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Die lange Dauer des Kreuzzugs

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In den Geschichtslehrbüchern endet die Zeit der Kreuzzüge mit dem Fall von Akkon, der letzten christlichen Stadt im Heiligen Land, im Jahr 1291. Bis zu diesem Datum finden wir es normal, dass die Päpste und die Könige wie besessen sind von der Idee, Jerusalem zu verteidigen und zurückzuerobern, nachdem die Stadt 1187 in Saladins Hände gefallen war. Wir wundern uns nicht, dass Kaiser Friedrich I., genannt Rotbart, mit fast 70 Jahren einen Kreuzzug unternommen hat, um dann Tausende Kilometer von dem Reich entfernt, das er 38 Jahre lang regiert hatte, in einem Fluss in Kleinasien zu ertrinken. Wir akzeptieren es als eine normale Tatsache, dass Ludwig IX., der Heilige, sein Königreich Frankreich zu Fuß durchquert hat, um sich in Aigues-Mortes einzuschiffen und an der Spitze eines Heers, von dem nur wenige zurückkehrten, in Ägypten einzumarschieren; und dass er es trotz dieses Desasters 20 Jahre danach noch einmal versucht hat, wobei er diesmal – immer noch auf der Suche nach einer Bresche in der Verteidigung der muslimischen Welt – in Tunesien einmarschierte. Und wenn wir bei Jean de Joinville lesen, dass die Ankündigung des vom König ausgesprochenen Gelübdes beim zweiten Mal keine Begeisterung auslöste, sondern nur Entmutigung und nur wenige Lehensleute bereit waren, ihm zu folgen, dann sagen wir uns eventuell, dass die Zeit der Kreuzzüge wirklich zu Ende ging und der Tod des Königs, der im Lager der Kreuzfahrer an einer Seuche starb, die gerechte Grabinschrift für eine zu Ende gegangene historische Phase ist.

Wir finden uns schwerer mit dem Gedanken ab, dass die Kreuzzüge keineswegs im Jahr 1291 endeten. Steven Spielberg hatte Spaß mit seinem Film Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, aber die Zeitgenossen wussten nicht, was wir hingegen wissen, nämlich dass Jerusalem von den christlichen Mächten nie wieder erobert werden würde, zumindest nicht bis 1917, als General Edmund Allenby dort einmarschierte – „Jerusalem is Rescued by British after 673 Years of Moslem Rule“, lautete die triumphierende Schlagzeile des New York Herald. In Wirklichkeit wurden weiterhin Kreuzzüge unternommen, meistens gegen die entstehende Macht des Islam, das Osmanische Reich, und dies trotz einer beinahe ununterbrochenen Reihe von Niederlagen – von Nikopolis im Jahr 1396 bis zu Warna im Jahr 1444. Die Vorstellung, dass es die Pflicht der Christen sei, Jerusalem zurückzuerobern, blieb in allen Köpfen, mochten sich nun auch die politischen Horizonte ändern und neue kulturelle Welten abzeichnen, als die Zivilisation des Mittelalters ihren Höhepunkt erreichte, den wir Renaissance nennen.

Der Kreuzzug gehört zu den Obsessionen der großen Mystiker, die im 14. und 15. Jahrhundert eine neue, nun weibliche Form verkörpern, die Religiosität zu verstehen. In der Zeit des Großen Schismas schrieb Katharina von Siena dem Papst und den Kardinälen und wiederholte unermüdlich, dass die Christen den Frieden brauchten, um nach Jerusalem zu fahren. In der Zeit des Hundertjährigen Kriegs wollte Jeanne d’Arc die Engländer aus Frankreich vertreiben, damit König Karl VII. sich endlich auf seine größte Pflicht, den Kreuzzug, konzentrieren könne. Der Humanismus entstand mit dem Wunsch, es den Menschen der Antike gleichzutun, und Francesco Petrarca forderte die Christen auf, sich in den Kreuzzügen zu engagieren wie die Griechen in den Perserkriegen. Am Hof von Burgund gelobte man den Aufbruch ins Heilige Land im Verlauf von prunkvollen Ritterfestmählern, die Johan Huizinga im Herbst des Mittelalters als Schwanengesang einer Zivilisation beschrieben hat. In eben diesen Jahren steckte Enea Silvio Piccolomini, der Vertreter der modernsten und anscheinend zynischsten humanistischen Kultur, der spätere Papst Pius II., seine ganze Energie in die Organisation des Kreuzzugs. Er starb im Hafen von Ancona, wo er auf die Flotte wartete, die nach Jerusalem auslaufen sollte. Inquisitoren wie Tomás de Torquemada erwogen den Kreuzzug genauso wie christliche Humanisten wie Marsilio Ficino und man versteht auch manche Meisterwerke von Piero della Francesca wie beispielsweise die Geißelung Christi in Urbino nicht, wenn man übersieht, dass dahinter der Traum von der Rückeroberung Jerusalems steht.

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