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2.4.6 Zweck wird Ursache

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Bei der Ursachenforschung hat Aristoteles, auch hier, ganze Arbeit geleistet. Er unterscheidet vier Ursachen, deren eine die causa finalis ist. Was ich tue, um einen Zweck zu verfolgen, wird Ursache meines Handelns zu nennen sein. Das bestandene Examen ist Ursache für mein engagiertes Studieren, weil es das Ziel ist. Es ist die Ursache, die nicht in der Natur vorkommt. Finalität und Teleologie, zwei andere Begriffe für diese Kausalität, sind gestrichene Begriffe, da die Natur ihre Geschehnisse nicht plant. Daraus würde zu folgern sein, dass in ihr ein handelndes Subjekt die Zügel in der Hand hält.

Alles was geschieht, hat auch Folgen, was erst einmal materialistisch und mechanistisch aufgefasst wird. Diese konstatierende Feststellung hat den Flair eines universalen Gesetzes, das auch noch sehr weit reicht. Nichts geht verloren, auch wenn der Kosmos den Schein meiner Kerze zu verschlucken scheint. Der Materialismus lebt von der Kausalität. Nur ein Teil des allgemeinen Geschehens in dieser Welt tritt ein, weil gesetzte Ziele von gewollten Handlungen angestrebt werden. Für diese Handlungen denkt sich der Mensch Methoden aus. Ein derartiges Zweckdenken gibt es in der Natur nicht. Das weiß man, seit man annehmen muss, dass in ihr keine "handelnde" Instanz Ziele setzt und Methoden für ihre Verwirklichung plant. Natura naturans heißt, die Natur, so wie sie ist, bringt sich selbst hervor, Autopoesis ihr schönes Wort. Ihre Formen entwickeln sich aus der Materie und den Gesetzlichkeiten des Kosmos. Deswegen hat man den aristotelischen Begriff der Entelechie für die Natur verworfen. In der Samenzelle sitzt eben nicht der kleine Mensch, der den großen zum Ziel hat und zu dem er dann nach der Geburt auch wird. Aber seinen Namen hat man ihm gelassen: Homunculus (das Menschlein). Die Hirnforschung ist ihm dann noch einmal in ihrer Welt begegnet, was es nicht gibt, lebt eben lange. Sitzt er also im Gehirn und betrachtet die Abbilder, die von draußen hereinkommen, damit sie eben überhaupt nach der Ankunft gesehen werden? Das kann nicht die Methode sein, wie das Gehirn zu Vorstellungen und Repräsentanzen kommt. Damit hatte das "Menschlein" ausgespielt. Teleologie dieser Art gibt es nicht da, wo nicht gehandelt wird. Zielgerichtetheit gehört zur Sphäre des Menschen. Laut Darwin, eben ganz anders, gibt es eine blinde Teleologie (was passt, findet zueinander), eine Erhaltung und Steuerung von biologischen Systemen "aus sich selbst heraus" gehört dazu. Es gibt Glieder und Körperteile von Lebewesen, die bei Verletzung vom Körper "gezielt" neu gebildet werden. Im Genom sind die Befehle enthalten, die kaum Fehler machen. Die Natur ist autopoetisch, eigentlich ereignet sie sich bloß, sagen Naturwissenschaftler. Die Welt der Wissenschaften ist eine Welt der Methoden, die der Schlüssel zum Erfolg sind, auch zum schlimmen Erfolg. Die Ziele sind die Schnittkante zum Unbekannten, und zwar bei den vorhandenen Dingen wie bei denen, die noch von der Zeit verborgen sind. Die Methode und auch das Ziel findet man nur, wenn man mit einer gewissen Begabung und Phantasie und auch noch Glück rechnen kann. Die Phantasie ist das kostbare Vermögen, dass die Unterscheidung 'genau' – 'ungenau' auflöst, ebenso Raum und Zeit. So gesehen ist es die Welt des Nicht-Wissenschaftlichen, von der die Wissenschaft lebt, und das ist die Welt des Phantastischen. Ohne sie müsste der Wissenschaftler nur ein Fossil, einen Quastenflosser, sezieren, um festzustellen, dass es, ja natürlich, durch und durch ein altertümliches Modell von Fisch ist. Erst mit der Phantasie wird klar, dass er mehr ist, eine Sensation in einer bestimmten Welt.

Die Evolution konnte wirklich nur Freude an der Millimeter-Genauigkeit haben, weil es das Ungenaue überreichlich gab. Die Evolution ist wie ein Violet, eine außen verschmutzte und verklumpte Muschel mit einem fein säuberlichen Innenleben. Beide arbeiten nach dem Prinzip der Kontrastierung und der Nicht-Identität, die es erlauben, kreative Umwege vom feucht-dunklen Schmuddel zur blühenden Reinheit der Funktionalität zu gehen.

Der allseits vom städtischen Publikum geliebte Biber, possierlich, fleißig, zielstrebig, eben, und beharrlich, die Katastrophe für den Wildhüter, hat Ziele, Methoden, einen Plan. Ameise, Termite, Biene, die Wandervögel, sie alle folgen einem Plan, der aber ein Schema ist. Sie machen ihn nicht, sie haben ihn. Wie alle Lebewesen sind sie Profiteure ihrer biologischen Evolution, das heißt ihrer Phylogenese, in der sich das, was sie können "akkumuliert" hat. Daher ist der Plan, von dem man so häufig spricht, kein Plan. Es ist das Schema F, das sie drauf haben, ob sie wollen oder nicht. Eine Biene tanzt, eine Ameise schneidet Blätter aus. Der Mensch kann beides. Er macht einen Plan und dann noch einen, wie sich ein Dichter lustig macht. Die Ameise träumt nicht einmal davon, statt Blätter zu schneiden, ab 17 Uhr schwimmen zu gehen. Obwohl für den Notfall der Plan existiert, ein Rettungsfloß aus ihren eigenen Körpern zu bauen, sie tut nur was sie muss. Das ist der große Unterschied. Aber es heißt Natura naturans, die Natur kann alles selbst produzieren, was sie braucht. So wie sie ist, bringt sie sich selbst hervor, selbst bei organischen Systemen, die ja kompliziert sind, muss es heißen: Autopoesis (Selbsterschaffung) ist das Prinzip. Es grenzt sich ab von der Vorstellung, im Samen sei wie ein kleines Menschlein, wie schon gesagt, ein Homunculus, vorgegeben, der zielstrebig sich zum Individuum entwickelt. Der Entelechie-Begriff des Philosophen und Naturphilosophen Aristoteles will gerade besagen: Das Ziel, Telos, ist im Kern gegeben, so wie man heute sagen würde, das Erbmaterial und die embryonale Entwicklung der Ontogenese haben diese Zielgerichtetheit. Hier ist ein Star zu nennen, Manfred Eigen, der Chemie und Physik studiert hat. Für seine Theorie der Self-Organisation of Matter erhielt er den Nobelpreis. Teleologie gibt es in diesem Stadium und diesem Ausschnitt der Evolution nicht, weswegen es schwer ist zu begreifen, wie sich Leben entwickeln konnte. Für Beginners, so Eigen, braucht er drei Tage, um seine Theorie zu erklären, für Biologen drei Stunden, schließlich eine Stunde für die Fachgelehrten, sie wissen schon Bescheid. Hätte ein Bau- und Entwicklungsplan vorgelegen, wäre die Forschung ihm sicher früher auf die Spur gekommen und man müsste sich sicher nicht über die Unwahrscheinlichkeit des Lebens den Kopf zerbrechen. Bestünde die Entwicklung nur aus Notwendigkeiten, könnte man sie zeitlich kausal rekonstruieren und auch kausal prognostizieren, ein alter Traum des Materialismus. Mischt sich der Zufall ein, wird Anpassung möglich und damit Evolution. X

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