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2. Forschungsstand

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Die Wechselbeziehung zwischen Mehrsprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeitskompetenz und Sprachlernkompetenz wurde in der Vergangenheit mehrfach und aus unterschiedlichen Perspektiven erforscht und diskutiert (↗ Art. 85).

Die konzeptuelle Nähe zwischen SprachlernkompetenzSprachlernkompetenz und Mehrsprachigkeit ist bereits dem Konzept der sprachenteiligen Gesellschaftsprachenteilige Gesellschaft inhärent, welches besagt, dass in einer Gesellschaft viele Menschen möglichst viele Sprachen verstehen und sprechen können sollen (vgl. die ‚Homburger EmpfehlungenHomburger Empfehlungen’; Christ et al. 1980). Den einzelnen Sprachen wurden unterschiedliche pädagogische Funktionen für den Aufbau einer breiten und diversifizierten individuellen Mehrsprachigkeit (↗ Art. 6, 7) zugewiesen, und zwar von der Primarstufe bis hin zur Sekundarstufe IISekundarstufe II. Die Sprachlernkompetenz lag dabei diesen Überlegungen bereits zugrunde – ohne dass sie explizit genannt wurde (vgl. Martinez & Meißner 2017: 220).

Die Interkomprehensionsforschung hat mehrfach empirisch belegt und hervorgehoben, dass die (inferentielle) InterkomprehensionsmethodeInterkomprehensionsmethodeSiehe InterkomprehensionsdidaktikInterkomprehensionsmethode (↗ Art. 70) zur AutonomisierungLernerautonomisierung der Lernenden beiträgt (u.a. Doyé & Meißner 2010). Die Prozesse bei der Inferierung romanischer Texte ähneln den der Sprachlernkompetenz zugrundeliegenden Prozessen und Strategien. Die Erstellung einer HypothesengrammatikHypothesengrammatik (im Moment der verstehenden Begegnung mit der Zielsprache oder kurz danach), ihre Überprüfung sowie das MonitoringMonitoring bezüglich der eigenen InterkomprehensionshandlungInterkomprehensionshandlung setzen SprachaufmerksamkeitSprachaufmerksamkeit, Sprach- bzw. SprachlernbewusstheitSprachlernbewusstheit und Reflexion voraus. Meißner (2015: 238) unterstreicht Interkomprehension als „eine sehr wirksame Strategie des lernaufmerksamen Lernens und Lehrens“. Das InferierenInferieren bzw. der positive TransferTransferpositiver (↗ Art. 64) beruhen auf der Fähigkeit, geeignete sprachliche, didaktische und kulturelle Ressourcen zu aktivieren (vgl. Martinez 2017). Dabei entwickeln Lerner Strategien (des Vergleichens), metakognitive/selbstgesteuerte StrategienStrategienmetakognitive und Lernressourcen sowie motivationale und volitionale StrategienVolitionalität. Selbstgesteuerte Strategien sind z.B. selektive Aufmerksamkeit, die Aktivierung schon bekannten Wissens – nicht nur SprachwissenSprachwissen, auch WeltwissenWeltwissen/kulturelles Wissen – oder die Regulierung von Strategien (dies bezieht sich auf die Fähigkeit, sich an Strategien, die in ähnlichen Situationen effektiv waren, zu erinnern, sie zu nutzen und bewusst anzuwenden) etc. (vgl. auch Bär 2009: 78ff.). Die Wahrnehmung eigener Erfolgserlebnisse fördert die intrinsische MotivationMotivationintrinsische und ermöglicht die Erfahrung von Selbstwirksamkeit (vgl. auch Morkötter 2016).

Die mehrsprachigkeitsdidaktische Forschung hat gezeigt, wie MehrsprachenunterrichtMehrsprachenunterricht eine „Strategie zur Beförderung von MetakognitionMetakognition (language and learning awareness raising strategy)“ (Meißner 2010: 194) sein kann. Die Interaktion und Kooperation zwischen Lernenden und Lehrenden fördert die reflexive Vergegenwärtigung der ablaufenden Prozesse und die Entwicklung von multi language (learning) awareness. Die Parallelen zwischen einer Pädagogik für Autonomie und der Interkomprehensionsdidaktik (↗ Art. 56) bzw. Mehrsprachigkeitsdidaktik (↗ Art. 7) sind nicht zu übersehen: Beide ermutigen zur Übernahme der Verantwortung, zur Wahl von LernzielenLernziele und deren flexibler Kontrolle. Der unstrukturierte InputInputunstrukturierter erlaubt z.B. den Lernenden, HypothesenHypothesenbildung aufzustellen, zu verifizieren, die Sinngenerierung zu kontrollieren. Beide Ansätze schaffen Gelegenheiten zum selbstgesteuerten Lernen und zur Selbstkontrolle, denn über das VergleichenVergleichen von sprachlichen Phänomenen gewinnen die Lernenden Einsicht in die eigenen Lernprozesse und Lösungswege; Übungen wie Laut-Denk-ProtokolleLaut-Denk-Protokoll oder Übersetzungen, die den Lernprozess ‚online‘ durch Verbalisierung begleiten, fördern das Monitoring. Sowohl eine Pädagogik für Lernerautonomie als auch die Mehrsprachigkeitsdidaktik erfordern und fördern eine positive Einstellung gegenüber dem fremdsprachlichen und interkulturellen Lernen (↗ Art. 32), den Willen, Risiken einzugehen, intellektuelle Neugier, Vertrauen in die eigene Kompetenz und die Kompetenz zur Selbstmotivation (vgl. Jiménez Raya et al. 2007: 33ff.; vgl. auch Martinez 2008: 293; Martinez 2010: 155f.).

In einer empirischen Studie schlussfolgert Martinez (2008), dass bestimmte Lernende zwar mehrsprachig sind, aber nicht autonom lernen. Es scheint einen Unterschied zu geben zwischen den Lernenden, die von dem Erlernen mehrerer Sprachen profitieren können, und denjenigen, die die Sprachen lediglich additiv erlernen, ohne Bezüge zwischen ihnen herzustellen. Mehrsprachige Lerner scheinen dann autonom zu sein, wenn sie zwischensprachlichen TransferTransferinterlingualer (↗ Art. 64) als (Lern-)Strategie beherrschen und bewusst oder intuitiv einsetzen. Autonome mehrsprachige Lerner sind diejenigen, die aus dem mehrsprachigen Repertoire eine Kompetenz erzeugen. Definiert man Kompetenz als „Mobilisierungskompetenz von RessourcenMobilisierungskompetenz von Ressourcen“, so sind die autonomen Lerner fähig, ihre (mehrsprachigen) Ressourcen adäquat und zielgerichtet zu mobilisieren. Autonome mehrsprachige LernerLernerautonome, mehrsprachige kontrollieren zwischensprachlichen und didaktischen TransferTransferdidaktischer und setzen diesen bei Bedarf ein. Dabei greifen sie auf ein reiches und anscheinend gut organisiertes (deklaratives und prozedurales) Wissen zurück, das sie im Laufe ihrer Sprachlerngeschichte erworben haben und bei jedem Zugriff (re-)aktualisieren. Diese „mehrsprachige Aneignungskompetenz“ erlaubt es ihnen, sich eine neue Zielsprache zu erschließen und zu erlernen (ebd.: 281ff.).

Die Erkenntnisse gehen mit Studien zur Tertiärsprachenforschung einher (↗ Art. 51). Im Dynamic Model of MultilingualismDynamic Model of Multilingualism (Herdina & Jessner 2002) wird angenommen, dass mehrsprachige Menschen über einen erweiterten mehrsprachigen MonitorMonitormehrsprachiger sowie ein erhöhtes multilinguales Bewusstsein verfügen. Diese Fähigkeiten und Eigenschaften werden als „multilingual factormultilingual factor“ bezeichnet, eine Kompetenz, die in der Interaktion unterschiedlicher Sprachen entsteht. Untersuchungen belegen, dass Lernende, die bereits eine Fremdsprache oder Fremdsprachen gelernt hatten, über eine nachweislich höhere Sprach(lern)bewusstheit verfügen sowie höhere und schnellere Leistungen erzielen (Hufeisen 2003: 97).

Sprachen und Sprachlernerfahrungen wurden dementsprechend in den letzten Jahren insbesondere in der Mehrsprachigkeits- und Tertiärsprachenforschung als wesentliche fremdsprachenspezifische Einflussfaktoren für das Erlernen von Fremdsprachen erkannt (vgl. Faktorenmodell von Gibson & Hufeisen 2003: 18).

Der Begriff „mehrsprachige Kompetenz“, den der GeRGeR (↗ Art. 18) geprägt hat, unterstreicht diese Dimension. MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit bedeutet nicht mehr lediglich die „Beherrschung“ mehrerer isoliert gelernter Sprachen, sondern sie umfasst auch die Kompetenz, mit bereits gemachten Spracherfahrungen umzugehen und sie auf das Lernen weiterer Sprachen zu transferieren (Christ 2006: 50).

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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