Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 128

C.Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens (§ 156 Abs. 2 GWB)

Оглавление

I.Begriff des Vergabeverfahrens

9Gegenstand der Nachprüfung ist ausschließlich das Verfahren, welches von einem öffentlichen Auftraggeber (§ 98 GWB) mit dem Ziel der Vergabe eines öffentlichen Auftrags (§ 103 GWB) durchgeführt wird, § 156 Abs. 2 GWB. Für die Annahme eines Vergabeverfahrens ist eine funktionale Sichtweise ausschlaggebend,13 nicht die Durchführung normierter Schritte wie die Veröffentlichung des Wettbewerbs oder die aktenmäßige Dokumentation. Ein Vergabeverfahren, das der Nachprüfung zugänglich ist, liegt deshalb auch dann vor, wenn eine Auftragsvergabe ohne Durchführung des notwendigen reglementierten Wettbewerbs unmittelbar an ein Unternehmen beabsichtigt ist (sog. Direktvergabe oder de-facto-Vergabe). Dies lässt sich aus der Vorschrift aus § 35 Abs. 1, 2. Alt. GWB entnehmen. Wenn die Nachprüfungsstellen zur Entscheidung über die Unwirksamkeit eines unter Außerachtlassung der reglementierten Vergabe geschlossenen Vertrags berufen sind, besteht erst recht eine Zuständigkeit, wenn ein solcher Vertragsschluss noch nicht erfolgt ist, aber droht. Gleichermaßen lässt sich dies aus dem Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ableiten.14

10Der Antragsteller kann die Vergabenachprüfung jedoch nicht mit dem Ziel einleiten, das Vergabeverfahren zu verhindern, etwa weil er für den Auftraggeber rechtliche Hindernisse sieht, den beabsichtigten Vertrag überhaupt abschließen zu können.15

II.Beginn und Ende des Vergabeverfahrens

11Auch ohne förmliche Einleitung beginnt ein Vergabeverfahren, wenn Schritte unternommen werden, die mit dem Abschluss eines Vertrags enden sollen, dessen Gegenstand ein öffentlicher Auftrag bildet. Ein vorgeschalteter Preiswettbewerb ist bereits Teil eines Vergabeverfahrens.16 Hat der Auftraggeber noch nicht entschieden, ob überhaupt ein öffentlicher Auftrag Gegenstand des Vertrags sein wird,17 hat ein Vergabeverfahren noch nicht begonnen. Gespräche und selbst Verhandlungen mit Unternehmen, die ohne die Absicht betrieben werden, sie bis zur Abschlussreife weiterzuführen, stellen ebenfalls nicht den Beginn eines Vergabeverfahrens dar.

12Beruft sich der potentielle Auftraggeber darauf, im vorstehenden Sinn kein Vergabeverfahren eingeleitet zu haben, ist die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens zu bewerten.18 Da eine solche Einschätzung in der Regel aber nur nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens getroffen werden kann, ist an die anfängliche Darlegungslast des Antragstellers keine übertriebene Anforderung zu stellen.

13Das Vergabeverfahren endet mit einem wirksamen und endgültigen19 Vertragsschluss („Zuschlag“), den die Vergabekammer nicht wieder rückgängig machen kann, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.20 Auch die Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb einer Spielbank kann insoweit als Vertrag im vergaberechtlichen Sinne angesehen werden.21 Es endet ebenfalls, wenn die Vergabestelle wirksam den Willen aufgibt, das eingeleitete Vergabeverfahren bis zu einem Vertragsschluss weiterzuführen und es aufhebt (§§ 63 VgV, 17 EU VOB/A), gegebenenfalls sogar gänzlich einstellt.22

III.Umfang des ausschließlichen Rechtsschutzes (§ 156 Abs. 2 und 3 GWB)

1.Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB

14Gegenstand des ausschließlichen Rechtswegs zu den Nachprüfungsstellen sind zunächst Verletzungen von Rechten gem. § 97 Abs. 6 GWB, den „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“. Als Bestimmungen über das Vergabeverfahren sind die die weiteren Vorschriften aus § 97 GWB selbst und die weiteren Verfahrensregelungen im GWB, die VgV, die VOB/A, die Sektorenverordnung (SektVO), die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) sowie die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VSVgV) anzusehen. Die Regelungen der Vergabekoordinierungs- und Sektorenrichtlinien können bei mangelnder Umsetzung in nationales Recht als direkt geltende Vorschriften hinzutreten, wenn sie für den Antragsteller eine Besserstellung bewirken. Geht der nationale Gesetzgeber über die zwingenden Vorgaben der Richtlinien hinaus, sind die Vergabekammern mangels entgegenstehender Vorschriften bei Rechtsverletzungen auch insoweit ausschließlich zuständig.

2.Schutzvorschrift

15Nach Begründung des subjektiven Rechtes auf Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen durch Einfügung des Vierten Teils des GWB zum 1.1.1999 wurde zunächst nicht unerhebliche Mühe darauf verwandt, festzustellen, ob die Vorschriften, deren Verletzung ein Antragsteller geltend machte, jeweils als drittschützend i. S. d. § 97 Abs. 6 GWB anzusehen seien oder nicht. Inzwischen wird allgemein davon ausgegangen, dass der Bieter bzw. Antragsteller ein Recht auf Einhaltung aller Vorschriften hat, die geeignet sind, seine eigene Chance auf einen Vertragsschluss mit dem Auftraggeber in einem konkreten Vergabeverfahren zu beeinflussen. Eine überschießende Qualifizierung dieser Vorschrift als Schutzvorschrift bzw. drittschützend wird dann im Regelfall nicht mehr vorgenommen.23 Durch die Entscheidung des BGH vom 31.1.201724 wurde klargestellt, dass ein Nachprüfungsantrag auch auf die drohende Vergabe auf ein ungewöhnlich bzw. unangemessen niedriges Angebot (§§ 60 VGV, 16d Abs. 1 Nr. 1, 2 VOB/A) gestützt werden kann. Gegenstand der Nachprüfung ist dann die zutreffende Ausübung des rechtlich gebundenen Ermessens durch den Auftraggeber.

3.Sonstige Ansprüche (§ 156 Abs. 2 Satz 1 GWB)

16Die Heranziehung „sonstiger Ansprüche“ zur Prüfung einer Rechtsverletzung ist in der Praxis wegen des im Regelfall ausreichenden Schutzes durch die vergaberechtlichen Generalklauseln und Spezialnormen selten und wird, insbesondere im Zusammenhang mit der ausschließlichen Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen, eher problematisiert als ausweitend genutzt. Insbesondere wird auf der Rechtsfolgenseite keine Ausdehnung in Richtung des vorbeugenden oder des Sekundärrechtsschutzes zugelassen.

17Aufgrund des Wortlauts der Vorschrift aus § 156 Abs. 2 Satz 1 GWB im Gegensatz zu § 160 Abs. 2 GWB („Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das… eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht.“) erscheint der Rechtsschutz für sonstige Ansprüche durch die Vergabekammern überdies als gleichzeitig ausschließlich und, da nicht antragsfähig, ausgeschlossen. Dieser Widerspruch wurde durch den Gesetzgeber bislang nicht aufgelöst. Um einer verfassungswidrigen Rechtsverkürzung zu begegnen, wird man deshalb die Geltendmachung von sonstigen Rechtsverletzungen sowohl vor den Vergabekammern wie vor den Zivilgerichten und Kartellbehörden zumindest insoweit zulassen müssen, als durch die zugrunde liegenden Vorschriften (auch) andere als spezifisch vergaberechtliche Zwecke verfolgt werden und/oder die Vergabekammern mangels fachlicher Ausrichtung und „Unterbau“ sich die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen nur durch erheblichen Aufwand verschaffen könnten.

18Fraglich erscheint, ob eine Rügeobliegenheit bei Verletzung von „sonstigen Rechten“ angenommen werden muss. Dagegen spricht der Wortlaut der Vorschrift aus § 160 Abs. 3 GWB („den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften“). Da jedoch keine Spruchpraxis in diesem Zusammenhang entstanden ist, sollte dennoch eine vorsorgliche, unverzügliche Beanstandung ausgesprochen werden.

4.„Sonstige Ansprüche“ aus Zivilrecht

19Da sich aus einer Verletzung des gem. § 97 Abs. 6 GWB begründeten subjektiven Rechts auf Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen zugleich der Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinne der Vorschrift aus § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB ergibt, kann in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Beseitigungsanspruch bzw. ein Unterlassungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gegeben sein. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB wäre auf die „Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren“ gerichtet und damit ausschließlich vor der Vergabekammer geltend zu machen. Der vorbeugende Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB unterfällt dagegen, wenn er auf ein künftiges Vergabeverfahren gerichtet ist, nicht der Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen, sondern der Zivilgerichte.25 Die Klärung von vertragsrechtlichen Fragen ohne Bezug zu einer Verletzung von vergaberechtlichen Vorschriften ist für die Nachprüfungsinstanzen nicht statthaft.26 Ausnahmen könnten denkbar sein als Annexzuständigkeit für zivilrechtliche Ansprüche, die mit dem Ablauf eines Vergabeverfahrens, wenn auch nicht kausal mit einer Vergabeentscheidung, verknüpft sind, etwa die Höhe und die Verteilung von Preisgeldern bei Auslobungen (§ 657 ff. BGB) in Architektenwettbewerben.27

20Die Zuständigkeit der Zivilgerichte für Schadenersatzansprüche bleibt daneben in jedem Stadium des Vergabeverfahrens unberührt, § 156 Abs. 3 GWB.

5.„Sonstige Ansprüche“ aus Wettbewerbsrecht/Kartellrecht

21Aus dem Lauterkeitsrecht des UWG kann sich ein Anspruch nur in den Ausnahmefällen ergeben, in denen der öffentliche Auftraggeber absichtlich zur Förderung eigener gewerblicher Tätigkeit oder Absatzförderung eines Mitbieters des Antragstellers unlauter handelt, §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 UWG. Im Regelfall handelt der öffentliche Auftraggeber jedoch nicht mit absatzfördernder Absicht, sondern zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Der Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften würde im Ausnahmefall gleichzeitig einen Wettbewerbsverstoß darstellen.28 Der Anspruch auf Beseitigung gem. § 8 Abs. 1 UWG kann aufgrund der Konzentrationswirkung nur vor den Nachprüfungsstellen geltend gemacht werden. Die Konzentrationswirkung ergreift jedoch nicht den vorbeugenden Unterlassungsanspruch und den Schadensersatzanspruch. Sie ergreift auch nicht den Anspruch gegen den sich unlauter verhaltenden Mitbieter.29 Abwehransprüche gegen einen Dritten können bereits grundsätzlich nicht vor der Vergabekammer geltend gemacht werden und entfallen nicht nur deshalb, weil im Falle einer Rechtsverletzung diese durch eine Anordnung gegenüber dem Auftraggeber beseitigt wird und somit kein Bedürfnis besteht, die Beihilfe eines Konkurrenzunternehmens gesondert zu behandeln.30

22Davon zu unterscheiden ist die Verpflichtung des Auftraggebers, wettbewerbsbeschränkende und unlautere Handlungen Dritter zu bekämpfen,31 §§ 97 Abs. 1 GWB („im Wettbewerb“), 2 Abs. 1 EU VOB/A. Die Einhaltung dieser Verpflichtung kann von den Nachprüfungsstellen überprüft werden.32

23Die Prüfung kartellrechtlicher Verstöße durch die Nachprüfungsstellen begegnet starken Bedenken im Hinblick auf die hierzu notwendigen, das Kammerverfahren sprengenden Untersuchungen zur Marktstellung der Beteiligten und die mögliche Verkürzung des Schutzzweckes aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen gem. § 156 Abs. 2 GWB.

24In der Spruchpraxis wird die Einbeziehung kartellrechtlicher Verstöße ebenfalls vermieden.33 Teilweise wird darauf abgestellt, dass – mögliche – Verstöße gegen § 1 GWB oder Bestimmungen zur Zusammenschlusskontrolle bereits vor der Einleitung des konkreten Vergabeverfahrens durch die Gründung des Marktteilnehmers abgeschlossen gewesen seien und deshalb nicht mehr dem Vergabeverfahren zugehörten.34 Teilweise wird eine Zuständigkeit der Nachprüfungsstellen mit der Begründung gänzlich verneint, die Bestimmungen des nationalen und europäischen Kartellverbotes stellten keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren gem. § 160 Abs. 2 GWB dar.35

6.Prüfungsumfang

25Die Bestimmung der – gegebenenfalls ausschließlich – vor den Nachprüfungsstellen geltend zu machenden Anspruchsgrundlagen ist nicht gleichzusetzen mit dem Umfang der Nachprüfung. Dieser umfasst auch rechtliche Vorfragen außerhalb des Vergaberechts, die mit dem jeweiligen Vergabeverfahren bzw. den geltend gemachten Rechtsverstößen in Beziehung stehen.36

§ 157 GWBBesetzung, Unabhängigkeit

(1) Die Vergabekammern üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus.

(2) 1Die Vergabekammern entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, von denen einer ein ehrenamtlicher Beisitzer ist. 2Der Vorsitzende und der hauptamtliche Beisitzer müssen Beamte auf Lebenszeit mit der Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst oder vergleichbar fachkundige Angestellte sein. 3Der Vorsitzende oder der hauptamtliche Beisitzer müssen die Befähigung zum Richteramt haben; in der Regel soll dies der Vorsitzende sein. 4Die Beisitzer sollen über gründliche Kenntnisse des Vergabewesens, die ehrenamtlichen Beisitzer auch über mehrjährige praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Vergabewesens verfügen. 5Bei der Überprüfung der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen i. S. d. § 104 können die Vergabekammern abweichend von Satz 1 auch in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei hauptamtlichen Beisitzern entscheiden.

Vergaberecht

Подняться наверх