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Kapitel 6 – Im Mai anno 1372
ОглавлениеGedankenverloren schob Adda das Fenster zu. Klatschend schlug der laue Mairegen gegen die Glasscheiben. Wenn Hima das Fenster zuschob, versäumte sie es nie, darauf hinzuweisen, dass das Glas aus dem fernen Venedig stammte und ungeheuer viel Geld gekostet hatte.
Rubinrot funkelten die gebogenen Scheiben im Gegenlicht wie römischer Wein. Warum nur musste Adda gerade jetzt daran denken, dass Hima nicht einmal im Entferntesten ahnte, an welchem Ende der Welt die Stadt Venedig zu finden war? Bleigrau spannte sich der Himmel über Brookmerland. In Venedig ist er stets blau. So sagte der Herr Luippe zumindest... Addas Vater trat ein, nickte freundlich, ließ sich wortlos in seinen Hochsitz fallen. Noch immer starrte Adda auf die Wassertropfen, die an den roten Glasscheiben hinunterliefen... wie Tränen...Wann regnete es einmal nicht im Frühjahr? Fast ganz Brookmerland stand schon unter Wasser. Das geschah in jedem Frühling, wenn die Sonne den Frost aus dem Boden geschmolzen hatte und der Himmel seine Schleusen öffnete und anscheinend vergaß, sie wieder zu schließen. Wie lange noch würde Adda hier auf der Burg bleiben? Ein Jahr oder zwei? Vielleicht nur bis zur Eheschließung? Schade, wenn sie hier weg müsste. Sicher, die Burgen von Folkmar Allena – ihrem Zukünftigen – waren mit Gewißheit auch sehr schön ausgestattet, aber hier auf der Kennenburg geriet das Leben für Adda mittlerweile zu einem herrlichen Abenteuer. Es war aufregend und jeder Tag prall gefüllt mit wundervollen Überraschungen, weil Vater und Großvater einander geradezu überboten, um ihre Zuneigung zu erringen.
Sie erhielt schöne Kleider, bekam ein Hündchen und ein Kätzchen; Tauben und sogar einen Falken schenkte der Großvater ihr, mit dem sie aber nichts anfangen konnte und den sie darum dem Falkner übergab. Allerdings, ein wirklich kostbares Geschenk hatte der Großvater noch nicht gebracht. Alles, was Geld kostete, bekam sie von ihrem Vater, die übrigen Dinge vom Großvater. So zum Beispiel das Maikätzchen, dass er halb verendet im Sumpf aufgelesen hatte oder diesen Falken, der zur Jagd nicht taugte; Hund und Tauben – auf der Burg zur Welt gekommen – sehr unedel. Dennoch, unübersehbar, dass Keno seine Enkeltochter zu erobern suchte. Sie lag ihm am Herzen, mehr als all seine übrigen Enkelkinder zusammen. Gegen seinen Geiz konnte Adda nichts ausrichten, stattdessen aber erlangte sie seine uneingeschränkte Zuneigung. Zählte das nicht mehr als Geld und Gut?
Manchmal, wenn er sie bewundernd betrachtete, füllten sich seine harten Raubvogelaugen mit Tränen, und die gichtknotigen Hände streichelten zitternd ihr Haar - ganz sanft, ganz zärtlich, so voll von Liebe, dass Adda fast erschrak.
Mit dem Vater, da war alles anders. Sicher, er liebte sie, aber nicht so, nicht ohne Vorbehalt; er verwöhnte, überhäufte sie mit Geschenken, aber er vermied die innige Berührung. Wollte er sich keine Blöße geben? Sie wusste es nicht, und doch sehnte sich Addas banges Herz danach. Bang? Ja, was mochte die Zukunft bringen? Freud? Leid? - Reichtum? Armut? - Liebe? Hass? - Wohl von jedem etwas.
Unter all den Anverwandten, die täglich anreisten, suchte Adda vergeblich nach einem Menschen, mit dem sie ein vertrauensvolles Wort hätte wechseln können. Ihr Aufstieg von der Schäferin zur begehrten Häuptlingstochter belastete Herz und Seele. Und dennoch genoss sie es, nun im Mittelpunkt zu stehen. Fast jeden Tag trafen irgendwelche Anverwandte ein, um sie zu begutachten, Onkel, Tanten, Basen, Vettern... Aus allen Himmelsrichtungen reisten sie an - ungeachtet des strömenden Regens und der damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Jeden Tag lernte Adda neue Verwandte kennen und jeden Tag gab es für sie etwas Neues zu entdecken. - Ja, eigentlich könnte sie hier rundum glücklich sein, wäre da nicht die drohende Hochzeit.
Gedankenlos wanderte Adda vom Fenster zum Kamin und stocherte mit dem Feuerhaken darin herum, bis der Torf prasselnd Funken sprühte. Leise knurrten die beiden Wolfshunde, fühlten sich in ihrer Ruhe gestört und legten, nachdem Adda sie beschwichtigend gestreichelt hatte, erneut dösend den Kopf auf ihre Pfoten. In beiden Kaminen des Saales brannte ein kräftiges Feuer, aber man spürte immer noch die kühle Strahlung der dicken Mauern. Angenehme Wärme verbreitete sich nur in Kaminnähe, gegen die Feuchtigkeit kämpfte das Feuer vergebens. Die Flammen malten in weichem Schatten Addas Silhouette an die frisch geweißte Wand. Morgen sollte Adda in feierlicher Zeremonie dem Häuptling Folkmar Allena aus dem Emsigergau versprochen werden. Folkmar Allena - ihr wurde heiß und kalt bei dem Gedanken an diese Verlobung. Das alles passte ihr nicht - die Verlobung nicht und auch der Mann nicht. Aber welcher Mann würde ihr schon gefallen? Sie war 14 Jahre jung! - Häuptlingssöhne aus den angesehensten Familien sehnten sich danach, mit ihr die Ehe einzugehen, ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Aus der Entfernung hatte Adda das belustigend gefunden, so als sei sie gar nicht betroffen. Nun aber war plötzlich alles anders... hautnah sozusagen. Ihr Vater vertrat den Standpunkt, es sei höchste Zeit, sie endlich mit einem würdigen Mann zu vermählen, damit die wilden Gerüchte eingedämmt würden. - Alles Unsinn! Mit den meisten edeligen Familien waren sie ohnehin schon verwandt, zum Beispiel mit den Itzinga von Norden oder den Circsena aus Greetsiel. Es fehlten eigentlich nur noch die Wittmunder oder die Rüstinger... Wer hätte nicht gern eine tom Brook in die Familie aufgenommen? Schon wegen der Mitgift... Folkmar Allena von Osterhusen aber nannte man den mächtigsten und reichsten Häuptling des Emsgaus, weswegen die Wahl wohl auf ihn gefallen sein mochte. Adda wusste es nicht so genau und dieser Umstand war ihr auch ziemlich gleichgültig, womit sie natürlich in krassem Gegensatz zu ihrem Vater stand. Nein, Adda fühlte verspürte nicht die geringste Lust, sich irgend jemandem anverloben zu lassen.
„Ich mag gar nicht verlobt werden”, sagte sie ziemlich holperig und sehr mutig zu ihrem Vater. Der runzelte nur missvergnügt, beinahe gelangweilt die Stirn. Das sehend, wandte Adda sich wieder dem Fenster zu, schob es auf, starrte in die Ferne. Ob sie den Großvater dort draußen entdecken konnte? Wie gern hätte Adda ihn heute begleitet! - Ungeachtet des Regens.
Großvater verstand es, sie zu zerstreuen. Er erzählte lustige Geschichten aus seiner Jugendzeit, obwohl - manchmal konnte er etwas wunderlich sein. Kaum nachvollziehbar auch seine Liebe zu Pferden. Auf eine merkwürdige Weise betrug er sich närrisch, wenn es um seine Pferde ging. Er sprach mit ihnen wie zu Freunden, behauptete gar, sie zu verstehen und von ihnen verstanden zu werden. Und wer ihn einmal dabei beobachtet hatte, der glaubte dies ebenfalls. - Desgleichen ließ er sich nicht durch Regen noch Schnee von seinen täglichen Ausritten abhalten. Zwar litt er heftig unter der Gicht, aber ‘ein echter Friese verbeißt sich den Schmerz’ pflegte er zu scherzen. Etwas drollig fand Adda es schon, wenn er heimkam und mit dem Brusttone der Überzeugung verkündete, seine Gicht sei viel besser geworden und das Reiten - vermutlich durch die animalische Ausstrahlung oder auch die immer wiederkehrende Bewegung des Körpers - wirke geradezu Wunder und sei bei jedem Zipperlein außerordentlich empfehlenswert. Für den Rest des Tages allerdings rührte sich der Alte kaum von der Stelle. Es erübrigte sich jedoch, nachzufragen, ob ihm wohl die Glieder schmerzten, das wies er ohnehin weit von sich. Kaum jemand merkte ihm an, wie sehr er litt; nur manchmal rutschte ihm der Krug mit warmem Honigbier durch die gichtknotigen Hände.
„Es zieht”, brummte Addas Vater, „schließe das Fenster, bitte.”
Adda hörte nicht darauf. Sie starrte weiterhin in den Regen und dachte daran, dass sie schon als ganz kleines Mädchen, mit drei oder vier Jahren, gelernt hatte, richtig zu Pferde zu sitzen. Ein alter Knecht hatte ihr die ersten Anfänge beigebracht. Der war schon lange tot. Sie erinnerte sich nicht einmal mehr an seinen Namen. Schon damals ziemlich alt, war er bald gestorben, genau wie der alte Klepper, den er ihr zugestanden hatte. Als sie zum ersten Mal zu Pferd ganz allein und ohne Führzügel und den sie üblicherweise begleitenden Knecht den Brunnen umkreisen durfte, du meine Güte! War das eine Wonne! Vor Stolz wäre sie fast geplatzt! Später dann war es ein herrlicher Spaß gewesen, die Hühnerschar auseinanderzujagen. - Noch heute machten ihr die flüchtenden, flatternden, gackernden Hühner einen Heidenspaß. - Eigentlich habe ich immer noch ein ziemlich kindliches Gemüt, dachte sie lächelnd. Wenn ich direkt in den Stall einreiten durfte, war da dieses vergitterte Stallfenster und ich konnte von meinem Pferd aus geradewegs in das Gefängnis schauen. Manchmal - wenn ich Glück hatte - hockte gerade ein Gefangener in der schaurigen Zelle. Unheimlich war das und ungeheuer aufregend! Ein so angenehm prickelndes Gruseln beschlich mich dann jedes Mal. Und ich glaubte mich so unerhört mutig. Schwebte ich nicht in größter, ja sogar allergrößter Gefahr? Womöglich hatte der Eingesperrte den ‘bösen Blick’, mit dem er mich verzaubern konnte? Allein schon die schreckliche Düsterheit des Kerkers regte meinen kindlichen Verstand zu den abenteuerlichsten Vermutungen an. - Wie sich die Zeiten doch ändern! Jetzt, wo ich mühelos in das Gefängnis hineinsehen kann, auch von der anderen Seite, vom Kuhstall aus, jetzt ist es mir gleich, ob dort jemand eingesperrt sitzt. Wie oft habe als kleines Kind voller Neugier unter dem Fensterloch gestanden und versucht, mit Hilfe allerlei unzureichender Mittel wie Melkschemel, Strohhaufen und Milcheimer dort hineinzulugen. Leider waren meine Bemühungen mangels Körpergröße immer zum Scheitern verurteilt gewesen, und so sehr ich auch den Hals reckte und mich dem Fensterloch entgegenstreckte, ich erreichte es nicht. Immerhin gab es im Kuhstall auch noch andere Freuden als den Blick in den schaurigen Kerker. Da gab's die köstliche, kuhwarme Milch. Und manchmal durfte ich sogar selbst melken. Einmal habe ich dabei den vollen Melkeimer umgestoßen. Leider musste die arme Magd dafür gewaltig Schläge einstecken...
„Mädel, mach endlich das Fenster zu! Es zieht!” unterbrach Addas Vater ungehalten ihre gedankliche Reise in die Kindheit. „Und dann komm her zu mir. Ich habe mit dir zu reden.”
Widerstrebend gehorchte sie. „Kann ich Großvater nicht entgegenreiten, damit er den Weg nicht verfehlt?” Lächerlich diese Ausrede! Aber ihr fiel keine bessere ein.
Hima, die alte Kindsmagd, steckte aufgeregt den Kopf zur Tür herein: „Adda muss noch baden, sich umkleiden und die Haare richten lassen, bevor die Gäste kommen”, sagte sie. Man sah es ihr an, am liebsten hätte sie ihren Schützling gleich bei der Hand genommen. Auch Hima erwartete den morgigen großen Tag voller Unruhe. Ihre ‚lüttje Puppe’, wie sie Adda stets liebevoll nannte, war nun erwachsen. Bald würde Hima sie ganz hergeben müssen; das tat weh, erfüllte sie aber auch mit Stolz. Der Häuptling scheuchte die Alte mit ungeduldiger Handbewegung hinaus, wandte sich erneut seiner Tochter zu: „Um deine Frage zu beantworten: Nein, mein Kind, mit dem Ausreiten ist es nichts für heute. Du hast es ja gerade aus berufenem Munde gehört... Dafür ist wahrhaftig keine Zeit mehr. Folkard Beninga mit seinen Söhnen ist zum Mittagsmahl geladen. Ich erwarte sie jeden Augenblick. Benimm dich ordentlich und hinterlasse einen guten Eindruck. Folkard Beninga ist ein nützlicher Mann für uns und wird noch wichtiger, wenn seine drei Söhne erst einmal verheiratet sind. Ich erwarte von dir kluge Zurückhaltung, halte den Blick gesenkt und sprich nur, wenn du gefragt wirst. So, und nun ab mit dir.”
Er gab Adda einen freundlichen Klaps auf den Po. Froh, entlassen zu sein, stürmte Adda zur Tür hinaus, den nachgerufenen Tadel für ihre Unbeherrschtheit geflissentlich überhörend.
Folkard Beninga und Söhne! Was gingen sie diese Leute an! Zugegeben, etwas Neugier empfand sie schon. Die Beninga-Brüder Affo, Gerold und Haitet stellten etwas dar, und so alt und verknöchert wie Folkmar Allena waren die sicher nicht, aber... heiratsfähig. Vielleicht verlobt mit irgendwelchen Mädchen. Möglicherweise ließ sich da etwas drehen? Adda brauchte sich nur den Jüngsten auszusuchen, den Erben der Beninga-Güter von Wirdum und Grimersum, dann würde ihr Vater gewiss besänftigt nachgeben und sie brauchte nicht den ‚alten‘ Allena zu heiraten. - Morgenluft witternd eilte Adda in ihre Kammer. Dort allerdings empfing Hima sie mit einem Schwall harscher Vorwürfe: „Was hast du dir dabei gedacht, einfach wegzurennen. Wie, glaubst du, soll ich es schaffen, dich noch rechtzeitig herauszuputzen? Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Mir fehlen die Worte, einfach die Worte. Nun zieh dich endlich aus und dann nichts wie hinein in den Badezuber.” Adda bedachte Himas Geschwafel mit verträumtem Lächeln; viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und den Möglichkeiten, die sich ihr so überraschend aufzutun schienen. Rasch die Kleider herunter und hinein in den Holzzuber. Dabei riss sie unabsichtlich die Laken mit ins Wasser, was Hima ziemlich verärgerte: „Du machst mich wahnsinnig, Adda! Hör auf damit, sonst wirst du mich kennen lernen!” schrie sie wütend, was Adda geradewegs dazu herausforderte, übermütig die nassen Tücher durch die Kammer zu schleudern. „Ach, mach doch, was du willst! Wirst schon sehen, was du davon hast.”
„Was denn? Ein herrliches Rückenrubbeln, wie ich bemerke”, lachte Adda versöhnlich. „Verzeih mir, meine liebe, gute Hima, bitte, verzeih!” klang es aus der gewaltigen Dunstwolke und genießerisch räkelte Adda sich unter Himas kräftigen Händen.
„So, das genügt!” schnaubte Hima friedlich. „Steh auf, Lütte.”
Aus dem Zuber steigen, abtrocknen, Duftwasser. Hima reichte ihr eine Phiole dieser duftenden Kostbarkeit, die sie auf geheimnisvolle Weise - unter Vermeidung jeglicher Zuschauer - in ganz bestimmten Nächten herstellte, wie auch die wundervoll duftende Seife, mit der Adda verwöhnt wurde. Andere Leute warfen Wurzeln und Kräuter ins Badewasser. Für Adda unnötig Dank Himas Künsten. Ob Adda diese Kostbarkeiten wohl zu schätzen wusste? Augenblicklich schien es eher nicht so, da sie hemmungslos das gesamte Duftwasser auf ihrem Körper verteilte.
Ob das nicht des Guten zu viel sei? Sie rieche wie ein ganzer Veilchenstrauß... Nein, nein, je mehr desto besser, entgegnete Adda aufgeregt, in Gedanken schon wieder bei den Beninga-Söhnen.
Rasch schlüpfte sie in das bereitgehaltene Leinenhemd, zog ein knöchellanges rosa Untergewand darüber, das später unter dem Kleiderrock in angemessener Breite herausgucken musste. Nun das karminrote Obergewand. Unter Ächzen und Stöhnen erkletterte Hima einen Schemel, um das Festkleid von oben her über das Mädchen zu stülpen. Eine wacklige Angelegenheit. Beinahe wären Schemel und Kindsmagd dabei umgefallen.
Brust- und Rückenschmuck wurde angelegt, ein ausgeklügelt untereinander verbundenes Gehänge aus Ketten und fünf handtellergroßen, runden Brustspangen, alles aus reinem Gold, schwer wie ein Harnisch.
Jetzt erst begann Himas eigentliche Arbeit, nämlich das Stecken des Rockes mit vielen, vielen Nadeln zu lauter kleinen Fältchen. Während die alte Magd, den Mund voller Nadeln, sich abmühte, die Fältchen möglichst genau um die Gürtellinie zu stecken, betrachtete Adda sich versonnen in dem neuen Handspiegel aus poliertem Silber - ein Geschenk ihres Vaters. Wenn der Schmuck nur nicht so schwer wäre, dachte sie. ... sieht aber toll aus. Kindlich verspielt drehte sie den Kopf hin und her, ließ sie ihre goldblonden Löckchen wippen, öffnete leicht ihre Lippen...
„Man sagt, ich sähe meiner Mutter sehr ähnlich. Stimmt das, Hima? Du kanntest sie doch gut.”
Langsam, unendlich langsam nahm Hima die Stecknadeln aus den zusammengekniffenen Lippen, piekte sie Stück für Stück in das Nadelkissen. „Ja, Adda, du siehst wunderschön aus mit all dem Schmuck deiner verstorbenen Mutter. Hier, halt mal, dann kann ich dir erzählen”, antwortete Hima und drückte Adda das Nadelkissen in die Hand. Ihr Werk prüfend, trat sie einen Schritt zurück, nahm einige Nadeln wieder heraus... und noch ein paar... ganz in Gedanken versunken, bis sie wieder von vorn mit dem Stecken beginnen musste. „Ach, weiß du, deine Mutter war... mein eigenes Kind. Lächle nicht darüber, Adda. Für mich ist es so. Es ist wahr, was ich dir jetzt anvertraue. Beim Leben der Heiligen Jungfrau, es ist die reine Wahrheit. Am selben Tag, an dem deine liebe Mutter geboren wurde, bekam auch ich ein kleines Mädchen. – Sie haben es mir weggenommen, noch ehe ich es gestillt hatte. Es war... man sagte mir, dass es nicht hätte leben können. Es hätte ausgesehen wie eine Spinne mit langen Gliedmaßen und einem dicken Kopf. Aber ich glaube es nicht. Ich habe es doch gesehen. Es war ganz normal, so wie alle Neugeborenen. Und sie haben es mir weggenommen! Es wurde begraben ... noch am selben Tage. Nun wirst du denken: ‚Gott, was ist schon dabei! Das kommt öfter vor. Ein totes Kind hat ein lebendiges am Bein', wie man so gedankenlos daher schwätzt. Aber bei mir war das anders: Mein lieber Mann, Gott hab ihn selig, war erst ein paar Tage zuvor zu Tode gekommen... beim Deichbau... erschlagen. Warum? Das will ich dir erklären. Er war ein gottesfürchtiger Mann, und er hat das Opfer für die heidnischen Götter, das man grausam in den Deich eingraben wollte, wieder ausgebuddelt. Du weißt, man vergräbt etwas Lebendiges im Deich, damit er nicht bricht. Aber er konnte es nicht ertragen... Es spielten Kinder am Deich, zwischen den Arbeitern und man hatte eines ergriffen, in das Loch geworfen und ... verschüttet. Ist das nicht schrecklich, Adda? Ist das nicht fürchterlich? Nein, er konnte es nicht ertragen, nicht das Weinen, nicht das Schreien; er hat das kleine Kind der Mutter zurückgebracht. Es war ein Kind fahrender Musikanten, die am Deich entlang zogen. Deswegen musste mein lieber Mann sterben. Sie haben ihn hinterrücks feige erschlagen, nur einen Tag später.” Sich die rote Nase schnäuzend, flüsterte Hima, als dürfe es niemand hören: „Wenn ich einmal gestorben bin, dann begrabt mich am Fuße des Deiches.”
„Wie meinst du das? An welchem Deich?”
„Frag die Leute in Westeel, die wissen es.”
„Wieso Westeel?”
„Ja, in Westeel. Da, wo man mein Kind eingegraben hat...”
„Dein Kind? So hat man es...? Mein Gott!” Tränen und eine schreckliche Ahnung stiegen in Adda auf. „Weißt du das genau?”
„Nein, nicht genau, aber an der Stelle, wo mein Kind auf dem Friedhof begraben sein soll, da ist es nicht.”
„Du hast nachgesucht? Hima! Das darf man nicht! Das ist eine schwere Sünde!”
„Ja, ich weiß. Ich habe es trotzdem getan.”
„Und da ist es nicht?”
„Nein, da ist es nicht.”
„Du glaubst, man hat es im Deich...?”
„Ja, man hat es lebendig im Deich verscharrt.”
„Aber das ist ja grauenhaft! Hima, es tut mir so leid, so furchtbar leid!”
„Oh, das braucht es nicht, du kannst ja nichts dafür. Ich habe sie verflucht – alle! Feuer und Wasser wird über sie kommen! Sie werden der Strafe Gottes nicht entrinnen! Die Hände sollen denen abfaulen, die das getan haben! So etwas vergisst man nicht, Adda, im Leben nicht, und wenn man alt wird wie Methusalem!”
Tröstend wollte Adda ihre Kindsmagd umarmen, aber die wehrte verbittert ab. „Ich war unglücklich, Kind, unsagbar traurig und verzweifelt. Dazu musste ich mir noch dummes Geschwafel gefallen lassen, wie das hier: ‚Freu’ dich, dass du den Balg los bist. Wovon wolltest du ihn großziehen - so ohne Mann?’ Ich konnte es nicht ertragen, da bin ich weg. Ich stand nun ganz allein da, hatte niemanden, nicht Verwandte noch Freunde. Niemand half mir in meinem Kummer. Und dazu war ich ärmer als eine Kirchenmaus. Hatte nichts mehr als das, was ich auf dem Leibe trug. Und das war nicht eben viel und wertvoll schon gar nicht. Das einzige, was ich besaß, war die Milch in meiner Brust und die bereitete mir zusätzliche Schmerzen... Also habe ich mich als Amme verdungen. Als ich mir damals zum ersten Mal die kleine Frouwa – deine Mutter – an die Brust legte, da war sie mein Kind, von derselben Stunde an. Und so ist es auch geblieben, Adda. Und ihr kleiner Mund saugte mit der Milch meine Schmerzen fort und meine Seele wurde leichter und ein heimliches, kleines Glück zog ein.” Um wieder den Sitz des Rockes zu prüfen, trat Hima abermals einen Schritt zurück. Ja, so war es richtig, zufrieden mit ihrer Arbeit, legte sie die Stecknadeln zu Seite. „Als Frouwa mit deinem Vater verheiratet wurde, kam ich mit ihr hierher auf die Kennenburg. Und wenn ich auch nicht in Wirklichkeit Mutterstelle einnahm, so fühlte ich doch mit ihr das Glück, das sie an der Seite deines Vaters gefunden hatte.” Hima lachte trocken: „Ich glaube, ich habe mehr gelitten als sie, bis du endlich das Licht der Welt erblicktest. Deine Mutter strahlte vor Seligkeit und ich zerfloss in Tränen... Glaub mir, es ist schwer, einen geliebten Menschen leiden zu sehen. Aber das Schlimmste, das war...” Die Stimme der alten Frau brach. Blanke Tränen rollten über die runden Apfelwangen. „Ich erzähle es dir später, Adda – vielleicht...” Da wusste Adda schon, was Hima ihr später berichten wollte, nämlich den Tod ihrer Mutter. Sie war wohl bei der großen Pest gestorben.
Mit der Familie Beninga waren die tom Brook verwandt, und zwar über Addas Tante Doda – ihres Vaters Schwester. Dodas Ehemann, Edzard Circsena, und die Beninga-Söhne waren Vettern. Sehr nett, die Beninga, besonders die drei Söhne, stellte Adda mit Genugtuung fest. Affo Beninga hielt seine Zukünftige am Arm, die Tjadeke von Berum – Erbtochter! Schon ein wenig verblüht, die Tjadeke, so um die Vierzig, mit einem Gesicht wie ein alter Gaul. Kinder wird die kaum noch bringen, dachte Adda geringschätzig. - Hinreißend Haitet, der Älteste, aber auch erst um die Zwanzig. Blendende Erscheinung – wie ein germanischer Gott. Oder zumindest wie Adda sich einen solchen Gott vorstellte. Welch Pech, leider nicht der Beninga-Erbe. Dieses Privileg besaß Gerold, ein wenig vierschrötig und eckig, wie das junge Männer von knapp 20 Jahren manchmal so an sich haben. Überzeugt von sich und seinen Vorzügen, begegnete er Addas vorsichtigen Annäherungsversuchen überaus kühl. Der Mann fürs Leben?
„Du kannst ihm Glück wünschen”, lachte Addas Vater. „Gerold ist vor einigen Tagen Vater einer strammen Tochter geworden.”
Verheiratet! – „Einer Tochter? Ich wünsche alles Gute. Mutter und Kind wohlauf?”
„Ach, das ist doch heute keine Sache mehr”, protzte Gerold überheblich, aber seine Augen leuchten stolz, das hinderte Adda daran, ihren Gedanken, nämlich, dass er das Kind ja nicht gebären musste, auszusprechen. Die Neuigkeit stürzte sie aus allen Wolken. „Wie heißt sie denn?” erkundigte Adda sich, nur um etwas Höfliches zu sagen.
„Wer? Meine Frau?” Adda nickte verwirrt.
„Meine liebe Frau ist die Erbtochter von Jennelt und Kampen, eine Manninga...”
„Nein, nein, verzeih, ich meinte den Nachwuchs, das neugeborene Töchterlein, die kleine Beninga”, fuhr Adda, sich wieder fangend, dazwischen.
„Heba heißt sie”, strahlte Folkard, der Großvater, „Heba, mein allererstes Enkelkindchen. Sie wird einmal Äbtissin werden! Ein süßeres Kind habt ihr noch nicht gesehen!”
„Äbtissin! Du träumst! – Gib nicht so an, alter Freund. Andere Kinder sind auch ganz ansehnlich”, versuchte Ihmel abzuschwächen. Aber Folkard Beninga ließ sich nicht so leicht beirren. Mochten andere Kinder vielleicht auch hübsch sein, seine Enkeltochter Heba übertraf sie zweifellos alle! - Prostend und Glück wünschend ließ man darauf das Trinkhorn kreisen, und Adda freute sich, keine größeren Anstrengungen um Gerold Beninga gemacht zu haben. So würde sie doch wohl Folkmar Allena heiraten müssen. Welch unsagbares Unglück! Aber, worüber beklagte sie sich? Wusste sie nicht, dass Hochzeiten immer auf diese oder ähnliche Art zustande kamen? Ubbo hatte ihr das so erklärt:‚Junge Mädchen bekommen alte Kerle und schrumpelige Witwen mit ordentlich was an den Hacken ziehen sich junge Burschen ins Bett. Die gelangen dann auf diese Art zu Ansehen und Wohlstand. Können sie ihre Alte endlich beerben, dann sind sie selber alte Böcke, denen es nach jungem Fleisch gelüstet. Und das bekommen sie dann auch... ob mit oder ohne Mitgift, die zweite Frau muss nur jung und knusprig sein!’
„Deine Tochter ist auch nicht übel. Hätte nie gedacht, dass aus diesem winzigen, spitzköpfigen Schreihals mal was ordentliches wird, Ihmel!” Folkard Beninga hob lachend seinen Becher, um sich neu einschenken zu lassen.
„Mal was wird? Sie war das süßeste Mädchen auf Gottes Erdboden, und sie ist es immer noch, mein lieber Freund!” verteidigte Ihmel sein Töchterchen. „Schau sie doch an!“ Adda errötete. „Seht sie euch an, sieht sie nicht genau aus wie ihre Mutter, Gott hab sie selig! Die hatte auch so eine kleine feine Nase.”
„Solch eine Nase schon, aber nicht so viele Sommersprossen drauf!”
Es wurde Adda zu dumm. Was wollte man noch alles durchhecheln von ihr! „Hör auf, Vater! Ich bitte dich!”
„Was willst du? Aufhören? Warum? Du hast nichts zu verbergen. Bist rank und schlank wie eine junge Birke und die paar Sommersprossen, die dein Gesicht jetzt noch verunzieren, die werden mit der Zeit von selber verschwinden. – Als ich deine Mutter geheiratet habe, ist sie nicht mehr ganz so jung gewesen und wir fürchteten, keine Kinder mehr zu bekommen. Umso mehr freuten wir uns über dich, obwohl... na ja, vielleicht wäre die Freude über einen Knaben noch grösser gewesen.” Gedankenverloren lächelte Ihmel seine hübsche Tochter an. – Merkwürdig, dass sie ihrer Mutter so ähnelt. Oder bildete er sich das nur ein?
„Vater, bitte! Willst du mich unbedingt bloßstellen?”
Ihmel kraulte unbewusst seine beiden Wolfshunde, die sich an seine Beine drängten. Keineswegs verstand er die Empörung seiner Tochter und dachte gar nicht daran, seine Wanderung in die Vergangenheit so schnell abzubrechen: „Du bist hübsch, Adda. Wenn ich gewusst hätte, dass du so hübsch bist, hätte ich dich schon eher hierher kommen lassen.”
„Bitte, hör auf! Vater, hör auf!” Verschämt suchte Adda ihr gerötetes Gesicht hinter dem erhobenen Trinkbecher zu verbergen; sie hätte darin versinken mögen vor Scham.
„Lass ihn nur, Mädchen, alle Väter tun das gern”, suchte Folkard Beninga sie zu trösten. Seine Söhne grinsten erheitert.
Die Holzböcke für die Tafel wurden aufgestellt. Dann wurde die Tafel hereingetragen mit dem mit Grünzeug bekränzten Spanferkel in der Mitte, Gemüse und sonstigen Beilagen drum herum, mit Tellern, Messern, Schneidbrettern. Man setzte sie auf den Holzböcken ab und die Bordmägde brachten Becher und Getränke.
Unter großem Begrüßungsgeschrei fand sich jetzt auch Addas Großvater ein. Nun wurde erst einmal genüsslich gespeist, dann getanzt, zur Verdauung – und auch sonst...
Haitet Beninga – Adda gegenüber ausnehmend zuvorkommend, aber glatt wie ein Aal. So sehr Adda sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, ihn aus der Reserve zu locken. Sein Lächeln, seine Stimme, wie er ausschaute, und wie er sie anschaute – hingerissen von Haitet, verliebt bis in die Haarspitzen, seufzte Adda vielsagend: „Oh, Haitet.”
„Ja, was ist? Was sagst du da, Kleine? Du machst ein Gesicht... gar nicht wie eine glückliche Braut.”
Ein weiterer Seufzer entfloh gekonnt Addas Brust; leidend und voller Traurigkeit fragte sie: „Kennst du Folkmar Allena?”
„Ob ich den kenne? Du scherzt! Selbstverständlich kenne ich Folkmar. Wer kennt ihn nicht?”
„Ich zum Beispiel. Oh, Haitet, bitte sieh’ mich an. Habe ich nicht einen anderen Mann verdient?”
„Einen andern? Du meinst wohl... einen jüngeren?”
Seinem samtigen Blick ausweichend, nickte Adda. „Ich habe Angst, Haitet.” „Vor Folkmar Allena? Vor dem brauchst du dich nicht zu fürchten. Der tut dir nichts zu Leide.”
„Haitet, bitte... soviel Mitgift wie die Tjadeke von Berum deinem Bruder Affo bringt, brächte ich auch...”
„Davon bin ich überzeugt, eine tom Brook kommt nicht als Bettelweib.” „Haitet, du kennst mich noch nicht richtig, aber... meinst du nicht... oh Gott...”
„Du willst damit sagen, dass ich besser zu dir passen würde als Folkmar, ja?”
Adda senkte beschämt den Kopf. Wie konnte sie sich so weit erniedrigen? „Köpfchen hoch, Kleine. Ein Eheversprechen bricht man nicht und wenn die Sintflut über uns hereinbricht, das weißt du doch.” Seine Stimme klang sanft und irgendwie mitleidsvoll.
„Für mich ist es die Sintflut, Haitet – oder besser, das Weltenende. Oh Haitet, mir ist so heiß. Möchtest du mich nicht bitte an die frische Luft begleiten?”
„Das wäre unklug”, murmelte er mit leisem Schmunzeln. „Wir gehen besser zum Fenster, da verkühlst du dich nicht so leicht.”
Am Fenster stand auch Tjadeke von Berum, Affo Beningas Braut. Sie klatschte den Takt zum ‚Siebensprung’, dem Tanz der Männer.
„He, Haitet, tanze auch mit”, rief sie ihrem zukünftigen Schwager fröhlich zu. „Will doch mal sehen, ob du das auch so gut bringst wie deine Brüder.” „Ha, so gut wie die allemal!” lachte Haitet und sprang auch gleich hinzu, stampfte mit dem linken Fuß, ließ fallen sich aufs rechte Knie, dann wie der Wind aufs linke Knie und runter auf die rechte Elle, im Takte auf die linke Elle, auf den Bauch, die Stirn zu Boden und wieder hoch mit einem Sprung, weiter ging es rund und rund. Wie ein Wirbelwind sprangen, hüpften, stampften Haitets Füße, so dass es seinen Brüdern in den Beinen kribbelte, ihn noch zu übertreffen an Schnelligkeit. Dazu klatschten die Frauen, der Dudelsack quäkte, und Ubbos Hände schlugen schneller und schneller das Becken, bis die drei Beninga-Söhne einander japsend und Luft ringend in die Arme fielen.
„Bier! Bringt Bier her! Sonst fallen wir um!” rief Addas Vater ausgelassen, auch er völlig außer Atem.
Ob jetzt die Stunde günstig war, ihn von der bevorstehenden Verlobung abzubringen? Vielleicht sollte er noch etwas mehr getrunken haben? Das stimmte ihn gewiss milder, machte ihn zugänglicher.
„Kommt, Freunde! Setzen wir uns. Lassen wir die Frauen auch ein wenig herumhüpfen. Der Siebensprung macht durstig! Dir gilt es, edler, freier Friese!” Frohgelaunt brachte Ihmel den traditionellen Trinkspruch aus.
Adda war verärgert: Tanzen! Am frühen Nachmittag! Wo andere Leute brav ihr Schläfchen halten! Sie verspürte nicht die geringste Lust, aber schließlich waren sie nur zwei Frauen und als Ihmels Tochter durfte sie Tjadeke nicht vor den Kopf stoßen. Also musste sie beide tanzen, auch wenn es noch so komisch aussah. Kaum jedoch quäkte jammernd der letzte Dudelsackton, als Adda sich stark genug fühlte, ihrem Vater Paroli zu bieten: „Vater”, sagte sie mutig und trat vor ihn hin, obgleich ihr das Herz bis zum Halse klopfte, und das nicht nur, weil das Tanzen ihr den Atem geraubt hatte: „Vater, ich möchte dich daran erinnern, dass Küre 7 (Küre = §) der Upstalsboom'schen Gesetze jeder Frau die freie Wahl eines Ehemannes zugesteht.”
„Oh, sie kennt die Küren! Sie kennt sich aus!“ Ihmels Lächeln zeigte eine Mischung aus Erstaunen und Spott, das gab Adda Mut: „Ja, Vater, und ich will Folkmar Allena nicht als Ehemann.”
Der Spott in seinem Gesicht vertiefte sich: „Du kennst ihn ja gar nicht. Sicher wird er dir gut gefallen. Er gefällt allen Mädchen.“
Die Beninga-Brüder bestätigten das lachend: „Und wie! Ha, ha, ha!“
„Also einen Frauenhelden soll ich heiraten? Das ist gegen das Gesetz, Vater!“
„Gegen welches Gesetz? Wie kommst du denn darauf? Bist du total von Sinnen? - Ich kenne das Gesetz wie kaum ein anderer. Am Upstalsboom habe ich’s beschworen. Und du kleiner Naseweis willst mich belehren?”
Die Tafelrunde zeigte Neugier. Was hatten Vater und Tochter jetzt mit den Gesetzen vom Upstalsboom zu schaffen?
„Ich will dich ja gar nicht belehren, nur erinnern, Vater. Du willst mir mein Recht vorenthalten! So ist es doch!”
„Das liegt mir fern wie der Himmel, Adda. Ich werde stets das Gesetz achten. Dafür bin ich zum Richter erkoren. Ich werde die Gesetze befolgen bis zum Jüngsten Tag und niemals beugen, so wahr mir Gott helfe. Das macht man mir oft genug zum Vorwurf.“ Er lachte aufgeräumt. „Dir aber sage ich: Du wusstest, dass ich den Ehevertrag mit Folkmar Allena ausgehandelt habe. Du warst davon unterrichtet. Warum, um Herrgotts Willen, warum hast du nichts gesagt? Jetzt ist es zu spät, Adda! Was denkst du, wird geschehen, wenn ich plötzlich den Vertrag für nichtig erklären wollte? Das wäre Grund genug zum Krieg!”
„Zum Krieg? Wie meinst du das?“ stotterte Adda aufgelöst. „Aber er, er ist doch schon versprochen, Vater!”
„Was redest du da?!”
„Man sagt, die Foelke von Hinte wird seine Frau. Er wird sie heiraten, und sie ist ja auch viel schöner als ich.”
Alles guckte neugierig, als Ihmel schallend auflachte: „Viel schöner! Lächerlich! Das ist ja absolut lächerlich!” rief er immer wieder. „Als ob es darauf ankommt, wer die Schönste im Lande ist. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass Folkmar Allena so dumm ist, die Schwester seines Drosten (Verwalter) zu heiraten? Gott, wie naiv du noch bist! Ich hielt dich für klüger! Auf solches Geschwätz hereinzufallen, verdient ja schon fast eine Strafe!”
Zustimmendes Gemurmel, verhaltenes Gelächter in der Tischrunde. Total durcheinander, spielte Adda die Gekränkte: „Warum nicht? Wo sie doch schon seine Bettgenossin ist?” Eine helle Frauenstimme kullerte laut. - Tjadeke von Berum hielt sich entsetzt den Mund zu.
„Seine Bettgenossin? Du träumst, Adda! Lass das nur niemanden hören!” Herb klang ihres Vaters Stimme, als wollte er ihr am liebsten das Wort verbieten. An seinen Schläfen traten dunkel die Adern hervor. Adda übersah es in der Aufregung.
„Aber Vater, das ist doch seit Monaten in aller Munde, schon seit sie damals nach Hinte übersiedelte. Wozu sonst sollte sie dorthin gezogen sein, wenn nicht als Folkmar Allenas Bettgenossin?”
Nun stieg ihrem Vater die Zornesröte ins Gesicht: „Ich verbiete dir, so von dem Fräulein von Hinte zu reden!”
„Vom Fräulein von Hinte!” höhnte Adda unvorsichtig. „Das gnädige Fräulein hat mich mal in ein Dornengestrüpp geschubst, dass ich dir heute noch die Narben zeigen kann, und einmal hat sie mir ein Bein gestellt, damit ich mitten hinein in einen Ameisenhaufen fiel. Das ist dein edles Fräulein von Hinte!”
Kaum ausgesprochen, da spürte Adda den brennenden Schmerz einer Ohrfeige auf ihrer Wange. „Damit du es nie vergisst, meine Tochter. Du sprichst mir nie wieder in dieser Art von dem Fräulein, sonst...”
„Was sonst? Du willst mich an diesen Frauenheld verkuppeln, Vater, also tue es. Als seine Frau kann ich sagen über diese, ... diese ... rothaarige Schnepfe, was ich will!”
Wutentbrannt stürzte Adda zur Tür hinaus, ihre flammend rote Wange haltend. Blindlings rannte sie durch die düsteren Flure, prallte einige Male fast mit Bediensteten zusammen, die ihr kopfschüttelnd nachblickten. Adda kümmerte das nicht.