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Unterabschnitt 2:Vergabe von verteidigungs- oder sicherheits­spezifischen öffentlichen Aufträgen

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§ 144 GWBAnwendungsbereich

Dieser Unterabschnitt ist anzuwenden auf die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber.

1§ 144 GWB bestimmt, dass Kapitel 1, Abschnitt 3, Unterabschnitt 2 des 4. Teils des GBW (§§ 144 bis 147 GWB) auf die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber anzuwenden ist. Was verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind, ergibt sich aus § 104 GWB; auf die dortige Kommentierung wird Bezug genommen. Bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen müssen öffentliche Auftraggeber grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Kapitels 1, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 des 4. Teils des GWB beachten, sofern in den §§ 145 bis 147 GWB nichts abweichendes geregelt ist. §§ 145 bis 147 GWB dienen der Umsetzung der wesentlichen Bestimmungen der Richtlinie 2009/81/EG.

§ 145 GWBBesondere Ausnahmen für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen

Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen, die

1. den Zwecken nachrichtendienstlicher Tätigkeiten dienen,

2. im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben werden, das

a) auf Forschung und Entwicklung beruht und

b) mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Entwicklung eines neuen Produkts und gegebenenfalls die späteren Phasen des gesamten oder eines Teils des Lebenszyklus dieses Produkts durchgeführt wird;

beim Abschluss eines solchen Abkommens teilt die Europäische Kommission den Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an den Gesamtkosten des Programms, die Vereinbarung über die Kostenteilung und gegebenenfalls den geplanten Anteil der Beschaffungen je Mitgliedstaat mit,

3. in einem Staat außerhalb der Europäischen Union vergeben werden; zu diesen Aufträgen gehören auch zivile Beschaffungen im Rahmen des Einsatzes von Streitkräften oder von Polizeien des Bundes oder der Länder außerhalb des Gebiets der Europäischen Union, wenn der Einsatz es erfordert, dass im Einsatzgebiet ansässige Unternehmen beauftragt werden; zivile Beschaffungen sind Beschaffungen nicht militärischer Produkte und Beschaffungen von Bau- oder Dienstleistungen für logistische Zwecke,

4. die Bundesregierung, eine Landesregierung oder eine Gebietskörperschaft an eine andere Regierung oder an eine Gebietskörperschaft eines anderen Staates vergibt und die Folgendes zum Gegenstand haben:

a) die Lieferung von Militärausrüstung im Sinne des § 104 Absatz 2 oder die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags im Sinne des § 104 Absatz 3 vergeben wird,

b) Bau- und Dienstleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Ausrüstung stehen,

c) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder

d) Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags im Sinne des § 104 Absatz 3 vergeben werden,

5. Finanzdienstleistungen mit Ausnahme von Versicherungsdienstleistungen zum Gegenstand haben,

6. Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, es sei denn, die Ergebnisse werden ausschließlich Eigentum des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit und die Dienstleistung wird vollständig durch den Auftraggeber vergütet, oder

7. besonderen Verfahrensregeln unterliegen,

a) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung ergeben, das oder die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, geschlossen wurde,

b) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen ergeben, das oder die Unternehmen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staates betrifft, oder

c) die für eine internationale Organisation gelten, wenn diese für ihre Zwecke Beschaffungen tätigt oder wenn ein Mitgliedstaat öffentliche Aufträge nach diesen Regeln vergeben muss.

Schrifttum: Byok, Reformierter Regelungsrahmen für Beschaffungen im Sicherheits- und Verteidigungssektort, NVwZ 2012, 70; Haak/Koch, Geheimvergabe im Lichte der Vergaberechtsreform, NZBau 2016, 204; Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533; Wagner/Bauer, Grundzüge des zukünftigen Vergaberegimes in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, NZBau 2009, 856.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1–10
B. Ausnahmen vom Anwendungsbereich 11–29
I. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten (§ 145 Nr. 1 GWB) 11
II. Kooperationsprogramme (§ 145 Nr. 2 GWB) 12, 13
III. Aufträge außerhalb der Europäischen Union (§ 145 Nr. 3 GWB) 14
IV. Vergabe an Regierung oder Gebietskörperschaft eines anderen Staates (§ 145 Nr. 4 GWB) 15–21
V. Finanzdienstleistungen (§ 145 Nr. 5 GWB) 22, 23
VI. Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (§ 145 Nr. 6 GWB) 24
VII. Projekte mit Drittstaaten, Stationierung von Truppen, Internationale Organisation (§ 145 Nr. 7 GWB) 25–29
1. Projekte mit Drittstaaten (§ 145 Nr. 7 lit. a GWB) 26
2. Stationierung von Truppen (§ 145 Nr. 7 lit. b GWB) 27, 28
3. Internationale Organisation (§ 145 Nr. 7 lit. c GWB) 29

A.Vorbemerkungen

1§ 145 GWB regelt die besonderen Ausnahmen für die Vergabe verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge bzw. von denjenigen der VKR.1

2Die Definition des verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Auftrags, insbesondere des Verschlusssachenauftrages, findet sich in § 104 GWB, die Ermächtigungsgrundlage für die VSVgV in § 113 GWB; zu beachten ist insbesondere § 113 Nr. 7 GWB.

3§ 145 GWB entspricht im Wesentlichen § 100c GWB a. F.:

4– § 145 Nr. 1 GWB entspricht § 100 c Abs. 2 Nr. 2 GWB a. F.

5– § 145 Nr. 2 GWB entspricht § 100 c Abs. 2 Nr. 3 GWB a. F.

6– § 145 Nr. 3 GWB entspricht § 100 c Abs. 3 GWB a. F.

7– § 145 Nr. 4 GWB entspricht § 100 c Abs. 2 Nr. 4 GWB a. F.

8– § 145 Nr. 5 entspricht § 100 c Abs. 2 Nr. 1 GWB a. F.

9– § 145 Nr. 7 GWB entspricht § 100 c Abs. 4 GWB a. F.

10– Lediglich die in § 145 Nr. 6 GWB enthaltene Regelung war bislang nicht in § 100c GWB a. F., sondern in § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a. F. enthalten.

B.Ausnahmen vom Anwendungsbereich

I.Nachrichtendienstliche Tätigkeiten (§ 145 Nr. 1 GWB)

11 § 145 Nr. 1 GWB folgt aus Art. 13 lit. b VSVR. Er nimmt Beschaffungen durch Nachrichtendienste oder Beschaffungen für alle Arten von nachrichtendienstlichen Tätigkeiten vom Vergaberecht aus. Damit werden zum einen Fälle erfasst, in denen andere öffentliche Auftraggeber einen Auftrag an einen Nachrichtendienst vergeben, zum anderen Aufträge, die ein Nachrichtendienst zum Zwecke seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeiten vergibt.2 Nach den Erläuterungen zur VSVR sind auch Maßnahmen zur Abwehr nachrichtendienstlicher Tätigkeiten entsprechend der Definition durch die Mitgliedstaaten umfasst.3

II.Kooperationsprogramme (§ 145 Nr. 2 GWB)

12Mit § 145 Nr. 2 GWB wird Art. 13 lit. c VSVR umgesetzt. Kooperationsprogramme der Mitgliedstaaten, die dazu dienen, neue Verteidigungsausrüstung gemeinsam zu entwickeln, werden vom europäischen Vergaberecht ausgenommen. Solche Programme dienen insbesondere der Entwicklung neuer Technologien und erleichtern die Übernahme der hohen Forschungs- und Entwicklungskosten komplexer Waffensysteme. Einige dieser Programme werden von internationalen Organisationen (insbesondere OCCAR, NATO oder Agenturen der EU wie die Europäische Verteidigungsagentur) verwaltet, die die Aufträge im ­Namen der Mitgliedstaaten vergeben. In anderen Fällen werden Aufträge von einem Mitgliedstaat auch im Namen eines anderen Mitgliedstaats vergeben. In beiden Konstellationen nimmt die Ausnahmevorschrift die Aufträge aus dem europäischen Vergaberecht aus. Von der Ausnahmevorschrift werden ebenfalls Kooperationsprogramme erfasst, an denen (neben mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten) auch Drittstaaten beteiligt sind.4

13Der Begriff der Forschung und Entwicklung umfasst die Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung,5 der Begriff Lebenszyklus des Produkts die Forschung und Entwicklung, industrielle Entwicklung, Herstellung, Reparatur, Modernisierung, Änderung, Instandhaltung, Logistik, Schulung, Erprobung, die Rücknahme und die Beseitigung.6

III.Aufträge außerhalb der Europäischen Union (§ 145 Nr. 3 GWB)

14Die Regelung setzt Art. 13 lit. d VSVR um. Diese Ausnahmevorschrift regelt Kriseneinsätze außerhalb der Europäischen Union. Dabei kann es sich auch um friedenssichernde Maßnahmen handeln, die eine so rasche Vergabe bestimmter Aufträge erfordern, dass die bei den Vergabeverfahren normalerweise geltenden Fristen nicht eingehalten werden können.7 Bei einem solchen Einsatz von Streitkräften oder Polizeien sollen die im Einsatzgebiet stationierten Auftraggeber die Möglichkeit haben, bei der Vergabe von Aufträgen an im Einsatzgebiet ansässige Marktteilnehmer von der Anwendung des europäischen Vergaberechts abzusehen, wenn der Einsatz dies erfordert. Dies gilt auch für zivile Beschaffungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung dieses Einsatzes stehen.8 Die Definition ziviler Beschaffungen in § 145 Nr. 3 GWB folgt aus Art. 1 Nr. 28 VSVR.

IV.Vergabe an Regierung oder Gebietskörperschaft eines anderen Staates (§ 145 Nr. 4 GWB)

15Aufgrund der Besonderheiten des Verteidigungs- und Sicherheitsbereichs werden bestimmte Vergaben einer Bundes- oder Landesregierung oder einer Gebietskörperschaft bei einer Regierung oder Gebietskörperschaft eines anderen Staates vom Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB ausgenommen. Ausgenommen sind folgende Aufträge:

16– Lieferung von Militärausrüstung i. S. d. § 104 Abs. 2 GWB oder Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags i. S. d. § 104 Abs. 3 GWB vergeben wird (§ 145 Nr. 4 lit. a GWB).

17– Bau- und Dienstleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Ausrüstung stehen (§ 145 Nr. 4 lit. b GWB).

18– Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke (§ 145 Nr. 4 lit. c GWB).

19– Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags i. S. d. § 104 Abs. 3 GWB vergeben werden (§ 145 Nr. 4 lit. d GWB).

20Auf die Kommentierung von § 104 Abs. 2 bis Abs. 4 GWB wird Bezug genommen.

21Die Ausnahme setzt Art. 13 lit. f VSVR um. Art. 1 Nr. 9 VSVR dehnt den persönlichen Anwendungsbereich auf Landesregierungen und Gebietskörperschaften aus. Aus der dortigen Definition des Begriffs „Regierung“ ergibt sich, dass „andere Staaten“ im Sinne der Vorschrift Nicht-EU-Mitgliedstaaten sein müssen.

V.Finanzdienstleistungen (§ 145 Nr. 5 GWB)

22Mit dieser Bestimmung wird Art. 13 lit. h VSVR umgesetzt. Die Regelung schränkt den Bereich der Finanzdienstleistungen anders als § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht dahin gehend ein, dass ein Zusammenhang mit Ausgabe, Verkauf, Ankauf oder Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten bestehen muss.9 Damit sind grundsätzlich jegliche Finanzdienstleistungen im Rahmen eines verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Auftrags vom Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB ausgenommen.

23Gleichzeitig wird für den Bereich verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge relevanter Beschaffungen ausdrücklich festgelegt, dass Versicherungsdienstleistungen von der Ausnahmeregelung nicht erfasst werden.

VI.Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (§ 145 Nr. 6 GWB)

24Mit § 145 Nr. 6 GWB wird Art. 13 lit. j VSVR umgesetzt. Die Regelung schränkt den Bereich der Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen ein. Anders als § 116 Abs. 1 Nr. 3 GWB gilt die Vorschrift ohne Ausnahme für alle Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, wohingegen § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB bestimmte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen nunmehr ganz vom Vergaberecht ausnimmt. § 145 Nr. 6 GWB ist daher strenger als § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Da die Voraussetzungen für eine Ausnahme der von der Vorschrift erfassten Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen aber den in § 116 Abs. 1 Nr. 2 lit. a und b GWB enthaltenen Ausnahmen entsprechen, kann insoweit auf die dortige Kommentierung Bezug genommen werden.

VII.Projekte mit Drittstaaten, Stationierung von Truppen, Internationale Organisation (§ 145 Nr. 7 GWB)

25§ 145 Nr. 7 GWB dient der Umsetzung von Art. 12 VSVR. Die Regelung ergänzt § 117 Nr. 4 GWB, der ähnliche Ausnahmen für Aufträge enthält, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, ohne selbst verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge zu sein.

1.Projekte mit Drittstaaten (§ 145 Nr. 7 lit. a GWB)

26Die Ausnahmevorschrift in § 145 Nr. 7 lit. a GWB enthält anders als die Bestimmung in § 117 Nr. 4 lit. a GWB keine Beschränkung in Bezug auf den Auftragsgegenstand, sondern gilt für alle Vergaben. Unter dem Begriff der internationalen Vereinbarung können auch Vereinbarungen zwischen den jeweils zuständigen Ministerien fallen.10

2.Stationierung von Truppen (§ 145 Nr. 7 lit. b GWB)

27Die Regelung in § 145 Nr. 7 GWB zu Abkommen und Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen ist ebenfalls weiter gefasst, als diejenige in § 145 Nr. 7 lit. b GWB, auf die sich Auftraggeber bei nicht verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Vergaben berufen können. Anders als dort sind hier alle verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge ausgenommen, die wegen eines in § 145 Nr. 7 lit. b GWB genannten Stationierungsabkommens besonderen Verfahrensregeln unterliegen.

28Nach Erwägungsgrund 26 der VSVR soll diese Ausnahmevorschrift Auftragsvergaben vom europäischen Vergaberecht ausschließen, die nach den Bestimmungen einer Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen aus einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat oder der Stationierung von Truppen aus einem Drittstaat in einem Mitgliedstaat vergeben werden.11

3.Internationale Organisation (§ 145 Nr. 7 lit. c GWB)

29Die Ausnahmeregelung in § 145 Nr. 7 lit. c GWB betreffend Verfahrensvorschriften einer internationalen Organisation setzt Art. 12 lit. c VSVR um. Anders als bei den beiden vorangehenden Ausnahmetatbeständen ist die Regelung enger gefasst als die entsprechende Ausnahmevorschrift in § 117 Nr. 4 lit. c GWB für nicht verteidigungs- und sicherheitsrelevante Auftragsvergaben. Erforderlich ist hier, dass eine internationale Organisation den betreffenden Auftrag für ihre Zwecke vergibt. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass Vergaben, die eine internationale Organisation nicht für ihre eigenen, sondern für Verwendungszwecke ihrer Mitglieder tätigt, nicht unter diese Ausnahmevorschrift fallen.12

§ 146 GWBVerfahrensarten

1Bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen stehen öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach ihrer Wahl zur Verfügung. 2Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1
B. Verfahrensarten bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen 2–5

A.Vorbemerkungen

1§ 146 GWB entspricht dem bisherigen § 101 Abs. 7 Satz 3 GWB a. F. Er regelt die öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen zur Verfügung stehenden Vergabeverfahren abweichend von § 119 GWB.

B.Verfahrensarten bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen

2Öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern stehen bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen folgende Verfahrensarten zur Verfügung:

3– Nicht offenes Verfahren mit Teilnahmewettbewerb und Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach ihrer Wahl, d. h. die Auftraggeber können frei zwischen beiden Verfahrensarten wählen.

4– Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und wettbewerblicher Dialog, soweit dies aufgrund des GWB gestattet ist. Die Vorschrift ­verweist damit auf die auf der Grundlage des GWB erlassene VgV, wo die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb in § 12 VgV und die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines wettbewerblichen Dialogs in § 13 VgV geregelt sind. Auf die dortigen Kommentierungen wird Bezug genommen.

5Anders als bei der Vergabe sonstiger Aufträge stehen Auftraggebern bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen daher nur vier Verfahrensarten zur Verfügung. Nicht zur Verfügung stehen ihnen das offene Verfahren, das schon vom europäischen Gesetzgeber als zur Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen als ungeeignet angesehen wurde, und die Innovationspartnerschaft. Letzteres ist zu bedauern, da die Innovationspartnerschaft möglicherweise nicht bei allen, aber durchaus bei einigen Aufträgen in den Bereichen Verteidigung oder Sicherheit einen sinnvollen Anwendungsbereich gehabt hätte. Es ist daher zu hoffen, dass der europäische Gesetzgeber bei der nächsten Reform der Richtlinie 2009/81/EG den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben wird, die Innovationspartnerschaft auch bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen einzufügen.

§ 147 GWBSonstige anwendbare Vorschriften

1Im Übrigen gelten für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen die §§ 119, 120, 121 Absatz 1 und 3 sowie die §§ 122 bis 135 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Unternehmen gemäß § 124 Absatz 1 auch dann von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. 2Der Nachweis, dass Risiken für die nationale Sicherheit nicht auszuschließen sind, kann auch mit Hilfe geschützter Datenquellen erfolgen.

Schrifttum: Dippel/Sterner/Zeiss (Hrsg.), Praxiskommentar Beschaffung im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, 1. Auflage 2013.

Übersicht Rn.
A. Vorbemerkungen 1
B. Ausnahmen von den grundsätzlich geltenden Vorschriften der §§ 119 bis 135 GWB 2–22

A.Vorbemerkungen

1§ 147 GWB ergänzt die bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen geltenden wesentlichen Ausnahmen gem. § 145 und § 146 GWB um weitere Ausnahmetatbestände von den grundsätzlich anzuwendenden Vorschriften von Kapitel 1, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 des 4. Teils des GWB (§§ 119 bis 135 GWB).

B.Ausnahmen von den grundsätzlich geltenden Vorschriften der §§ 119 bis 135 GWB

2§ 147 GWB spezifiziert die Anwendbarkeit der Vorschriften von Kapitel 1, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 GWB (§§ 119 bis 135 GWB). Danach gilt Folgendes:

3Uneingeschränkt anwendbar sind folgende Vorschriften:

4– § 120 GWB Besondere Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren.

5– § 122 GWB Eignung.

6– § 123 GWB Zwingende Ausschlussgründe.

7– § 125 GWB Selbstreinigung.

8– § 126 GWB Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse.

9– § 127 GWB Zuschlag.

10– § 128 GWB Auftragsausführung.

11– § 129 GWB Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen.

12– § 130 GWB Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen.

13– § 131 GWB Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr.

14– § 132 GWB Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit.

15– § 133 GWB Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen.

16– § 134 GWB Informations- und Wartepflicht.

17– § 135 GWB Unwirksamkeit.

18Nur eingeschränkt anwendbar sind dagegen folgende Vorschriften:

19– § 119 GWB Verfahrensarten:

Wird eingeschränkt durch § 146 GWB i. V. m. §§ 12, 13 VSVgV. Auf die dortige Kommentierung wird Bezug genommen.

20– § 121 GWB Leistungsbeschreibung:

§ 147 GWB erklärt § 121 Abs. 2 GWB für nicht anwendbar. § 121 Abs. 2 GWB besagt, dass bei der Beschaffung von Leistungen, die zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen sind, bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung außer in ordnungsgemäß begründeten Fällen die Zugängigkeitskriterien für Menschen mit Behinderung oder die Konzeption für alle Nutzer zu berücksichtigen sind. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, dass die Vorschrift nicht in die Verweisungskette aufgenommen wurde, weil die Richtlinie 2009/81/EG für den Bereich der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträge keinerlei vergleichbare Vorgaben trifft.1

21– § 124 Abs. 1 GWB Fakultative Ausschlussgründe:

§ 124 Abs. 1 GWB enthält den Katalog der fakultativen Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen können. § 147 Satz 1 GWB erweitert diesen Katalog um den spezifischen Ausschlussgrund der mangelnden Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. § 147 Satz 2 GWB enthält den ergänzenden Hinweis, dass der Nachweis, dass Risiken für die nationale Sicherheit nicht auszuschließen sind, auch mit Hilfe geschützter Datenquellen erfolgen kann.

22§ 147 GWB erklärt damit Regelungen der VRL auch für die grundsätzlich durch die Richtlinie 2009/81/EG geregelte Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen für anwendbar. In der Gesetzesbegründung wird erläutert, dass dies im Interesse der Rechtssicherheit erfolgt sei. Verwiesen wird insoweit auf die Nichtentrichtung von Steuern oder Sozialabgaben, die in der Richtlinie 2009/81/EG nur als fakultative Ausschlussgründe, in der VRL dagegen als zwingende Ausschlussgründe genannt werden. Der deutsche Gesetzgeber ist der Auffassung, dass insoweit bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen nichts anderes gelten sollte als bei der Vergabe von sonstigen Aufträgen.2 Obwohl diese Überlegungen in der Sache durchaus gerechtfertigt sind, verstößt der deutsche Gesetzgeber durch die Umwandlung eines vom europäischen Gesetzgeber nur als fakultativen Ausschlussgrund ausgestalteten Rechtsverstoßes in einen zwingenden Ausschlussgrund gegen europäisches Recht. Ein wegen der Nichtentrichtung von Steuern oder Sozialabgaben zwingend vom Vergabeverfahren ausgeschlossenes Unternehmen könnte geltend machen, dass sein Ausschluss europarechtswidrig zustande gekommen ist, weil im deutschen Recht – anders als im europäischen Richtlinienrecht – dem Auftraggeber bei der Entscheidung über den Ausschluss kein Ermessen eingeräumt wird.

Vergaberecht

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