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Kapitel 49: Nächtliche Schüsse

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Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Höre Schüsse. Eine MG-Salve. Kann dann stundenlang nicht mehr einschlafen. Heute früh erzählt mir mein Wärter, als er mir das Anspitzmesser in die Zelle bringt, es habe da jemand zu fliehen versucht. Natürlich vollkommen vergebens. »Und wie geht es meinem Mithäftling jetzt?« frage ich ihn. »Dementsprechend.« Was das bedeute? »Tot ist tot.« Er würde das aber nicht verstehen von dem, der wäre doch nicht zum erstenmal im Knast gewesen, ein alter Kunde. Und dann lacht er mich an: »Ein richtiger Ganove, nicht so was wie Sie, um den ist’s nicht schade.« Und ich stehe da mit meinem scharfen Anspitzmesser in der Hand und könnte es ihm an die Gurgel drücken, eine Geiselnahme versuchen – versuchen, und am Ende sind wir dann vielleicht wenigstens zu zweit tot. Einen mitnehmen. Einen von ihnen. Aber nicht ihn, nicht diesen Wärter. Nicht den Familienvater. Nicht den, der mir Äpfel von sich zu Hause aus dem Garten mitbringt: »Damit Sie mal ein bißchen Vitamine kriegen, Herr Schlechter.« Ein fieser Hund, den ich hassen kann, wäre mir wohl lieber. Nein, das wäre es nicht.

Bumm! Einfach totgeschossen. Da weiß man also, was man machen muß, wenn man’s nicht mehr aushält hier: flüchten, und mehr als ein Fluchtversuch wird’s ja nicht werden können und dann: auf der Flucht erschossen. Könnten sie eigentlich auch ohne haben – mich einfach abknallen, wenn mich der Läufer zur Vernehmung holt, und dann hinter einer der vielen Ecken stellen sie ihr MG auf. Oder ein einsamer Pistolenschuß, der macht es auch. In Notwehr, ließe sich immer behaupten. Ich hätte da jemanden angefallen. Warum tue ich’s nicht? Wahrscheinlich wäre da die Aussicht auf einen vorzeitigen, nicht ganz natürlichen Tod größer, denn flüchten, das wird so einfach gar nicht sein, dazu muß man sich schon ganz gut in so einem Gefängnis auskennen und also ein alter, erfahrener Knacki sein. Ich käme doch gar nicht bis zur Mauer. Das wäre doch immerhin eine Leistung, so weit zu kommen, da hätte man sich wirklich einen würdigen Abgang dann verdient. Da dürfte ihnen die Kugel nicht zu schade sein. Denn das müßte ich ja befürchten, falle ich den Läufer von hinten an, auf der Treppe über ihn her: daß der Hund dann noch nicht mal schießt und die herbeieilenden Wachen mich nur zusammenschlagen, mehr nicht. Es gibt ja an den Wänden überall auf den Gängen und der Treppe auch diese Reißleinen, da sind sie sicher schnell zur Stelle. Das könnte man ja mal ausprobieren, was dann passiert, ob sie da dann schon mit gezückter Waffe aufkreuzen. Ich stürze auf der Treppe hin, simuliere einen Sturz, schwanke erst ein bißchen, damit das der Läufer schon sieht und für sich einordnen kann, als harmlos, wenn ich falle, mich einfach fallen lasse. Und natürlich will ich wie jeder Fallende nicht hinfallen, halte mich also irgendwo fest, grad wie’s kommt, und bei mir wäre das dann diese Reißleine, an der ich mich festhalte – nur so zum Test. Aber selbst dazu fehlt mir wohl der Mumm. Man weiß ja nie, wie’s endet und ob’s nicht vielleicht im Ernstfall endet und also doch mir nichts, dir nichts totgeschossen. Da bleibe ich lieber hübsch artig im Gehäuse, in meiner Klosterzelle und lasse mich nicht versuchen. Es gibt ja andere Fluchten noch, Fluchten, in denen ich mehr Übung habe. Fluchten, wo man dann weiterlebt. Weiterleben muß, und genau dort, von wo man so schön abgehauen ist.

Speedy – Skizzen

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