Читать книгу Speedy – Skizzen - Florian Havemann - Страница 51
Kapitel 47: Das Darunter
Оглавление»Meinst du nicht auch, daß … « Ich kam mit diesem Satz gar nicht zu Ende am nächsten, am folgenden Tag, denn Speedy wußte das genau, was ich denn da zu meinen glaubte, daß ich mit ihr die neu entstandene politische Lage nach der Machtergreifung durch die Nazis diskutieren wollte, und genau dies wollte Speedy doch nicht, genau dies sah sie als vollkommen sinnlos an. Und deshalb unterbrach sie mich, bevor ich mit meinem Satz fertig war, deshalb ließ sie eine solche Diskussion gar nicht zu. Sie unterbrach mich damit, daß sie sagte: »Genau das meine ich auch, daß wir mal in meinem Kleiderschrank nachsehen sollten, ob wir da nicht etwas an Wäsche finden könnten, das auch meinem Mann paßt.«
Ihre Ablenkungsstrategie, ihre so erfolgreiche, so wirkungsvolle, denn natürlich brachte mich das auf andere Gedanken, und während wir dann in ihrem Schrank wühlten, waren mir der Herr Hitler und seine Nazibande wirklich herzlich egal. Ihre Ablenkungsstrategie war so wirkungsvoll, so erfolgreich, daß das bald zu einem Spiel zwischen uns wurde, und ich immer dann, wenn ich mal wieder in ihrem Schrank nach weiblich schöner Wäsche für mich, ihren Mann, suchen wollte, und das wollte ich doch oft in diesen düsteren Winter- und Nazi-Tagen, mit meinem Meinst du nicht auch, daß…-Satz kam, der meine geliebte Frau dann sehr bald regelmäßig zum Lachen brachte. Ja, sie meinte das auch, daß wir noch ein bißchen mehr nach Unterwäsche für mich suchen sollten – zumal wir das große Glück hatten, daß mir ihre Wäsche paßte, einigermaßen paßte, von der Größe her paßte, wenn auch natürlich nicht in allen ihren Stücken. Aber auch das war wichtig herauszufinden, welch weibliches Darunter, welche Dessous zu mir als Mann passen würden, was ich denn als Mann an Weiblichkeit an meinem Körper tragen konnte, ohne mich gleich lächerlich zu machen, ohne darin eine bloß lächerliche Figur und Mangelerscheinung abzugeben. Hemdchen gingen, Unterröcke und besonders die, bei denen es oben nicht so diese Ausbuchtungen gab, die ich nicht von Natur aus ausfüllen kann, und Speedy, die ja selber soviel an Brust nicht besitzt, hatte einige davon, die mir allerliebst standen – auch wenn sie an meinem doch etwas breiteren Brustkorb etwas spannten, was dann für Speedy aber nur bedeutete, daß wir für mich bei Gelegenheit mal ein etwas breiter geschnittenes Modell kaufen sollten, eines für die mehr fülligen, üppigeren Damen. Die Büstenhalter ließ Speedy außen vor, bei denen suchten wir erst gar nicht – Büstenhalter auch für mich, das wurde erst später wichtig und dann aber sehr. Strumpfhalter waren gut, und wunderbar war es, in diese Seidenstrümpfe zu schlüpfen, ihr glattes Material an der Haut zu spüren – schwieriger war es allerdings für mich, mit den Strapsen klarzukommen, an denen ich erst verzweifelte. Aber »Üben, üben, üben«, das war die Parole, die Speedy ausgab, und die Zeit dazu, die gab sie mir auch und jedesmal, wenn wir uns nach einem neuen Wäschestück in ihrem Kleiderschrank auf die Suche machten, meine Weiblichkeit zu komplettieren. Und hatten wir dann etwas für mich Passendes gefunden, dann durfte ich den Tag über dieses neue plus der alten, schon für mich gefundenen, anbehalten, und es waren dies selige Stunden, Stunden der Weiblichkeit, der glücklich empfundenen, der beglückenden Weiblichkeit.
Aber ich hatte doch dieses Üben, Üben, Üben der Weiblichkeit schon einmal geübt – nur war das eben schon eine ganze Zeitlang her, ein paar entscheidende Jahre, Jahre, in denen ich meine damals mühsam errungene weibliche Geschicklichkeit wieder verloren hatte. Daß mich weibliche Unterwäsche faszinierte, das war doch immer schon so, solange, wie ich überhaupt denken kann, das hatte schon bei dem kleinen Jungen begonnen, der ich einmal war, und ein Ausborger, ein heimlicher Ausborger natürlich, ein Mitbenutzer weiblicher Unterwäsche, das wurde ich mit 13, 14, und der Wäscheschrank meiner Mutter war dann bald nicht mehr vor mir sicher und auch der meiner Schwester, meiner ein paar entscheidende Jährchen älteren Schwester Gertrud nicht – zum Glück haben die beiden nie was davon gemerkt, zum Glück auch wurde ich nie von ihnen oder jemand anderem, und auch nicht von meinem Vater, was die schlimmstmögliche Katastrophe gewesen wäre, dabei erwischt, wenn ich mich in der Wäsche meiner Mutter oder der von Gertrud auf meinem Bett unterm Dach rekelte und natürlich wichste – was sonst?! Und natürlich panische Angst hatte. Auch vor dem lieben Gott, der alles sah und also auch mich sehen mußte, wie ich da etwas Verbotenes, Verpöntes tat, seiner ganzen göttlichen Weltordnung zuwiderhandelte, die mich doch zu einem Jungen, einem männlichen Wesen bestimmt hatte. Zu wichsen allein, das war schon schlimm genug, und dann gab es ja diese Gerüchte, diese Drohungen, daß dem, der wichse, das Schwänzchen verkümmere, und natürlich sah ich darin den Grund dafür, daß mein Schwänzchen Schwänzchen blieb und nicht mit mir mitwachsen wollte, und als die gerechte Strafe auch dafür. Aber als Junge in Frauenunterwäsche zu wichsen, das war noch einmal schlimmer, etwas, das mich zu einem Verdammten machte, zu einem, auf den das Höllenfeuer wartete, und daß mein Schwänzchen Schwänzchen blieb und nicht größer wurde, keine normale Mannesgröße erreichte, das erschien mir wie die vorgezogene Strafe hier auf Erden, die passende, die für einen Jungen passende, der wohl ein Mädchen sein wollte, lieber ein Mädchen gewesen wäre – das also, was einem katholisch erzogenen Jungen so an düsteren Gedanken im Kopf herumgeht und ihn irre machen kann. Erst das Studium in Karlsruhe, von zu Hause wegzugehen, und dann noch einmal mehr Berlin, die Freiheit der Großstadt, das war wirklich eine Befreiung für mich, eine Befreiung, die die Dämonen dann erst einmal richtig freisetzte, die Dämonen, die da in mir wüteten, die mir dann aber sehr willkommen waren, die mir geradezu als ein Ausweis meiner Künstlerschaft erscheinen wollten. Die Miederwarenabteilungen in den großen Kaufhäusern Berlins, die vielen Dessousgeschäfte überall, sie zogen mich magisch an, so sehr an, daß ich mir selbst immer mal wieder ein schönes Stück weiblicher Unterwäsche gekauft habe, ja, habe kaufen müssen – zum Glück hatte ich dann als Künstler den Erfolg, den ich brauchte, um mir immer mal wieder ein solches kleines weibliches Glück zu gönnen, denn diese weibliche Dessous-Schönheit, sie kostet ja Geld, und das nicht zu knapp. Der Vorwand war erst, daß ich diese Wäschestücke malen wollte, an ihnen den Faltenwurf studieren wollte, in dem die alten Meister so sehr Meister gewesen waren, aber sie mal anzuprobieren, das blieb natürlich nicht aus, das konnte bei dieser Vorgeschichte, Vorherbestimmung nicht ausbleiben. Und das war schön. Es war wunderschön, kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, die Furcht los zu sein, da in einem unpassenden Moment überrascht zu werden. Dann aber kam Speedy, dann aber lernte ich Speedy kennen, und dann redete Speedy davon, daß sie mich heiraten wolle, mit mir also zusammenleben wolle, und: wohin nun mit diesen Dessous, wohin mit meiner Unterwäschesammlung? Aber es war natürlich meine Dummheit: ich hätte ihr auch das offenbaren sollen, nicht nur mein Faible für die Knöpfschuhe, Knöpfstiefel, und so positiv wie auf diese Leidenschaft hätte sie doch auch auf die für das weibliche Darunter reagieren können. Doch ich Idiot verpaßte den Moment, mich verließ der Mut, die Angst kam hoch, Speedy wieder zu verlieren. Und die trügerische Hoffnung kam stattdessen hoch, ich könne vollkommen in dieser perversen Ehe aufgehen, die mir Speedy bot und direkt anbot, als einzig mögliche Möglichkeit für unsere Ehe anbot. Ihre Männergeschichten. Und ihre Männergeschichten, sie waren eine solche Herausforderung für mich, daß ich vollkommen davon absorbiert war, mit ihnen klarzukommen, daß sich all meine Perversität allein auf diese Perversion fokussierte, und ich dachte, glücklich von allem anderen erlöst auch, dachte: das wär’s. Und ich war wirklich ein kompletter Idiot, wo Speedy doch bereit war, auf diese Sache mit der Strangulation einzugehen, mir als kunstvoll arrangiert Strangulierte Modell zu stehen beziehungsweise halb zu hängen – was hätte da noch die Unterwäsche, meine Dessous-Sammlung für einen Schaden anrichten sollen? Aber da hatte ich sie schon verbrannt. Direkt am Tag vor unserer Hochzeit habe ich das getan, in der letzten Nacht – eine Art von Autodafé, der Versuch, die eigene perverse Vergangenheit auszulöschen. Zugunsten einer anderen perversen Zukunft, der unserer Ehe. Aus Scham natürlich, und es wurden dann auch noch ein paar Zeichnungen sehr eindeutig pornographischen Inhalts Opfer dieser Flammen. Insbesondere die natürlich, die ich von meinen Wäschestücken angefertigt hatte, die Faltenstudien, auf die ich so stolz gewesen war. Und ich hatte diese Studien ja auch am lebenden Modell betrieben, an mir und vor dem Spiegel, und davon nun durfte Speedy nichts zu sehen bekommen. Zwanghaft war’s, und dieses Bild der Flammen, in denen meine geliebten Wäschestücke untergingen und wie diese Zeichnungen dann vom Feuer aufgefressen wurden, wie sie verglimmten, das ging mir lange nicht aus dem Kopf, und es ist sofort wieder da. Und jetzt denke ich dran. Ein Schreckensbild. Ein Bild von großem Reiz. Der Pyromane in mir. Und vielleicht mache ich das ja noch mal, bevor ich abtreten muß, daß ich all mein Zeugs verbrenne. Keine Hinterlassenschaft. Nichts. Damit Speedy unbeschwert meine Witwe sein kann. Wenn’s wirklich nach den Tausend Jahren aussieht, die uns der Nazi versprochen hat, dann mache ich das, dann verabschiede ich mich so.
Und nun die entscheidende Frage, die Frage, die mir jeder selbsternannte, jeder auch von uns zu Rate gezogenen Eheberater stellen würde, von denen es professionell zum Glück und im Unterschied zum viel pragmatischeren Amerika in Deutschland nur ein paar ganz wenige gibt: Habe ich die Gelegenheit wenigstens genutzt, mich meiner Frau in meiner Leidenschaft für das weibliche Darunter an meinem eigenen männlichen Körper zu offenbaren, die, die sie mir bot? Damals 33, infolge von Hs Machtergreifung, wo dieses Darunter doch von ihr selber ins Spiel gebracht worden war, meine Verweiblichung von ihr zum Programm erhoben worden war – was für eine Gelegenheit, mit der Wahrheit herauszukommen, das Geheimnis zu lüften, ihr meine Vorgeschichte zu beichten. Und habe ich sie genutzt? Nein, das habe ich nicht. Aus Scham natürlich. Weil ich schon einmal diese Gelegenheit verpaßt hatte. Weil ich ihr nicht nur mein früheres, mein frühes Faible für die Weiblichkeit des Dessous und Darunter hätte eingestehen müssen, meine schon pubertär beginnende Leidenschaft, sondern auch, daß ich diese dann vor ihr geheimgehalten, ihr verschwiegen, mich ihr also beim Eintritt in unsere eheliche Gemeinschaft nicht voll und ganz und rückhaltlos offenbart habe. Aus Scham damals nicht, und nun ging es nicht mehr aus Scham wegen dieser Scham, weil ich mich dieser Scham zu schämen hatte, die mich etwas vor meiner Frau, der mir angetrauten Frau, hatte verheimlichen lassen. Weil es bedeutet hätte, ihr zu offenbaren, daß ich mich ihr nicht ganz und gar anvertraut hatte. Aus Scham, aus der Scham des Feiglings, des Versagers, aus der verdoppelten Scham, weil Speedy, anders als ich, aus ihren nymphomanischen Leidenschaften mir gegenüber doch kein Hehl gemacht hatte, und das schon vor der Hochzeit, vor unserer Eheschließung. Ihre perversen Leidenschaften anzuerkennen, das war die Basis, auf der unsere Ehe nur möglich wurde. Ich wußte, wen ich geheiratet hatte – nicht ganz, wie sich sehr bald noch herausstellen sollte, aber in diesem Moment, wo ich mich ihr hätte offenbaren müssen in meiner ewiglich, solange ich denken kann Passion für das weibliche Mieder und so weiter war es das, wovon ich auszugehen hatte. Und mich also ihr noch einmal unterlegen fühlen mußte. Scham, weil ich auch diese Unterlegenheit ihr gegenüber hätte eingestehen müssen. Scham, aber nicht nur Scham, nicht nur aus Scham, auch wegen der Gewohnheit, wegen der Lüge, die mir zur Gewohnheit geworden war. Und zur Überzeugung. Zu der Überzeugung, daß eine Ehe ohne Lüge nicht auskommt, daß man, daß weder Mann noch Frau alles wissen muß, alles wissen sollte, vom anderen wissen, soll eine Ehe funktionieren, und ich war doch 33, ich rechne nach, schon vier lange Jahre mit Frau Elisabeth Koehler verheiratet, wir hatten vier Jahre Ehe hinter uns, und nun war es einfach zu spät. Und trotzdem sicher ein Fehler. Ein unverzeihlicher Fehler. Denn Speedy hätte mir verziehen, die Scham, die Lüge, die Unwahrhaftigkeit, denn wenn sie eines kann als gute Katholikin, dann ist es vergeben, Vergebung. Weil wir alle schuldig sind. Alle Sünder. Aber ich wollte nicht Buße tun, und vergeben werden kann nur dem, der um Vergebung bittet. Ich wollte nicht bitten. Wollte mich nicht erniedrigen. Ich wollte nur glücklich sein, endlich in meiner Weiblichkeit glücklich sein. Das entschuldigt nichts. Das lädt nur noch einmal mehr Schuld auf mich. Ich weiß es, wußte es damals schon. Aber ich konnte nicht anders. Konnte nicht. Punkt. Aus. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, und alle Eheberater können mir gestohlen bleiben. Und sie können mir gestohlen bleiben, weil wir immer noch verheiratet sind, bis zum heutigen Tag, und das nur allein zählt. Jeder Tag zählt, den wir verheiratet sind. Und daß ich jetzt im Gefängnis sitze, und jeder Tag im Gefängnis zählt, weil ich wegen Speedy sitze. Wegen meiner wegen ihr unnationalsozialistischen Lebensweise. Ich zahle dafür, büße für mein Unvermögen, mein Versagen, und wenn ich ganz ehrlich mit mir bin, dann weiß ich doch, daß es noch einen anderen Grund gegeben hat, warum ich diese Gelegenheit nicht genutzt, mich ihr nicht in meiner weiblichen Unterwäsche zu Füßen geworfen habe, mein Geheimnis endlich zu offenbaren, und dieser Grund, er ist in der Tausendmal bestätigten Ahnung und nun Gewißheit zu finden, daß es Speedy nichts bedeutet hätte, darum zu wissen, daß es für sie nichts geändert, mich nicht auf Dauer für sie zu einer Frau gemacht hätte. Der Ausnahmemoment, der Ausnahmemoment bleibt. Aus dem nichts folgt. Auch wenn es ihr vielleicht Spaß gemacht hat, mich in diesen Tagen nach der Machtergreifung zu verweiblichen, für sie war das ganz wesentlich funktional: ein Mittel, mich anderweitig zu beschäftigen, ein Mittel, mir beim Verdrängen zu helfen. Den armen, von ihr gleichzeitig sicher verachteten Schlechter über eine ansonsten schlimme Zeit zu bringen. Für Speedy war’s ein Mittel, für mich die Erfüllung. Das bringt es auf den Punkt. Schluß aus – mehr ist dazu nicht zu sagen. Eine Ehegeschichte. Die Geschichte einer unglücklichen Ehe. Aber jede Ehe ist eine unglückliche Ehe. Weil uns auf Erden nicht zu helfen ist und Ehen nicht im Himmel geschlossen werden. Seien wir Realisten. Glotzen wir nicht mehr so romantisch.