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III. Bedeutung des Theorienstreits
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Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass hinsichtlich der praktischen Auswirkungen im Grunde genommen kein Unterschied zwischen gemäßigtem Monismus mit Völkerrechtsprimat und gemäßigtem Dualismus besteht. Das erweist etwa das Beispiel aus dem völkerrechtlichen Fremdenrecht (s. Rn 44). Es wäre mit dem gemäßigten Dualismus genauso zu beurteilen. Nach beiden Theorien kommt dem Völkerrecht ein – zumindest faktischer – Vorrang zu, und nach beiden Theorien bleibt völkerrechtswidriges, innerstaatliches Recht zunächst wirksam. Einziger Unterschied ist die grundsätzliche Haltung zur Eigenständigkeit oder hierarchischen Über-/Unterordnung der beiden Rechtsordnungen. Das hat auch dazu geführt, dass man die Nutzlosigkeit des Theorienstreits geltend gemacht und ihn als „unreal, artificial and strictly beside the point“ (Fitzmaurice) bezeichnet hat. Aber selbst diese Ansicht hat sich nicht durchgesetzt. Ungeachtet dessen verdeutlicht sie aber, dass es für die praktische Wirksamkeit nicht auf das theoretische Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht ankommt, sondern darauf, dass das Völkerrecht innerstaatlich effektiv vollzogen wird (s. Rn 787 ff). Hierzu muss es innerstaatlich gelten und anwendbar sein sowie normenhierarchisch eingeordnet werden. Wie dies geleistet wird, überlässt das Völkerrecht dem nationalen Recht.
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Als Fazit bleibt festzuhalten: Die Frage nach der „richtigen“ Theorie ist kaum zu beantworten, wenngleich man davon ausgehen kann, dass die radikalen Theorien und der Primat des nationalen Rechts nicht mehr vertreten werden. Die Praxis des Völkerrechts enthält entweder gar keine Hinweise oder aber Indizien, die sich für beide gemäßigten Theorien fruchtbar machen lassen.
Beispiel:
Art. 27 Satz 1 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (sog. Wiener Vertragsrechtskonvention, WVRK; Sartorius II, Nr 320) sieht vor: „Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.“ Diese Vorschrift berührt nicht die Gültigkeit innerstaatlichen Rechts, welches einem völkerrechtlichen Vertrag entgegensteht. Wie ein Staat die Erfüllung seiner völkervertraglichen Verpflichtungen angesichts kollidierenden innerstaatlichen Rechts sicherstellt, zB durch dessen Aufhebung, Änderung oder Nichtanwendung, bleibt ihm überlassen. Das lässt sich von einem theoretischen Standpunkt aus mit dem gemäßigten Monismus mit Völkerrechtsprimat ebenso begründen wie mit dem gemäßigten Dualismus.
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Letztlich bilden die gemäßigten Theorien am ehesten das ab, was sich in der völkerrechtlichen Praxis real abspielt, die vom Spannungsverhältnis zwischen souveräner Selbstbehauptung der Staaten einerseits und staatlicher Anerkennung der Herrschaft des (Völker-)Rechts (rule of law) andererseits geprägt ist.
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Auch die einzelnen Staatsverfassungen können, sofern sie Bestimmungen zu diesem Komplex enthalten, im Sinne beider Theorien ausgelegt werden.
Beispiel:
Art. 9 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes lautet: „Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als Bestandteil des Bundesrechts“. Das kann als verfassungsrechtliches Bekenntnis zum Monismus verstanden werden. Man kann diese Bestimmung aber auch in dem Sinne dualistisch interpretieren, dass es sich hier um einen der genannten Überschneidungsbereiche handelt, der durch Umwandlung der Normen einer der beiden getrennten Rechtsordnungen in Normen der anderen entsteht.
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Im Übrigen wird auch die Meinung vertreten, es handle sich bei der ganzen Problematik um eine rein rechtstheoretische (Vor-)Frage. Als solche könne sie weder im Völkerrecht noch im nationalen Recht positiv-rechtlich geregelt werden. Diesbezügliche Bestimmungen könnten daher allenfalls deklaratorischen Charakter haben. Charakteristisch dafür ist der Wortlaut des Art. 10 der italienischen Verfassung: „Die italienische Rechtsordnung passt sich den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts an“.
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Lösung Fall 2 (Rn 39):
Die Entscheidung, wer Recht hat, muss unterschiedlich ausfallen, je nachdem, welche Theorie zum Verhältnis des Völkerrechts zum innerstaatlichen Recht man vertritt. Folgende Lösungen kommen in Frage:
1. Da der völkerrechtliche Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Staat A ordnungsgemäß zustandegekommen ist, geht er – vertritt man einen radikalen Monismus mit Völkerrechtsprimat – dem nationalen Recht der Bundesrepublik vor mit der Folge, dass jeder widersprechende innerstaatliche Akt nichtig ist. Das gilt auch für das Urteil des BVerfG (und dessen gesetzlich normierte Verbindlichkeit gemäß § 31 BVerfGG). Der Vertrag ist also weiterhin verbindlich und muss von der Bundesrepublik eingehalten werden.
2. Da der völkerrechtliche Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Staat A ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist, geht er – vertritt man einen gemäßigten Monismus mit Völkerrechtsprimat – dem nationalen Recht der Bundesrepublik vor. Die Folge dieses Vorrangs ist aber nicht die Nichtigkeit des Urteils des BVerfG, sondern nur, dass die Bundesrepublik trotz des Urteils des BVerfG den Vertrag einzuhalten hat. So wird auch ein eventuell angerufenes völkerrechtliches Gericht entscheiden. Die dadurch entstehenden verfassungsrechtlichen Probleme innerhalb der Bundesrepublik sind dabei irrelevant.
3. Vertritt man einen Monismus mit Primat des nationalen Rechts, so macht das Urteil des BVerfG den völkerrechtlichen Vertrag innerstaatlich unanwendbar.
4. Vertritt man einen radikalen Dualismus, so lässt sich die Frage eigentlich nur so beantworten, dass beide Staaten Recht haben.
5. Vertritt man einen gemäßigten Dualismus, so ist das Urteil des BVerfG zwar innerstaatlich bindend, trotzdem hat die Bundesrepublik den Vertrag einzuhalten. So wird auch ein eventuell angerufenes völkerrechtliches Gericht entscheiden. Die dadurch entstehenden verfassungsrechtlichen Probleme innerhalb der Bundesrepublik sind dabei unbeachtlich.
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Auch in der Literatur bleibt der Theorienstreit unentschieden. In der Bundesrepublik neigt die hL eher dem gemäßigten Dualismus zu (s. Rn 65 f).
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In der Staatenpraxis werden Probleme bei der innerstaatlichen Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen durch vermehrte Kodifikationen des Völkerrechts etwas entschärft, indem dabei auch Fragen des Verhältnisses von Völkerrecht und nationalem Recht geregelt werden. Dennoch können diese Kodifikationen natürlich nicht die theoretische Grundfrage lösen und ebenso wenig nationale Gerichtsentscheidungen verhindern, welche ein Nebeneinander von Völkerrecht und damit kollidierendem nationalem Recht verfassungsrechtlich für möglich halten.
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Auch der Fall 2 (Rn 39 und Rn 56) lässt sich auf diesem Weg einer (freilich nicht den Theorienstreit entscheidenden) Lösung zuführen. Das völkerrechtliche Recht der Verträge (= Fragen des Abschlusses, Inkrafttretens, der Geltung, der Auflösung etc) ist in der WVRK kodifiziert (s. Rn 282 ff). Art. 46 dieser Konvention bestimmt:
„Ein Staat kann sich nicht darauf berufen, daß seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf.“
Wendet man diese Bestimmung auf den Fall 2 (Rn 39 und Rn 56) an, so zeigt sich, dass das Vorbringen des Bundesaußenministers nur dann stichhaltig sein kann, wenn der Grund für die Nichtigkeit des Zustimmungsgesetzes den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 46 WVRK entspricht (vgl auch Art. 27 Satz 2 WVRK). Ist dies nicht der Fall, ist das Vorbringen unerheblich. Dies führt zwar nicht zur Lösung des Theorienstreits, reduziert aber von vornherein die mögliche Anzahl der Konfliktfälle (vgl auch Fall 8, Rn 434 und Rn 442).
§ 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › A. Völkerrecht und nationales Recht › IV. Regelung im GG und in den Länderverfassungen