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D.Möglichkeiten nicht-förmlicher Vergabeüberprüfung auf Verwaltungsebene

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20Die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen unterliegt gem. § 155 GWB unabhängig von der Anwendbarkeit des materiellen Kartellvergaberechts zusätzlich der allgemeinen, bereits aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden verwaltungsinternen Gesetzmäßigkeitskontrolle durch die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden.126 Eine wechselseitige rechtliche Abhängigkeit zwischen dem förmlichen Kartellvergaberechtsschutz und einem in Bezug auf denselben Vorgang initiierten aufsichtsbehördlichen Überprüfungsverfahren besteht nicht, wie § 155 GWB unmissverständlich klarstellt („unbeschadet“). Da entsprechende Verfahrensverschränkungen mit Blick auf die insoweit bei den Bundesländern verbliebenen Regelungskompetenzen bundesrechtlich ohnehin nicht realisierbar wären, weist § 155 GWB insoweit lediglich deklaratorischen Charakter auf. Auch eine nach § 179 Abs. 1 GWB entsprechende Bindungswirkung für ein späteres zivilgerichtliches Sekundärrechtsschutzverfahren wird durch Entscheidungen der Aufsichtsbehörde nicht ausgelöst.127 Erst recht vermag der Verweis einer Vergabeprüfstelle auf das Nachprüfungsverfahren der §§ 155 ff. GWB den Zugang zum Nachprüfungsverfahren nicht jenseits der in den §§ 155 ff. GWB niedergelegten gesetzlichen Zugangsvoraussetzungen zu eröffnen.128

I.Allgemeine Aufsichtsbehörden

21Als staatliches Handeln unterliegt im Grundsatz auch die Vergabetätigkeit öffentlicher Auftraggeber einer allgemeinen Kontrolle durch in der Verwaltungshierarchie übergeordnete oder – im Falle von verselbstständigten Verwaltungsträgern – hierfür eingesetzte staatliche Aufsichtsbehörden im Wege der Rechts- und Fachaufsicht. Diese Aufsicht erstreckt sich uneingeschränkt freilich nur auf die bedarfsdeckenden Aktivitäten „klassischer“ öffentlicher Auftraggeber i. S. d. §§ 99 Nr. 1, 101 Abs. 1 Nr. 1 GWB (je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls kann dies auch für solche nach § 99 Nr. 2 GWB gelten), soweit diese nicht selbst an oberster Stelle des Verwaltungsaufbaus stehen (oberste Bundes- bzw. Landesbehörden).

22Die Aufsichtsbehörden üben ihre der objektiven Recht- bzw. (im Falle der Fachaufsicht auch) Zweckmäßigkeitskontrolle dienenden Aufsichtsfunktionen unabhängig von konkreten Rechtsschutzbegehren oder Eingaben aufgrund eigener Erkenntnisse bereits von Amts wegen aus. Einem enttäuschten Vergabeverfahrensteilnehmer bleibt es zwar unbenommen, sich jederzeit und unabhängig von der Befassung der eigens hierfür eingerichteten Vergabekammer mit einem formlosen Antrag an die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde zu wenden und bei dieser um Überprüfung des Vergabevorgangs und Korrektur von auftragsvergaberelevanten Maßnahmen eines aufsichtsunterworfenen Verwaltungsträgers nachzusuchen. Die Ausübung der aufsichtsbehördlichen Kontrolle erfolgt indes primär im öffentlichen Interesse an einem rechtmäßigen Verwaltungshandeln, während sie dem Schutz individueller Rechtspositionen allenfalls mittelbar im Sinne eines Rechtsreflexes zugutekommt.129 Ob und welche Maßnahmen eingeleitet werden, steht im Ermessen der jeweiligen Aufsichtsbehörde. Dem Beschwerdeführer steht ein subjektiver Anspruch auf Tätigwerden der Aufsichtsbehörde ebenso wenig zur Seite wie ein hierauf beruhender Rechtsbehelf gegen Entscheidungen bzw. das Untätigbleiben der Aufsichtsbehörde.130 Eingedenk des Umstandes, dass der Bieter den Fortgang des beanstandeten Vergabeverfahrens (insbesondere eine drohende Zuschlagserteilung) auf diesem Wege nicht in einer dem Suspensiveffekt des § 169 Abs. 1 GWB entsprechenden Weise effektiv zu verhindern vermag und es den Aufsichtsbehörden überdies häufig an der für eine rasche Intervention erforderlichen fachpersonellen Ausstattung mangeln wird, nimmt sich die praktische Bedeutung der verschiedenen Aufsichtsformen für das Vergabewesen insgesamt eher gering aus.131

23Findet im Rahmen der weitergehenden Fachaufsicht grundsätzlich auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle statt, so ist die Wahrnehmung der Rechtsaufsicht auf die Sicherstellung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen aufsichtsunterworfener Verwaltungsträger beschränkt. Diese Aufsichtsvariante findet Anwendung namentlich im Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben, insbesondere in Bezug auf die gemeindliche Selbstverwaltung (Kommunalaufsicht).132 Dabei üben die Kommunalaufsichtsbehörden die Rechtsaufsicht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens nach denselben Grundsätzen und gestützt auf dieselben Eingriffsinstrumente133 aus, die auch sonst für die Ausübung der Kommunalaufsicht zur Verfügung stehen. Das Spektrum möglicher Einwirkungen auf den Vergabeprozess reicht dabei von der Ausübung bloßer Unterrichtungsrechte über die Beanstandung bzw. Anordnung von Handlungen134 mit Bezug auf das Vergabeverfahren bis hin zur ersatzweisen Ausführung zuvor erfolglos angeordneter Maßnahmen im Wege der Ersatzvornahme, etwa durch Zuschlagserteilung135. Auch die den Fachaufsichtsbehörden nach Maßgabe der jeweiligen Regelungsbereichen auf Bundes- und Landesebene zustehenden Informations- und Weisungsrechte können gegenüber den der Aufsicht unterworfenen Stellen auch bei Vergabeverfahren eingesetzt werden.136 Da den Rechts- und Fachaufsichtsbehörden regelmäßig immerhin ein bis hin zum Instrument der Ersatzvornahme reichendes Arsenal an rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten zu Gebote steht und ihre Befassung eine zusätzliche Kostenbelastung nicht zur Folge hat, sollte die Möglichkeit einer flankierenden Aufsichtsbeschwerde trotz der aufgezeigten Defizite137 im Einzelfall durchaus ernsthaft in Betracht gezogen werden.

II.Vergabeprüfstellen

24Die in §§ 102, 103 GWB a. F. noch ausdrücklich erwähnte Möglichkeit der Vergabeüberprüfung durch verwaltungsinterne Vergabeprüfstellen soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch ohne ausdrückliche bundesrechtliche Grundlage fortbestehen.138 Als Relikt des zweistufig konzipierten verwaltungsinternen Vergabekontrollregimes im System der sog. „haushaltsrechtlichen Lösung“139 war diese Vergabekontrolleinrichtung im Zuge des Vergaberechtsänderungsgesetzes 1999 zunächst noch partiell in das System der §§ 102 ff. GWB a. F. überführt worden. Die Vergabeprüfstellen firmierten allerdings fortan nurmehr als fakultativ anrufbare Kontrollstellen und fristeten als solche neben der Vergabekammer als obligatorischer Eingangsinstanz zunehmend ein Schattendasein. Da zudem bereits die Einrichtung derartiger Stellen in das freie Ermessen von Bund und Ländern gestellt war140 und ihre Anrufung einen § 169 Abs. 1 GWB entsprechenden Suspensiveffekt nicht ohne Weiteres141 zur Folge hatte, blieb die praktische Relevanz der Vergabeprüfstellen für den Rechtsschutz oberhalb der Schwellenwerte trotz unbestrittener Vorzüge (insbesondere in Hinblick auf Verfahrenskosten und Streitschlichtungswirkung)142 letztlich gering.143 Die Erkenntnis, dass vor diesem Hintergrund ein Bedarf für eine bundeseinheitliche Regelung der Einrichtung und des Verfahrens von Vergabeprüfstellen kaum mehr nachweisbar war, veranlasste den Reformgesetzgeber im Jahr 2009 dazu, die Bestimmungen betreffend die Vergabeprüfstellen aufzuheben.144 Damit stehen den noch unter dieser Bezeichnung firmierenden Vergabeprüfstellen die bisher in § 103 Abs. 2 GWB a. F. begründeten Kontrollmöglichkeiten und Interventionsmechanismen jedenfalls kraft Bundesrechts nicht mehr zur Verfügung.145 Der Umfang der Kontrolltätigkeit der auf Bundes- und Landesebene in eigener Zuständigkeit eingerichteten Vergabeprüfstellen bemisst sich vielmehr ausschließlich nach den hierfür jeweils getroffenen (verwaltungsinternen) Bestimmungen des Bundes und der Länder. Durch die vollständige normative Entkoppelung ihrer Grundlagen und Handlungsbefugnisse vom Nachprüfungsregime des GWB haben die noch unter dieser Rubrizierung fortgeführten Vergabeprüfstellen ihren kartellvergaberechtlichen Sonderstatus gegenüber den in § 155 GWB weiterhin bezeichneten allgemeinen „Aufsichtsbehörden“ eingebüßt und unterscheiden sich von diesen nurmehr durch ihre exklusive Vergaberechtsbezogenheit.

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