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Kapitel 48: Interregnum

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Rechnen wir doch einmal nach: vom 30. Januar bis zum 27. Februar – wieviel Tage sind das genau? Das ist eine ganz einfache Rechnung, bei der 28 Tage herauskommen, nicht mehr als 28 Tage. Also keine lange Zeit, noch nicht mal ein Monat. Einen Monat lang ließ sich das wirklich gut verdrängen, daß der Nazi herrschte, die Macht übernommen hatte, die Macht immer mehr auch übernahm. Die Liste ließ sich verdrängen, auf der irgendwo weiter unten vielleicht auch mein Name notiert stand – was jedenfalls nicht auszuschließen war. Wenn auch wahrscheinlich unwahrscheinlich. Es wurden Leute totgeschlagen, es verschwanden Leute, aber das tangierte mich nicht wirklich, ich hatte zu diesen Leuten doch schon länger keinen Kontakt mehr. Und ich hatte anderes, sehr viel Besseres zu tun, als mir um die Gegner der Nazis einen Kopf zu machen: ich war dabei, mich mit Hilfe meiner Frau zu verweiblichen, und ein stärkeres Verdrängungsmittel gab es nicht, konnte es für mich nicht geben. Das Unglück da draußen, der Terror, was ging mich das an, solange ich so glücklich anderweitig beschäftigt war. Mein Thema war ein anderes in diesen Tagen, diesen 28 Tagen, bis dann der Reichstag brannte. Am 27. Februar. Knapp einen Monat nach der Machtergreifung. Aber auch dieser Schreckenstag erreichte mich nicht wirklich, Speedy hielt ihn von mir fern. Erfolgreich von mir fern.

Aber es war dies nicht allein eine glückliche Zeit für mich, für mich und Speedy, und weil wir da plötzlich ein gemeinsames Projekt hatten und verfolgten, das meiner Verweiblichung. Wir waren uns nah in diesen Tagen und doch sehr bald auch wieder fern, schmerzlich fern, und ich verstand es nicht, warum ihr dies nicht genügte, unser gemeinsames Glück, warum sie darüber hinaus noch etwas anderes wollte: einen Mann. Parallel dazu. Und dann auch noch diesen Mann: ausgerechnet Masseck – meinen früheren Verlobungsbeauftragten, Verlobungshelfer, unseren Trauzeugen Masseck, dessen Zeit doch mit der Trauung eigentlich hätte vorüber sein sollen, denn so war’s doch versprochen. Aber Speedy hielt sich nicht dran. Und ich verstand es nicht: hatte sie das nötig? So einen Rückgriff? Masseck wieder aufgewärmt, ausgerechnet Masseck. Und überhaupt: es gab doch noch ein paar andere Männer mehr, wenn sie denn unbedingt einen Mann brauchte und mit mir als Frau, als Weib nicht genug hatte. Ich sah es als Schwäche. Und ich wünschte doch Speedy stark, gerade jetzt in dieser Zeit stark. Fühlte sie sich älter geworden, war sie sich ihrer weiblichen Reize etwa nicht mehr sicher? Das konnte doch nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein. Und deshalb die Suche nach einer anderen Möglichkeit der Interpretation dieses Rückgriffs auf Masseck: ich erklärte mir es so, daß Speedy da in Berlin einen Informanten haben wollte, jemanden, der nahe genug am politischen Geschehen dran war, sehr viel näher jedenfalls als wir beide in Grünheide Alt-Buchhorst, in unserer Hütte, angewiesen allein auf das Radio und was so in der Zeitung stand. Und es stand ja nicht mehr soviel in der Zeitung, und Masseck, der Zeitungsschreiber, verfügte sicher über ein paar Informationen mehr. Über Hintergrundwissen. Wenn Speedy das beruhigte, über Masseck einen Zugang zu den politischen Hintergründen zu haben, so versetzte mich dies nur in Unruhe. Denn es bedeutete, daß sie sehr viel mehr beunruhigt war, als sie mir gegenüber zugab. Es bedeutete, daß sie mich ablenken wollte, es bedeutete, daß ihr soviel an meiner Verweiblichung gar nicht lag, daß sie mit ihr nur einen Zweck verfolgte, den dann durchsichtigen Zweck, mich abzulenken, mich in trügerischer Sicherheit zu wiegen. Und wegen Masseck gelang ihr das dann nicht. Masseck brachte die Nazi-Wirklichkeit in unsere Hütte, unser Heim – ausgerechnet Masseck, die Existenz von Masseck, die Wiederkehr von Masseck, der wieder aufgewärmte Masseck. Und durch das, was Masseck in diesen 28 Tagen bis zum Reichstagsbrand erlebte, denn es beschäftigte Speedy, es ließ sie nicht los, es regte sie auf, und sie erzählte es mir, wenn sie von Masseck zurückkam – brühwarm und eigentlich ungefiltert. Ohne zu merken, wie sehr sie mich damit beunruhigte, wie sehr sie alle ihre Bemühungen, mich ruhig zu halten, damit konterkarierte und um ihren Erfolg brachte. Man stelle sich diese Zumutung vor: ich sollte ihren Masseck bemitleiden, bedauern – ich, ausgerechnet ich.

Die Nazis marschierten, und Masseck wurde gleichgeschaltet, Masseck ließ sich gleichschalten wie die gesamte deutsche Presse, und dies aber dann auf seine spezielle und eigentlich lächerliche Weise. Masseck, der arme, bedauernswerte, zu bemitleidende Masseck, er sah sich plötzlich in die Lokalredaktion versetzt, seine Seite, die einstmals so wichtige Filmseite der BZ am Mittag, sie war vorsichtshalber sang- und klanglos eingestellt worden. Jedenfalls für eine Übergangszeit, bis sich geklärt haben würde, wohin filmisch im Dritten Reich der Nazis die Reise gehen würde – denn das hatten sie alle, im Unterschied zu den meisten und auch zu mir, doch im Urin, die Herren Filmjuden, daß das kein weiterer Regierungswechsel sein würde, wie es schon viele gegeben hatte. Also Vorsicht, die neuen Produktionen lagen auf Eis, die fertigen Filme wurden zurückgehalten, und der große Filmfanatiker Masseck, er hatte nichts mehr zu berichten, zu kolportieren, und er ließ sich als Lokalreporter einsetzen. Es war nicht zu fassen: dieser Mann, der von sich behauptete, es überhaupt nicht nötig zu haben, bloß des Honorars wegen zu schreiben, sondern dies nur zu tun, um seiner fanatischen Filmleidenschaft zu frönen, er ließ sich zu den Eierdieben abkommandieren, den Verkehrsunfällen, den kleinen Zwischenfällen, wie sie in einer Großstadt wie Berlin halt immer vorkommen – er bekam noch nicht mal die größeren Geschichten, die natürlich bei den alteingesessenen Hasen der Lokalredaktion hängenblieben und nicht bei dem jungen Spund Masseck, der sich plötzlich wie ein Anfänger behandelt sah. Speedy regte sich mir gegenüber darüber auf, wie Masseck kaltgestellt worden war, Speedy regte sich darüber auf, weil Masseck sich darüber aufregte, und Masseck regte sich darüber auf, weil er einen dicken roten Filmtheatervorhang vor die nackte Tatsache ziehen wollte, daß er einfach nicht den Schneid aufbrachte, zu kündigen und der BZ am Mittag Lebewohl zu sagen. Und Speedy war so benebelt, so beeindruckt von des armen Massecks Leidensgeschichte, daß sie gar nicht merkte, wie lächerlich das war und wie unangebracht, davon grad mir vorzujammern. Ich hatte wirklich andere Sorgen, ich hatte doch Freunde, und diese Freunde, diese früheren Freunde, sie fielen mir wieder ein, als Speedy um ihren armen Freund Masseck zu klagen begann. Und meine Freunde, die waren doch von einem anderen Kaliber, und auch wenn das politisch nicht mehr meine Freunde waren, solche Leute wie Brecht, Heartfield, Piscator, Freunde waren es doch, Leute, mit denen ich mich verbunden fühlte, deren Schicksal mir nicht gleichgültig war, um die ich mir wegen der Nazis Sorgen zu machen hatte. Und auch für mich war das ja nicht vollkommen klar, und Speedys Jammern um Massecks schweres Schicksal brachte mich erst richtig drauf, daß ich das doch gar nicht abschätzen konnte, was wohl oder übel meine ehemals linke Vergangenheit für den ignoranten Nazi bedeutete und ob er denn meinen Wechsel ins nationale Lager überhaupt mitbekommen hatte – was wußte ich, ob die ihre schwarzen Listen regelmäßig erneuerten, und schwarze Liste, das bedeutete, daß man da wirklich schwarzzusehen hatte und mit einem dicken schwarzen Strich durchgestrichen werden konnte, einfach ausgelöscht. Das dämmerte mir jedenfalls langsam, und ich fühlte mich dann gar nicht mehr so wohl und in meiner schönen weiblichen Unterwäsche von den barbarischen Zeitläuften gestört. Für Speedy aber, die sehr bald überhaupt nicht mehr mitbekam, wie es mir, wie es ihrem Mann in diesen Tagen ging, für Speedy bestand die größte Ungerechtigkeit dieses Machtwechsels darin, daß ihrem armen Masseck in der Lokalredaktion Unrecht geschah, und das Allerverrückteste war dann noch, daß sie dies obendrein noch dem Hause Ullstein anlastete, dem die BZ am Mittag gehörte, und nicht etwa den Nazis und der Unordnung, die sie, die alles neu ordnen wollten, über Deutschland gebracht hatten, und vollends zog es mir die Schuhe, ja, sogar meine geliebten Knöpfschuhe aus, als sie anfing, antisemitisch daherzuquatschen, und Sachen sagte wie, da sähe man doch, wie abgrundtief feige diese Juden wären, und dies bezog dann irgendwann sogar neben dem jüdischen Hause Ullstein die Filmjuden mit ein, die ihre Filme zurückhalten würden – ich konnte es nicht fassen, und es war auch nicht zu fassen, und manchmal glaubte ich, Speedy rede so daher, nur um mich zu provozieren, mich zu ärgern, und einmal kam mir sogar der Gedanke, sie täte dies ganz gezielt, um mich von meinen Sorgen um meine alten Freunde und um mich auch selber abzulenken. Das nennt man wohl Liebe, da, wo Herzlosigkeit waltet, immer noch etwas Gutes, etwas gut Gemeintes wenigstens zu vermuten, zu erhoffen. Wir waren uns dann doch sehr bald sehr fern grad in diesen Tagen, wo ich ihre Nähe so sehr gebraucht hätte.

Speedy – Skizzen

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