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Kapitel 42: Die Hauptstadt des vergangenen Jahrhunderts
ОглавлениеWas an Paris sofort auffiel und besonders, wenn man aus Berlin kam mit seinen Baulücken, seinem Durcheinander von Baustilen, das war die Einheitlichkeit des Stadtbildes, wie geschlossen die ganze Stadt wirkte, und nicht, daß das unangenehm auffiel, beeindruckend war’s auf alle Fälle, und insofern verstehe ich die Vergewaltigung, die dieser Speer mit Berlin vorhat – wenn nur der Nazistil nicht so ein klobiger wäre. An Paris merkte ich, daß ich mit der ganzen modernen Architektur nichts zu tun habe und schon gar nicht in ihr mit einem so unbehausten Gefühl hausen möchte – mit dieser Moderne hatten doch auch Leute wie George und ich nichts am Hut, und wir trugen doch immerhin noch Hüte, und das selbst oft genug im Innenraum, bei uns im Atelier. Und ich malte sie auch gerne, die Hüte, und George doch auch. Wir waren ja beide nicht gegenstandlos, sondern gegenstandsgesättigt und gegenständlich bis zum Erbrechen. In dem Sinne modern, wie die moderne Kunst modern sein wollte, das waren wir doch nicht. Das sind nur ganz oberflächliche Übereinstimmungen, Zeitbezüge, nur weil da Künstler mit ganz unterschiedlichen, ja, feindlichen, einander entgegengesetzten Bestrebungen in der gleichen Epoche Gegenwart leben, die sich, sagen wir mal, vom Barock wiederum deutlich unterscheiden läßt. Was hatten wir denn mit Kandinsky zu schaffen oder mit Hanseln wie Klee? Nichts, aber auch gar nichts – das ist doch was für Blaustrümpfe mit Sinn für Höheres, für Lehrerinnen, für Kosmetikerinnen, diese Kunstgewerbe-Kunst, dieses ganze dekorative Zeugs. Wenn dem heutzutage der ganz große Erfolg versagt ist, dann liegt das nicht nur an der Geschmacksdiktatur von Aha, sondern auch daran, daß die deutsche Frau bei den Nazis mehr zu lachen hat, zu juchzen, aufzuschreien und zu stöhnen und es insgesamt wahrscheinlich gebärfreudiger zugeht. Und natürlich auch heroischer – keine gute Zeit also für Ihre kleinteiligen, allerdings wirklich sehr geschmackvollen Stoffmuster-Entwürfe, mein lieber Herr P wie Plattkopf Klee. Und bleiben Sie uns doch bitte von unserm nordischen Acker, Wassily Kandinskinowitsch mit Ihrem frei schwebenden Gewürm, Ihren ansteckenden Bakterien – der ist doch sicher auch Jude, der Russe, aber das spräche in meinen Augen noch nicht unbedingt gegen ihn. Nur, daß das diesem Volke bisher noch nicht so eigen war, das mit den Bildern, denn sie sollten sich ja keines machen. Als Instrumentalisten, als ausführende Musiker sind sie unschlagbar, und auch wissenschaftlich sind sie wohl stark im Kommen – aber als Maler? Na, gut, Malen ist, wie wir jetzt gelernt haben, noch was anderes, auch ein Anstreicher malt, und ein Mondrian malt auch, doch Bilder, Bilder, Bilder sind was anderes, und diesen Hunger nach Bildern, den gibt es in der letzten Hütte, und den gibt es bei den Kleinbürgern mit ihren röhrenden Hirschen an der Wand, und den Hunger, den stillen sie eben nicht, die Abstrapften – ich werd doch die nicht zu meinen Kumpels, meinen Freunden erklären, nur weil der Nazi was gegen sie wie auch mich hat. Der Nazi hat gegen viele was, hat viele Feinde, und das sind deshalb doch nicht plötzlich alles meine Freunde. Die Zeugen Jehovas zum Beispiel oder alles, was immer noch so rot ist, an den Königreichsaal im Paradies der Werktätigen zu glauben – diese netten Leute, die mich als ihren Abtrünnigen sofort an die Wand stellen würden, könnten sie, hätten sie die Macht. Der Nazi hat mich bis eben doch in Ruhe gelassen, so lange jedenfalls, wie meine unnationalsozialistische Lebensweise nicht so auffiel – gut, es gab diese verdammte Ausstellung mit der entarteten Kunst, aber wenn ich ehrlich bin, die meisten Bilder, die da hingen, die hätte ich doch auch als abartig bezeichnet. L’art, wie es auf Französisch heißt, und wo es art gibt, da gibt’s auch Entartung, Kunscht, die keine Kunst ist.
Im Louvre war ich bei meinen Wanderungen durch Paris übrigens nicht – mußte ich ja auch nicht, wollte ich ja auch nicht. Auf den Straßen gab es genug zu sehen, und ich schau mir doch lieber lebendige Menschen an als gemalte. Menschen und besonders Frauen und also auch Pariserinnen, die einen wie mich von etwas anderem träumen lassen als nur von schön gemalten Bildern. Beaux-arts – was soll’s? Die Pariserin aber … Sich so erniedrigen, erdrücken zu lassen von wirklich großer Kunscht und ihren allergrößten Künstlern, das tue sich an, wer als zweit- oder drittklassiger Pinselschön und Pinselhäßlich masochistisch genug ist – da ist bei mir der echte, der sexuelle Masochismus vor, das süße Leiden, das erregende. Hier mal nicht als Sublimation für einen wenig sublimen Künstler. So von einer Pariserin sich erniedrigen lassen, statt vom Louvre in Paris, ich meine …