Читать книгу Vergaberecht - Corina Jürschik - Страница 123

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15Zulässig ist ein Nachprüfungsantrag nur dann, wenn das in Rede stehende Vergabeverfahren im Zeitpunkt der Antragstellung, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits eingeleitet worden ist.87 Ein vorbeugender Rechtsschutz gegen ein mögliches künftiges Beschaffungsverhalten des Auftraggebers ist über das kartellvergaberechtliche Nachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu erlangen.88 Denn für vorbeugende Ansprüche in Bezug auf ein künftig einzuleitendes Vergabeverfahren, die Verfahrensart oder Form oder den Zeitpunkt gibt das Vergabeprozessrecht keine Handhabe. In einem derart vorgelagerten Zeitpunkt ist der Rechtsschutzsuchende vielmehr gehalten, vor den Zivilgerichten um Rechtsschutz nachzusuchen.89 Die Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens, das mit der Absendung der Vergabebekanntmachung an das Veröffentlichungsorgan beginnt,90 ist allerdings nicht Voraussetzung für die Eröffnung des Nachprüfungsrechtswegs.91 Für die Bestimmung des Beginns des Vergabeverfahrens und damit auch dessen Überprüfbarkeit im Wege der §§ 155 ff. GWB ist im Interesse eines effektiven Primärrechtsschutzes vielmehr ein materielles Verfahrensverständnis92 zugrunde zu legen mit der Folge, dass auch sogenannte de-facto Vergaben93 der Nachprüfung unterliegen. Der durch §§ 155 ff. GWB eröffneten Nachprüfung ist damit nicht nur die Durchführung des Vergabeverfahrens bis (einschließlich) zur verfahrensbeendigenden Entscheidung zugänglich, sondern auch schon die Einleitung bzw. Nichteinleitung des Verfahrens selbst.94 Der Gesetzgeber95 hat diese materielle Betrachtungsweise mit der Schaffung des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB a. F. („am Vergabeverfahren“) im Zuge des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes von 2009 auch legislativ nachvollzogen (nunmehr § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB96).

16Bei Auftragsvergaben ohne Anwendung eines geregelten Vergabeverfahrens ist auf die nach außen wahrnehmbar hervorgetretenen Anstalten des öffentlichen Auftraggebers zur Auswahl eines Auftragnehmers mit dem Ziel einer rechtsgeschäftlichen Einigung abzustellen.97 Erforderlich ist neben einem internen Beschaffungsentschluss des Auftraggebers eine äußerlich sich manifestierende Umsetzungstendenz dergestalt, dass der Auftraggeber über bloße Vorbereitungen hinaus damit beginnt und dazu bestimmte organisatorische oder planerische Maßnahmen ergreift, einen Auftragnehmer mit dem Ziel eines Vertragsschlusses zu ermitteln und auszuwählen.98 Für diese Maßnahmen gilt, dass sie „nach ihrem objektiven Erklärungswert den Wechsel von einem Gedankenspiel […] zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsschlusses“99 dokumentieren müssen. Maßgebend bei der Bewertung der von dem Antragsgegner unternommenen Schritte ist der objektive Empfängerhorizont eines potenziellen Bieters.100 Bloße Vorbereitungshandlungen wie insbesondere Markterkundungsmaßnahmen (ggf. auch unter Anfrage bei Marktteilnehmern), Vorstudien101 oder vergleichende Wirtschaftlichkeitsberechnungen102 leiten das Verfahren grundsätzlich ebenso wenig ein wie überhaupt interne Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags einschließlich der Erstbefassung der späteren Entscheidungsgremien.103 Unbeachtlich für die Eröffnung des kartellvergaberechtlichen Rechtsschutzes ist auch die förmliche Beschaffungsentschließung eines lediglich im Innenverhältnis wirkenden politischen Willensbildungsorgans des Auftraggebers, soweit diese Entscheidung ihrem Inhalt nach auf externe Umsetzung eines nach außen hin auftretenden Organs des Auftraggebers angelegt ist.104 Etwas anderes gilt, soweit nach den Umständen des Einzelfalles durch den Beschluss des betreffenden Gremiums der Vertragsschluss unmittelbar hervorgebracht werden soll.105 Auch eine freiwillige und unverbindliche Vorinformation über ein künftiges Beschaffungsvorhaben markiert noch nicht den materiellen Beginn eines der Nachprüfung zugänglichen Vergabeverfahrens.106 Gleiches gilt für die bloße Absichtsbekundung gegenüber dem derzeitigen Leistungserbringer, den nach Ablauf bestehender Verträge weiterhin gegebenen Bedarf – möglicherweise anders als früher – in einem Vergabeverfahren decken zu wollen.107 Begonnen hat ein materielles Vergabeverfahren jedoch dann, wenn sich die Absicht des öffentlichen Auftraggebers zur Vergabe hinreichend bestimmter Aufträge derart konkretisiert hat, „dass sich die Frage stellt, wer den Auftrag erhalten soll“.108 Das Stadium der bloßen Vorbereitung oder internen Willensbildung ist mithin überschritten und die Nachprüfung gem. §§ 155 ff. GWB eröffnet, wenn der Auftraggeber mehreren Unternehmen Gelegenheit zur Abgabe von Angeboten gibt109 oder gar in die Angebotswertung eingetreten ist.110 Auch die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen mit einem bestimmten Interessenten stellt eine hinreichend externalisierte Willensäußerung dar.111 Anders als eine rechtlich unverbindliche Vorinformation markiert die Bekanntmachung der Direktvergabeabsicht nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung 1370/2007 als fristauslösende Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ebenfalls den Beginn des förmlichen Vergabeverfahrens und stellt sich daher als der Nachprüfung im Wege der §§ 155 ff. GWB zugängliche Entscheidung dar.112 Trotz der Beschaffungsautonomie des Auftraggebers kommt ein Vergabenachprüfungsantrag mit dem Ziel, den Auftraggeber zur Beschaffung von Leistungen in einem wettbewerblichen Verfahren zu verpflichten, schließlich auch dann in Betracht, wenn ein externer Beschaffungsbedarf des Auftraggebers unstreitig besteht und sich permanent durch das (einseitige) Auslösen von entsprechenden Vertragsverhältnissen manifestiert.113

17Bei der Bestimmung des Zeitpunkts des Verfahrensbeginns ist in Rechnung zu stellen, dass gerade bei Direktvergaben Außenstehende nur zufällig von dem weiteren Verfahren Kenntnis erlangen und daher für die Erlangung eines effektiven Rechtsschutzes in besonderer Weise auf rechtzeitigen Rechtsschutz angewiesen sind.114 Da dem außenstehenden Auftragsinteressenten bei Auftragsvergaben ohne Anwendung eines geregelten Vergabeverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung zudem Einblicke in die Sphäre der Vergabestelle typischerweise verwehrt sind, wird man an die ihm obliegende Darlegung des Vergabeverstoßes im Nachprüfungsverfahren aus Gründen der Rechtschutzgewährung keine überzogenen Anforderungen stellen dürfen. Insbesondere dann, wenn der gerügte Vergabeverstoß ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle verortet ist oder das Angebot eines Mitbewerbers betrifft, wird der Antragsteller seiner Begründungspflicht (§ 161 Abs. 2 GWB) schon durch die Mitteilung dessen gerecht, was er auf der Grundlage des ihm erreichbaren Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf.115

18Der kartellvergaberechtlichen Nachprüfung im Wege der §§ 155 ff. GWB sind auf der anderen Seite nur solche Vergabeverfahren zugänglich, die nicht bereits durch Zuschlagserteilung oder Aufhebung einem rechtswirksamen Abschluss zugeführt wurden. Die Vergabekammer und auch der Vergabesenat können gem. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB einen bereits erteilten Zuschlag nach Ablauf der Frist gem. § 135 Abs. 2 GWB nicht wieder aufheben, da nach der deutschen Rechtskonzeption Zuschlag und Vertragsschluss in einem Akt zusammenfallen.116 Aus demselben Grund ist es der Vergabekammer auch verwehrt, den Antragsgegner zu verpflichten, den durch Erteilung des Zuschlags geschlossenen Vertrag zu beenden.117 Unter den Voraussetzungen des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB kommt nach wirksamer Zuschlagserteilung nurmehr die Feststellung einer Rechtsverletzung in Betracht, auf deren Grundlage Sekundärrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten begehrt werden kann (§ 179 Abs. 1 GWB).

19Das Vergabeverfahren und damit auch die Möglichkeit seiner Nachprüfung endet ferner mit der Entscheidung über die Aufhebung bzw. Einstellung des Verfahrens, die als solche einer Nachprüfung im kartellvergaberechtlichen Primärrechtsschutzverfahren jedoch zugänglich ist.118 Die Anerkennung eines Kontrahierungszwangs geht mit der Eröffnung der Nachprüfungsmöglichkeit für Aufhebungsentscheidungen freilich nicht einher, soweit die Aufhebung Ausdruck eines gleichsam unabänderlichen Willens des Ausschreibenden ist.119 Es bleibt der Vergabestelle grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt.120 Gibt der Auftraggeber sein Beschaffungsvorhaben also endgültig auf oder erfährt der Ausschreibungsgegenstand eine wesentliche Modifikation, so kommt eine amtswegige Korrektur der Aufhebungsentscheidung ungeachtet etwaiger Aufhebungsgründe grundsätzlich nicht in Betracht. Unberührt bleibt insoweit die Kompetenz der Vergabekammer zur Feststellung einer Vergaberechtsverletzung mit den in § 179 Abs. 1 GWB angeordneten Rechtswirkungen.121 Hält der Auftraggeber hingegen an der Vergabe des Auftrags weiterhin fest und fehlt es der Vergabestelle an rechtlich anerkannten Aufhebungsgründen, so kann die Vergabekammer auf Antrag auch die Fortführung des ursprünglichen Vergabeverfahrens anordnen,122 insbesondere im Falle einer Scheinaufhebung.123 Gleiches gilt für die Konstellation einer irrtümlich für erforderlich gehaltenen Aufhebung, bei der ein fortbestehender Vergabewille regelmäßig zu vermuten ist.124 Die Aufhebung der (unwirksamen) Aufhebung kann die Nachprüfungsinstanz dabei selbst anordnen, ohne diese Maßnahme erst der Vergabestelle übertragen zu müssen.125

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