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Kapitel 13 Legenden

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Spitz war Addas Gesicht, von elfenbeinernem Weiß die Haut. Matt lehnte sie sich zurück in Großvaters Lehnstuhl. „Ach, bitte, erzähl mir eine Geschichte”, bat sie.

Der alte Keno stand am geöffneten Fenster, blickte sinnend in die Abendsonne. In glühender Lohe warf sie sterbend einen purpurnen Fächer empor. „Was soll ich dir erzählen, Kind? Hundertmal hast du meine Geschichten schon gehört. So oft, dass du sie auswendig kennst.”

„Das macht doch nichts, Großvater. Ich höre sie trotzdem gern. Es ist mir oft so langweilig und deine Geschichten vertreiben mir die Zeit.”

„Nun gut, so will ich dir erzählen, vielleicht von der Schlacht von Blexen?” „Nein, nein, das nicht. Das ist so schrecklich.”

„Dann von Damiette? Habe ich dir davon schon erzählt?” „Von Daimi... Dings da? Nein, nicht dass ich wüsste. Daran erinnere ich mich nicht.”

„Nun gut, so erzähle ich dir, wie unsere tapferen Friesen die muselmanische Festung Damiette bezwungen haben.”

Er riss sich los von dem herrlichen Sonnenuntergang und schob das Fenster zu, ließ sich behaglich in einen Korbsessel fallen. - Seine Enkeltochter schien erschöpft, sogar die Stickarbeit entglitt ihren Händen. Warum nur ist das Kind so zerbrechlich? Von wem hat sie das nur geerbt? In meiner Familie gibt es das nicht. Von der Mutter muss sie das haben. Die war auch sehr zart. Vielleicht war es damals doch ein Fehler, Ihmel mit Fruwe zu verheiraten... Wenn Ocko nun kein Weib findet, bleibt die Familie ohne männlichen Erben ... Jammerschade! Andererseits ist Ihmel noch jung genug, um erneut zu heiraten. Wenn er sich nur nicht so dagegen sträuben würde! Foelke von Hinte, das wäre die richtige Frau für ihn. Jung, gut gebaut, mit einem gebärfreudigen Becken. Sie scheint ihm zu gefallen... Keno fasste den Entschluss, seinem Sohn die Häuptlingstochter Foelke von Hinte schmackhaft zu machen. Ha, er wollte ihm schon ein Licht aufstecken! Ein frohlockendes Lächeln flog über sein faltiges Gesicht. Adda bemerkte es mit Erstaunen. - Dann begann er zu erzählen: „Es ist wohl an die 150 Jahre her, da predigte zu Uttum im Emsgau ein Kölner Domscholastiker, ein gewisser Oliver von Xanten, im Auftrage seiner Heiligkeit des Papstes das Kreuz wider die Türken. Daran teilzunehmen, das war zweifellos eine Sache der Ehre, denn das Heilige Grab in Jerusalem sollte von den Ungläubigen befreit werden. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Aufregung im Lande herrschte. Viele starke, tapfere Friesen wollten nicht nur das Heilige Grab befreien, sie sahen auch eine günstige Gelegenheit, sich ‚Goldene Sporen’ zu verdienen. Ich sage dir, mein Kind: Viel gutes Blut hat uns der Kreuzzug gekostet. Dabei wäre es besser gewesen, Geld und Kraft gegen einen anderen Feind einzusetzen, nämlich gegen das Meer, statt in fremden Ländern herumzureisen. Später dann zeigten sich die Sünden. Schon anno 1218 war es, da riss eine mächtige Sturmflut die kupfernen Tore des Schlicker Sieles heraus. Das Meer verschlang damals sieben Rüstringer Kirchspiele!“

Adda blickte auf. Stolz, auch etwas beitragen zu können, warf sie wichtig ein: „Sieben, eine magische Zahl! Und dabei waren die Rüstringer gewarnt worden. Ein Gespenst war ein paar Mal am Schlicker Siel erschienen und hatte ‚Dieke! Dieke!’ gerufen. Aber sie wollten ja nicht deichen. Vielleicht konnten sie es auch gar nicht.”

„Siehst du, ich brauche gar nicht weiterzuerzählen. Du weißt schon alles.” Adda entschuldigte sich, dazwischengeredet zu haben und Keno fuhr fort: „Also gut: Viele Friesen reihten sich ein in das Heer des Gottfried von Bouillon, Rechtschaffene und solche, die sich Ablass erkaufen wollten, sei es wegen eines begangenen Verbrechens oder sonstiger Sünden. So einfach aber war die Sache nicht. Es durfte nur teilnehmen, wer neben seiner Kriegsausrüstung und der vollen Verpflegung auch noch ein gutes Stück Geld mitbrachte für die Überfahrt. Ein gutes Geschäft für die Initiatoren.” Keno unterbrach sich lachend, beobachtete seine Enkelin. War sie vor Erschöpfung eingeschlafen? Als er aber nicht weitersprach, schlug Adda die Lider auf, blickte ihn fragend aus dunkel umrandeten Augen an: „Warum sagst du nichts mehr? Ich höre dir zu. Wenn es auch anders aussieht. – Woher weißt du das alles? Bewundernswert! Wie du das alles behalten kannst!”

Keno fühlte sich geschmeichelt: „Von meinem Vater weiß ich es und der wiederum von seinem Vater. Ein Urahn unserer Familie ist auch dabei gewesen und sogar glücklich zurückgekehrt, damals. Dieser Feldzug war das größte seemännische Unternehmen, das bis dahin von unserer Küste aus geführt worden war. Ich will sogar sagen, dass es ohne unsere tapferen Friesen nicht möglich gewesen wäre!” Unverkennbarer Stolz lag in seiner Stimme. „An einem schönen Frühlingstag im Mai anno 1217 versammelte sich also die gewaltige Flotte vor der Mündung der Lauwers (deutsch: Laubach). Stell dir vor, über 100 Friesenschiffe sind dabei gewesen! Welch ein Anblick! Flatternde Fahnen, blitzende Waffen! Geblähte Segel – Schiff an Schiff! Unter England ging es bei günstigem Wind nach Aragonien. Von da aus nach Galicien.” Keno stand auf, malte mit dem Finger in groben Zügen irgendwelche Konturen auf die beschlagene rote Fensterscheibe. „Komm her, Kind! Ich will es dir genauer zeigen.” Gehorsam trat Adda neben den Großvater. „Sie steuerten nördlich unter England hin - das da ist England.” Keno malte ein Wappenkreuz anstelle der Insel. „Endlich kamen sie nach großer Mühsal zu Sillera. Dort gingen sie vor Anker. Dann ging es von da aus hier herum und durch die Straße von Gibraltar. Dort tobte schrecklicher Ostwind. Deswegen konnten sie nicht ins Mittelmeer, denn der Sturm versperrte den Zugang. Außerdem riss er die ganze Flotte auseinander. Aber nach drei Tagen kamen sie bei günstigerem Wind doch hindurch und die zerstreuten Schiffe fanden sich bald wieder. Als sie eine Tagesreise von der heiligen Stadt entfernt anlandeten, war es bereits Herbst geworden. Unterwegs hatten sie nämlich manchen Kampf mit den Sarazenen ausgefochten und manche reiche Stadt geplündert und in Brand gesteckt.”

„In Brand gesteckt? Aber das ist doch furchtbar!” warf Adda ein. Keno sah seine Enkelin verständnislos an: „Ich glaube, du verstehst mich nicht. Es waren doch Ungläubige, die ihre gerechte Strafe empfangen haben.”

„Ach so?“ Zweifelnd zog Adda die Brauen zusammen. Mäßig, dieses Argument. Menschen wurden beraubt und ermordet! Warum ist es ein Verbrechen, an einen anderen Gott zu glauben? ‚Glaube’ ist etwas nicht Greifbares, etwas, das einem Menschen vermittelt wird, das man lernt und akzeptiert, weil es alle tun. Kann ein ‚Glaube‘ denn tatsächlich eine endgültige Wahrheit sein? Wie oft glaubt man etwas und es stellt sich als falsch heraus! Jeder Mensch kann sich irren. Der Papst nicht? Warum muss man das glauben, was der Papst vorschreibt? Warum ist es ein Verbrechen, etwas anderes zu glauben als das? Darf man sonst nicht auch glauben, was man will? Warum hier nicht? Vielleicht ist es sogar derselbe Gott, der nur anders genannt wird? Weiß man das? Da es nur einen Gott gibt, wie die Kirche behauptet, müsste es doch so sein, dass in Wirklichkeit alle denselben Gott anbeten und es nur nicht wissen. Wenn das so ist, ist es dann nicht ziemlich egal, wie man ihn nennt und in welcher Form man diesen einen Gott verehrt, solange man keine Menschen opfert? Ihr schien es, als ginge es im Grunde um nichts weniger als Machtausübung. Das erste Mal in ihrem Leben kam ihr das seltsam vor. Verstehen konnte sie es auch nicht richtig und Keno, der bemerkte, wie Adda stutze, erklärte daraufhin: „Einmal ist unseren tapferen Kriegern sogar das strahlende Bild der Heiligen Jungfrau erschienen.”

„Der Jungfrau Maria?”

„Ja, über den schwarzen Wolken am Nachthimmel. So, als ob sie ihnen für ihre tapferen Taten danken wollte. Schon daran magst du erkennen, dass sie den rechten Weg gegangen sind. Begreifst du das?”

Zögernd nickte Adda, obwohl sie nichts begriff und dieses Morden gar nicht gut fand und eigentlich auch gar keine Lust hatte, ihrem Großvater noch länger zuzuhören.

„Seine Heiligkeit der Papst empfing sogar unsere tapferen Friesen überaus freundlich. Stell dir nur vor! So wohlwollend war er, dass er sie das Schweißtuch der Heiligen Veronika sehen ließ. Zwei Mal sogar!”

Adda blieb unbeeindruckt.

„Da ist das Gesicht von Jesus drauf.“

„Ah ja? Wer hat das drauf gemalt?“

„Kind, es ist ein Abdruck von Jesus’ Gesicht!“

„Och so? Aber wenn man sich den Schweiß abwischt, bekommt man doch keinen Abdruck des Gesichts.“ Addas Einwürfe verwirrten ihn manchmal. „Das ist ja das Wunder!“ sagte er ärgerlich. „Nun ja, als nun der Winter vorüber war”, fuhr Keno fort, „als nun der Winter vorüber war, konnte man erneut in See stechen. Tausende von Männern und Frauen und Kindern geleiteten sie zum fahnengeschmückten Hafen; so viel Anteil nahm man an ihrem Vorhaben. Gar mancher war wohl traurig, nicht mitfahren zu dürfen, denke ich. Noch lange konnten unsere tapferen Kreuzfahrer das Gewimmel der Menschen, das Flattern der Fahnen sehen, bis der Wind die Schiffe entführt hatte. Aber noch waren sie nicht in Palästina, und bis dahin hatten sie noch manches Abenteuer zu bestehen. Erst nach furchtbaren Stürmen, die ihnen die Segel zerrissen und auch wohl manchem Kreuzfahrer den Tod brachten, gelangten sie nach Palästina. Erbittert kämpften dort unsere tapferen Recken, konnten aber keinen Sieg erringen, so sehr sie sich auch bemühten. So entschlossen sie sich, den Feind in Ägypten zu bezwingen. Das war der Kampf um die Festung von Damiette. Der mächtige Wehrturm von Damiette stand auf einer kleinen Insel im Nil. Der Nil, das ist der Strom Ägyptens, der dem Land die Fruchtbarkeit schenkt. Ohne den Nil wäre das Land wohl nichts weiter als eine öde Sandwüste”, erklärte Keno seiner Enkelin. Die bemühte sich, Aufmerksamkeit zu zeigen und begleitete seine Erzählung hin und wieder mit einem leisen „So?” oder „Ja, ja.”

„Eine gewaltige eiserne Kette spannte sich vom Wehrturm hinüber zur Stadtmauer von Damiette”, fuhr Keno fort, „sie sperrte den Schiffsverkehr auf dem Nil. Doch die Friesen waren nicht faul. Sie verbanden ihre beiden größten Schiffe durch Balken miteinander. Und nun rat’ mal, wozu? Du weißt es nicht? Na ja, woher auch. Damit sie auf diese beiden Schiffe einen schwimmenden Wehrturm setzen konnten. Verstehst du das?”

„Ja, Großvater, genial.”

„Ja, das war es. Diesen Koloss versahen sie mit Fallbrücke und Sturmleiter, wie es sich für einen richtigen Wehrturm gehört. Endlich war es dann soweit! Angetan mit ihren Messgewändern, weihten die Priester das vollendete Werk. Dann wurde es von einem Friesenschiff mit dem Marienbild voran stromaufwärts geschleppt zum Kettenturm. Ein blutiger Kampf entbrannte, tobte hin und her. Verzweifelt versuchten die Sarazenen unsere Krieger mit dem griechischen Feuer abzuwehren. Aber es misslang! Im Gegenteil! Hajo, ein junger Mann aus dem Fivelgau, stürmte tollkühn über die niedergelassene Fallbrücke. Mutig hieb er mit dem Kriegsflegel auf die Feinde ein, dass das Blut nur so spritzte und die Eisendornen seines Flegels das Fleisch der Feinde zerfetzten.“

Diese plastische Darstellung fand Adda eher eklig als bewundernswert. „Wie toll!“ warf sie daher spitz ein, aber ihr Großvater bemerkte das nicht und fuhr fort: „So erschlug er wacker den Bannerträger und eroberte das Panier des Kettenturms, die gelbe Fahne. Damit war der Kampf so gut wie gewonnen, denn die Eisenkette konnte gelöst werden. Dadurch konnten die Schiffe den Nil stromaufwärts fahren und die Stadt direkt angreifen. Dem tapferen Hajo folgten im Sturm tausend andere Krieger nach und endlich wurde der Feind vernichtend geschlagen. Den Sieg aber verkündete seine Heiligkeit Papst Honorius III und unser Kaiser, der II. Friedrich, der christlichen Welt.”

Es war mittlerweile fast dunkel geworden. Großvater stand auf, eine Kerze anzuzünden. Adda bedankte sich artig: „Es ist oft so langweilig, Tag für Tag nur herumzusitzen und nichts weiter tun zu können als zu sticken, sticken, sticken...”

„Ja, hat es dir gefallen? Das erfreut ein altes Herz!” Verlegen strich Keno über seinen weißen Haarkranz. Er lächelte zufrieden, schien glücklich und drückte ihr einen innigen Kuss auf die Stirn, schloss sie sogar in die Arme.

Nach kurzem Klopfen an der Zimmertür trat Addas Vater ein. „Tag, ihr beiden. Du hier? Schön! Wie geht es unserer Lütten heute? Schon besser?” Lieb tätschelte er Addas Wangen. „Du hast ihr Gesellschaft geleistet, Vater? Das ist fein. Ich selbst kann leider zu wenig Zeit erübrigen.”

„Ja, mein Sohn, das ist traurig. Wir sprachen über dies und das. Aber jetzt muss ich gehen - ab in die Koje... Gute Nacht.” Müde schlurfte Keno hinaus. Noch lange hörte man seinen schleppenden Schritt...

„Schau her, was ich dir mitgebracht habe.” Ihmel drückte seiner Tochter ein großes, in Leintücher gewickeltes Paket in die Arme.

„Was ist das?”

„Mach’s auf.” Erwartungsvoll schälte Adda Tuch um Tuch von dem geheimnisvollen Gegenstand. Endlich - die letzte Hülle. Und dann hielt sie es in den Händen, ein wundervolles Schachbrett! Die Felder aus dunklem Rauchtopas und regenbogenfarbig schillerndem Bergkristall. Die Randleisten kunstvoll geschnitzt und Gold beschlagen.

„Du musst es auseinander nehmen, Adda. Hier am Hakenverschluss.” Hilfreich ging er ihr zur Hand und klappte das Schachbrett auseinander, damit seine ganze Schönheit entfaltend. „Oh Vater, du verwöhnst mich zu sehr! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll!” Freudentränen kullerten über Addas Wangen.

„Ich dachte du freust dich und nun weinst du.”

„Das tu ich ja, Vater. Ganz bannig freue ich mich!” Glücklich fiel Adda ihm um den Hals, küsste ihn ab, bis er sie sachte von sich schob: „Fragst du gar nicht danach, wo die Steine sind?”

„Steine? Welche Steine?”

„Na, die Figuren.”

„Ach so, ich kann doch sehr gut die alten aus Holz nehmen.” Umständlich kramte Adda ein Kampferkästchen unterm Bett hervor. „Sieh’ nur, Vater, die müssten...”

Verwirrt hielt sie inne, denn nicht die abgegriffenen Holzfiguren lagen darin, sondern Steine aus Rauchtopas und Bergkristall. Edelsteine! Jedes Stück ein Meisterwerk, kunstvoll facettiert geschliffen, gefasst in Gold, spinnwebfein ausgearbeitet. Und wie die Steine funkelten auf dem roten Samt! Die Überraschung überwältigte Adda, raubte ihr fast den Atem. Selbst ihre vielen kleinen Sommersprossen wurden bleich.

„Was ist dir, Adda? Deine Wangen, deine Nase... sie sind ja ganz weiß!”

Lachend schüttelte sie den Kopf: „Es ist nichts, nur die Freude und eine kleine Schwäche, gleich vorüber.”

Stück für Stück hielt sie gegen das Licht, und die Strahlenfunken tanzten feurig über ihr Gesicht, ehe sie andächtig die Figuren auf das Brett stellte. „Ach, es ist viel zu schade, um damit zu spielen”, meinte sie traurig.

„Aber nein! Benutze es!” widersprach ihr Vater. „Eines Tages, wenn du nicht mehr auf Broke bist, soll es dich an mich erinnern.”

„Das wird es. Ich danke dir! Tausend Dank! Wie bist du drangekommen?” „König Zufall, wie so oft. In Emden war ein burgundischer Edelmann. Er brauchte ein gutes Reitpferd, hatte aber kein Geld. Wir tauschten das eine gegen das andere. So einfach ist das. Nun ab in die Koje. Und morgen wollen wir zwei ein Spiel wagen, ja? Gute Nacht, Spatz. Schlaf dich gesund.”

Allein. An Schlaf nicht zu denken - viel zu aufgeregt. Erst mal alles wegpacken, dann ins Bett. - Sie hört noch die Wachablösung um Mitternacht...

Selbstverständlich verstand Adda sich auf die Kunst des Schachspielens. Das hatte zu ihrer Ausbildung gehört. Ommo, des Vaters Schreiber hatte sie darin unterrichtet. Aber bisher hatte sie nie so recht Spaß daran gehabt. Im Gegenteil, eigentlich fand sie es albern, stundenlang die Figuren auf dem Brett anzustarren und hin- und herzusetzen. Jetzt aber, mit diesen herrlichen Figuren auf dem wunderschönen Schachbrett, jetzt fand sie plötzlich Gefallen daran, handelte es sich doch um einen Zeitvertreib, den sie auch ohne Mitspieler ausüben konnte. Worüber sie vordem die Nase gerümpft, das tat sie jetzt mit Begeisterung. Stundenlang saß sie ganz allein vor dem Schachbrett und spielte gegen sich selbst, ohne sich je zu langweilen. Sie übte sich im astronomischen Schach, eine sehr beliebte Variante, oder suchte Endspielprobleme zu lösen. Wenn Adda gegen ihren Vater spielte, unterlag sie häufig, weil es ihr eben noch an Erfahrung fehlte. Das aber konnte sie nicht verdrießen, spornte sie höchstens an, noch mehr zu üben. So steigerte sich ihr Können allmählich, bis es ihr endlich auch gelang, manches Spiel für sich zu entscheiden.

Schnell sprach es sich herum, dass sie besser mit den Figuren umzugehen verstand als mancher Mann. Ihren Mitspielern, Vater, Folkmar Allena, der Schreiber Ommo, Dorfhäuptlinge und andere Persönlichkeiten aus der näheren Umgebung, die auf der Burg aus- und eingingen, missfiel das reinweg. Gab es eine größere Schande als einer Frau zu unterliegen? Da war es doch besser, dieser Gefahr aus dem Wege zu gehen. An Ausreden mangelte es den Herren der Schöpfung nicht. So blieb Adda wieder sich selbst überlassen. Fast unbemerkt von ihrer Umgebung reifte Adda zur Frau heran. Ihr knabenhafter Körper bekam weiblich weiche Formen. Reizvoll! Die kindlichen Pausbäckchen verschwanden, wodurch ihr schmales Gesicht einen stolzen Zug erhielt. Ja, man konnte wohl sagen, dass sie zu herber Schönheit herangewachsen war.

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