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Schlummerrollen

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SIEWo man hinsieht, Menschen, die den Herbst eher nicht so toll finden. Ich bin froh darüber – vor allem wegen der Zeitumstellung. Endlich bekam ich wieder zurück, was man mir im Frühling gestohlen hat: meinen natürlichen Biorhythmus und 60 Minuten mehr Schlaf am Morgen. Der Mann nebenan kann das nicht verstehen: Alles Einbildung – ein bisserl hysterisch bist aber schon, Schatzi. Der hat’s leicht. Was sein Schlafbedürfnis und -verhalten angeht, firmiert er in der Kategorie grober Klotz. Er schläft – e basta. Wurscht wo, wurscht wie, wurscht wann. Man setze den Mann in ein Flugzeug – bumm, patsch: Fünf Minuten nach Abflug und dem ersten Lächeln der Flugbegleiterin sind seine Augen zu, der Atem tief, das Schnarchen dezent. Ich hingegen quäle mich: mit der trockenen Luft, dem kalten Gebläse, dem Trottel hinter und der Depperten vor mir.

Überhaupt: Wäre Schlafverhalten beziehungsstiftend, gäbe es diese Ehe nicht. Sein Schlummerbedürfnis verhält sich antizyklisch zu meinem. Wenn ich an einem schönen Sonntagmorgen ein Liedchen auf den Lippen verspüre und den Mann nebenan zu einem Ausflug bewegen möchte, lässt er aus der REM-Phase ausrichten: Bitte nicht stören. Wünsche und Beschwerden ab 11 Uhr. Alles anders abends: Was zappt er da nicht von Nachrichten-Show zu Nachrichten-Show, während ich von Minute zu Minute mehr das Gefühl habe, auf Dormium-Trip zu sein. Wenn ich gegen Geisterstunde endlich gen Schlafgemach taumle, gibt er mir ein »Was, jetzt schon? Du bist ein fader Zipf!« mit. Ginge es nach ihm, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, den Existenzialismus neu zu interpretieren, eine Runde zu pokern oder die Welt zu verändern. Wenn’s drauf ankommt, reichen ihm nämlich sechs Stunden im Bett. Wie Napoleon, pflegt er da gerne anzumerken. Worauf ich mit Tucholsky kontere: »Gebt den Leuten mehr Schlaf – und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind.«

ERDie einen sitzen stundenlang vor einem Schachbrett, um die richtige Matt-Strategie im Geist zu zimmern. Andere brüten ein ganzes Wochenende über einer Anleitung von IKEA, um beim Bau der Waschkommode Strömsviken ja keinen Fehler zu machen. Konzentration ist in jedem Fall erforderlich. Auch bei meiner Frau. Die nämlich entwickelt auch Akribie – wenn sie ihren Schlaf plant. Dabei geht sie generalstabsmäßig vor. Die wichtigsten Sofortmaßnahmen sind: kurzes Lüften, zwänglerische Kastentürschließung, nervöser Spinnen-Check, systematischer Polsterbergbau. Erst dann ist unabhängig vom Grad der Müdigkeit grundsätzliche Schlafbereitschaft hergestellt. Sollte ich in dieser Phase die absurde Idee gebären, neben ihr noch ein Magazin lesen zu wollen, begegnet mir Verzweiflung, Entsetzen, Flehen. Bitte nicht! Weil: Licht. Weil: Rascheln. Weil: Ich.

Nur gelegentlich verweise ich dezent auf einen Hang zur Hysterie, bin aber dann doch immer wieder erstaunt, dass jemand mitten in der Nacht aus dem Schlaf schrecken kann, weil in einem Nachbarbezirk ein Hund bellt. Daher ist ein Schleichen auf Zehenspitzen immer ein Hochrisiko-Unterfangen, weil so ein Knocherl knackst ja schnell einmal. Und dann … böses Erwachen. In meinem Bewusstsein hat es den Anschein, als hätte die Liebste überhaupt noch nie richtig tief geschlafen. Als wäre sie steinzeitmäßig in permanenter Alarmbereitschaft. Für den Fall, dass unser Dorf von Kriegern oder wilden Tieren angegriffen wird – »Michael, hol’ Speer und Streitaxt, da draußen regt sich etwas!« Das alles ist natürlich schwer nachzuvollziehen. Für einen wie mich, der auch schon nach Konsum eines doppelten Espressos am Rande einer Formel-1-Strecke bei Vollbetrieb ins Traumland abgetaucht ist. Dort jedoch könnte mir jederzeit eine Strömsviken-Bastelei erscheinen. Und dann wünschte ich mir den leichten Schlaf meiner Frau.

Du machst mich wahnsinnig

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