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Kapitel 8 Das Bad im Burggraben
ОглавлениеEs regnete nicht mehr; Adda bemerkte es kaum. Am Burggraben angekommen, fiel ihr ein, dass die Wachen sie womöglich festhalten würden, weil ihr Vater – blitzschnell, wie er zu handeln pflegte – schon entsprechende Anweisungen erteilt haben könnte. Was nun? Schwimmen konnte sie nicht und außerdem empfand sie nicht die geringste Lust zu einem Bad im dreckigen Burggraben, wo die ganzen Abfälle hineingeworfen wurden. Andererseits wollte, nein, musste sie hinüber in die Freiheit – unbedingt, und zwar trockenen Fußes! Schon um ihrem Vater eine Lehre zu erteilen. Ha, der würde dumm gucken! – Sich nach einem geeigneten Hilfsmittel umschauend, entdeckte Adda nur eine kümmerliche alte Kiste. Die sah schon recht morsch aus, aber – mein Gott – ihr geringes Gewicht mochte sie wohl tragen. Die Kiste die Böschung hinunterschleifen und hineinklettern war eins, ... ein wenig schaukeln und schon schipperte Adda mitten auf dem Burggraben. – Ha, das ließ sich gut an! Die Strömung trug das Schifflein fort, genauso wie Adda es sich vorgestellt hatte. Sie jubelte vor Freude, duckte sich ganz tief hinein; schließlich wollte sie nicht entdeckt werden. Doch – verflucht! Die Kiste ließ Wasser durch. Schon standen ihre Füße bis zu den Fesseln im Wasser. In feinen Strahlen zischte es unaufhaltsam durch Ritzen und Löcher. Mit beiden Händen versuchte Adda – mal hier, mal dort – das Wasser aufzuhalten. – Vergeblich, es stieg langsam aber stetig. Da berührten ihre Hände plötzlich etwas Glitschiges, Ekelhaftes. Mit Mühe unterdrückte sie einen Schreckensschrei. Was konnte das sein, das da mit ihr das sinkende Wasserfahrzeug teilte? Eine Kröte? Oder gar eine Ratte, die jetzt flüchten wollte? Widerlich! Der Ekel ließ sie ungestüm hochfahren. Die Kiste schaukelte ein paar Mal gefährlich auf und ab. Wasser schwappte von oben hinein. Mit rascher Gegenbewegung versuchte Adda ein Kentern zu vermeiden, beugte sich dabei zu weit vor und ehe sie sich’s versah, schlug das Wasser über ihr zusammen. Verzweifelt strampelte Adda mit den Beinen, schlug wild mit den Armen, schluckte ein Gemisch aus Wasser, Schlamm und Entenquark, kam irgendwie an die Oberfläche, blubberte erneut unter Wasser – bis auf den Grund des Grabens. – Irgendwo fanden ihre Füße Halt auf dem moorigen Grund. Ihre Hände gruben sich in Schlamm und Tonscherben, fassten Austernschalen und Wasserpflanzen. Sie riss die Augen auf, konnte aber nichts sehen, nur aufgewühlten Dreck. – Da fühlte sie sich plötzlich emporgezogen, immer weiter, immer höher; es wurde hell und heller... Luft, Luft! Prustend und wasserspeiend fand sie sich auf grünem Rasen wieder. Sie hustete, glaubte zu ersticken, musste sich furchtbar erbrechen. – Leute standen um sie herum, glotzten neugierig, lachten, vergnügten sich auf ihre Kosten. – Ihr war so sterbenselend, es machte ihr nichts aus. – Jemand sagte etwas zu ihr. Es war ein Mann, triefend vor Nässe. Adda verstand ihn nicht. Schließlich hoben helfende Hände sie auf ein Grautier, und dann hörte sie eine Stimme aus weiter Ferne sagen: „Du siehst entzückend aus.” Ubbo war das. ‚Entzückend’ hatte er gesagt, ‚entzückend’! Was an ihr mochte in diesem Augenblick wohl ‚entzückend’ sein? Der Queller in ihrem Haar? Der Schmutz, der Entenquark auf ihren klatschnassen Kleidern? – Boshaft! Wo sie doch fast ertrunken wäre! Warum musste er das gerade jetzt sagen, dieser Dummbart?! – Woher sollte sie auch wissen, dass die nassen Kleider ihren Körper modellierten wie eine zweite Haut. Und – bei Gott – hätte sie es gewusst, sie wäre vor Scham im Erdboden versunken! – Nur mit Mühe hielt die herausgeputzte Gesellschaft an sich vor Lachen. Nie im Leben hatte Adda sich so furchtbar geschämt! Sie stammelte etwas von ‚ausgerutscht’ und ‚ins Wasser gefallen’. – Das konnte nur ihr zustoßen in ihrer Dummerhaftigkeit! Wäre sie doch besser bei ihren Schafen geblieben!
Ungeachtet ihrer triefenden Nässe zog Ubbo sie an sich, so als wollte er sie schützen vor den Giftpfeilen des Gespötts.
„Meine Braut”, erklärte er, „sie ist mir hinten heruntergerutscht von dem bockigen Grautier und dabei in den Graben gefallen. Ich danke den edlen Herren sehr für die unverhoffte Hilfe.”
Grüßend setzte Ubbo seinen Esel in Bewegung.
„Halt sie nun aber besser fest!” rief man ihm nach und langsam wandte sich die Gesellschaft der Brücke zu, immer noch herzlich lachend.
Zitternd vor Kälte drückte Adda sich an ihren Ziehbruder. Die tropfenden Kleider klebten an ihr wie Häute aus Eis. „Ubbo, bitte, hilf mir! Ich brauche trockene Sachen.”
„Siehst du nun, wie schnell es gehen kann, dass man seine Freunde braucht? Man sollte sie nicht so vor den Kopf stoßen, wie du es vorhin getan hast.” „Ich sehe es ja ein, Ubbo. Mir ist so kalt, ich friere so.”
„So zieh erst einmal das nasse Kleid aus. Du hast Glück, ich habe meinen Flickenrock dabei. Ein bisschen mürbe ist er ja, aber das tut jetzt wohl nichts?”
Aus seinem Wandertuch, das er über einen Stock geknotet bei sich trug, kramte er gemächlich den kunterbunten Rock heraus, den er vor nicht allzu langer Zeit schon einmal dem alten Häuptling angeboten hatte. Adda verschwand damit hinter einem Gagelstrauch. Zu guter Letzt musste Ubbo auch noch sein Wandertuch opfern für Addas nasse Haare.
„Ich hole mir sonst den Tod”, jammerte sie. Das konnte Ubbo natürlich nicht zulassen. „Wie kommt es, dass du deinen Wanderstab dabei hast und die Sachen, Ubbo?”
„Ich wollte es verstecken, für heute Nacht, damit wir uns nicht damit hätten belasten müssen”, antwortete er gelassen. – Sie nickte. – „Warum eigentlich willst du den Folkmar Allena nicht haben? Der ist doch reich und mächtig, fast so wie dein Vater... ‚Macht’, das ist doch etwas, was dich reizen kann, oder? Darin bist du eine echte ‚tom Brook’, nicht?”
Adda lächelte still. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. – Ihre Gedanken flogen zu dem sagenhaften Friesenkönig Redbad, den die Franken Radbod nannten. Selbst, wenn er das Friesenvolk unterdrückt hatte, wie manche Alte wissen wollten, und wenn sein Reich auch in der Provinz Groningen an der Lauwers geendet hatte, so war er eben doch ein König der Friesen gewesen, mit dessen Namen sich große Macht und Ansehen verbanden. Die Sage erzählte, dass Redbad eines Tages wiederkehren würde. Vielleicht war das gar nicht so gemeint, vielleicht bedeutete das nur, dass eines Tages ein neuer Friesenkönig da sein würde? Wie kam es nur, dass das nebelhafte Bild des Friesenkönigs immer vor ihren Augen verschwamm und ihr Vater zu Redbad wurde? Sie träumte gern davon. Schon damals bei ihren Schafen hatte sie davon geträumt, von seiner Macht, seinem Reichtum. Manchen Sommertag hatte sie so unter blauem Himmel inmitten blökender Schafe mit ihren Träumen verbracht. Für einen Moment schloss Adda die Augen, und da kam ihr unvermittelt der Gedanke, dass ja auch ein anderer diese Macht erringen könnte. – Vielleicht Folkmar Allena? – Erst Emsigerland und Brookmerland zusammen, dazu das Norderland, dann... Natürlich! So musste es sein! Niemand anders als Folkmar Allena konnte das Friesenvolk vereinen, stammte er doch aus einem bedeutsamen Geschlecht und hatte gewaltigen Grundbesitz jenseits der Ems. Wie Addas Großvater ihr erzählt hatte, entstammte Folkmar dem Geschlecht der Pfalzgrafen von Sachsen, dem Bern-Geschlecht. Es hatte einst den Bischof von Utrecht gestellt, der auch königlicher Kanzler gewesen war. Dem Berngeschlecht hatte wohl einst dieses Land gehört. – Gab es nun noch irgendeinen Grund, Folkmar Allena abzulehnen? „Er ist alt”, murmelte sie halblaut.
„Alt? Folkmar Allena? Klar ist er das. Kein Mann über zwanzig ist in deinen Augen jung, Adda; natürlich nicht uralt, aber immerhin...” Das klang ironisch, aber Adda bemerkte es nicht. Gelangweilt kaute Ubbo an einem Brotkanten, sie dabei aus schmalen Augenschlitzen beobachtend.
„Mein Vater ist schließlich auch ziemlich alt, nicht? Folkmar Allena ist etwas jünger, mindestens fünf Jahre – oder vielleicht sogar zehn? Oder noch mehr?“ Ubbo antwortete nicht, kaute weiter an seinem Brotkanten. „Außerdem ist es ja auch besser, einen erfahrenen Mann zu bekommen als einen dummen Jungen. Das sagt man zumindest, nicht wahr?” Sie musste lachen, weil ihr einfiel, dass sie als kleines Mädchen darauf versessen gewesen war, ihren Vater zu heiraten. Sie sah sein Gesicht vor sich, die markanten Falten, den gepflegten blonden Kinnbart, die hellblauen Augen. Kein schönes Gesicht, eher herb, aber sie mochte dieses Gesicht...
Eigentlich – weder Folkmar Allena noch ihr Vater waren richtig alt... Aber ob sie Folkmar Allena würde lieben können? Sie wusste ja nicht einmal wie er aussah. Hima hatte ihn zwar beschrieben ‚groß von Gestalt, blond wie Weizen, graue Augen’, aber was sollte man sich darunter vorstellen. Vielleicht war sein Gesicht abgrundtief hässlich? Mit einer krummen Nase und Glubschaugen, so wie Ubbo die hatte?
„Liebe – was ist das?” fragte Adda unsicher. „Was meinst du, Ubbo?“
Ubbo schien auf ihre Frage gewartet zu haben, so rasch antwortete er: „Liebe, das ist, jemanden gern mögen, seine Gegenwart, seine Stimme, seine Hände, die Augen, den Körper, ja seinen Geist und seine Seele, seine Vorzüge und seine Fehler. Liebe, das ist miteinander leben, füreinander da sein, einander schätzen und schützen. Liebe, das sind Küsse und – so Gott will – Kinder, süße kleine Kinder...” Ubbo schwieg. Ja, er liebte sie, und sie hatte das noch nicht einmal bemerkt!
Adda überlegte: Ob sie viele Kinder haben würde? Einmal hatte sie bei einer Magd die Hand auf deren hochschwangeren Leib legen dürfen und das Kind darin sich bewegen gefühlt. Ein schönes Gefühl war das gewesen in ihrer Hand! Aber ‚Liebe’? Das gab es wohl in den wenigsten Ehen von Anbeginn an. Zuerst und vor allen Dingen ging es um Geld und Gut und Macht und Titel. Junge Handwerksgesellen heirateten meist die verwitwete Meisterin, um selbst Meister werden zu können. War ihnen dann endlich die ‚Alte’ weggestorben, so musste was Blutjunges ins Bett. Die jungen Frauen wurden freilich auch nur mit so einen alten Kerl aus zweckmäßigen Erwägungen heraus vermählt. Schließlich konnten sie sich im Alter noch mal mit einem jungen Draufgängergesellen schmücken. Wo man hinsah, so oder ähnlich war es überall. ‚Liebe’! Absurd, so etwas zu verlangen.
Gab es denn für sie überhaupt einen anderen Mann als Folkmar Allena? Einen, der ihrer würdig war? Hätte ihre Wahl nicht ohnehin auf ihn fallen müssen? Zwangsläufig? Plötzlich fiel ihr Foelke ein, und ihre Miene erhellte sich unwillkürlich. Was eigentlich hatte dieses Fräulein aus Hinte aufzuweisen? Was zählte schon ein hübsches Gesicht gegen ihre Mitgift? Nichts! Und schließlich und endlich musste Adda sich auch nicht gerade zu den hässlichen Mädchen zählen.
„Foelke wird grün vor Neid, wenn sie das erfährt”, murmelte Adda frohlockend.
„Wenn sie was erfährt?”
„Ubbo, stell dir nur vor, wie Foelke blass wird und dann in Tränen ausbricht!” Der zuckte nur gelangweilt die Schultern. Was ging das ihn an! Weiber heulen überhaupt zu jeder Gelegenheit, dachte er, aber Foelke? „Die bricht nicht in Tränen aus“, sagte er und seine Augen glitten belustigt über Addas Flickenrock und die bunten Beinkleider, die sie jetzt trug. Zu komisch! – „Ich, Adda tom Brook, schnappe der schönen Foelke den Mann vor der Nase weg. Ist das nichts? Möglicherweise bekommt sie nun gar keinen mehr ab. Sie ist ja schon fast zwanzig Jahre alt.” Adda konnte sich angesichts dieser Tatsache kaum beruhigen.
„Das versetzt deine Verlobung mit Folkmar Allena wohl in ein ganz anderes Licht, was? Du meinst, das umgibt sie mit dem Heiligenschein des Sieges, ja?”
„Richtig! Ist es nicht so? Foelke hat mich mal eine dumme Sumpfkröte geschimpft und einmal hat sie mich beim Kräutersammeln in einen Dornenstrauch geschubst und dann hat sie mit Unschuldsmiene behauptet, sie sei gestolpert und ganz unabsichtlich gegen mich gefallen. Jedenfalls kannst du heute noch die Narbe in meinem Gesicht sehen, Ubbo. Guck mal, da...” Stolz deutete sie auf winzige Schrammen, die davon nachgeblieben waren.
„Ich sehe nichts. Beeile dich. Oder willst du hier Wurzeln schlagen?”
„Sei doch nicht so ungeduldig! Ich komme ja schon.” Sie kam aber nicht, sondern plapperte in einem fort. Von dem Ameisenhaufen, in den sie hineingestolpert war, nicht von selbst, oh nein! Foelke war natürlich Schuld, die ihr ein Bein gestellt hatte. Zwar hatte sie behauptet, eine Baumwurzel sei Schuld gewesen, aber... Welche Freude, dass Adda ihr nun alles heimzahlen konnte! In Anbetracht dieser Aussichten färbten sich ihre Wangen rosig. Ubbo hatte das alles schon tausend Mal gehört, und es war ja auch schon eine Ewigkeit her, fast nicht mehr wahr.
Da sie offensichtlich keine Zeit fand, selbst auf den Esel zu klettern, hob Ubbo sie kurzerhand hinauf. Empört schaute sie auf ihn herunter. Der Bucklige rollte, auf dem Boden kniend, geschickt ihre nassen Kleider zusammen und brummelte irgendetwas vor sich hin.
„Was sagst du, Ubbo? Ich verstehe nicht, du musst lauter sprechen.”
„Ich sagte, dass ich es gleich gewusst habe, wie das ausgeht. Die Schwierigkeit ist nur, wie kriege ich dich ungesehen zurück in die Burg.”
„Zurück meinst du? Wie kommst du darauf? Ich will nicht zurück! Jedenfalls nicht jetzt, nicht heute.”
„Man wird dich vermissen und suchen, Liebste; mich weniger, aber dich.”
„Warum sagst du ‚Liebste’? Hör gefälligst auf damit! Ich bin deine Liebste nicht. Du bist der Buckel-Ubbo und ich bin die Häuptlingstochter!”
„Doch, Adda, das bist du; meine Liebste bist du, wenn du mit mir gehst, zumindest in den Augen der andern. Alles Weitere wird sich finden.”
„Was meinst du damit ‚wird sich finden’?”
„Nun, wenn alle Welt Glaubens ist, dass wir beide miteinander ..., so sollte man sie nicht enttäuschen.”
„Ich bin aber deine Liebste nicht und werde niemals deine Liebste sein. Nie und nimmer! Merk dir das, Ubbo, merk dir das gut! So, und jetzt lass uns gehen, ehe meines Vaters Hunde kommen.”