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2.4.4 Das pralle Leben als Methode

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Der Geisteswissenschaftler kommt von seinem Bild oder jeweiligen Gegenstand nicht los und will es auch nicht. Wo der Naturwissenschaftler auf die theoretische Ebene geht, indem er die Beobachtungsfakten hinter sich lässt und Schlussfolgerungen zieht, die er "abstrakt" verarbeitet, bleibt der Geisteswissenschaftler der Fülle des Realen und Irrealen verhaftet. Was es in ihm als jeweiligen Interpreten bewirkt und was er ihm zurechnen kann, ist eine intelligente Geschichte aufgrund seiner hermeneutischen Kunst. Es besitzt keine Zwangsläufigkeit, jeder, der die Objekte der Geisteswissenschaften interpretiert, kommt zu individuellen Ergebnissen, was ein Widerspruch zu dem ist, was Naturwissenschaftler für richtig halten. Das pralle Leben, Carmen im Liebestanz, Pantagruel im Fresswahn, die luxurierende Bilderwelt eines Rubens oder Hieronymus Bosch: Man kann sie alle auf einen Namen reduzieren, ohne dass sie ihre plastische Fülle verlieren. Für den, der weiß, was gemeint ist, bleiben sie "prall", es sei denn, man gibt ihnen ein Symbol als theologische und psychologische Problemstellung wie gula, Fresssucht, avaritia, Geiz, luxuria, Ausschweifung. In dieser Dimension reduziert sich die Fülle systematisch so zu einer Chiffre, dass für die "Phantasie des prallen Lebens" vorerst kein Platz mehr ist, der interpretative Ansatz wird zu einer szientifischen, positivistischen Möglichkeit und geht über in eine andere Wissenschaft, in die Psychologie und Theologie und die Rezeptionsästhetik. Für den Philologen bleiben sie Chiffre, die jederzeit die "prallen" Bilder hervorrufen können. Der Chemiker kocht ein, wie die Oma noch die Marmelade, aus Tonnen von Pechblende ein Gramm Uran, der Physiker sucht das Letzte in der Nebelkammer. Sie reduzieren, kochen ein, suchen nach der minusculen Spur. Nach einem umfangreichen, auch lebhaften visuellen Test wie dem Rohrschachtest heißt es dann trocken: schizoider Typ, eine Störung mit vielen Facetten. Mehr bleibt nicht vom Test, aber auch von der Testperson übrig. Der in Andeutungen erotische Traum des Chemikers Kekulés führt zur total nüchternen Formel des Benzols, bei der sich einige Atome zwar "die Arme reichen", aber nicht einmal zum Rundtanz. Hier wird der Forscher endlich glücklich, nicht beim Träumen. Der Geisteswissenschaftler nimmt die in den Objekten konservierte Phantasie als ihre uferlose Kontingenz, ihre Möglichkeitswelten, zum Ausgang für die Erweiterung und Anregung der eigenen Vorstellungswelt. Er bereichert sich, indem er gleichzeitig dem ästhetischen Objekt gerecht zu werden versucht. Er erlebt das Neue als Bereicherung seiner Individualität, weil sie von der Dynamik lebt, nicht vom Stillstand. Er lässt sich zum geistigen Aufwand zwingen, einer gegebenen Herausforderung gewachsen zu sein.

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