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2.3.5 Che Guevaras letzte Behauptung

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Behauptungen haben Schlagkraft durch ihre Kürze, bisweilen durch ihre Rücksichtslosigkeit, die sich enthymematisch steigern lässt. Es handelt sich dann formal um einen unvollkommenen Syllogismus (Schlussverfahren):

Vollständiger Syllogismus: „Alle Lebewesen sind sterblich. – Sokrates ist ein Lebewesen – Sokrates ist sterblich.“

Enthymem: „Alle Lebewesen sind sterblich. Sokrates ist sterblich.“

Der volle Syllogismus gilt in der Redekunst als plump, er ist nicht kurz und schnell genug. Außerdem erlaubt er nicht, streng nach Aristoteles, bestimmte, nicht allgemeine Begriffe aufzunehmen, während Enthymema so einen verkürzten Schluss problemlos aufstellen: Alle Badeärzte sind geldgierig. Der Zeuge der Gegenpartei ist es also auch. Kürze verschafft Genuss. Oder kann sich schlagartig mit Bedeutungsgehalt aufladen. Daher ist Kürze eher für die Dichtung oder für jeden bedeutungsschweren Augenblick geeignet als für wissenschaftliche Prosa, die ihren Grad an Explizitheit nicht aus den Augen verlieren sollte. Anschaulich sind da zum Beispiel die in Volkswirtschaft und Evolution beliebten mikroökonomischen Kausalketten. Von der geplatzten Immobilienblase zum Wanken ganzer Volkswirtschaften.

Ein berühmter Beleg für enthymematisches Behaupten ist der letzte Satz von Che Guevara. Als der Offizier, der ihn erschoss, ihn im Morgengrauen aus dem Bretterverschlag holte, sagte Che Guevara zu ihm "Matarás a un hombre." Das waren ziemlich sicher seine letzten Worte. Die spanische Sprache setzt auch unmittelbar bevorstehende Handlungen ins Futur, so aber auch formelhaft die christlichen Gebote des Dekalogs. Che Guevara sagt: "Du wirst gleich einen Menschen töten" im Kontrast zum 5. Gebot – !No matarás! – "Du wirst (sollst) nicht töten", aber du wirst es gleich und gleichwohl tun. Der Satz ist nicht verneint und die Erschießung stand ja kurz bevor. Seine Bedeutung ist nur zu klären aus der Situation heraus. Die wörtliche Aussage "Du wirst einen Menschen töten" wäre in diesem Augenblick des Todes zu banal. Die Anspielung auf das 5. Gebot macht mehr Sinn. Sie würde besagen, dass es egal ist, ob es sich um legale Macht oder den Menschen in der Revolte handelt: Das Töten eines Menschen bleibt eine Ungeheuerlichkeit. Außerdem vielleicht noch: Mit diesem Mann tötest du den revolutionären Menschen überhaupt (und gehörst doch zu denen, die befreit werden sollen).

Behauptende Sätze verschweigen jeweils eine ganze Begründungsgeschichte und damit eine hochbrisante Diskussion mit vielfältigen Bewertungen, Widerreden. Behauptungen sind bisweilen diktatorisch, denn sie geben ihrem Stil noch mit, dass sie die Macht haben, ihre Macht ohne Diskussion und Widerrede umzusetzen oder dass sie keine Begründung liefern wollen, die einleuchtet und überredet oder sogar Zustimmung einwirbt. Sie können auf eine ganze Palette der Kultur verzichten, auf die Höflichkeit, die Verbindlichkeit, auf das Beweisen, Argumentieren, Überzeugen, Überreden, darauf, Tradition und aktuelles Wissen zu bemühen. Behauptungen reißen sich von unserer Kulturgeschichte los, was nicht immer überzeugend klingt.

Die Aufklärung setzt der Tradition und ihrer Autorität als eigene Behauptung entgegen, dass Traditionen und christlicher Glaube nur Unmündigkeit des Menschen verursachen, und dass es seiner nicht würdig sei, so zu leben. Damit ist die Behauptung schon fundiert, sie mündet in eine Anthropologie, die ein umfassendes Menschenbild formuliert. Dagegen sind Argumente, die der Tradition entnommen werden, Argumente von Autoritäten. Schon das christliche Mittelalter wusste, dass dies die schwächsten aller Argumente sind. Es verwundert daher nicht, dass sie gern als Vorstufe zur Macht gebraucht wurden und keinen Tag länger, wenn diese erreicht war.

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