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II.Regelungszweck

1.Keine Wettbewerbsrelevanz

8Die in § 138 GWB geregelten Ausnahmetatbestände für verbundene Unternehmen tragen dem Umstand Rechnung, dass administrative und wirtschaftliche Strukturen in der heutigen Zeit oft durch entsprechend gegliederte Gruppenstrukturen bestimmt sind, die zu einer spezifischen und spezialisierten Wahrnehmung unterschiedlicher Aufgaben des Gesamtunternehmens in rechtlich selbstständigen Einheiten führen.

9Gleichwohl ist es sachgerecht, den zwischen diesen Einheiten stattfindenden Leistungsaustausch vergaberechtlich als unternehmens- bzw. konzerninternen Vorgang einzuordnen. Die aufgrund der Konzernverbundenheit bestehenden Abhängigkeits- bzw. Beherrschungsverhältnisse legen die Schlussfolgerung nahe, derartige interne Vergaben nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu unterwerfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil unter der Voraussetzung, dass die Bearbeitung des konzerninternen Markts die Haupttätigkeit des Auftragnehmers ist, eine den allgemeinen Wettbewerb beschränkende (Außen)Wirkung dieser internen Leistungsbeziehung nicht zu befürchten ist.2 Die Ausnahme gilt nicht generell für den Leistungsaustausch der beiden Unternehmen, sondern ist auf den konkreten Vergabevorgang beschränkt, sofern die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen.3

2.Anwendung außerhalb der Sektoren

10§ 138 GWB ist für Sektorenauftraggeber, die außerhalb des Sektorenbereichs zugleich öffentliche Auftraggeber gem. § 99 GWB sind, parallel zu den dort geltenden Ausnahmeregelungen anwendbar. Dies gilt insbesondere für § 108 GWB, der die öffentlich-rechtliche Zusammenarbeit betrifft und von den in Betracht kommenden Auftraggebern (§ 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB) auch innerhalb des Sektorenbereichs angewendet werden kann.

11Private Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB können aber umgekehrt gem. § 108 Abs. 8 GWB auf die entsprechende Bestimmung des allgemeinen Kartellvergaberechts nicht zurückgreifen.

12Die konzernintern privilegierenden Bestimmungen gem. § 138 GWB stehen klassischen öffentlichen Auftraggebern außerhalb des Sektorenbereichs nicht zur Verfügung und stellen somit eine dem Sektorenbereich exklusiv vorbehaltende Erleichterung dar.

13Der den klassischen Auftraggebern eröffnete Weg, vergaberechtsfreie Aufträge im Wege sogenannter Inhouse Vergaben zu erteilen, unterliegt aber im Vergleich zu den Regelungen des Konzernprivilegs der § 138 GWB deutlich strengeren Anforderungen. Gemäß § 108 GWB muss der jeweilige öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss auf den potentiellen Auftragnehmer ausüben können.

III.Vorherige Rechtslage

1.Beherrschungsbegriff

14Bisher war das Konzernprivileg in den Bestimmungen des § 100b Abs. 6 und 7 GWB a. F. enthalten. Materiell bestanden Unterschiede vor allem darin, dass § 100b Abs. 6 und 7 GWB a. F. keinerlei Regelungen oder Definitionen für den Konzernverbund beinhaltet haben. Insoweit waren auf die jeweils geltenden handels- und gesellschaftsrechtlichen Konsolidierungsbestimmungen abzustellen – mit dem Risiko, dass die jeweils relevanten, mitgliedsstaatlichen Bestimmungen die entsprechend europarechtlich definierten vergaberechtlichen Anforderungen nicht (mehr) erfüllen würden.4

2.Umsatzrelation

15Im Vergleich zu § 100b Abs. 7 Satz 1 GWB a. F. ist die in § 138 Abs. 3 GWB enthaltene Bestimmung hinsichtlich der Ermittlung der quotalen Binnenumsätze nunmehr präzisiert worden. Dem Wortlaut der Norm nach ist insoweit nun der bezogen auf den in Rede stehenden Leistungssektor insgesamt erzielte durchschnittliche Umsatz heranzuziehen, der aus der Tätigkeit für den betreffenden Sektorenauftraggeber bzw. andere mit ihm verbundene Unternehmen stammt.

16Damit ist klargestellt, dass es im Hinblick auf die Berechnung der Umsatzrelation auf eine Berücksichtigung aller im Zuge der konkreten, auftragsrelevanten Tätigkeit anfallenden Umsätze des potenziellen Auftragnehmers ankommt. Entsprechend sind gem. § 138 Abs. 3 GWB nun auch Geschäftsverhältnisse mit der Mutter aber auch mit Schwesterunternehmen in den gesamten Satz einzubeziehen.5 Eine allgemeine, nicht auf den Tätigkeitssektor spezifizierte Umsatzrelation zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber genügt insoweit nicht (mehr).

17Die u. a. bisher zu § 100b Abs. 7 GWB a. F. vertretene Auffassung, dass die Umsatzschwelle nicht spartenweit, sondern leistungsbezogen, also im Hinblick auf die konkret beschaffungsgegenständliche Leistung zu ermitteln war, ist somit gegenstandslos.6

B.Gestaltung der Ausnahmen

I.Vertikales Konzernprivileg

18§ 138 Abs. 1 Nr. 1 GWB regelt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen eines Sektorenauftraggebers an ein mit diesem verbundenes Unternehmen zunächst für eine hierarchische Konzernbeziehung („vertikales Verhältnis“).

Abb. 1:


19Ob und inwieweit die Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer als Verbundenheit im Sinne des § 138 GWB gelten kann, ist anhand der diesbezüglichen Bestimmungen in § 138 Abs. 2 GWB zu ermitteln.

20Danach kann die Verbundenheit entweder durch eine handels- und gesellschaftsrechtlich angelegte konzernrechtliche Beherrschung (Vollkonsolidierung im Jahresabschluss eines anderen Unternehmens, § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB) oder aufgrund eines vergaberechtlich definierten nicht zwingend gesellschaftsrechtlichen Einflusses (§ 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB) entstehen.

II.Mittelbare Verbundenheit

21§ 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB regelt den Fall, dass ein von mehreren Sektorenauftraggebern zu Sektorenzwecken gegründetes Gemeinschaftsunternehmen Aufträge an ein drittes Unternehmen vergibt, das mit einem der Gründer (und Gesellschafter) des Gemeinschaftsunternehmens, also im Verhältnis zum Gemeinschaftsunternehmen mittelbar, verbunden ist. Die Verbundenheit des Auftragnehmers mit dem Auftrag gebenden Gemeinschaftsunternehmen genügt für die Anwendung des § 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB, wobei Abs. 2 Nr. 1 gegebenenfalls anzuwenden ist.7

Abb. 2:


22Weitere Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands ist es, dass das Gemeinschaftsunternehmen im Wesentlichen für den Sektorenauftraggeber oder für Mitgliedunternehmen tätig sein muss.

III.Merkmale der Verbundenheit § 138 Abs. 2 GWB

23Die Verbundenheit kann gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB einerseits anhand einer handelsrechtlich bilanziellen Einbeziehung im Sinne einer Vollkonsolidierung gegeben sein.

24Alternativ genügt die Verfügbarkeit eines beherrschenden Einflusses nach den Katalogpositionen in § 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB, die als vergaberechtlicher Auffangtatbestand, sonstige, vergaberechtlich definierte Beherrschungs- und Einflussstrukturen genügen lässt.8

1.Vollkonsolidierung (§ 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB)

25Gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB entsteht die Verbundenheit in handelsrechtlicher Hinsicht dadurch, dass der Jahresabschluss eines Unternehmens mit dem Jahresabschluss des betreffenden Auftraggebers in dem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens nach den Bestimmungen des § 271 Abs. 2 HGB im Wege der Vollkonsolidierung einbezogen ist. Dies ist entsprechend anhand der Vollkonsolidierung im Jahresabschluss als maßgebliches Kriterium festzustellen.

26Hinsichtlich der Frage des Konzernbegriffs ist auf § 18 AktG abzustellen. Die in § 18 Abs. 2 AktG geregelte Variante des Gleichordnungskonzerns, der ohne klare hierarchische Bezüge zu gestalten ist, begründet keine Mutter-Tochter-Beziehung. Entsprechend ist in diesen Strukturen keine handelsrechtliche Verbundenheit zu unterstellen. Verbunden im Sinne des § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB ist daher die Unterordnungsvariante gem. § 18 Abs. 1 AktG, die grundlegend auf die einheitliche Leitungsfunktion abstellt.

2.Vergaberechtliche Verbundenheit (§ 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB)

27Die vergaberechtliche Verbundenheit wird in den Fällen relevant, die trotz fehlender Vollkonsolidierung gleichwohl durch einen beherrschenden Einfluss zwischen den beteiligten Parteien gekennzeichnet sind. Auch wenn die handelsrechtlichen Anforderungen an die bilanzielle Einbeziehung nicht erfüllt sind, kann trotzdem ein im vergaberechtlichen Sinne hinreichender Einfluss bestehen, der die Annahme einer Verbundenheit im Sinne des § 138 GWB erlaubt.

28Die insoweit heranzuziehenden Auffangtatbestände des § 138 Abs. 2 Nr. 2 GWB verhindern, dass unsachgemäße Verwerfungen entstehen, die auf die nicht klar nachweisbare bzw. feststellbare Verbundenheit nach handelsrechtlichen Kategorien einerseits und auf den vergaberechtlich hinreichend tatbestandsmäßigen Einfluss anderseits zurückzuführen ist, der die verfahrensrechtliche Privilegierung unabhängig von den gesellschafts- und handelsrechtlichen Verhältnissen ermöglicht.

29Gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 2 lit. a und lit. b GWB ist der vergaberechtliche Beherrschungsbegriff dann gegeben, wenn entweder das verbundene Unternehmen einem beherrschenden Einfluss des Sektorenauftraggebers unterliegt oder umgekehrt das verbundene Unternehmen auf einen entsprechenden Auftraggeber einen derartigen Einfluss ausübt.

30§ 138 Abs. 2 Nr. 2 lit. c GWB lässt schließlich für die Annahme einer vergaberechtlichen Verbundenheit auch genügen, dass der Sektorenauftraggeber und das potenzielle Auftragsunternehmen als Schwesterunternehmen dem beherrschenden Einfluss einer entsprechenden Obergesellschaft unterliegen. Hinsichtlich der Beherrschung ist auf die Anforderungen des § 100 Abs. 3 GWB abzustellen, deren Vorliegen im Einzelfall eine Vermutung zugunsten einer Beherrschung bewirkt9 und daher zunächst keines weiteren Nachweises bedarf. Die Möglichkeit einer Beeinflussung genügt insoweit.10

31In diesem Falle gelten nicht nur Mutter- und Tochterunternehmen im hierarchischen Konzernaufbau zueinander als verbundene Unternehmen, sondern auch Tochterunternehmen desselben Konzerns zueinander, sodass auch die horizontalen Verhältnisse der Schwesterunternehmen sowie vertikal zwischen Schwester- und Enkelunternehmen in den Anwendungsbereich des Privilegs einbezogen sind. Dies ist stimmig, da Motivation für die Einführung und Regelung des Konzernprivilegs u. a. ist, dass die Binnenstrukturen der Konzerne im Außenverhältnis als einheitliches Wirtschaftssubjekt anzusehen sind.

C.Tätigkeitskriterium (§ 138 Abs. 3 GWB)

I.Umsatzschwellen

32Aufgrund der Vorgabe in § 138 Abs. 3 GWB ist zur Heranziehung des Konzernprivilegs erforderlich, dass nur 20 % des Gesamtumsatzes des beauftragten Unternehmens in dem jeweiligen Leistungssektor aus Geschäftsbeziehungen mit Dritten stammen dürfen. 80 % des Gesamtumsatzes müssen auf interne Leistungserbringungen entfallen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Ermittlung des Tätigkeitsschwerpunktes auf die konkrete interne Leistungsbeziehung beschränkt bleibt und nicht durch sonstige, vergaberechtsfreie Drittbeschaffungen verwässert bzw. beschönigt wird.

33Aufgrund seines eindeutigen Wortlauts ist § 138 Abs. 3 GWB dahingehend zu verstehen, dass die jeweils relevante Gesamtumsatzschwelle für die unterschiedlichen Leistungssektoren (Liefer-, Bau- oder Dienstleistung) separat zu bestimmen ist. Ob tatsächlich die hinreichende Umsatzschwelle erreicht wurde, ist bezogen auf den jeweiligen Leistungssektor (Bau-, Liefer- oder Dienstleistung) in Abhängigkeit davon zu ermitteln, welche konkrete Leistung im Rahmen der in Rede stehenden Vergabe beabsichtigt ist. Der Begriff Leistungssektor schließt also im Sinne des § 138 Abs. 3 GWB eine Unterscheidung nach den entsprechenden Unternehmenssparten oder -tätigkeiten aus, sondern erfasst – jeweils bezogen auf die relevante Auftragskategorie (Liefer-, Bau- oder Dienstleistung) alle Umsätze, die der Auftragnehmer mit dem betreffenden Auftragnehmer insgesamt mit seinem Unternehmen erzielt hat.11

34Die Relation wird gebildet anhand des auf den entsprechenden Leistungssektor ermittelten Gesamtumsatzes des Auftragnehmers im Verhältnis zu dem Umsatz, den der Auftragnehmer bezogen auf diesen Leistungstyp aus Leistungsbeziehungen mit dem Sektorenaufgeber oder anderen mit ihm verbundenen Unternehmen erzielt hat. Dabei ist auf den jeweils konkreten Auftraggeber abzustellen.

35Eine konsolidierte Betrachtung in dem Sinne, dass im Rahmen der Ermittlung der Umsatzschwelle auch solchen Leistungstypen entsprechende Umsätze berücksichtigt werden, die zwar nicht für den potentiellen Auftraggeber, sehr wohl aber für dessen Schwesterunternehmen erbracht wurde, widerspricht dem Wortlaut der Norm.12

II.Prognose

36§ 138 Abs. 5 GWB regelt die Fälle, in denen historische Umsatzzahlen gar nicht oder nur in nicht hinreichender zeitlicher Dauer vorhanden sind. In diesen Fällen muss glaubhaft dargelegt werden, dass mit dem Erreichen der 80 % Schwelle ernsthaft gerechnet werden kann. Hier ist auf entsprechend substantielles und aussagekräftiges Planmaterial der Wirtschaftsplanung zurückzugreifen.13

III.Zusammengeschlossene Unternehmen

37§ 138 Abs. 4 GWB regelt, dass bei mehreren verbundenen und wirtschaftlich zusammengeschlossenen Unternehmen die gem. § 138 Abs. 3 GWB relevante Schwelle unter Berücksichtigung des Gesamtumsatzes für alle diese Unternehmen bestimmt werden kann. Die Maßgaben zur Umsatzermittlung gemäß § 138 Abs. 3 GWB gelten entsprechend.14

38Der wesentliche Unterschied zu den übrigen Vorgaben im Rahmen der Schwellenermittlung liegt darin, dass die insoweit im Rahmen der Umsatzermittlung zusammen veranlagten Unternehmen nicht nur solche sind, die konzern- oder vergaberechtlich verbunden sind, sondern zusätzlich das Merkmal eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses aufweisen.

39Letzteres ist ein Merkmal, das im Wesentlichen dann zur Anwendung kommt, wenn die Verbundenheit nicht durch die handelsrechtliche Konsolidierung gem. § 138 Abs. 2 Nr. 1 GWB erzielt wird. Im Rahmen der Vollkonsolidierung wird zugleich unterstellt, dass die betroffenen Unternehmen als Wirtschaftsunternehmen betrachtet werden. Somit ist das Merkmal des wirtschaftlichen Zusammenschlusses im Wege der Vollkonsolidierung ohne weiteres erfüllt.

§ 139 GWBBesondere Ausnahme für die Vergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen

(1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen,

1. die ein Gemeinschaftsunternehmen, das mehrere Sektorenauftraggeber ausschließlich zur Durchführung von Sektorentätigkeiten gebildet haben, an einen dieser Auftraggeber vergibt oder

2. die ein Sektorenauftraggeber, der einem Gemeinschaftsunternehmen im Sinne der Nummer 1 angehört, an dieses Gemeinschaftsunternehmen vergibt.

(2) Voraussetzung ist, dass

1. das Gemeinschaftsunternehmen im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 gebildet wurde, um die betreffende Sektorentätigkeit während eines Zeitraums von mindestens drei Jahren durchzuführen, und

2. in dem Gründungsakt des Gemeinschaftsunternehmens festgelegt wird, dass die das Gemeinschaftsunternehmen bildenden Sektorenauftraggeber dem Gemeinschaftsunternehmen mindestens während desselben Zeitraums angehören werden.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1, 2
B. Regelungsstruktur 3–12
I. Beteiligte Unternehmen 3–6
II. Gemeinschaftsunternehmen 7–10
III. Mindestdauer der Kooperation 11, 12
C. Abgrenzung zu § 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB 13–15

A.Vorbemerkungen

1§ 139 GWB folgt der Ausnahmebestimmung des § 138 GWB, der das sogenannte Konzernprivileg regelt.

2Während § 138 GWB Unternehmen betrachtet, die aufgrund bestehender Einfluss- und Beherrschungsverhältnisse als verbunden angesehen werden und Ausnahmetatbestände regelt, die für (konzern)interne Beschaffungsvorgänge gelten, befasst sich § 139 GWB mit privilegierten Vergaben durch und an Joint Venture Unternehmen.

Hierbei handelt es sich um Zusammenschlüsse, die als Gemeinschaftsunternehmen zwar unterschiedliche Gesellschafter in eine gesellschaftsrechtliche oder konsortialvertragliche Beziehung bringen, jedoch weder vertikal noch horizontal zu Konsolidierungseffekten im Sinne des Handelsrechts führen.

Privilegiert werden insoweit Auftragsverhältnisse, die im Rahmen der Kooperation verschiedener Sektorenauftraggeber begründet werden sollen und die keine (wettbewerbliche) Außenwirkung haben.1

B.Regelungsstruktur

I.Beteiligte Unternehmen

3§ 139 Abs. 1 GWB erfasst ähnlich wie § 138 GWB vertikale Leistungsbeziehungen, nämlich interne Beschaffungsvorgänge, die von einem Gemeinschaftsunternehmen an einen seiner Gründer oder durch einen der Gründer an das Gemeinschaftsunternehmen, also jeweils von oben nach unten oder unten nach oben, erfolgt.2

Abb. 1:


4Gemäß § 139 Abs. 1 Nr. 1 GWB sind Auftragsvergaben durch ein Gemeinschaftsunternehmen an die das Gemeinschaftsunternehmen (mit)gründenden Sektorenauftraggeber von der Anwendung des Kartellvergaberechts ausgeschlossen. § 139 Abs. 1 Nr. 2 GWB lässt dies auch in der umgekehrten Richtung zu, nämlich für den Fall, dass einer der gründenden Sektorenauftraggeber einen Auftrag an das Gemeinschaftsunternehmen vergibt.

5Davon abzugrenzen ist die Konstellation in § 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Dort geht es um die Vergabe durch ein Gemeinschaftsunternehmen an ein mit einem seiner Gründungsgesellschafter verbundenes Unternehmen.

6Von § 138 Abs. 1 Nr. 1 GWB unterscheidet sich § 139 GWB insoweit, dass zwischen Gemeinschaftsunternehmen und Gründungsgesellschaftern keine Verbundenheit entsprechend handels- oder vergaberechtlicher Maßstäbe vorliegen muss.

II.Gemeinschaftsunternehmen

7§ 139 Abs. 1 Nr. 1 GWB erfasst Gemeinschaftsunternehmen, die mehrere Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 GWB zu dem ausschließlichen Zweck gegründet haben, Sektorentätigkeiten durchzuführen. Das Wort „ausschließlich“ ist strikt auszulegen und schließt aus, dass in den Gründungsbestimmungen des Unternehmens andere als Sektorentätigkeiten zu gemeinsamen Ausübung zugelassen oder bestimmt sind.3

8Jenseits der Zwecksetzung bestehen gemäß § 139 GWB nur geringfügige formale Anforderungen an das Gemeinschaftsunternehmen. Zwar schließt eine Beteiligung sektorenfremder Gesellschafter die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung aus, doch besteht keine Begrenzung hinsichtlich der Anzahl möglicher Mitgesellschafter.4 Auch die Rechtsform ist frei wählbar, sofern eine rechtliche Selbstständigkeit durch einen entsprechenden Gründungsakt herbeigeführt wird. Dass die Norm insoweit auf eine Gründung referenziert, verdeutlicht, dass ein Mindestmaß an gesellschaftsrechtlicher Struktur bezogen auf die Kooperation herbeigeführt werden muss.5

9Das folgt letztlich auch daraus, dass zwischen dem Gemeinschaftsunternehmen und den Gründern zivilrechtliche Auftragsbeziehungen im Sinne einer Vergabe möglich sein müssen. Auch dies setzt voraus, dass die Struktur des Gemeinschaftsunternehmens über ein Mindestmaß an Rechtsfähigkeit verfügen muss, damit es – zum Beispiel nach den Regeln einer BGB Gesellschaft – Träger von Rechten und Pflichten sein kann.

10Insoweit umfasst die Legaldefinition in § 139 Abs. 1 GWB den Begriff des Joint Ventures, der die Unternehmenskooperationen beschreibt, die zwischen mehreren rechtlich und wirtschaftlich voneinander unabhängigen Unternehmen aufgebaut werden, um gemeinsame Vorhaben zu realisieren. Eine gesellschaftsrechtliche Verbundenheit muss zwischen den Beteiligten nicht vorliegen.

III.Mindestdauer der Kooperation

11§ 139 Abs. 2 Nr. 1 GWB verlangt als weitere Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmebestimmung, dass das Gemeinschaftsunternehmen gebildet wurde, um die betreffende Sektorentätigkeit mindestens für die Dauer von drei Jahren durchzuführen. Gemäß § 139 Abs. 2 Nr. 2 GWB ist darüber hinaus – quasi spiegelbildlich – erforderlich, dass im Rahmen des Gründungsakts festgelegt wird, dass die jeweiligen Sektorenauftraggeber während dieser Zeit an der Kooperation beteiligt bleiben. Insoweit sind also Mindesthaltefristen aufzunehmen, die die zeitliche Dauerhaftigkeit herbeiführen und belegen.

12Die zusätzliche Anforderung beugt einem Missbrauch dergestalt vor, dass eine „Einzelfallgründung“ ausgeschlossen wird, mit der beabsichtigt wird, lediglich ein einzelnes Beschaffungsvorhaben von der Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts auszuschließen.6 Ein Verstoß gegen diese Mindestmitgliedschaft – etwa durch Änderungen im Gesellschaftskreis – führt daher zum Verlust des Ausnahmeprivilegs.7

C.Abgrenzung zu § 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB

13Die in § 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB geregelte Fallgruppe unterscheidet sich insoweit, als eine dritte Partei hinzukommt. Die Vergabe findet nicht zwischen Gemeinschaftsunternehmen und Gründungsgesellschaftern statt, sondern bezieht sich auf ein drittes Unternehmen, das als separates Unternehmen mit einem der das Gemeinschaftsunternehmen gründenden Sektorenauftraggeber verbunden ist.

14Anders als in den Konstellationen des § 139 GWB setzt die Anwendung der Ausnahme in diesem Fall (§ 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB) voraus, dass die Umsatzrelationen gem. § 138 Abs. 3 GWB erreicht sind.

15Dies ist sachgerecht, weil die Fallgruppe des § 138 Abs. 1 Nr. 2 GWB über die vertikale Verbundbeziehung hinausgeht. Eine gesellschaftsrechtlich vermittelte „Nähe“ zwischen den am Auftrag beteiligten Unternehmen besteht daher nur noch mittelbar bzw. in abgeschwächter Form. Nur durch Heranziehung der Umsatzrelation als zusätzliches tätigkeitsbezogenes Merkmal kann die durch eine Anwendungsbefreiung auf horizontaler Gleichordnungsebene stärker gegebene Gefahr eines Missbrauchs bzw. einer sachwidrigen Wettbewerbsprivilegierung ausgeschlossen werden.8

§ 140 GWBBesondere Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten

(1) 1Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf öffentliche Aufträge, die zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit vergeben werden, wenn die Sektorentätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen. 2Dasselbe gilt für Wettbewerbe, die im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit ausgerichtet werden.

(2) 1Für Gutachten und Stellungnahmen, die aufgrund der nach § 113 Satz 2 Nummer 8 erlassenen Rechtsverordnung vorgenommen werden, erhebt das Bundeskartellamt Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwands. 2§ 80 Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 Satz 1, Satz 2 Nummer 1, Satz 3 und 4, Absatz 5 Satz 1 sowie Absatz 6 Satz 1 Nummer 2, Satz 2 und 3 gilt entsprechend. 3Hinsichtlich der Möglichkeit zur Beschwerde über die Kostenentscheidung gilt § 63 Absatz 1 und 4 entsprechend.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1–11
I. Funktion 1, 2
II. Struktur 3–11
1. Freistellungsvoraussetzung 4–6
2. Stellungnahme des Bundeskartellamts 7–11
B. Freistellungsverfahren 12, 13
C. Freistellungsvoraussetzungen 14–24
I. Zugängliche Märkte 15, 16
II. Unmittelbarer Wettbewerb 17–24
D. Kostenerstattung 25
E. Bisherige Entscheidungspraxis 26–36
I. Übersicht 26–29
II. Freistellungspraxis für deutsche Sektoren 30–36
1. Erzeugung und Großhandel Strom 30–33
2. Endkundenvertrieb Strom und Gas 34–36

A.Vorbemerkungen

I.Funktion

1Für Vergaben im Rahmen von Sektorentätigkeiten auf wettbewerblichen und frei zugänglichen Märkten ist die Anwendung des Sektorenvergaberechts nicht mehr geboten, da diese Märkte allen Bietern und Interessenten ohne Weiteres unmittelbar und gleichberechtigt zugänglich sind. Es besteht insoweit im Interesse funktionierender Märkte keine Notwendigkeit mehr, Sektorenauftraggeber im Hinblick auf das anzuwendende Vergabeverfahren strenger zu behandeln, als sonstige private Unternehmen, die auf dem gleichen Markt tätig sind1 und keinerlei vergaberechtlichen Vorgaben unterliegen.

2Vor diesem Hintergrund hat § 140 GWB in Umsetzung von Art. 34 SRL Vorgaben für einen Freistellungstatbestand normiert, der bestimmte Sektoren oder Sektorenbereiche, sofern sie als relevanter sachlicher und räumlicher Markt die Merkmale Wettbewerblichkeit und unmittelbare Zugänglichkeit aufweisen, von der Verpflichtung zur Anwendung des Sektorenvergaberechts freistellt.2 Zur Freistellung in Betracht kommen sogenannte liberalisierte Sektorenbereiche.3

II.Struktur

3Die Vorschrift gliedert sich in zwei Elemente (Abs. 1 und Abs. 2), die unterschiedliche Aspekte des Freistellungsverfahrens regeln:

1.Freistellungsvoraussetzung

4§ 140 Abs. 1 Satz 1 GWB formuliert die materiell gesetzlichen Voraussetzungen einer Freistellungsfähigkeit im Sinne eines Obersatzes: Unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Sektorentätigkeiten auf Märkten, die keinen Zugangsbeschränkungen unterliegen, sind im Sektorenbereich von der Anwendungsverpflichtung des vierten Teils des GWB befreit.

5Gemäß § 140 Abs. 1 Satz 2 GWB gilt diese Freistellung auch für entsprechende Wettbewerbsverfahren gemäß § 103 Abs. 6 GWB i. V. m. §§ 60 ff. SektVO.

6Obwohl dem Wortlaut der Norm nach die Rechtsfolge einer Freistellung bereits unmittelbar an das Vorliegen der objektiv wettbewerblichen Marktbedingungen im Sinne eines Tatbestandsmerkmals geknüpft ist, ergibt sich diese ­Freistellung nicht automatisch anhand der ggf. vorliegenden Freistellungsmerkmale. Die Freistellungswirkung setzt vielmehr den vollständigen Ablauf eines formalisierten Frei- und Feststellungsverfahrens durch die EU-Kommission voraus.4 Dieses Verfahren ist wiederum außerhalb des GWB in § 3 SektVO geregelt, der seinerseits die europarechtlichen Vorgaben gemäß Art. 35 SRL umsetzt.

2.Stellungnahme des Bundeskartellamts

7§ 140 Abs. 2 GWB regelt die materiell-rechtlichen Grundlagen für die im Rahmen der bundeskartellamtlichen Stellungnahme entstehenden Aufwendungen durch die Behörde. § 140 Abs. 2 Satz 1 GWB nimmt dabei Bezug auf die Kostenverursachung durch die nach § 113 Satz 2 Nr. 8 GWB erlassenen Rechtsverordnung. Hierbei handelt es sich um die Sektorenverordnung.

8§ 3 SektVO ist die korrespondierende Verordnungsbestimmung zu § 140 GWB und regelt die konkreten Abläufe des Verfahrens, in dessen Zusammenhang gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 SektVO auch eine Stellungnahme des Bundeskartellamts beizufügen ist, deren Inhalte und Strukturen in § 3 Abs. 3 SektVO vorgegeben sind. Insoweit geht die deutsche Umsetzung über die Anforderungen des europarechtlichen Rahmens hinaus, denn Art. 35 Abs. 1 Satz 1 SRL sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, einen entsprechenden Freistellungsantrag auch ohne Stellungnahme der nationalen Kartellbehörde zu stellen.

9Die übrigen Verfahrensbeteiligten auf mitgliedsstaatlicher Ebene (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur) haben keine formelle Entscheidungsbefugnis. Dies gilt auch, wenn die entsprechende Sektorentätigkeit Märkte betrifft, die in ihrer regionalen Abgrenzung auf mitgliedsstaatliches Territorium begrenzt sind. Vor dem Hintergrund, dass Art. 34 Abs. 1 SRL die Beurteilung der Freistellungsvoraussetzungen auf die mitgliedsstaatliche Ebene beschränkt, erscheint dies zunächst fraglich. Die Konzentration der Entscheidungshoheit auf die supranationale Behörde ist dennoch stimmig, denn die Freistellung wird im Zusammenhang mit einer kartellvergaberechtlichen Anwendungsverpflichtung beantragt, deren Geltung erst mit Erreichen der Schwellenwerte beginnt. Dadurch weist der zu beurteilende Sachverhalt – unabhängig von einer regionalen Beschränkung der Sektorentätigkeit – stets binnenmarktrelevante Bezüge auf.

10Die Aufteilung zwischen § 140 GWB und § 3 SektVO vollzieht die nunmehr durchgängig vorgenommene Unterscheidung zwischen materiell-rechtlichen Vorgaben und den entsprechenden Durchführungsbestimmungen auch für die Freistellung aufgrund liquiden Wettbewerbs. § 140 GWB definiert sowohl hinsichtlich der materiellen Freistellungsanforderung, nämlich unmittelbar wettbewerbliche Märkte ohne Zugangsbeschränkung (§ 140 Abs. 1 GWB) sowie der materiellen Kostentragungspflicht im Rahmen der bundeskartellamtlichen Einbeziehung (§ 140 Abs. 2 GWB) die materiell rechtlichen Obersätze.

11Die zur Durchführung des Verfahrens einzuhaltenden Schritte, Zuständigkeiten, Formerfordernisse und inhaltlichen Vorgaben im Übrigen regelt § 3 SektVO. Dies alles war bisher ebenfalls auf Ebene der Verordnung geregelt (§ 3 SektVO a. F.). Allerdings enthielt § 3 SektVO a. F. auch Wiederholungen der materiellen Ausnahmetatbestände in § 100b Abs. 4 Nr. 4 GWB a. F., die nun entfallen sind.5

B.Freistellungsverfahren

12Die formalen Verfahrensschritte zur Feststellung eines Ausnahmetatbestandes gemäß § 140 GWB sind in den Bestimmungen in § 3 SektVO geregelt. Danach wird die Feststellungsentscheidung durch die Europäische Kommission getroffen, jeweils auf Antrag eines Auftraggebers (§ 3 Abs. 1 SektVO), oder einer Verbandsorganisation der (Sektoren)Auftraggeber (§ 3 Abs. 2, Satz 3 SektVO) oder des BMWi (§ 3 Abs. 5 SektVO).

13Unabhängig von entsprechenden Anträgen kann die Kommission auch selbst ein entsprechendes Verfahren einleiten (§ 3 Abs. 5 Satz 4 SektVO). Die Freistellungswirkung tritt entweder durch entsprechende ausdrückliche Entscheidung der Kommission oder bei fehlender fristgerechter Entscheidung – quasi im Wege der Fiktion – durch entsprechende Säumnisfeststellung des BMWi im Bundesanzeiger ein (§ 3 Abs. 6 SektVO).

C.Freistellungsvoraussetzungen

14Die materiellen Freistellungsvoraussetzungen finden sich im § 140 Abs. 1 GWB. Danach besteht keine Verpflichtung zur Anwendung des Sektorenvergaberechts, wenn die Sektorentätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keinen Zugangsbeschränkung unterliegen. Insoweit ist eine einzelfallbezogene Gesamtschau sämtlicher relevanter Aspekte vorzunehmen.6

I.Zugängliche Märkte

15Die freie Marktzugänglichkeit ergibt sich entsprechend der europarechtlichen Vorgabe in Art. 34 Abs. 3 Satz 1 SRL aufgrund einer Vermutungswirkung, sofern der für den Antragssteller relevante Mitgliedsstaat die im Anhang III zur SRL aufgeführten Rechtsvorschriften der europäischen Union umsetzt und anwendet.

Die entsprechende Marktfeststellung kann für Sektoren oder Sektorteile gelten. Beispielsweise ist für den Bereich der Energieerzeugung zwischen der Erzeugung aus konventionellen Großproduktionsanlagen einerseits und der regenerativen Energieerzeugung zu unterscheiden. Dabei werden durchaus unterschiedliche Bewertungen für die Anwendbarkeit der vergaberechtlichen Bestimmungen getroffen.

16Sind die Voraussetzungen für die Vermutungswirkung für eine Freistellung aufgrund nicht hinreichend vollzogener Umsetzung der Vorschriften aus Anhang III nicht gegeben, ist der Antrag trotzdem nicht unmittelbar unbegründet. Vielmehr kann der Antragssteller nachweisen, dass die Merkmale Wettbewerbsmarkt und freier Marktzugang faktisch und rechtlich gegeben sind.7

II.Unmittelbarer Wettbewerb

17Für die Subsumtion dieses Merkmals spielen objektive Kriterien unter Berücksichtigung der jeweiligen sektorspezifischen Merkmale und Umstände eine Rolle.8

18Die Beurteilung der wettbewerblichen Situation des betreffenden Sektors muss dabei in Einklang mit den wettbewerbsrechtlichen Grundannahmen und -vorgaben des Gemeinschaftsrechts getroffen werden. Maßgeblich sind insoweit die relevanten Wettbewerbs- und Beihilferegeln gemäß Art. 101 bis 109 AEUV9 und im Zuge deren Auslegung, Anwendung und Fortentwicklung ergangene Rechtsprechung des EuGH.10

19Relevante Kriterien können Beschaffungsalternativen sein, die aus Sicht des Anbieters oder Nachfragers als austauschbar angesehen werden, sowie die Anbietervielfalt für die zu beschaffende Leistung. Die insoweit herangezogenen Kriterien müssen gemäß Art. 34 Abs. 2 SRL darüber hinaus mit den Wettbewerbsbestimmungen des Vertrags in Einklang stehen.

20Die Feststellungen hinsichtlich der markt- und wettbewerbsspezifischen Anwendungsanforderungen werden bezogen auf den tatsächlich, sachlich und räumlich abgrenzbaren Markt, geprüft und beurteilt. Die sachliche Abgrenzung eines entsprechenden Referenzmarkts erfolgt danach, welche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen aus Sicht der Verbraucher gegeneinander ersetz- bzw. substituierbar sind.11

21Räumlich grenzen sich Märkte danach ab, auf welchem (geographischen) Gebiet die beteiligten Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen anbieten und ob dort die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind.12

22Dabei geht es im Kern darum, die Wettbewerbssituation auf dem relevanten Markt zu beurteilen. Dabei erfolgt die Beurteilung im Rahmen einer Gesamtschau aller einzelfallspezifischen Aspekte.13

23Dabei wird insbesondere festgelegt, ob das relevante Marktgebiet national staatlich definiert ist oder räumlich größer im Sinne eines regionalen Markts oder als geographisch kleinerer Markt zu erfassen ist. Regionalität wird dabei an das Merkmal geknüpft, dass gleichartige Dienstleistungen mehrerer Auftraggeber in mehreren Ländern frei verfügbar sind.14

24Hinsichtlich der Beurteilung der Wettbewerbsintensität kommt es im Wesentlichen auf die Marktstärken der beteiligten Unternehmen an. Indiz für eine noch nicht frei liquide funktionierende Wettbewerbslage sind insbesondere die Marktkonzentration großer Marktanteile gegen die Portfolien einiger weniger Unternehmen.

D.Kostenerstattung

25§ 140 Abs. 3 GWB bürdet dem Antragssteller diejenigen Kosten auf, die im Rahmen der gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 SektVO beizubringenden Stellungnahme des Bundeskartellamts zum Befreiungsantrag anfallen. Die Kostenfestsetzung erfolgt aufwandsabhängig, wobei der Höchstbetrag auf einen maximalen Betrag von 50.000 Euro begrenzt ist, unter erschwerten personellen und sachlichem Aufwand bis zu 100.000 Euro.

E.Bisherige Entscheidungspraxis

I.Übersicht

26In Rahmen der bisherigen Geltung des Kartellvergaberechts sind bereits europaweit eine Reihe von Entscheidungen zur Freistellung unter dem Aspekt wettbewerblicher, zugänglicher Märkte ergangen. Diese im Wesentlichen aufgrund der alten Rechtsgrundlage im Art. 30 SKR 2004/17/EG. Diese sind auch weiterhin gültig.15

27Ob eine Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist, wird nach objektiven Kriterien festgestellt, wobei die besonderen Merkmale des betreffenden Sektors zu berücksichtigen sind.16

28Es handelt sich um die Entscheidungen: Stromverkauf, Beschluss der europäischen Kommission vom 19.6.2006 (2006/422/E), England, Schottland und Wales: Lieferung von Strom und/oder Erdgas Beschluss der europäischen Kommission vom 26.2.2007 (2007/141/EG), Schweden: Stromerzeugung oder Stromverkauf, Beschluss der europäischen Kommission vom 29.10.2007 (2007/706/EG), Österreich: Erzeugung von Strom, Beschluss vom 7.2.2008 (2008/585/EG), Niederlande: Aufsuchen von Erdöl und Erdgas Vorkommen und deren Förderung, Beschluss vom 8.7.2009 (2009/546/EG), Italien: konventionelle Stromerzeugung und Strom-Großhandel, Beschluss vom 14.7.2010 (2010/403/EG) Beschluss vom 26.9.2013 (2012/539/EU) und Deutschland: Erzeugung und Erstabsatz von aus konventionellen Quellen erzeugten Strom, Beschluss vom 24.4.2012 (2012/218/EU).

29Für den Bereich der Energieversorgung hat die Kommission im Rahmen der Freistellungsentscheidungen hinsichtlich der Bewertung eines unmittelbaren Wettbewerbs die insoweit relevanten Kriterien konkretisiert auf (1) Marktanteil der Hauptakteure, auf den (2) marktspezifischen Konzentrations- und Liquiditätsgrad sowie beispielhaft für weitere marktrelevante Kriterien auf den (3) Preiswettbewerb, (4) das Ausmaß, in dem Kunden den Versorger wechseln17 und schließlich auf das (5) unverzerrte Funktionieren der Ausgleichsmärkte. Letzteres ist gegeben, wenn Marktteilnehmer nicht mit im Vergleich zum Verkaufspreis überhöhten Bezugskonditionen von Ausgleichslieferungen des Übertragungsnetzbetreibers belastet sind. Sachlich werden die Energiemärkte in Deutschland nach den Sparten Strom, Gas und Fernwärme abgegrenzt.18

II.Freistellungspraxis für deutsche Sektoren

1.Erzeugung und Großhandel Strom

30Für den deutschen Markt kam es mit Beschluss vom 24.4.2012 bezogen auf die Erzeugung und den Großhandel von Strom aus konventionellen Quellen zu einer ersten Befreiung von der Anwendungsverpflichtung des Sektorenvergaberechts. Die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen blieb angesichts der geltenden EEG Reglementierung ausdrücklich unberücksichtigt und unterliegt weiterhin dem Sektorenvergaberecht.

31Angesichts der hohen Marktkonzentration der drei großen Stromerzeuger im Jahr 2010 konnten Kommission und Bundeskartellamt seinerzeit die materiellen Voraussetzungen einer entsprechenden Freistellung für diesen Markt noch nicht bejahen. Dieser Situation verändert sich im Laufe der Jahre durch die zunehmende Liberalisierung und Wettbewerblichkeit der Strommärkte soweit, dass angesichts sinkender Marktstärken einzelner Anbieter insgesamt eine positive Feststellung eines liquiden Wettbewerbs auf zugänglichen Märkten vertretbar ist.

32Dies ist allerdings beschränkt auf den Bereich konventioneller Stromerzeugung. Aufgrund der gesetzlich stark reglementierten Einspeisestruktur und -vergütung für Strom aus regenerativen Energieerzeugungsanlagen kommt die Europäische Kommission für den Bereich der regenerativen Energieerzeugung zu einer anderen Wertung, da ihrer Meinung nach Erzeugung und Vermarktung aufgrund der Mechanismen des EEG nicht wettbewerblich organisiert sind und Absatz und Vergütung in ihrer Entwicklung und Wirkung unabhängig von Nachfrage – und Preissignalen sind. Diese sind keine Rahmenbedingungen, die entwickelte, frei zugängliche Märkte kennzeichnen.

33Ebenfalls von der Freistellung erfasst sind mit der Stromerzeugung verbundene Tätigkeiten, wie es bei Kraft-Wärme Kopplungsanlagen (KWKG) der Fall ist.19 Das steht in latenter Spannung zur Ausnahme der Freistellung bezüglich regenerativer Energieerzeugung gemäß EEG. Darunter fällt auch Strom aus KWKG-Anlagen.20 Insoweit also Wärme- und Stromproduktion in einer solchen Anlage zusammentreffen, ist für die Anwendbarkeit der Freistellungsentscheidung zu ermitteln, ob die Stromerzeugung und die damit verbundenen Anwendung des EEG den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Bestätigung ausmachen. Gegebenenfalls bleibt das Sektorenvergaberecht anwendbar.

2.Endkundenvertrieb Strom und Gas

34Vor dem Hintergrund einer entsprechend bestätigenden Stellungnahme des Bundeskartellamts hat die EU-Kommission am 15.7.2016 ebenfalls eine grundsätzlich positive Freistellungsentscheidung zu den deutschen Elektrizitäts- und Gaseinzelhandelsmärkten.

35Folgende Leistungen unterliegen hinsichtlich ihrer Beschaffung nicht mehr den sektorenvergaberechtlichen Bestimmungen und Verfahrensvorgaben: Messungs- und Abrechnungswesen, Inkasso- und Forderungsmanagement, Postdienste, Callcenterdienste, vertriebliche IT Dienstleistungen, Marketingdienste.21

36Dabei bleiben die Grundversorgung mit Strom und Gas (SLP Segment gemäß §§ 36 und 38 EnWG) sowie die Versorgung von Heizstromkunden aber ausdrücklich von der Freistellung ausgenommen, da diesbezüglich im Rahmen der Stellungnahme des Bundeskartellamts die wettbewerblichen Voraussetzungen verneint und der dem Freistellungsverfahren zugrunde liegende Antrag entsprechend reduziert worden ist.22 Das bedeutet, dass auf diesen Marktstufen weiterhin Sektorenvergaberecht anzuwenden ist.

§ 141 GWBVerfahrensarten

(1) Sektorenauftraggebern stehen das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog nach ihrer Wahl zur Verfügung.

(2) Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und die Innovationspartnerschaft stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1, 2
B. Verhältnis zu § 119 GWB 3–16
I. § 119 GWB als Grundsatznorm 3
II. Sektorenspezifische Abweichungen 4–16
1. Freie Verfahrenswahl 5–8
2. Verfahren mit objektiven Abwendungsvoraussetzungen 9–13
a) Innovationspartnerschaft 10, 11
b) Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung 12, 13
3. Gesetzesvorbehalt gemäß § 141 Abs. 2 GWB 14–16

A.Vorbemerkungen

1§ 141 GWB regelt, welche Arten von Vergabeverfahren Sektorenauftraggeber im Sinne von § 100 GWB im Rahmen ihrer sektorenspezifischen Beschaffungsaktivitäten, also bei öffentlichen Aufträgen gemäß § 103 Abs. 1 bis 4 GWB, die Bezug zu Sektorentätigkeiten (§ 102 GWB) haben, anwenden dürfen.

2Die Bestimmung setzt die europarechtlichen Vorgaben in Art. 44 Abs. 1 bis 3 SRL um. Im Vergleich zur bisher durch § 101 Abs. 7 Satz 2 GWB definierten Rechtslage ergeben sich materiellrechtlich relevante Änderungen zunächst durch die Einführung des bisher für den Sektorenbereich nicht zugelassenen wettbewerblichen Dialogs.1 Darüber hinaus wird der neue Verfahrenstypus der Innovationspartnerschaft auch für Sektorenauftraggeber zur Verfügung gestellt. Jenseits dieser durch die Erweiterung des Verfahrenskanons entstehenden Abweichung bleibt es bei der bisherigen Rechtslage.2

B.Verhältnis zu § 119 GWB

I.§ 119 GWB als Grundsatznorm

3Welche Verfahrenstypen im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe nach Kartellvergaberecht grundsätzlich zulässig sind, regelt § 119 GWB als die insoweit zentrale Bestimmung.

II.Sektorenspezifische Abweichungen

4§ 141 GWB trifft besondere Regelungen für die Wahl von Vergabeverfahren im Sektorenbereich und modifiziert die allgemeine Bestimmung des § 119 GWB hinsichtlich der im Sektorenbereich abweichenden Anwendungsvoraussetzungen bestimmter Vergabeverfahren.

1.Freie Verfahrenswahl

5Gemäß § 141 Abs. 1 GWB bestehen für das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb sowie für den wettbewerblichen Dialog keine besonderen materiellen Voraussetzungen. Vielmehr steht den Sektorenauftraggebern insoweit ein uneingeschränktes, freies Wahlrecht zu, das in Abweichung zu den für sonstige öffentliche Auftraggeber geltenden Anforderungen auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und den wettbewerblichen Dialog einschließt.3 Vergabeverfahren im Sektorenbereich sind also diesbezüglich grundsätzlich privilegiert. Eine vergaberechtliche Verpflichtung kann sich aber außerhalb der Bestimmungen des GWB auch für Sektorenauftraggeber dann ergeben, wenn im Rahmen von Projekten Fördermittel oder Zuwendungen staatlicher Institutionen (Bundes-, Landes- oder EU-Mittel) einfließen und die entsprechenden Bescheide Auflagen enthalten, die zur Anwendung bestimmter vergaberechtlicher Vorschriften verpflichten.4

6Weitere Vorgaben bezüglich der Durchführung der jeweiligen Verfahren enthalten weder § 119 GWB noch § 141 GWB. Diese sind in Form verfahrenstechnischer Umsetzungsbestimmungen in der SektVO (§§ 13 bis 18 SektVO) geregelt.5 Materielle Anwendungsvoraussetzungen enthält die SektVO grundsätzlich nicht mehr.

7Das freie Wahlrecht gemäß § 141 gilt für alle Sektorenauftraggeber, d. h. auch öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 GWB, die eine Sektorentätigkeit ausüben (§ 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB), sind berechtigt, die Verfahrenstypen nach freier Wahl festzulegen. Diesbezüglich war die Rechtslage in der Vergangenheit umstritten, da § 101 Abs. 7 Satz. 2 GWB a. F. lange Zeit nur für „private“ Sektorenauftraggeber gemäß § 98 Nr. 4 GWB gegolten hat.6

8Das Wahlrecht bezieht sich jeweils auf eines der gesetzlich ausgebildeten Institute. Die Kombination verschiedener Verfahrenselemente nach Wunsch und Kreativität der Auftraggeber ist jedoch ausgeschlossen.7

2.Verfahren mit objektiven Abwendungsvoraussetzungen

9Nicht dem freien Wahlrecht unterliegen das Verhandlungsverfahren ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb sowie die Innovationspartnerschaft. Für diese beiden Vergabeinstitute ordnet § 141 Abs. 2 GWB ausdrücklich an, dass diese nur zur Anwendung gebracht werden, wenn die nach dem Gesetz definierten Anwendungsvoraussetzungen vorliegen. Welche das sind, ergibt sich aus § 141 GWB nicht.

10a) Innovationspartnerschaft. Bezogen auf die Innovationspartnerschaft ergeben sich Anwendungsvoraussetzungen aus § 119 Abs. 7 Satz 1 GWB. Demnach ist die Innovationspartnerschaft dann anwendbar, wenn Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, die als innovativ zu bezeichnen und noch nicht auf dem Markt verfügbar sind, zu beschaffen sind.

11Die korrespondierende Bestimmung auf Ebene der Sektorenverordnung, § 18 SektVO, greift dies auf und konkretisiert die Anforderungen dahingehend, dass der Beschaffungsbedarf, der in Innovationspartnerschaft bearbeitet und gelöst werden soll, nicht durch Leistungen befriedigt werden kann, die auf dem Markt bereits verfügbar sind (§ 18 Abs. 1 Satz 2 SektVO).

12b) Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung. Welche Anforderungen bestehen, um ausnahmsweise ein Verhandlungsverfahren ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb durchzuführen, ergibt sich aus § 13 Abs. 2 SektVO, der die jeweiligen Fallgruppen abschließend aufführt und regelt.

13Es handelt sich insoweit um eine der wenigen Ausnahmen, in der die SektVO jenseits der verfahrenstechnischen Auskleidung der Verfahrensabläufe materielle Bestimmungen enthält, die die Anwendungsvoraussetzungen vergaberechtlicher Verfahren als solche betreffen.

3.Gesetzesvorbehalt gemäß § 141 Abs. 2 GWB

14Der Wortlaut des § 141 Abs. 2 GWB erscheint ungenau, da sich bei strenger Betrachtung für die dort genannten Verfahrenstypen (Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und Innovationspartnerschaft) nur zum Teil, also bezüglich der Innovationspartnerschaft, Voraussetzungen im GWB und damit auf gesetzlicher Ebene finden.8 Diese sind überwiegend in der SektVO geregelt, und zwar für das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb im § 13 Abs. 2 SektVO und für die Innovationspartnerschaft im § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 SektVO.9

15Dadurch wird die dogmatische Struktur durchbrochen, der zufolge sämtliche materiellen Verfahrensvoraussetzungen auf Ebene des GWB geregelt werden10 und die entsprechenden Verordnungen lediglich verfahrenskonkretisierende Durchführungsbestimmungen beinhalten sollen. Das GWB enthält somit nicht sämtliche bzw. im Hinblick auf das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gar keine Bestimmungen über das Vorliegen der entsprechenden Anwendungsvoraussetzungen.

16Sofern insoweit auf die entsprechenden Bestimmungen der SektVO zurückzugreifen ist, lässt sich dies unter den Wortlaut von § 141 Abs. 2 GWB insoweit subsumieren, als die SektVO als solche aufgrund der Ermächtigungsgrundlage nach § 113 GWB erlassen wurde und in Kraft getreten ist.11 Damit sind die relevanten Ausnahmevoraussetzungen zumindest mittelbar auf das GWB zurückzuführen.

§ 142 GWBSonstige anwendbare Vorschriften

Im Übrigen gelten für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung von Sektorentätigkeiten die §§ 118 und 119, soweit in § 141 nicht abweichend geregelt, die §§ 120–129, 130 in Verbindung mit Anhang XVII der Richtlinie 2014/25/EU sowie die §§ 131–135 mit der Maßgabe entsprechend, dass

1. Sektorenauftraggeber abweichend von § 122 Absatz 1 und 2 die Unternehmen anhand objektiver Kriterien auswählen, die allen interessierten Unternehmen zugänglich sind,

2. Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 ein Unternehmen nach § 123 ausschließen können, aber nicht ausschließen müssen,

3. § 132 Absatz 2 Satz 2 und 3 nicht anzuwenden ist.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1–4
B. Verweis auf sonstige Bestimmungen 5–27
I. Unmittelbar anwendbares Vergaberecht 7, 8
II. Modifiziert anwendbares Vergaberecht 9–27
1. Verfahrensarten (§ 119 GWB) 9–11
2. Objektive Eignungskriterien (§ 122 GWB) 12–18
3. Ausschließungsgründe (§ 123 GWB) 19–23
4. Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB) 24–27

A.Vorbemerkungen

1§ 142 GWB fungiert als „Scharnier“ zwischen dem „Allgemeinen Teil“ des Kartellvergaberechts, also denjenigen GWB-Bestimmungen für klassische Auftraggeber einerseits und den sektorspezifischen Abweichungen, die im Unterabschnitt 1 des Abschnitts 3 geregelt sind und die die übrigen – grundsätzlich auch anwendbaren – Bestimmungen des vierten Teils, Unterabschnitt 2 im Abschnitt 2 ergänzen oder modifizieren andererseits.1

2Im Sinne einer Verweisungs- und Bezugnahmevorschrift ordnet § 142 GWB an, welche Bestimmungen des Allgemeinen Teils auch für Sektorenvergaben unmittelbar unverändert gelten und welche Vorschriften zwar anzuwenden sind, dabei aber im Sektorenbereich ggf. Veränderungen oder Modifikationen im Sinne einer privilegierenden Spezialregelung2 erfahren.

3Durch Anwendung einer sogenannten Rückverweisungstechnik vermeidet der Gesetzgeber, dass im Rahmen der jeweiligen Bestimmungen für auch klassische öffentliche Auftraggeber die sektorenvergaberechtlich spezifischen Abweichungen geregelt werden müssen und den entsprechenden Normtext durch Dopplungen und Modifikationen erweitern.3

4Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes (VergRModG) gab es keine dem § 142 GWB entsprechende Bestimmung, weil auch die wesentlichen materiellen Elemente des Sektorenvergaberechts in der SektVO a. F. enthalten waren. An der Funktion des § 142 GWB zeigt sich erneut, dass nun die wesentlichen Vorschriften auf gesetzlicher Ebene im GWB geregelt sind und die SektVO im Wesentlichen konkretisierende und verfahrenstechnische Ergänzungen beinhaltet.4

B.Verweis auf sonstige Bestimmungen

5§ 142 GWB benennt zunächst diejenigen Bestimmungen, die im Rahmen von Sektorenvergaben auf Ebene des GWB außerhalb des Unterabschnitts 1 zu Abschnitt 3 (§§ 136 ff. GWB) ebenfalls grundsätzlich anwendbar sind.

6Dabei ist zu unterscheiden zwischen solchen Bezugsbestimmungen, die unverändert anzuwenden sind und solchen, die im Rahmen des Sektorenvergaberechts modifiziert werden.

I.Unmittelbar anwendbares Vergaberecht

7Die unverändert anzuwendenden Vorschriften umfassen § 118, § 120 GWB, § 121 GWB, § 122 Abs. 3 und 4 GWB, § 124 GWB, § 125 GWB, § 126 GWB, § 127 GWB, § 128 GWB, § 129 GWB, § 130 GWB – i. V. m. Anhang XVII der SRL, § 131 GWB, § 132 GWB, § 133 GWB, § 134 GWB, § 135 GWB.

8Die vorgenannten Bestimmungen sind diejenigen von § 142 GWB genannten Bestimmungen, die weder durch § 142 GWB noch durch § 141 GWB sektorenspezifische Veränderungen erfahren.

II.Modifiziert anwendbares Vergaberecht

1.Verfahrensarten (§ 119 GWB)

9Gemäß § 142 Abs. 1 GWB gilt § 119 GWB, soweit in § 141 GWB keine abweichende Regelung enthalten ist. Eine solche trifft § 141 GWB im Hinblick auf § 119 Abs. 2 Satz 1 GWB, denn ergänzend zu den in § 119 Abs. 2 Satz 1 GWB frei wählbaren Verfahren (offenes Verfahren und das nicht offene Verfahren mit Teilnahmewettbewerb) steht den Sektorenauftraggebern bei Beschaffung mit Bezug zur Sektorentätigkeit gemäß § 141 Abs. 1 GWB ausdrücklich auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb sowie der wettbewerbliche Dialog nach Wahl zur Verfügung.

10Die modifizierende Regelung im Besonderen Teil der vergaberechtlichen Bestimmungen für Sektorenauftraggeber führt zu einer größeren Flexibilität, weil die Freiheit der Verfahrenswahl, also die voraussetzungsunabhängige Möglichkeit zum Einsatz bestimmter Verfahrenstypen, abweichend zu § 119 Abs. 2 Satz 1 GWB, um den wettbewerblichen Dialog sowie das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb erweitert wird.

11§ 141 Abs. 2 GWB belässt es für das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und die Innovationspartnerschaft dabei, dass diese nur dann eingesetzt werden dürfen, sofern deren gesetzliche Voraussetzungen vorliegen.

2.Objektive Eignungskriterien (§ 122 GWB)

12Gemäß § 142 Nr. 1 GWB kommt es im Sektorenvergaberecht zu Abweichungen von den grundsätzlich für öffentliche Auftraggeber geltenden Bestimmungen zur Eignungsbeurteilung gem. § 122 Abs. 1 und 2 GWB.

13§ 122 GWB regelt die Eignung im Sinne des Präqualifikationsmerkmals. Gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GWB ist die Eignung hinsichtlich der Kriterien der Befähigungs- und Erlaubnisverfügung (Abs. 2 Nr. 1), der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit (Abs. 2 Nr. 2) sowie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit (Abs. 2 Nr. 3) zu überprüfen.

14Diesen strikten Kriterienkanon erweitert § 142 Nr. 1 GWB insoweit, als die Eignung im Sektorenbereich anhand objektiver Kriterien definiert werden kann, die allen interessierten Unternehmen zugänglich zu machen sind.

15Sektorenauftraggeber haben demnach einen größeren Spielraum bei der Festlegung von Eignungsmerkmalen, nach denen sie die zur Zulassung im Vergabeverfahren geeigneten Bieter im Rahmen der Präqualifikation beurteilen wollen.5 Die korrespondierende Norm auf Ebene der SektVO ist § 46 SektVO, welcher jedoch nur in geringem Umfang eigenständige Regelungswirkung entwickelt.

16Zunächst ist § 46 Abs. 1 SektVO nahezu inhaltsgleich mit § 142 Nr. 1 GWB, da der Wortlaut beider Bestimmungen im Wesentlichen identisch ist. Was objektive Kriterien in diesem Sinne sein können, lässt sich weder § 142 Nr. 1 GWB noch § 46 Abs. 1 SektVO entnehmen. Lediglich die strukturellen Anforderungen der Transparenz und Gleichbehandlung werden vom Gesetz- und Verordnungsgeber verarbeitet, ohne inhaltliche Leitplanken zu geben.6

17Als in diesem Sinne objektiv dürften aber wie bisher auch weiterhin Kriterien gelten, die auftragsbezogen eine Feststellung der Eignung der Unternehmen ermöglichen, indem sie eine Beurteilung der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bewerber für die Ausführung des konkret ausgeschriebenen Auftrags zulassen,7 sofern die Vergabestelle die Anforderungen transparent und diskriminierungsfrei gestaltet. Denn bestehende Freiheitsgrade nicht zu nutzen, ist – anders als die umgekehrte Konstellation – rechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.8 Insofern steht es im Beurteilungsspielraum9 der Vergabestelle, wie sie die inhaltliche Festlegung und die relative Gewichtung der objektiven Eignungskriterien vornehmen will. Diesbezüglich besteht ein nur eingeschränkter Beurteilungsspielraum der Nachprüfungsinstanzen.10 Als sachgerecht gilt auch die Kriterienwahl zur quantitativen Begrenzung des Bieterfelds mit dem Ziel, den Ressourcenaufwand auf Seiten der Vergabestelle gering zu halten.11

18Auch § 46 Abs. 2 SektVO enthält ebenfalls keine inhaltliche Konkretisierung, worum es sich bei den für interessierte Unternehmen zugänglichen objektiven Kriterien handeln muss. Die Bestimmung erlaubt den Sektorenauftraggebern lediglich, die für klassische öffentliche Auftraggeber zwingend anzuwendenden Ausschlussgründe ebenfalls im Rahmen der von ihnen herangezogenen objektiven Eignungskriterien zu berücksichtigen. Die Verordnung greift insoweit die Regelung des § 142 Nr. 2 GWB auf, der die Handhabung der gesetzlich in § 123 GWB normierten Ausschließungsgründe im Sektorenbereich modifiziert.

3.Ausschließungsgründe (§ 123 GWB)

19Das Eignungsmerkmal der Zuverlässigkeit und Gesetzestreue ist im Allgemeinen Teil des Kartellvergaberechts für klassische öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes in § 123 GWB neu geregelt.

20§ 123 GWB beinhaltet zwingende Ausschlussgründe. Danach sind die Auftraggeber verpflichtet, bei den in § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 GWB aufgeführten strafrechtlichen Verfehlungen den betreffenden Bieter zwingend und ausnahmslos vom Verfahren auszuschließen. Ein diesbezüglicher Ermessensspielraum besteht nicht.

21Gemäß § 142 Nr. 2 GWB soll dies ebenfalls für staatsnahe, also solche Sektorenauftraggeber, die staatlicher Kontrolle unterliegen (§ 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB), gelten. Private Sektorenauftraggeber gem. § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB sind zur Anwendung des zwingenden Ausschlussgebots in § 123 GWB im Rahmen der Eignungsprüfung nicht verpflichtet. Allerdings sind sie berechtigt, (freiwillig) einen entsprechenden Ausschluss auf § 123 GWB zu stützen.

22Der zwingende Kanon an Ausschlussgründen gem. § 123 Abs. 1 GWB wird für private, also nicht der staatlichen Beherrschung unterliegende Sektorenauftraggeber für entsprechende Vergaben mit Bezug zur Sektorentätigkeit, auf einen fakultativen, also ins Ermessen der Vergabestelle gelegten Ausschlussgrund herabgestuft. Der Kanon kann daher im Rahmen der objektiven Kriterienbildung zur Eignungsprüfung herangezogen werden, ohne dass eine Verpflichtung dazu besteht. Dies ist wiederum eine Privilegierung der Sektorenauftraggeber, wobei sich das Wahlrecht nicht auf einzelne Ausschlussgründe des § 123 GWB bezieht, sondern nur seine Anwendung als Ganzes fakultativ zulässt.12

23Angesichts der Ausschlussgründe, die § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 GWB aufführt, dürfte es in der Regel ab entsprechender Kenntnis von deren Vorliegen im Einzelfall auch im fakultativen Bereich, also bei Verfahren von Sektorenauftraggebern gem. § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB, zu einem Ausschluss kommen. Es handelt sich um gravierende Vergehen bzw. Verbrechen, die eine Eignung dieses Unternehmens grundsätzlich unvorstellbar erscheinen lassen.

4.Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB)

24Gemäß § 142 Nr. 3 GWB sind die Bestimmungen gem. § 132 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB nicht anzuwenden.

25Bei diesen von der Anwendungspflicht im Sektorenbereich befreiten Bestimmungen handelt es sich um eine quantitative Begrenzung des Ausmaßes zulässiger Auftragsänderungen während der Laufzeit eines Vertrags. Dabei wird durch § 132 Abs. 2 Satz 2 GWB die zulässige Preisveränderung in Relation zu dem Wert des ursprünglichen Auftrags begrenzt. Auftragsänderungen sind danach unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen gem. § 132 GWB und den dort normierten Fallgruppen unzulässig, wenn allein aufgrund der Auftragsänderung der ursprüngliche Auftragswert um mehr als die Hälfte erhöht wird.

26§ 132 Abs. 2 Satz 3 GWB regelt die Fälle aufeinander folgender Auftragsänderungen und ordnet an, dass die gemäß Satz 2 geltende Wertgrenze für jede einzelne Änderung zu ermitteln ist.

27Diese quantitative Begrenzung gilt im Sektorenbereich nicht.13 Alle anderen Voraussetzungen, die § 132 Abs. 1 GWB sowie § 132 Abs. 3 GWB für diesbezügliche Änderungen vorsehen, gelten unverändert.

§ 143 GWBRegelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz

(1) 1Sektorenauftraggeber, die nach dem Bundesberggesetz berechtigt sind, Erdöl, Gas, Kohle oder andere feste Brennstoffe aufzusuchen oder zu gewinnen, müssen bei der Vergabe von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nach § 106 Absatz 2 Nummer 2 zur Durchführung der Aufsuchung oder Gewinnung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen festen Brennstoffen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der wettbewerbsorientierten Auftragsvergabe beachten. 2Insbesondere müssen sie Unternehmen, die ein Interesse an einem solchen Auftrag haben können, ausreichend informieren und bei der Auftragsvergabe objektive Kriterien zugrunde legen. 3Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für die Vergabe von Aufträgen, deren Gegenstand die Beschaffung von Energie oder Brennstoffen zur Energieerzeugung ist.

Vergaberecht

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