Читать книгу Strafrecht für Polizeibeamte - Elmar Erhardt - Страница 57
1.Der „error in persona“: Die Identitätsverwechslung von Personen
Оглавление72Übungsfall 15: „Rose-Rosahl-Fall“ (der klassische Schulfall)34
Hierzu ein Auszug aus dem originalen Sachverhalt, den das Preußische Obertribunal im Jahre 1859 zu entscheiden hatte:
„Zimmermann Schliebe ging am 11.9.1858 abends nach neun Uhr von Schliepzig nach Lieskau bei Halle. Es war ziemlich dunkel. Er fand einen Leichnam, und es fand sich, dass der Leichnam der des 17-jährigen Gymnasiasten Harnisch war, welcher in Schliepzig sein Taufzeugnis zum Eintritt in den Jägerdienst an jenem Abend geholt hatte und auf dem Rückwege von dort nach Lieskau begriffen gewesen war. An dem Leichnam wurden mehrere Schusswunden gefunden; der Schädel war zertrümmert. Schliebe gab sofort die Vermutung kund, dass der tötende Schuss nicht dem Ermordeten, sondern ihm selbst gegolten habe. Er stehe mit dem Holzhändler Rosahl zu Schliepzig in Geschäftsverbindungen und habe von demselben Geldsummen, die dieser ihm und anderen Personen dort schulde, zu erheben. Er lenkte den Verdacht auf einen der Rosahl’schen Arbeiter namens Rose. Rose ward verhaftet und gestand alsbald auch die Ermordung zu, aber zugleich, dass er von seinem Dienstherrn Rosahl zur Ermordung des Schliebe, nicht aber des Harnisch angestiftet worden sei. Rosahl wurde gleichfalls verhaftet und legte ebenso ein Geständnis ab.“
Zur Klarstellung: Rose wollte auftragsgemäß den Schliebe töten. In der Dämmerung verwechselte er diesen mit dem zufällig vorbeikommenden Schüler Harnisch. Prüfen Sie die Strafbarkeit des Rose!35
Es dauerte fast 130 Jahre, bis der BGH die Gelegenheit bekam, in einem ähnlich gelagerten Fall zum Thema „error in persona“ Stellung zu nehmen:
73Übungsfall 16: „Hoferben-Fall“36
Der spätere Angeklagte A., Eigentümer eines landwirtschaftlichen Hofes, wollte seinen Hoferben, seinen leiblichen Sohn Karl-Friedrich (K.-F.) beseitigen lassen. Deshalb heuerte er den späteren Mitangeklagten St. an. Dieser sollte für Geld den K.-F. im Pferdestall des Hofes, den dieser bei seiner abendlichen Heimkehr zu durchqueren pflegte, töten. Um sicher zu gehen, dass andere Personen nicht zu Schaden kamen, unterrichtete A. den St. über Aussehen und Gewohnheiten des K.-F. Außerdem legte er ihm ein Foto seines Sohnes vor. Am Abend der Tat trafen sich A. und St. im Pferdestall. A. vergewisserte sich nochmals bei St., dass dieser den K.-F. auch sicher werde identifizieren können. St. wartete dann allein im Stall. Es war dunkel. Nur der Schnee erzeugte etwas Helligkeit. Gegen 19 Uhr betrat ein Nachbar N. den Stall. Dieser N. ähnelte in der Statur dem K.-F. Außerdem trug N. in der Hand eine Einkaufstüte, wie es auch der K.-F. zu tun pflegte. In der Annahme, den K.-F. vor sich zu haben, erschoss St. aus nächster Nähe den N.
Strafbarkeit des St.?
Der BGH hat im „Hoferben-Fall“ die fast 130 Jahre gültige Rechtsprechung zum „Rose-Rosahl-Fall“ bestätigt. Die Grundregel lautet: Sind die verwechselten Tatobjekte tatbestandlich „gleichwertig“ (Mensch – Mensch), so ist der Irrtum unbeachtlich. Denn wer einen Menschen vor sich sieht, auf diesen die Schusswaffe anlegt, zielt und abfeuert, will „einen“ Menschen töten und weiß, dass er einen Menschen tötet. Dass er dabei den falschen Menschen erwischt hat, ist allein ein Irrtum in der Motivation des Täters, aber kein Irrtum über Tatumstände. Nach § 212 I macht sich nämlich jeder strafbar, der vorsätzlich einen Menschen tötet. Unerheblich ist dabei, dass er die Identität der Personen verwechselt hat (= bloßer „Motivirrtum“).
Konsequent dabei ist, dass in solchen Fällen der reinen Personenverwechslung (error in persona) nicht zwischen Versuch am Zielobjekt und Vollendung am getroffenen Objekt differenziert wird. Sowohl im Rose-Rosahl-Fall (Übungsfall 15) als auch im Hoferben-Fall (Übungsfall 16) waren die jeweiligen Todesschützen deshalb wegen eines vollendeten Tötungsdelikts, und weil in beiden Fällen Mordmerkmale vorlagen (Habgier, Heimtücke), sogar wegen vollendeten Mordes strafbar.