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Der Kaufmann und der Intellektuelle: Marco Polo und Matteo Ricci
ОглавлениеDer eine ist in Europa ein populärer Held, der andere ist so gut wie unbekannt, obwohl er die jesuitische Mission in China begründet hat. In China dagegen werden die zwei Italiener gleichermaßen als die beiden ersten europäischen Bewunderer des Reichs der Mitte betrachtet.
Der italienische Jesuit Matteo Ricci (links) und der chinesische Mathematiker Xu Guangqi auf einem Bild aus Athanasius Kirchers China Illustrata (1667).
Während Marco Polo (1254–1324) bis heute fest im populären kulturellen Gedächtnis Europas verankert ist, wie sich nicht zuletzt an zahlreichen Spielfilmen und Fernsehserien zeigt, die ihn und seine Reisen nach China feiern, ist Matteo Ricci (1552–1610) vorwiegend im kulturellen Gedächtnis der europäischen Missions- und Wissenschaftsgeschichte gegenwärtig. Im kulturellen Gedächtnis Chinas nimmt der in Peking beigesetzte Matteo Ricci dagegen einen nicht minder bedeutenden Platz als Marco Polo ein. Auf dem im Jahr 2000 in Peking eröffneten Millenniumsdenkmal sind beide als Vertreter eines auf wechselseitiger Anerkennung beruhenden Austauschs zwischen China und Europa abgebildet. Marco Polos und Matteo Riccis Platz in der europäischen Erinnerungskultur unterscheiden sich dagegen deutlich. Zwar werden beide zu runden Geburts- und Todestagen mit wissenschaftlichen Kolloquien und Ausstellungen geehrt – zum Beispiel die 750-Jahr-Feier von Marco Polos Geburt 2004 und das 400-Jahr-Gedenken zu Matteo Riccis Tod 2010 – und beide sind nach wie vor Gegenstand intensiver Forschungen, aber im populären kulturellen Gedächtnis hat Matteo Ricci kaum einen Platz, woran auch die Benennung eines Mondkraters nach ihm nichts ändern kann.
Bis weit ins 19. Jahrhundert galten beide jedoch als die wichtigsten Vermittler von Kenntnissen über die chinesische Kultur in Europa. Marco Polo und Matteo Ricci trennen mehr als 300 Jahre, aber sie gleichen sich darin, dass sie viele Jahre in China lebten und der chinesischen Zivilisation, von deren kulturellen Leistungen sie überaus beeindruckt waren, höchste Anerkennung zollten. Freilich waren es unterschiedliche chinesische Kulturen, die sie betrachteten: Während Marco Polo das China unter der mongolischen Yuan-Dynastie (1279–1368) pries, erwies Matteo Ricci dem China der Ming-Dynastie (1368–1644) höchsten Respekt. Auch verkörperten sie unterschiedliche Sichtweisen: Der Sohn eines venezianischen Fernhandelskaufmanns interessierte sich vor allem für Handel, Währungen, Steuern und die Herrschaft des mongolischen Großkhans als Grundlage gesellschaftlichen Reichtums. Dagegen betrachtete der jesuitische Missionar die chinesische Kultur und insbesondere den Konfuzianismus als Anknüpfungspunkt für die christliche Mission. Dazu musste er sehr viel tiefer in die Grundlagen der chinesischen Kultur eindringen als sein mittelalterlicher Vorläufer. Im kulturellen Gedächtnis der Chinesen sind beide bis heute gleichermaßen als diejenigen verankert, die China als Erste die ihm gebührende Anerkennung zollten und dies in ihren Schriften nach Europa vermittelten.
Anders als im populären kulturellen Gedächtnis Europas genießt Matteo Ricci im wissenschaftlich-kulturellen Gedächtnis uneingeschränkte Anerkennung, während Marco Polos Glaubwürdigkeit in den letzten Jahrzehnten verschiedentlich angezweifelt worden ist. Das gipfelte 1996 in der These der britischen Sinologin Frances Wood, Marco Polo sei nie in China gewesen. Diese These konnte sie zwar nicht plausibel belegen und in der Fachwissenschaft ist sie gründlich widerlegt worden, aber von den Medien wurde sie begierig aufgegriffen und ist seither in der Welt.
Die zuvor schon verbreitete These, im 14. Jahrhundert habe Marco Polo keine Glaubwürdigkeit genossen, weil sein Wissen die mittelalterlichen Europäer überfordert habe, wird schon dadurch widerlegt, dass sein Bericht ins Lateinische und in zahlreiche europäische Sprachen übersetzt worden ist. Marco Polos Bericht galt als exklusive Wissensvermittlung aus eigener Augenzeugenschaft. In der damit verbundenen Anerkennung zeigt sich ein Interesse sowohl an den Reichtümern des Ostens als auch am Wissen über den Osten als Element von Elitenrepräsentation. Auch das Interesse an der Mission spielte eine erhebliche Rolle, weshalb der Dominikaner Francesco Pipino da Bologna Marco Polos Le Devisament dou monde, das im Toskanischen unter dem Namen Il milione verbreitet wurde, nach 1307 unter dem Titel Liber de consuetudinibus et conditionibus orientalium regionum ins Lateinische übersetzte. Diese lateinische Übersetzung ebnete Marco Polo als einem der wenigen mittelalterlichen Autoren den Weg in die Frühe Neuzeit, denn durch ihre Lektüre wurde Christoph Kolumbus inspiriert, den Seeweg zu den Westindischen Inseln und insbesondere nach Zipangu (Japan) zu suchen. Sie hatte Marco Polo als östlich von Cathay gelegen und nicht dem Reich des Großkhans zugehörig, aber immens reich beschrieben. Dass das Cathay Marco Polos mit China identisch war, versuchte schließlich Matteo Ricci in seinen kartografischen Forschungen zu belegen.