Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 56

Für das konsequente, theoretische Denken des Naturwissenschaftlers ist der Begriff des Neuen eher ein ernstes Problem, sogar eine Belastung, das seine Auffassung von der durchgehenden Kausalität der Evolution in Frage stellt. Neu als nicht vorhersagbar, als Entstehung sogar neuer Gesetzlichkeiten, ist nicht so leicht in seiner Wissenschaft unterzubringen, für die es ein Qualitätsmaßstab ist, Prognosen stellen zu können. Entsprechend kehren die Gedanken als Varianten wieder, die man sich macht, um dieses Ärgernis in den Griff zu bekommen. Die Chaosforscher meinen, dass eine "Symmetriebrechung" mit der Abkühlung des Kosmos einhergeht und Neues verursacht und verweisen auf den Magnetismus. Bei heißen Temperaturen herrscht Chaos zwischen den Molekülen, der Stäbchenmagnetismus kann sich nicht bilden. Der Begriff der Emergenz weist darauf hin, dass Neues immer wieder entsteht. Materiell und sogar in Form neu entstehender Naturgesetze in der Anfangszeit des Kosmos selbst, die nicht alle gleich vorhanden waren. Man kann den Materiegedanken aber auch so mit Merkmalen ausstatten, dass Neues überhaupt nicht in der kosmischen Evolution erscheint. Solche Lösungen hatten es aber schwer, Anhänger zu finden.

Wir können durch Reduktion bis zurück zu den Elementen gehen, an den Kausalketten entlang. Von dort gelingt uns aber keine Prognose wieder nach "oben" zu kommen. Sonst weist man darauf hin, dass Gase wie Sauerstoff und Wasserstoff Knallgas ergeben, das etwas Neues ist. Hält man einen Bunsenbrenner an dieses Gemisch, knallt es nämlich, produziert ein wenig Wasser und lässt im Normalfall die Phantasie in Ruh. Atome formen sich neu zum Molekül, Bestandteile formen sich zur Zelle, Staubwolken entwickeln sich mit ihrem Drehmoment zu Galaxien, so die evolutionäre Theorie. Übersehen wird gerne dabei, dass hier das Neue immer als Serie oder als Typ auftaucht und verstanden werden kann. Singularitäten wären da eine Sensation. Erst mit dem Lernen gibt es Individualität, erst mit den Individuen gibt es Phantasie, ohne Typenschild. Selbst wenn die Rakete startet und es heißt we have ignition, ist das Chemie wie das Knallgas es ist. Alle Emotion, alle Phantasie, die daran geknüpft werden, sind aber das berühmte plus X. Dieses X ist nicht messbar. So wie es sich ereignet, markiert es jeweilige Individualität, auch bei kollektiver Begeisterung.