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2.3.9 Behauptungen beanspruchen Zustimmung

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"Die Volksbefragung zum Bau des Bahnhofs bleibt auf dem Tisch." (Franz-Walter Steinmeier im Hamburger Abendblatt, Anfang Dezember 2010, zum Stuttgarter Bahnhof). Einer solchen Behauptung sieht man nicht an, was der Redner sagen will. Denn man kann sie ja auch nach rückwärts verfolgen. Sie schillert in ihren Bedeutungen. Wenn es eine Ankündigung ist, bleibt offen, ob er dazu befugt ist oder nicht. Ob er es selbst ist, der dafür sorgen will oder auch nur kann. Ob er es definitiv weiß, dass sie überhaupt realisiert wird. Oder ob er es nur wünscht, ohne es beeinflussen zu können. Aber der Charakter der Behauptung, der sich dann doch durchaus mitteilt, ist eine Selbstsicherheit, die den Hörer erreicht. Das ist der größte Teil der Botschaft. Über eine ärmliche Form einen starken Inhalt mitbestimmen. Problematik und Zuständigkeit bleiben als schwierige oder unangenehme Details ausgespart. Politik macht man in solchen Situationen mit propagandistischen Informationen, aus denen Stärke spricht, die nicht gegeben ist. Indem ein Wechsel auf die Zukunft gezogen wird, kann in der Gegenwart rein alles gesagt, vermutet, angedeutet werden. Eine Tatsachenbehauptung kann befragt werden, ob und mit welcher Plausibilität es um eine Tatsache geht, im Recht und in der experimentellen Situation. In der Politik weiß man nie genau, ob man trauen soll. Da hier die Zukunft verhandelt wird, ist praktisch jeder geäußerte Satz ein Bezug zum Risiko. Das fällt umso mehr auf, als wir die Seriosität unserer Wissenschaften, sogar unserer Informationsmedien im Hinterkopf haben. Der "Charme der Dessous" bei den Franzosen ist nicht die Lust, sondern das Wissen davon, was haben die alles unter der Hand mit uns vor.

Hypothesen eliminieren in der Wissenschaft erst einmal sprachlich und gedanklich die anderen Fälle, die anderen Möglichkeiten, die weniger in Frage kommen. Das Ausschlussverfahren, das immer mit ihnen gegeben ist, läuft aufgrund von Kriterien, die auch der ausgesuchten Möglichkeit zu Gute kommen, immer mit. Sie verbleiben als potentielle und "von außen" fokussierende Informationen im äußersten Datenkranz, sind dort anwesend mit einer gewissen Fernsteuerung auf das Thema, da die Hypothesen sich vorläufig und unsicher geben. Man könnte ihnen nachsagen, dass sie, was neue Informationen angeht, wie Staubsauger funktionieren. Die ausgeschlossenen aber weiter bestehenden Möglichkeiten werden geparkt wie in einem Archiv und belasten vorerst nicht mehr das Nachdenken. Das "schwarze Loch" ist gar kein Loch. Und vollkommen schwarz ist es auch nicht. Da verschwindet jede Menge Materie, jede Menge Energie. Das Weltall dehnt sich ewig aus. Kontrahiert sich nicht. Kontrahiert sich doch. Bleibt nicht in einem steady state, usf. Alles Hypothesen, damit man sich mit ihnen auseinandersetzen kann. Und weil ein Anfangsverdacht besteht, geht die Forschung in eine bestimmte Richtung, was besser ist, als richtungslos nur da zu stehen. Der Politikwissenschaftler sieht für Indochina verschiedene andere Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Der Politiker entscheidet sich für eine, für die seine. Das ist nicht mehr Wissenschaft, sondern Interessenwahrung und Abwägung von Chancen. Darüber schreibt er unter Umständen eine Monographie und bedenkt die anderen Möglichkeiten als Hintergrund, Kontrast, Ergänzung. Wo der Wissenschaftler zu bedenken gibt, behauptet der Politiker, die richtige Lösung zu kennen. Sein Stil ist die Behauptung, die nicht mehr diskutiert wird. Das ist der Schnitt zwischen planen und handeln. Der Akademiker, der in die Politik geht, hat es schwer, sich durchzusetzen, wenn er am gelernten hypothetischen Stil festhalten will. Löst er die Frage des Steuertarifs akademisch, wird er zur Belastung, schreibt er den Steuertarif auf einen Bierdeckel, übertreibt er mit dieser reinen populären Behauptung zur anderen Seite.

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