Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder aus den Vorschriften dieses Teils, die der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgestellt hat, nicht an den Auftragnehmer hätte vergeben werden dürfen.

(2) 1Wird ein öffentlicher Auftrag gemäß Absatz 1 gekündigt, kann der Auftragnehmer einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. 2Im Fall des Absatzes 1 Nummer 2 steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den öffentlichen Auftraggeber nicht von Interesse sind.

(3) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

Schrifttum: Burgi, Ausschluss und Vergabesperre als Rechtsfolgen von Unzuverlässigkeit, NZBau 2014, 595 ff.; Frenz, Ausschreibungspflicht wesentlicher Vertragsverlängerungen und -änderungen, VergabeR 2017, 323 ff.; Görlich/Conrad, Die neuen Kündigungstatbestände für öffentliche Aufträge, VergabeR 2016, 567 ff.; Hausmann/Queisner, Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, NZBau 2016, 619 ff.; Püstow/Meiners, Vorrang des Unionsrechts bei vergaberechtswidrigen Verträgen, EuZW 2016, 325 ff.; Queisner, Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, VergabeR 2017, 299 ff.; Schaller, Wichtige Änderungen im Vergaberecht – Das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts, ZfBR 2016, 231 ff.; Tugendreich, Kündigung europaweit ausgeschriebener Verträge und Konzessionen nach dem neuen Vergaberecht, EWeRK 3/2016, 235 ff.

Übersicht Rn.
A. Regelungsgehalt 1–6
I. Allgemeines 1, 2
II. Eingriffscharakter sowie unions- und verfassungsrechtliche Einordnung 3, 4
III. Zeitlicher Anwendungsrahmen 5, 6
B. Gesetzgebungsgeschichte 7
C. Kündigungsgründe des Absatz 1 im Einzelnen 8–20
I. Wesentliche Vertragsänderungen (Nr. 1) 9–12
II. Zwingender Ausschlussgrund nach § 123 GWB (Nr. 2) 13–15
III. Schwerwiegender Verstoß gegen Unionsrecht (Nr. 3) 16–18
IV. Gesamtbetrachtung der Kündigungsgründe und Normkritik 19, 20
D. Ermessensausübung 21–26
E. Vergütung und Schadensersatz (Absätze 2 und 3) 27–31
I. Anteilige Vergütung (Abs. 2) 28, 29
II. Schadensersatz (Abs. 3) 30, 31
F. Rechtsschutz 32–35
G. Konkurrenzen 36–41

A.Regelungsgehalt

I.Allgemeines

1Mit dem in der Vergaberechtsreform 2016 neu eingeführten § 133 GWB wird erstmalig ein Kündigungsrecht des öffentlichen Auftraggebers in Bezug auf bereits geschlossene Verträge eingeführt. Die Regelung flankiert die Vorschrift des § 135 GWB zur Unwirksamkeit direkt oder unter Verstoß gegen die Informationspflicht nach § 134 GWB geschlossener Verträge. Während die Geltendmachung von Unwirksamkeitsgründen nach § 135 GWB die rechtzeitige – d. h. innerhalb der Fristen des § 135 GWB erfolgende – Verfolgung durch einen Mitbewerber vor der Vergabekammer voraussetzt, gewährt § 133 GWB ein unbefristetes, allerdings auf spezifische Fallgruppen beschränktes Kündigungsrecht für den öffentlichen Auftraggeber. Regelt § 135 GWB also die Geltendmachung der betreffenden Rechtsmängel vor der Vergabekammer und stellt mithin ein Instrument des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes dar, geht es bei § 133 GWB um den zivilrechtlich geprägten Gestaltungsakt der Kündigung1 seitens des Auftraggebers.

2Die Regelung des § 133 GWB soll dem Umstand Rechnung tragen, dass häufig erst nachträglich, möglicherweise sogar erst lange Zeit nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch schwerwiegende Mängel bezüglich des Vertrags und der Umstände des Vertragsschlusses erkennbar werden, die aufgrund des Ablaufs der Ausschlussfristen nach § 135 Abs. 2 GWB keiner Anfechtung mehr durch Mitbewerber des begünstigten Auftragnehmers unterliegen.2 In dieser Situation soll wenigstens der öffentliche Auftraggeber selbst als primärer Adressat des vergaberechtlichen Normenprogramms in die Lage versetzt werden, mittels Vertragskündigung und ggf. Neuausschreibung der Leistung einen rechtskonformen Zustand wiederherzustellen3 (zu Rechtsschutz und Konkurrenzen noch unter F. und G.).

II.Eingriffscharakter sowie unions- und verfassungsrechtliche Einordnung

3Die nachträgliche Kündigung eines ursprünglich vermeintlich rechtssicher geschlossenen Vertrags bringt zweifelsohne einen Eingriff in das Eigentumsrecht des Auftragnehmers mit sich, weil damit der Auftragsbestand und die ursprünglichen Kalkulationsgrundlagen, Kapazitätsplanungen und Gewinnerwartungen des Auftragnehmers obsolet werden. Ungeachtet dieses Eingriffscharakters stellt sich die Vorschrift als unions- und verfassungsrechtlich unbedenklich dar. Zunächst dient die Vorschrift gerade der Umsetzung des Art. 73 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, in dem die Kündigungsmöglichkeit – mit nahezu identischem Wortlaut – ebenfalls vorgesehen ist. Außerdem gilt die Kündigungsmöglichkeit nur für sehr spezielle, in § 133 GWB normierte Fälle, so dass auch den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Gesetzesvorbehalts und der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen ist. Aufgrund der gesetzlichen Regelung ist auch für eine entsprechende Publizität gesorgt, so dass Vertrauensschutzgesichtspunkte jedenfalls dann keine maßgebliche Rolle spielen, wenn der in Rede stehende Vertrag nach Inkrafttreten des § 133 GWB geschlossen wurde.

4Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen eine entsprechende Kündigung durch den Auftraggeber lediglich erfolgen „kann“, die Kündigung mithin im Ermessen des Auftraggebers steht (zur Ermessensausübung noch unter D.). Aufgrund dieser Ermessenszuweisung lässt sich gewährleisten, dass eine Kündigung und damit ein nachträglicher Entzug des Auftrags nur in Fällen erfolgt, in denen dies nach Abwägung aller Umstände des in Rede stehenden Einzelfalls als angemessen erscheint.4 Schließlich werden die nachteiligen Folgen eines Auftragsentzugs durch die in den Absätzen 2 und 3 normierten Vergütungs- und Schadensersatzansprüche des Auftragnehmers abgemildert (hierzu unter E.).

III.Zeitlicher Anwendungsrahmen

5Die Kündigungsmöglichkeit besteht im Grundsatz für alle bestehenden Verträge, auch wenn diese vor dem Inkrafttreten des § 133 GWB im Jahre 2016 geschlossen worden sind. Die Übergangsvorschrift des § 186 Abs. 2 GWB ist insoweit nicht anwendbar, da sich diese nur auf das anwendbare Recht für durchzuführende Vergabeverfahren bezieht.

6Allerdings konnten die Vertragsparteien des infrage stehenden Vertrags vor Inkrafttreten der Norm mit einer Kündigung nach § 133 GWB nicht rechnen. Diesbezüglichen Vertrauensschutzgesichtspunkten ist daher bei Altverträgen im Rahmen der Ermessensausübung (hierzu unter D.) besonders Rechnung zu tragen.

B.Gesetzgebungsgeschichte

7Aufgrund der Neueinführung und damit noch kaum vorhandenen Rechtsprechung zu dieser Vorschrift kommt der Gesetzesbegründung maßgebliche Bedeutung für die Interpretation der Vorschrift zu. Diese lautet5:

Zu Absatz 1

Absatz 1 dient der Umsetzung von Artikel 73 der Richtlinie 2014/24/EU. Die Vorschrift legt erstmals Bedingungen fest, unter denen öffentliche Auftraggeber vergaberechtlich die Möglichkeit haben, einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit zu kündigen. Den öffentlichen Auftraggebern muss über den Grundsatz der clausula rebus sic stantibus (Vorbehalt, dass ein Schuldversprechen oder ein Geschäft seine bindende Wirkung bei Veränderung der Verhältnisse verliert) hinaus ein Lösungsrecht zumindest für die hier genannten besonderen Fälle vorbehalten bleiben, in denen ein Festhalten am Vertrag das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigen würde. Insbesondere aus dem Unionsrecht kann sich die Pflicht ergeben, im Interesse einer effektiven Umsetzung (effet utile) der aus dem Unionsrecht erwachsenen Verpflichtungen eine Kündigung von vertraglichen Vereinbarungen vorzunehmen.

Die Kündigung ist nur möglich, wenn sich aus dem Vertrag fortdauernde Pflichten ergeben. Haben sich dagegen die vertraglichen Beziehungen in einem einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung erschöpft, so ist der Vertrag erfüllt (§ 362 BGB) und mithin für eine Kündigung kein Raum mehr.

Die in Absatz 1 aufgezählten Kündigungsgründe sind nicht abschließend und erweitern die bereits bislang bestehenden Möglichkeiten zur Beendigung von öffentlichen Aufträgen. Nicht berührt wird durch die Vorschrift das Recht der Beteiligten zur Geltendmachung eines vereinbarten oder in Anwendung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuerkennenden gesetzlichen Kündigungsrechts einschließlich des Rechts gemäß § 314 BGB zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund. So kann es zum Beispiel erforderlich sein, einen laufenden Vertrag zu kündigen, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen, insbesondere um ein ansonsten drohendes Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission zu verhindern.

Durch die Vorschrift unberührt bleibt ferner die durch die Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit, dass – wenn der öffentliche Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt oder er sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt und er kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenwirkt – der zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geschlossene Vertrag mit der Folge nichtig sein kann, dass Vergütungs-, Rückforderungs- und Gewährleistungsansprüche wechselseitig ausgeschlossen sind.

Anders als die Regelung zur Unwirksamkeit in § 135, die nach § 135 Absatz 2 Satz 1 nur innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsschluss festgestellt werden kann, bietet § 133 eine Kündigungsmöglichkeit auch über die ersten sechs Monate hinaus. Sofern einer der in Nummer 1 bis 3 genannten Kündigungsgründe vorliegt, können öffentliche Auftraggeber damit öffentliche Aufträge während deren Laufzeit kündigen, ohne an eine Frist gebunden zu sein.

Zu Nummer 1

Nummer 1 dient der Umsetzung von Artikel 73 Buchstabe a der Richtlinie 2014/24/EU und räumt öffentlichen Auftraggebern eine Kündigungsmöglichkeit ein, wenn eine wesentliche Auftragsänderung im Sinne des § 132 vorgenommen wurde, ohne ein erforderliches neues Vergabeverfahren durchzuführen.

Zu Nummer 2

Nach Nummer 2 liegt ein Kündigungsgrund vor, wenn zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Absatz 1 bis 4 vorlag. Nummer 2 setzt Artikel 73 Buchstabe b der Richtlinie 2014/24/EU um. Für das Vorliegen einer Kündigungsmöglichkeit nach Nummer 2 ist es allerdings nicht erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung Kenntnis vom Vorliegen des zwingenden Ausschlussgrundes erlangt hat. Vielmehr ist die Kündigungsmöglichkeit auch dann gegeben, wenn ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Absatz 1 bis 4 zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorlag, der öffentliche Auftraggeber davon jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangt hat. Dadurch stärkt die Vorschrift die Stellung der zwingenden Ausschlussgründe, indem sie bei Vorliegen eines der in § 123 Absatz 1 bis 4 genannten Fälle auch im Nachhinein noch eine Vertragsbeendigung ermöglicht. Das Recht zur Anfechtung des zivilrechtlichen Vertrags durch den öffentlichen Auftraggeber bleibt unberührt.

Zu Nummer 3

Nummer 3 dient der Umsetzung von Artikel 73 Buchstabe c der Richtlinie 2014/24/EU und betrifft den Fall, dass der Auftrag aufgrund eines schweren Verstoßes gegen die Verpflichtungen, welche sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder den Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU, welche durch die Vorschriften dieses Teils umgesetzt werden, ergeben, nicht an den Auftragnehmer hätte vergeben werden dürfen und der Europäische Gerichtshof diesen Verstoß in einem Verfahren nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgestellt hat.

Bereits nach bisheriger Rechtslage ist der öffentliche Auftraggeber nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet, einen unionsrechtswidrig zu Stande gekommenen, noch laufenden Vertrag zu beenden (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 – C-503/04). Soweit dies erforderlich ist, kann der öffentliche Auftraggeber daher einen laufenden Vertrag kündigen, um ein ansonsten drohendes Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission zu verhindern. Die Vorschrift des § 133 Absatz 1 Nummer 3 normiert dieses Kündigungsrecht für den Fall im GWB, dass der EuGH eine entsprechende Vertragsverletzung festgestellt hat.

Zu Absatz 2

Absatz 2 Satz 1 regelt die Rechtsfolgen einer Kündigung durch den öffentlichen Auftraggeber nach Absatz 1. Danach ist der Auftragnehmer grundsätzlich berechtigt, einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung zu verlangen. Dies entspricht der Wertung des § 628 Absatz 1 Satz 1 BGB. Die Regelung ermöglicht einen angemessenen Interessenausgleich zwischen öffentlichem Auftraggeber und Auftragnehmer. Zwar ist der öffentliche Auftraggeber unmittelbar durch die Vorschriften des Vergaberechts verpflichtet. Er trägt aber das Risiko dafür, dass vergaberechtliche Gesichtspunkte einer weiteren Durchführung des Vertrags entgegenstehen, bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht allein. Mit Satz 2 wird der Vergütungsanspruch für den in Absatz 1 Nummer 2 genannten Fall beschränkt, soweit die Leistungen des Auftragnehmers infolge der Kündigung ohne Wert oder Vorteil für den öffentlichen Auftraggeber sind. Vor dem Hintergrund, dass ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Absatz 1 bis 4 in der Regel die Verurteilung wegen einer schweren Straftat voraussetzt, ist es sachgerecht, den Vergütungsanspruch zu beschränken.

Zu Absatz 3

Mit Absatz 3 wird klargestellt, dass durch die Kündigung etwaige Schadensersatzansprüche unberührt bleiben. Im Rahmen des Schadensersatzrechts können die Verantwortlichkeiten und das (Mit-) Verschulden im Einzelfall gerecht gewertet werden.

C.Kündigungsgründe des Absatz 1 im Einzelnen

8§ 133 Abs. 1 GWB enthält die drei nachfolgend behandelten Kündigungsgründe. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift, mit der in bestehende Verträge und somit entgegen des Grundsatzes pacta sunt servanda nachträglich eingegriffen wird, ist die Vorschrift als solche eng auszulegen; andere Kündigungsgründe etwa zivilrechtlicher Art bleiben gleichwohl unberührt.6

I.Wesentliche Vertragsänderungen (Nr. 1)

9Eine Kündigungsmöglichkeit besteht nach der ersten Variante zunächst dann, wenn an einem bestehenden Vertrag eine wesentliche Änderung vorgenommen wurde, die nach § 132 GWB ein neues Vergabeverfahren erfordert hätte. Die Vorschrift rekurriert damit auf den Tatbestand der wesentlichen Vertragsänderung und der damit einhergehenden Pflicht zur Neuausschreibung des neu gestalteten Auftrags. Ob eine solche wesentliche Vertragsänderung vorliegt, richtet sich nach den einzelnen Voraussetzungen des § 132 GWB, auf dessen Kommentierung daher hier vollumfassend verwiesen wird.

10Hinsichtlich der Bezugnahme auf § 132 GWB ist dessen gesamte Regelungssystematik zu beachten, insbesondere die Definition und die unterschiedlichen Tatbestände einer wesentlichen Änderung gem. Abs. 1 dieser Vorschrift, andererseits aber auch die in Abs. 2 und 3 dieser Vorschrift genannten Ausnahmen, bei deren Vorliegen wiederum nicht von einer vergaberechtsrelevanten Auftragsänderung auszugehen ist. Nur dann, wenn im Ergebnis einer solch umfassenden Subsumtion unter § 132 GWB sich eine Vertragsänderung als wesentlich i. S. d. Vergaberechts erweist und unter Missachtung der sich hieraus ergebenden Verpflichtung zur Neuausschreibung der Vertrag unmittelbar mit dem bisherigen Auftragnehmer geändert oder erweitert wurde, ist der Tatbestand des § 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB erfüllt mit der Folge der Kündigungsmöglichkeit.7

11Sofern der Tatbestand einer vergaberechtsrelevanten Auftragsänderung nach § 132 GWB vorliegt, liegt somit immer zugleich auch eine unzulässige De-facto-Vergabe i. S. d. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB vor mit den sich aus § 135 Abs. 2 GWB ergebenden Sanktionen, insbesondere der (befristeten) Anfechtbarkeit des bereits geschlossenen Vertrags durch Mitbewerber bei der Vergabekammer. Damit stellt sich die Frage des Verhältnisses dieser verschiedenen Rechtsinstitute. Im Ergebnis verhält es sich so, dass beide Rechtsinstitute nebeneinander stehen, das bedeutet, dass zunächst ein solcher Vertrag innerhalb der in § 135 Abs. 2 GWB genannten Fristen von Wettbewerbern angefochten werden kann, zugleich aber die Kündigungsmöglichkeit des Auftraggebers besteht, wobei letzteres nach dem gesetzgeberischen Willen jedoch nicht an eine bestimmte Frist zur Geltendmachung des Kündigungsrechts gebunden ist.8 Gegenüber der De-facto-Vergabe unterscheidet sich die Kündigungsmöglichkeit also vor allem durch zwei Merkmale: zum einen dadurch, dass die Vertragsbeendigung durch den Auftraggeber selbst erfolgt und nicht durch einen Mitbewerber bewirkt wird, zum anderen dadurch, dass der Auftraggeber keinen zeitlichen Beschränkungen bei der Geltendmachung des Kündigungsrechts unterworfen ist.

12Fraglich ist, inwieweit es eine Rolle spielt, ob dem öffentlichen Auftraggeber bei dem Abschluss des geänderten Vertrags die Wesentlichkeit der Vertragsänderung bewusst war oder nicht. Sofern der Auftraggeber sehenden Auges die wesentliche Vertragsänderung unmittelbar mit dem bisherigen Auftragnehmer vorgenommen hat, könnte einer Kündigung der Einwand des widersprüchlichen Verhaltens und der Treuwidrigkeit entgegengehalten werden. Dieser Gesichtspunkt dürfte allerdings im Ergebnis regelmäßig nicht durchgreifen.9 Regelungszweck des § 133 GWB ist es, dem Auftraggeber zu jeder Zeit die Möglichkeit zu eröffnen, seine Vergabetätigkeit auf rechtmäßige Füße zu stellen, so dass sich der öffentliche Auftraggeber durchaus von einem seinerzeit bewusst rechtswidrigen Verhalten mittels rechtswirksamer Kündigung wieder lösen kann.10 Der Auftragnehmer ist in dieser Situation nicht besonders schutzwürdig; im Übrigen stehen ihm nach § 133 Abs. 2 Satz 1 GWB unter den dort normierten Voraussetzungen immerhin Vergütungsansprüche für die Vertragserfüllung bis zum Kündigungszeitpunkt zu.

II.Zwingender Ausschlussgrund nach § 123 GWB (Nr. 2)

13Eine Kündigungsmöglichkeit besteht nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 GWB auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 1 bis 4 GWB vorlag. Hinsichtlich des dort enthaltenen Katalogs an Ausschlussgründen wird vollumfänglich auf die Kommentierung zu § 123 GWB verwiesen.

14Aufgrund des Ausnahmecharakters der nachträglichen Kündigung von Verträgen muss auch insoweit der Anwendungsbereich streng auf den Wortlaut begrenzt werden. Dies schließt es beispielsweise aus, den Anwendungsbereich auf fakultative Ausschlussgründe nach § 124 GWB auszudehnen, selbst wenn und soweit dort ebenfalls gravierende Ausschlussgründe enthalten sind, wie z. B. Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz (§ 124 Abs. 1 Nr. 2 GWB) oder das Vorliegen einer schweren Verfehlung (§ 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB). Nicht ausgeschlossen erscheint insoweit jedoch, eine Kündigung auf allgemeine zivilrechtliche Gründe zu stützen (hierzu noch unten, G.).

15Ein wichtiges Tatbestandsmerkmal besteht auch darin, dass der zwingende Ausschlussgrund bereits zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung hat vorliegen müssen. Unschädlich für die Kündigungsmöglichkeit ist, wenn der Auftraggeber erst nach diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Vorliegen des zwingenden Ausschlussgrundes erlangt.11 Der nachträgliche Eintritt eines zwingenden Ausschlussgrundes erst während der Vertragslaufzeit berechtigt dagegen nicht zur Kündigung auf Grundlage des § 133 GWB.12 Auch insoweit kommt jedoch ein Rekurs auf allgemeine zivilrechtliche Anfechtungs-13 oder Kündigungsgründe in Betracht.

III.Schwerwiegender Verstoß gegen Unionsrecht (Nr. 3)

16Die letzte Fallgruppe einer Kündigungsmöglichkeit ist dann gegeben, wenn der öffentliche Auftrag aufgrund einer schweren Verletzung der Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder aus den Vorschriften des 4. Teils des GWB, die der EuGH in einem Verfahren nach Art. 258 AEUV festgestellt hat, nicht an den Auftragnehmer hätte vergeben werden dürfen. Hier geht es in erster Linie um den besonders schwerwiegenden Fall einer unzulässigen Direktvergabe i. S. d. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, aber auch um einen Verstoß gegen die Informationspflicht gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB sowie gravierende materiell-rechtliche Vergabeverstöße.14

17Vorausgesetzt wird von der Vorschrift, dass diese Verstöße durch den EuGH im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens festgestellt worden sind. Die Vorschrift und die zugrunde liegende Richtlinienvorschrift (Artikel 73 der Richtlinie 2014/24/EU) kodifizieren eine schon vorher bestehende Rechtsprechungslinie des EuGH.15

18Wenn somit bei einer Feststellung durch den EuGH zweifelsohne ein Recht und in der Regel sogar eine Pflicht zur Vertragskündigung besteht (zur Ermessensreduzierung auch noch unten, D.), ist es gleichwohl umstritten, ob ein solches Kündigungsrecht auch ohne Feststellung durch den EuGH eröffnet ist. Dem Wortlaut des § 133 Abs. 1 Nr. 3 GWB zufolge besteht das Kündigungsrecht nur im Falle der Feststellung durch den EuGH. Soweit in der Kommentarliteratur unter Verweis auf die Gesetzesbegründung die Auffassung vertreten wird, das Kündigungsrecht nach § 133 Abs. 1 Nr. 3 GWB bestehe unabhängig von einer Feststellung durch den EuGH schon aufgrund einer Feststellung eines schwerwiegenden Verstoßes durch den Auftraggeber selbst,16 kann dem nicht gefolgt werden. Hiergegen spricht der eindeutige Wortlaut der Vorschrift. Zudem bezieht sich die betreffende Passage der Gesetzesbegründung auf eine allgemeine vergleichende Betrachtung bezüglich zivilrechtlicher Kündigungsgründe etwa nach § 314 BGB; die spezifische Begründung zu Abs. 1 Nr. 3 schließt hingegen ausdrücklich mit der Feststellung, diese Vorschrift normiere das Kündigungsrecht im GWB für den Fall, dass der EuGH eine entsprechende Vertragsverletzung festgestellt hat. Im Ergebnis ist daher eine auf § 133 Abs. 1 Nr. 3 GWB gestützte Kündigung ohne vorausgegangene Feststellung der Rechtswidrigkeit durch den EuGH nicht zulässig;17 dies schließt allerdings nicht aus, dass eine solche Kündigung auf Grundlage allgemeiner BGB-Kündigungsregelungen gleichwohl in Betracht kommt18 (zu den Konkurrenzen noch unten, G.).

IV.Gesamtbetrachtung der Kündigungsgründe und Normkritik

19Betrachtet man die vorgenannten Kündigungsgründe in einer Gesamtschau, fällt eine beträchtliche Inkonsistenz der Norm auf. Während beim Kündigungsgrund nach § 133 Abs. Nr. 1 GWB, also einer unzulässigen wesentlichen Auftragsänderung, schon das Vorliegen eines entsprechenden Rechtsverstoßes ausreicht, um das Kündigungsrecht des Auftraggebers auszulösen, bedarf es bei sonstigen gravierenden Vergabeverstößen – insbesondere einer unzulässigen De-facto-Vergabe jenseits von wesentlichen Auftragsänderungen – zusätzlich einer Feststellung durch den EuGH, wobei hierzu bekanntlich zunächst die Kommission tätig werden muss und bis zu einer entsprechenden Feststellung mehrere Jahre vergehen können. Dieser Wertungswiderspruch ist allerdings bereits in Art. 73 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU enthalten, ohne dass die Erwägungsgründe zu der Richtlinie Aufschluss darüber geben würden, wie es zu der differenzierenden Behandlung kommt. Insbesondere befriedigt es nicht, dass der Auftraggeber auch in sonstigen Fällen einer unzulässigen De-facto-Vergabe kein eigenes Kündigungsrecht hat.

20Insofern empfiehlt sich also bei der nächsten Richtlinien- und Vergaberechtsreform eine Modifikation der Vorschrift dahingehend, dass dem Auftraggeber generell bei schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen, insbesondere im Fall einer unzulässigen De-facto-Vergabe, ein Kündigungsrecht zusteht, auch ohne dass der EuGH dies bereits festgestellt hat. Damit würde dem Legalitätsprinzip Rechnung getragen. Zugleich würde dies weitere disziplinierende Wirkung gegenüber unzulässigen De-facto-Vergaben haben. Eine unzulässige Beschneidung der Rechte des Auftragnehmers ist hierin nicht zu sehen. Zum einen ist sich in der Regel auch der Auftragnehmer einer De-facto-Vergabe der Rechtswidrigkeit bewusst und insoweit nicht besonders schutzwürdig. Zum anderen verbliebe es auch hier dabei, dass lediglich ein im Ermessen des Auftraggebers stehendes Kündigungsrecht eingeräumt würde, so dass bei überwiegenden Bestandsschutzinteressen von dem Kündigungsrecht nicht Gebrauch gemacht werden muss und der Vertrag Bestand haben kann.

D.Ermessensausübung

21Sofern einer der vorgenannten Kündigungsgründe gegeben ist, folgt hieraus ein Kündigungsrecht des Auftraggebers, nicht jedoch eine Kündigungspflicht. Denn nach der eindeutigen Formulierung des § 133 Abs. 1 GWB („Unbeschadet des § 135 können öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit kündigen, wenn …“) steht die Ausübung des Kündigungsrechts unter Ermessensvorbehalt. Auch dies entspricht dem Richtlinienrecht, denn in dem einschlägigen Artikel 73 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU wird den Mitgliedsstaaten ebenfalls nur aufgegeben, den Auftraggebern eine entsprechende Möglichkeit zur Kündigung einzuräumen. Auch der Sache nach ist die Einräumung eines Ermessensvorbehalts sachgerecht. Denn obgleich vergaberechtswidrig geschlossene Verträge dem Legalitätsprinzip zufolge keinen Bestand haben sollen, gibt es gegenläufige Gesichtspunkte insbesondere des Vertrauens- und Bestandsschutzes, denen im Einzelfall durchaus höheres Gewicht zukommen kann.

22Die Ermessensausübung folgt dabei den hierfür geltenden allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen.19 Insbesondere sind alle maßgeblichen Gesichtspunkte, die für oder gegen die Ausübung des Kündigungsrechts sprechen, bezogen auf den jeweiligen Einzelfall angemessen zu würdigen. Hierbei können insbesondere folgende Gesichtspunkte maßgeblich sein:

23Für die Wahrnehmung des Kündigungsrechts spricht es, wenn

– in besonders schwerwiegender Weise gegen das Vergaberecht verstoßen wurde, insbesondere eine Direktvergabe ohne tragfähige Begründung vorgenommen wurde;

– die Wahrnehmung vergaberechtlichen Rechtschutzes zu gegebener Zeit für die Mitbewerber des begünstigten Auftragnehmers nicht greifbar waren, z. B. weil eine De-facto-Vergabe stillschweigend vorgenommen wurde;

– die Wiederherstellung einer ordnungsgemäßen Vergabepraxis besonders wichtig erscheint, z. B. weil es sich um einen besonders werthaltigen Auftrag handelt oder die vergaberechtswidrige Praxis schon lange anhält;

– mit einer Neuvergabe im Rahmen eines ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens aller Voraussicht nach bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielt werden können.

24Gegen eine Wahrnehmung des Kündigungsrechts kann hingegen im Einzelfall sprechen,

– wenn es sich um einen nicht besonders werthaltigen Auftrag handelt;

– wenn aus Gründen der zwingenden Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge (z. B. Krankenhausbetrieb oder Abfallentsorgung) eine (kurzfristige) Kündigung nicht möglich ist. In diesen Fällen kommt aber eine Kündigung mit längerer Frist wie z. B. von einem Jahr in Betracht;

– wenn ohnehin kein Wettbewerb bzw. Markt für die betreffende Leistung vorhanden ist;

– wenn der öffentliche Auftraggeber sich in einem „vergaberechtlichen Grenzfall“ nach Auseinandersetzung mit der Rechtslage für eine Direktvergabe entschieden hat; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auftraggeber mithilfe einer Ex-ante- oder Ex-post-Bekanntmachung gem. § 135 Abs. 3 bzw. Abs. 2 GWB Transparenz über die Auftragsvergabe hergestellt hat und die Auftragsvergabe unangefochten geblieben ist;

– wenn in sonstigen Fällen ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der auf Seiten des Auftragnehmers die berechtigte Erwartung begründet, dass der Vertrag über die Laufzeit hinweg aufrechterhalten wird. Dies ist besonders bei Altverträgen in Betracht zu ziehen, die vor Inkrafttreten des § 133 GWB geschlossen worden sind, da hier die Parteien mit einer Kündigung nicht ohne weiteres rechnen mussten.

25Wie stets bleibt dabei die Ausübung des Ermessens für die Gerichte nur eingeschränkt, nämlich auf Ermessensfehler hin, überprüfbar. D. h. nur dann, wenn der Auftraggeber in grob sachwidriger Weise und insbesondere die berechtigten Interessen des Vertragspartners verletzender Weise die Kündigung vornimmt, stellt sich diese als rechtswidrig dar. Umgekehrt kann ein Mitbewerber in der Regel eine Kündigung nicht erzwingen, die der Auftraggeber nach Abwägung der gegebenen Umstände unterlässt.

26Bei besonders gravierenden und folgenreichen Vergabeverstößen kann es zu einer Ermessensreduzierung auf Null kommen, sodass eine Kündigung erfolgen muss.20 Selbst dann ist aber kein subjektiver Anspruch von Mitbewerbern auf Durchführung der Kündigung und einer Neuausschreibung gegeben.21 Eine Durchsetzung im Falle der standhaften Weigerung des Auftraggebers, den Vertrag zu kündigen (und ihn neu auszuschreiben), kann nur unter Zuhilfenahme der EU-Kommission oder der zuständigen Aufsichtsbehörden erfolgen.

E.Vergütung und Schadensersatz (Absätze 2 und 3)

27Die Kündigungsregelungen des Abs. 1 werden durch die Vergütungsregelungen des Abs. 2 und die Schadensersatzregelung des Abs. 3 ergänzt. Die Kündigungsfolgen werden damit einem pekuniären Ausgleich und einer gewissen Milderung zugeführt.

I.Anteilige Vergütung (Abs. 2)

28Nach § 133 Abs. 2 GWB kann der Auftragnehmer im Falle einer Kündigung durch den Auftraggeber gem. Abs. 1 einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Damit wird klargestellt, dass nicht etwa die Vergütung im Sinne einer ex-tunc wirkenden Rückabwicklung voll zurückzuzahlen ist, wie dies etwa im Falle nichtiger Verträge in der Regel der Fall ist. Umgekehrt kann aber der Auftragnehmer auch den verbleibenden Teil seiner Vergütung nicht im Sinne entgangenen Gewinns ersetzt verlangen. Die Regelung verfolgt also eine Mittellösung, wonach nur diejenigen Leistungen zu vergüten sind, die bereits erbracht sind. Diese Lösung erscheint sachgerecht; sie entspricht auch den sonst im Zivilrecht üblichen Vergütungsregelungen bei außerordentlichen Kündigungen, etwa dem § 628 BGB.

29Nach § 133 Abs. 2 Satz 2 GWB steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Vergütung jedoch im Falle einer Kündigung nach Abs. 1 Nr. 2 (Vorliegen eines zwingenden Ausschlussgrunds im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung) nicht zu, soweit seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung durch den öffentlichen Auftraggeber nicht von Interesse sind. Auch diese Beschränkung des Vergütungsanspruchs erscheint sachangemessen, da im Falle der Nr. 2 der Kündigungsgrund in der Person bzw. dem Verhalten des Auftragnehmers liegt, während die Kündigungsgründe der Nr. 1 und Nr. 3 in der Verantwortungssphäre des Auftraggebers liegen.

II.Schadensersatz (Abs. 3)

30Nach Abs. 3 der Vorschrift wird die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, durch die Kündigung nicht ausgeschlossen. Die Vorschrift entspricht den allgemeinen Regelungen des Zivilrechts (vgl. § 314 Abs. 4 BGB). Während es bei der Vergütungsregelung nach Abs. 2 um den Fortbestand der spezifisch vereinbarten Gegenleistung für die Liefer-, Dienst- oder Bauleistungen geht, betrifft Abs. 3 darüber hinausgehende Schadensersatzansprüche, die sich aus der Kündigung ergeben können.

31§ 133 Abs. 3 GWB spezifiziert dabei nicht den Anspruchsberechtigten und den Grund für eine Schadensersatzleistung. Aufgrund dieser weiten Fassung der Vorschrift ist davon auszugehen, dass entsprechende Schadensersatzansprüche sowohl dem Auftraggeber (insbesondere bei Kündigung im Falle des Abs. 1 Nr. 2) als auch dem Auftragnehmer (insbesondere in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3) zustehen können. Bei alledem stellt § 133 Abs. 3 GWB auch keine eigenständige Anspruchsnorm dar. Vielmehr richten sich entsprechende Schadensersatzansprüche nach allgemeinem Zivilrecht, insbesondere – je nach Vertragsinhalt – nach den kauf-, werkvertrags- oder dienstvertragsrechtlichen Bestimmungen des BGB sowie den Vorschriften der §§ 323 ff. BGB, mithin nach Allgemeinem und Besonderem Schuldrecht und – sofern im Einzelfall einschlägig – dem Deliktsrecht.

F.Rechtsschutz

32Fraglich ist, welchem Rechtsschutzsystem die Kündigungsregelungen unterliegen. Insbesondere stellt sich die Frage, wie sich ein von einer Kündigung betroffener Auftragnehmer gegen eine aus seiner Sicht unrechtmäßige Kündigung wehren kann. Insoweit ist zu beachten, dass der Rechtsschutz zu den Vergabekammern und -senaten in dieser Konstellation nicht eröffnet ist. Denn nach § 156 Abs. 1 und 2 GWB unterliegen nur die Vergabe öffentlicher Aufträge und die Geltendmachung von Bieterrechten nach § 97 Abs. 6 GWB sowie sonstige Ansprüche gegen Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, dem vergaberechtlichen Rechtsschutzsystem. Bei der Kündigung von Aufträgen geht es aber um die vorzeitige Beendigung bereits geschlossener Verträge und folglich nicht um Rechtshandlungen innerhalb eines Vergabeverfahrens.22 Da zugleich aber Rechtschutz im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch hier gewährt werden muss, ist letztlich die Zivilgerichtsbarkeit für Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit einer Kündigung zuständig.

33Ebenso ist die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig für Vergütungs- oder Schadensersatzansprüche nach Abs. 2 und Abs. 3 der Vorschrift. Für Schadensersatzansprüche ergibt sich dies im Übrigen auch explizit aus § 156 Abs. 3 GWB.

34Fraglich ist, ob umgekehrt Rechtschutz für Mitbewerber besteht, sofern eine gebotene Kündigung und eine ebenso gebotene neue Ausschreibung der Leistung in rechtswidriger Weise unterbleibt. Entsprechende Fälle einer Ermessensreduzierung auf Null können sich, wie oben dargelegt, im Einzelfall bei besonders gravierenden Vergaberechtsverstößen ergeben.

35Obgleich Mitbewerber durchaus ein berechtigtes Interesse an einer Beendigung eines solchen Auftrags mit der weiteren Konsequenz einer Neuausschreibung und einer entsprechenden Beteiligungschance haben können, ist ein solcher „Beendigungsanspruch“ im Ergebnis nicht anzuerkennen.23 Die subjektiven Bieterrechte nach § 97 Abs. 6 GWB sind hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit – was den vergaberechtlichen Primärrechtschutz oberhalb der Schwellenwerte betrifft – abschließend im 4. Teil des GWB geregelt. Auch insoweit gilt, dass solche Ansprüche nur während eines laufenden Vergabeverfahrens durchgesetzt werden können (§ 156 GWB). Nur ausnahmsweise – nämlich im Falle einer unzulässigen De-facto-Vergabe i. S. v. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB – können Mitbewerber auch noch nach Vertragsschluss die Unwirksamkeit des Vertrags durch die Vergabekammer feststellen lassen, wobei die Geltendmachung dieser Feststellungsbefugnis in richtlinienkonformer Weise gem. § 135 Abs. 2 GWB zeitlich auf maximal sechs Monate limitiert ist. Es wäre systemwidrig, wenn über diese bewusst begrenzte nachträgliche Einwirkungsmöglichkeit von Mitbewerbern auf bestehende Vertragsverhältnisse hinaus ein Anspruch auf eine Vertragsbeendigung begründet würde, weil damit die vorgenannten Ausschlussfristen ausgehebelt und der damit erstrebte Rechtsfrieden vereitelt würde.

G.Konkurrenzen

36Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, begründet § 133 GWB keine Alleinstellung hinsichtlich der Beendigung vergaberechtswidriger Verträge, vielmehr besteht eine Konkurrenz, d. h. ein Nebeneinander zu anderen Kündigungsvorschriften, deren Anwendung durch § 133 GWB nicht ausgeschlossen wird.

37Zunächst stellt die Vorschrift selbst klar, dass das Kündigungsrecht „unbeschadet des § 135“ wahrgenommen werden kann. Dies bedeutet im Ergebnis, dass das Kündigungsrecht des Auftraggebers nach § 133 GWB von diesem geltend gemacht werden kann, ohne dass deshalb die Feststellung der Unwirksamkeit durch Mitbewerber nach § 135 GWB beschränkt würde.

38Zugleich haben die obigen Ausführungen gezeigt, dass die Kündigungsrechte des § 133 GWB einen Spezialfall des Kündigungsrechts des Auftraggebers für die in § 133 Abs. 1 GWB geregelten Fälle einer vergaberechtswidrigen Auftragsvergabe darstellen, ohne dass deshalb aber die zivilrechtlichen Kündigungsmöglichkeiten ausgeschlossen wären. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der öffentlichen Auftragsvergabe, insbesondere der regelmäßig vorgesehenen Befristung der Verträge, ist dabei wie folgt zu differenzieren:

39Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung von Verträgen ist bei öffentlichen Aufträgen regelmäßig ausgeschlossen. Denn in aller Regel werden öffentliche Aufträge befristet, allenfalls mit einer ebenfalls klar definierten optionalen Verlängerung, vergeben. Für den Fall von Rahmenvereinbarungen beträgt die Regelfrist maximal vier Jahre (vgl. § 21 Abs. 6 VgV). Aber auch für sonstige Dienstleistungsverträge wäre ein unbefristeter Vertragsschluss nach neuerer Rechtsprechung vergaberechtlich unzulässig, weil damit in wettbewerbswidriger Weise die Vertragsleistung dauerhaft dem Wettbewerb entzogen wird.24 Die Möglichkeit der Kündigung von unbefristeten Verträgen kann sich daher allenfalls noch auf Altfälle beziehen.

40Hingegen sind auch bei öffentlichen Aufträgen die Regelungen in Bezug auf außerordentliche bzw. fristlose Kündigungen, wie sie sich beispielsweise aus § 314 BGB in Bezug auf Dauerschuldverhältnisse oder aus § 626 BGB in Bezug auf Dienstleistungsverträge ergeben, anwendbar. Denn das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist generell nicht beschränkbar und somit auch nicht bei öffentlichen Aufträgen.25 Gleiches gilt im Werkvertrag auch für das dem Auftraggeber stets eröffnete Recht zur vorzeitigen Kündigung eines Werkvertrags gem. § 649 BGB.

41Der Rückgriff auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung nach allgemeinen BGB-Regeln kann insbesondere in dem Fall angezeigt sein, dass sich der Auftraggeber von einem Vertrag lösen will, der unter einem eklatanten Verstoß gegen das Vergaberecht zustande kam, also insbesondere im Fall einer unzulässigen De-facto-Vergabe. Handelt es sich dabei nicht um eine wesentliche Vertragsänderung i. S. v. Abs. 1 Nr. 1 der Vorschrift (sondern eine erstmalige Direktvergabe) und ist zugleich der Verstoß noch nicht durch den EuGH festgestellt i. S. v. Nr. 3 der Vorschrift, sind wie oben in Teil C dargestellt die Kündigungsregelungen des Abs. 1 aufgrund deren lückenhafter Ausgestaltung insgesamt nicht anwendbar. Zumindest im Fall schwerwiegender Vergabeverstöße, wie dies eine unzulässige Direktvergabe in der Regel darstellt, ist ein Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen des Zivilrechts zu außerordentlichen Kündigungen als zulässig und geboten anzusehen. Denn auch öffentliche Aufträge unterliegen als zivilrechtliche Verträge dem allgemeinen zivilrechtlichen Regime von Vertragsschluss und -beendigung.

§ 134 GWBInformations- und Wartepflicht

(1) 1Öffentliche Auftraggeber haben die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. 2Dies gilt auch für Bewerber, denen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt wurde, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.

(2) 1Ein Vertrag darf erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information nach Absatz 1 geschlossen werden. 2Wird die Information auf elektronischem Weg oder per Fax versendet, verkürzt sich die Frist auf zehn Kalendertage. 3Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber; auf den Tag des Zugangs beim betroffenen Bieter und Bewerber kommt es nicht an.

(3) 1Die Informationspflicht entfällt in Fällen, in denen das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit gerechtfertigt ist. 2Im Fall verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer Aufträge können öffentliche Auftraggeber beschließen, bestimmte Informationen über die Zuschlagserteilung oder den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nicht mitzuteilen, soweit die Offenlegung den Gesetzesvollzug behindert, dem öffentlichen Interesse, insbesondere Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen, zuwiderläuft, berechtigte geschäftliche Interessen von Unternehmen schädigt oder den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnte.

Schrifttum: Dreher/Hoffmann, Die Informations- und Wartepflicht sowie die Unwirksamkeitsfolge nach den neuen §§ 101a und 101b GWB, NZBau 2009, 216 ff.; Höß, Die Informationspflicht des Auftraggebers, VergabeR 2002, 443 ff.; Ollmann, Die kleine Vergaberechtsreform, VergabeR 2008, 447 ff.; Kühn, Die Verlängerung der Wartefrist nach § 134 Abs. 2 GWB, oder: was ist das Wort einer Vergabestelle wert?, VergabeR 2017, 708 ff.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1, 2
B. Regelungsbereich der Vorschrift 3–64
I. Anwendbarkeit 3–16
1. Entstehen der Informations- und Wartepflicht 3–13
2. Verfahrensarten 14, 15
3. De-facto-Vergaben 16
II. Inhalt und Form der Information 17–36
1. Inhalt 17–27
2. Falsche oder unzureichende Information 28–32
3. Form 33, 34
4. Vertretung 35
5. Unverzüglichkeit 36
III. Adressatenkreis der Information 37–47
1. Bieter 37–44
a) Erlangung des Bieterstatus 38–41
b) Verlust des Bieterstatus 42, 43
c) Erfolgreicher Bieter 44
2. Bewerber 45, 46
3. Nach Aufhebung 47
IV. Wartefrist 48–64
1. Beginn der Wartefrist 48–54
2. Berechnung 55–60
3. Änderung der Wartefrist 61–64
C. Entfall oder Einschränkung der Informationspflicht 65–69

A.Vorbemerkungen

1Eine Informations- und Wartepflicht des Auftraggebers wurde erstmals mit Wirkung ab dem 1.2.2001 mit § 13 VgV in das Vergaberecht eingeführt, der durch § 101a GWB a. F. abgelöst und jetzt als § 134 GWB fortgeführt wird. Die Informations- und Wartepflicht dient der Gewährung eines lückenlosen Primärrechtsschutzes für den Bieter, nachdem erst die Zustellung des Nachprüfungsantrags das Zuschlagsverbot auslöst (§ 169 Abs. 1 GWB) und ein einmal erteilter Zuschlag von den Nachprüfungsbehörden nicht mehr aufgehoben werden kann (§§ 168 Abs. 2 Satz 1, 178 Satz 4 GWB). Neben § 134 GWB bestehende Verpflichtungen zur Unterrichtung der Bewerber und Bieter finden sich in § 62 VgV, § 56 SektVO, § 30 KonzVgV, § 36 VSVgV und § 19 EU VOB/A.

2§ 134 GWB entspricht im Wesentlichen dem § 101a GWB a. F. Die Vorschrift wurde strukturell und sprachlich überarbeitet. Eine Neuerung enthält § 134 GWB gegenüber § 101a GWB a. F. insbesondere dadurch, dass in den neuen § 134 Abs. 3 Satz 2 GWB die Ausnahmen von der Informationspflicht bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen aus dem § 36 Abs. 2 VSVgV a. F. in das GWB übernommen wurden. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 134 GWB ist in § 135 GWB geregelt.

B.Regelungsbereich der Vorschrift

I.Anwendbarkeit

1.Entstehen der Informations- und Wartepflicht

3Eine für Bieter durchsetzbare Informations- und Wartepflicht des öffentlichen Auftraggebers nach § 134 GWB besteht grundsätzlich dann, wenn die §§ 97 ff. GWB Anwendung finden, also bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die die Schwellenwerte erreichen oder überschreiten. Darauf, ob der Auftraggeber national oder europaweit ausgeschrieben hat, kommt es nicht an.1

4Auch wenn ein öffentlicher Auftraggeber in Verkennung der Rechtslage von einem förmlichen Vergabeverfahren abgesehen hat, entsteht seine Informationsverpflichtung jedenfalls dann, wenn er ein „wettbewerbliches“ Verfahren eingeleitet hat, in dem es Bewerber oder Bieter und Angebote gegeben hat und der Einholung der Angebote ein konkretes Beschaffungsvorhaben zugrunde liegt. Nachdem die richtige rechtliche Einordnung eines geplanten Vorgehens zum allgemeinen Risiko gehört, das jeder zu tragen hat, der am Rechtsleben teilnehmen will, kommt es für das Entstehen der Informationsverpflichtung nicht darauf an, ob es dem Auftraggeber bewusst war, dass er öffentlicher Auftraggeber ist, dass die beabsichtigte Beschaffung auf einen öffentlichen Auftrag i. S. d. § 103 Abs. 1 GWB gerichtet ist oder dass der Auftrag den Schwellenwert erreicht oder übersteigt.2

5Aktivitäten des öffentlichen Auftraggebers, die eine Markterkundung oder Marktbeobachtung zum Gegenstand haben, sich also dadurch auszeichnen, dass ihnen (noch) kein konkretes Beschaffungsvorhaben zugrunde liegt, lösen die Informations- und Wartepflicht dagegen nicht aus.3

6Die Information nach § 134 GWB ist zu erteilen, sobald die Vergabeentscheidung durch den Auftraggeber gefallen ist und der bevorzugte Bieter feststeht. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift („über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll“). Nachdem der Auftraggeber die wesentlichen Entscheidungen, insbesondere die Vergabeentscheidung selbst zu treffen hat,4 kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf den Vergabevorschlag eines Beraters des Auftraggebers, sondern auf die Entscheidung der zuständigen Gremien des Auftraggebers an.

7Die Informations- und Wartepflicht erstreckt sich schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf die beabsichtigte Aufhebung des Vergabeverfahrens. Die Informationsverpflichtung im Zusammenhang mit einer Aufhebung ist in den Vergabeverordnungen geregelt.5

8Wann und wem gegenüber die Informations- und Wartepflicht neu entsteht, wenn der Auftraggeber freiwillig oder auf Rüge eines Unternehmens seine Vergabeentscheidung ändert, wird man danach entscheiden müssen, inwieweit die Änderung einen Bieter oder Bewerber betreffen kann. Ändern sich für ein Unternehmen, das nicht gerügt hat, weder die Gründe für die Nichtberücksichtigung noch der bevorzugte Bieter, entsteht diesem gegenüber auch die Informations- und Wartepflicht nicht neu. Dies gilt auch, wenn gegenüber dem rügenden Unternehmen eine geänderte Information zwangsläufig auch einen neuen „frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses“ enthalten muss, nachdem dieser Zeitpunkt von der Absendung der Information an den jeweiligen Bieter abhängt und von vornherein nicht identisch sein muss.6 Will der Auftraggeber einen Verstoß gegen § 134 Abs. 1 GWB heilen, muss er dies durch erneute oder geänderte Information vor der Zuschlagserteilung tun.7

9Die Informations- und Wartepflicht entsteht aber gegenüber allen betroffenen Bietern bzw. Bewerbern neu, wenn der Auftraggeber nach Versendung der Information seine Vergabeentscheidung ändert und den Auftrag beispielsweise einem anderen Bieter erteilen möchte, da gerade in der Person des zum Zuschlag beabsichtigten Bieters der Vergabefehler liegen kann (z. B. bei fehlender Eignung).8 Wird die Vergabeentscheidung geändert, bleibt es aber bei dem ausgewählten Unternehmen, entsteht die Informations- und Wartepflicht neu, wenn sich die den abgelehnten Unternehmen genannten Gründe geändert haben. Nachdem der abgelehnte Bieter davon ausgehen kann, dass ihm die die Ablehnungsentscheidung tragenden Gründe mitgeteilt wurden, kommt es dabei nicht darauf an, ob der Auftraggeber einen zu ändernden Grund im Nachhinein für weniger wichtig hält. Fügt der Auftraggeber in einem Antwortschreiben auf eine Rüge lediglich einen weiteren Grund der Nichtberücksichtigung hinzu, entsteht die Wartepflicht nicht von Neuem.

10Bleibt der Auftraggeber nach Prüfung der Rüge in vollem Umfang bei seiner Entscheidung, kann die erfolgte Prüfung allein nicht zu einer neuen Informations- und Wartepflicht führen.9 Die Informations- und Wartepflicht entsteht jedoch gegenüber dem Rügenden neu, wenn die Vergabestelle ihm vor der Prüfung der Rüge erklärt hat, die Vergabeentscheidung zu überprüfen und den Zuschlag nicht vor erneuter Information gegenüber dem Rügenden zu erteilen.10

11Auch wenn der Auftraggeber nach einer auf Anweisung einer Vergabekammer oder eines Vergabesenats erneut durchgeführten Wertung zu demselben Ergebnis mit derselben Begründung gelangt, muss er erneut informieren. Anderenfalls kann der rügende Bieter nicht überprüfen, ob der Auftraggeber der Anweisung der Nachprüfungsbehörde Folge geleistet hat. In diesem Fall liegt nicht lediglich eine Überprüfung des ursprünglichen Ergebnisses, sondern ein nach Neuwertung zwar identisches, aber neues Ergebnis vor. Der rügende Bieter ist hierüber nochmals zu informieren.

12Die Informations- und Wartepflicht gilt nicht nur bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen oder bei der Einrichtung eines dynamischen Beschaffungssystems (§ 120 Abs. 1 GWB) sondern auch bei Aufträgen, die auf einer Rahmenvereinbarung oder einem dynamischen Beschaffungssystem beruhen, wenn ein erneuter Aufruf zum Wettbewerb erfolgt. Zwar hätte der deutsche Gesetzgeber hier von der Anwendung einer weiteren Informations- und Wartepflicht absehen können, um die mit diesen Vergabeverfahren angestrebten Effizienzgewinne nicht durch eine obligatorische Stillhaltefrist zu beeinträchtigen.11 Von dieser Option hat der Gesetzgeber aber keinen Gebrauch gemacht.

13Sind in einer Rahmenvereinbarung alle Bedingungen für die Vergabe der Einzelaufträge festgelegt, sodass ein erneuter Aufruf zum Wettbewerb nicht erfolgt oder ist die Rahmenvereinbarung nur mit einem Unternehmen geschlossen, entfällt die weitere Informations- und Wartepflicht vor der Erteilung des jeweiligen Einzelauftrags.12 Ebenso wenig ist die Einhaltung einer Wartefrist erforderlich, wenn dem einzigen betroffenen Bieter auch der Zuschlag erteilt wird und wenn es keine betroffenen Bewerber gibt. In diesem Fall gibt es in dem Vergabeverfahren keine Person mit einem Interesse daran, die mit der Information verbundene Stillhaltefrist zu nutzen, die eine wirksame Nachprüfung ermöglichen soll.13

2.Verfahrensarten

14Die Informations- und Wartepflicht besteht unabhängig von der vom Auftraggeber gewählten Verfahrensart und ist für alle Verfahrensarten des § 119 Abs. 1 GWB gleichermaßen verbindlich.14 Mit Blick auf den Bieterschutz kommt es auch nicht darauf an, ob ein Verhandlungsverfahren mit oder ohne Teilnahmewettbewerb erfolgt ist,15 solange kein Fall der besonderen Dringlichkeit i. S. d. § 134 Abs. 3 Satz 1 GWB vorliegt, bei dem die Informationspflicht entfällt. Der Informations- und Wartepflicht ist unabhängig von der gewählten Verfahrensart nachzukommen.16

15Nachdem die Anwendbarkeit des vierten Teiles des GWB grundsätzlich nur davon abhängt, dass ein öffentlicher Auftraggeber (§§ 98 ff. GWB) einen öffentlichen Auftrag (§ 103 GWB) vergibt, der den maßgeblichen Schwellenwert (§ 106 GWB) erreicht oder überschreitet und keinen Ausnahmetatbestand erfüllt, ist § 134 GWB insbesondere auch dann anwendbar, wenn soziale oder andere besondere Dienstleistungen i. S. d. § 130 GWB vergeben werden, die im Einzelnen im Anhang XIV der VRL aufgeführt sind und besonderen Beschaffungsregelungen (Sonderregime) unterliegen.

3.De-facto-Vergaben

16Bei sogenannten de-facto-Vergaben, also Auftragsvergaben ohne eine erforderliche vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung, stellt sich die Frage des Entstehens der Informations- und Wartepflicht bzw. der direkten oder analogen Anwendbarkeit des § 134 Abs. 1 GWB nicht. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB sieht für diesen Fall die Unwirksamkeit des Vertrags vor, ohne an eine unterlassene Information oder eine nicht eingehaltene Wartefrist anzuknüpfen. Schließlich ist es gerade ein Wesensmerkmal der de-facto-Vergabe, dass Unternehmen ihr Interesse an einer Auftragserteilung nicht haben kundtun können. Ein Bieterstatus, der die Informations- und Wartepflicht auslösen könnte, kann gerade nicht entstehen.

II.Inhalt und Form der Information

1.Inhalt

17§ 134 Abs. 1 Satz 1 GWB verpflichtet den Auftraggeber, die betroffenen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über

– den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll,

– über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und

– über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses

zu informieren. Erst dieser gesetzlich vorgegebene Mindestinhalt lässt eine Mitteilung des Auftraggebers zu einer Information nach § 134 GWB werden und grenzt diese Information von anderen Mitteilungen des Auftraggebers – beispielsweise nach § 62 Abs. 1 VgV – ab.17

18§ 134 Abs. 1 GWB verlangt „die Gründe“ der vorgesehenen Nichtberücksichtigung anzugeben. Der Auftraggeber muss daher alle Gründe angeben, die für seine Angebotsablehnung (mit-)entscheidend waren. Gibt der Auftraggeber nicht alle Gründe an, kann er sich schadensersatzpflichtig machen. Er könnte beispielsweise nach § 182 Abs. 3 Satz 3 GWB die Kosten eines Nachprüfungsverfahrens zu tragen haben, wenn der Bieter aufgrund eines nicht bekannt gegebenen Ablehnungsgrunds im Verfahren unterliegt oder den Nachprüfungsantrag für erledigt erklärt und die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf der fehlerhaften Information durch den Auftraggeber beruhte.18

19Die Vorschrift gestattet es dem Auftraggeber, sich kurz zu fassen. Sie schreibt ihm nicht vor, Informationsschreiben mit umfangreichen Begründungen zu versehen, die beispielsweise der im Vergabevermerk festzuhaltenden Angebotsauswertung oder der Begründung eines schriftlichen Verwaltungsakts entsprechen.19 Die Begründung für eine Nichtberücksichtigung kann auch durch eine knappe Information in einem vorformulierten Standardschreiben erfolgen.20 Die Einhaltung der Vorschrift muss schließlich für den Auftraggeber auch bei einer großen Anzahl zu informierender Unternehmen noch praktikabel bleiben. Der Auftraggeber hat aber verständlich und präzise die Gründe zu benennen, warum das Angebot des betroffenen Bieters erfolglos geblieben ist.21 Der Bieter muss auf der Grundlage der Mitteilung zumindest in Ansätzen nachvollziehen können, welche konkreten Erwägungen für die Vergabestelle bei der Nichtberücksichtigung seines Angebots ausschlaggebend waren. Ein bloßer Hinweis darauf, dass das Angebot „nicht das wirtschaftlichste“ gewesen sei, genügt der Informationspflicht nicht. Bei der Wirtschaftlichkeit i. S. d. § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB handelt es sich um einen vom Auftraggeber auszufüllenden Oberbegriff.22 Die Anforderungen an den notwendigen Inhalt und die Verständlichkeit des Informationsschreibens hängen auch von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab,23 wobei die Komplexität des Auftrags und der daraus resultierende Aufwand für die Angebotserstellung zu berücksichtigen sind.24 Vor dem Hintergrund des Geheimwettbewerbs verbieten sich allerdings Informationen, mit der die unterlegenen Bieter über Einzelheiten des Konkurrenzangebotes informiert werden.25

Vergaberecht

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