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2.3.7 Revision der Behauptungen

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Wer Behauptungssätze aufstellt, muss sich besonders als Wissenschaftler davor hüten, sie ungeschützt von sich zu geben, das sagten wir schon. Man erwartet von ihm logisches Denken, das zudem der Anforderung, konsistent zu sein, gehorcht. Er muss umsichtig alles zu sehen versuchen, was zu einem Thema gehört. Wer behauptet, den "freien Willen", mit einem anderen Wort, den "Indeterminismus", gibt es nicht, nimmt es mit dem halben Abendland auf, das ihm geradezu und wirklich determiniert an die Gurgel springt. Auf der Skala, "wie rette ich meine Hypothese" geht es eleganter zu: Es kommt nach 'ungeschützt', 'nicht ungeschützt' schließlich 'hieb- und stichfest', 'wasserfest', 'bisher nicht widerlegt'. Wenn dann nach zehn Jahren der Gegenbeweis gelingt, kommt wirklich Stimmung auf, weil Positionen geräumt werden müssen wie Aktiendepots in der Baisse. Es war schließlich doch die mangelnde Hygiene, nicht der Schreck beim Anblick des schwarz gekleideten Priesters, der durch den Krankensaal der Wöchnerinnen zur letzten Ölung ins Sterbezimmer eilte, der die Frauen im Kindbett im München des 19. Jahrhunderts sterben ließ. Max von Pettenkofer (gestorben 1901 in München, Begründer der wissenschaftlichen Hygiene) hatte genauer hingesehen. Benjamin Libet hat seine aufsehenerregenden Experimente, die den freien Willen widerlegen sollten, ebenfalls nach etwa zehn Jahren revidiert. Auch er hat genau hingesehen, aber zunächst fokussiert auf das, was er versucht war zu sehen.

Wie echte Instrumente sind Behauptungen vielseitig. Sie können töten, sie können Leben retten. Sie wissen Bescheid, Fragen werden nicht mehr gestellt. Der konfrontative Stil passt zu ihnen und ist bisweilen gewollt. Hypothesen sind vorsichtig und wollen erst einmal wissen, was anliegt. Wissenschaft bedient sich ihrer, um mit induktiver Ordnung des Wissens voranzukommen. Sie verwendet Behauptungen aber nur, um stilistisch-rhetorisch zu akzentuieren. Sie nennt sie dann "Thesen", die Punkt für Punkt abgearbeitet werden.

Meine erste These lautet: Der Neandertaler konnte sprechen. Zweite These: Er verfügte über symbolstiftende Intelligenz. Dritte These: Er vermischte sich schon mal mit dem Cromagnon, unserem direkten Vorfahren (was nach neuesten Forschungen zutrifft).

Thesen sorgen holzschnittartig für Ordnung, grenzen thematisch ein. Sie prägen sich dem Gedächtnis ein, wenn sie gehaltvoll genug sind. Entsprechend sollte man sie formulieren. Ob sie sich als richtig erweisen oder nicht, ihr Gehalt, vielleicht immer noch anregend, geht nicht verloren.

Wenn sie sich bewähren, kommt man zu Theorien, die einzelne Gesetze binden. Mit Gesetzen kann man eine Theorie also ausstaffieren, ihr Korsettstangen einziehen und abliefern an die Kollegenwelt, die dann weiter prüft. Wegners Theorie der Kontinentalverschiebung leuchtete nicht ganz ein, weil sie erst einmal nicht alles erklären konnte. Theorien können also richtig sein, ohne in allen Einzelheiten zu überzeugen. Erst das Schwimmen der Erdplatten und später bekannt gewordene magnetische Phänomene füllten die Wissenslücken und Wegners Theorie hat Bestand bis heute. Andere hatten lange Gültigkeit und wurden dann verworfen, so die Theorie des Ptolemäus (bedeutender Geograph, Mathematiker, Astronom des Altertums, lebte um 140 n. Chr.) und die Phlogiston-Theorie (Hypothese über Verbrennung, Rosten, also Oxidation aus dem 17. Jahrhundert) oder Oskars Theorie, warum Elvira nur im Dunkeln küssen mag.

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