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2.5.3 Turmbau: Symbol und Metapher

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Egal, wie ausdifferenziert die Sprachen sind, auch in ihren Fachterminologien, sie müssen einen Anfang gehabt haben. Diesen Gedanken des Anfangs, der ein Topos ist, wenn es heißt, "am Anfang war das Wort", hat schon die Bibel faszinierend gefunden und in einem Bild anschaulich gemacht. Das Bild des Turmbaus muss man sich in Bewegung vorstellen, es ist nur sinnvoll, weil sich etwas verändert und die Veränderungen bewertet werden und Konsequenzen haben. Damit wird es zu einem dynamischen Modell. Zu einem satirischen erst einmal, weil es den Menschen anprangert, der mit Größenwahn seinem Leben Intensität geben will. Es gibt Wissenschaften wie die der Volkswirtschaft, die eine Vielzahl von Modellen benutzen, um ihre Konzepte anschaulich darzustellen. Wobei zuweilen die Modelle mehr und anderes aufzeigen, als die ursprünglichen Konzepte, aus denen sie entwickelt wurden, sprachlich direkt hergeben.

Hier also der Turmbau als Symbol der Hybris. Allgemein verständliches Symbol ist er geworden, denn wer Turmbau zu Babel hört, weiß, was gemeint ist. Die Bedeutung klebt an ihm, Geistiges am Sinnlichen. Aber auch Metapher. Wer einen Turm bis in den Himmel baut, wo Gott wohnt, greift nach ihm, um ihm zu gleichen. Das Tertium comparationis ist die Maßlosigkeit, das verdorbene Menschenherz ist wie ein Wille, der konkret nach dem Absoluten greift. Der Turmbau ist ein Symbol, dessen Sinn gleich verstanden wird, weil er metaphorisch naheliegend formuliert ist.

Der Turmbau weist darauf hin, dass es sinnvoll ist, wenn alles an seinem Platz ist, Gott und die Menschen. Das ist ein Basisgedanke für den späteren Ordo-Gedanken, den das Mittelalter konsequent der christlichen Gesellschaft zugrunde legte. Er lebt noch fort, wenn der Gastarbeiter nicht im "Viertel der Bürgerlichen" wohnen soll. Letzteren empfiehlt sich die Parabel, die vor 2000 Jahren der römische Volkstribun Agrippina den aufmüpfigen Plebejern vorgetragen hat und der auch heute die Gewerkschaften nicht Wesentliches entgegenzuhalten hätten. Über Details kann man verhandeln. "Der Magen kann aber nicht ohne die Hand und die Hand nicht ohne den Magen", damit niemand verhungert. Da ist kein Platz für Selbstüberhebung auf beiden Seiten. So der Volkstribun Agrippina in Rom: Ordnung muss sein. Das gilt auch für den Geist der Revolte immer aus der Sicht derer, die nichts verlieren wollen.

Das Symbol des Turmbaus weist auf das spezielle Phänomen hin, dass etwas kontinuierlich und quantitativ Wachsendes in die Qualität umschlagen kann. Ich dünge mein Tulpenbeet mit einem Sack Dünger. Die Tulpen gedeihen prächtig. Ich dünge mit zwei Sack Dünger und das Ergebnis ist noch prächtiger. Mit dem dritten Sack kippt das Ergebnis ins Negative, die Blumen ersticken geradezu im weißen Pulver. Es ist der letzte Sack, der zu viel ist, der Ertrag sinkt zum ersten Mal statt zu steigen. Der zweite ist der, wie der Volkswirt sagt, Grenzwert. Ab einer bestimmten Etage des Turmbaus ist damit zu rechnen, dass der Mensch Folgen zu spüren bekommt. Mit der grenzwertigen Etage, eine zu viel, der letzten, bricht der Turm, das heißt auch das Kommunikationssystem, zusammen. Dem Größenwahn, nicht der Verwirrung, die daraus folgt, verdanken die Menschen die Strafe Gottes. (Das Adjektiv "grenzwertig" bezieht sich auf die letzte Einheit, bevor das System kippt. Abnehmender Grenznutzen bezeichnet die stetige Abnahme des Nutzens pro eingesetztem Gut).

Man sieht leicht, dass dieses Modell, das ja auch den Gedanken, etwas wird immer riskanter, wenn man an eine Grenze kommt oder die Dinge übertreibt, eine handfeste Warnung beinhaltet. Schon für das Anhalten der Luft gibt es einen Grenzwert. Damit wird es zu einem Konstrukt, einem Gedankenmodell, nach dessen Strukturen Wirklichkeit funktioniert.

Mit Worten könnte man, allerdings viel blasser, wie oben schon angedeutet, sagen,

du sollst nicht übertreiben, du musst maßhalten, der goldene Mittelweg, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, zu viel ist zu viel, mach mal halblang.

Bei so vielen sprachlichen Möglichkeiten muss man annehmen, dass der Mensch dort immer schon eine erhebliche Gefährdung gesehen und markiert hat. Es betrifft das Verhalten in der Gemeinschaft wie der Gemeinschaft gegenüber einem höheren Wesen, das als solches anerkannt bleiben soll. Wenn in Gesellschaften von Individuen "übertrieben" wird, wenn das "goldene Mittelmaß" nicht eingehalten wird, hat das eben seinen Preis. Der Angeber ist im Französischen "gonflé", aufgeblasen, da sprachlich und visuell besonders markiert und im Volumen zunehmend, mit dem Risiko zu platzen. Das Bild vom Turmbau wäre also eine Art, den Modellgedanken im Sinne einer Ethik einzusetzen, um drastisch klar zu machen, dass Überheblichkeit Strafe provoziert. Es erinnert an pädagogische Strafbilder aus Kinderbüchern, nur nicht so schaurig (Struwwelpeter, Max und Moritz). Im ökonomischen Bereich gibt der Grenzwert einen "Höchstwert für die mengenmäßige Emission von Schadstoffen, Lärm etc." (Gabler, Wirtschaftslexikon, "Grenzwert") an, der bei Strafe nicht überschritten werden darf. Es sei denn, man kann sich von diesen externen Kosten mit dem Erwerb von Emissionszertifikaten freikaufen. Dann darf der Betrieb, der 100 EUR bezahlt, x Tonnen Dreck zusätzlich in die Luft schleudern. Der Grenzwert wird politisch festgelegt, unterliegt also dem Lobbyismus. Gott und die Natur lassen wohl nicht mit sich handeln, aber unsere Erde hat schon Zeiten gekannt, in denen die Atmosphäre ziemlich belastet war. Nur dass sie sich wiederholen sollen, scheint nicht ratsam. Der Mensch selbst muss wissen, wann zu viel zu viel ist. Er hat andauernd die unfaire Chance, es falsch zu machen und selten das glückliche Händchen, hier und da etwas endgültig zu bewahren. Niemand sagt ihm, Etage 320 ist der Grenzwert, ab da wird es windig. Aber es wäre gleich. Man sagt ihm, eine Erderwärmung von 2 Grad ist die Katastrophe, der absolute Grenzwert, und es gibt dann Protokolle, aber keine substantielle Verhaltensänderung. Das ist eben liebenswürdig an den Kinderbildern aus alter und neuer Zeit. Ihre Wahrheit leuchtet uns ein und wir freuen uns, sie rein poetisch genießen zu können, um sie dann aber nicht weiter ernst zu nehmen. Überhaupt, mit den Phantasieprodukten Kinderbücher, Märchen, Dichtung, Literatur, sogar Sprichwörtern ("Übermut tut selten gut") sind wir fast schon in einer Idealwelt. Wer erwachsen sein will, geht ihr aus dem Weg.

Man kann und soll also von einem Modell wieder in die Wirklichkeit hineingehen, um sie zu bewerten, um sie zu ändern. Den schlimmen Übertreibungen, heißt es hier beim Turmmodell, folgt die Strafe schon mal auf dem Fuß, in der Bibel die Sprachenvielfalt und das Scheitern des Projekts. Selbst Revolutionen, auch unblutige, können über den Grenzwert ausgelöst werden, wenn das Brot oder die Wahrhaftigkeit des Regimes grenzwertig werden und über einen natürlich gefühlten Grenzwert scheitern.

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