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IV. Regelung im GG und in den Länderverfassungen

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Das GG enthält keine ausdrückliche Regelung der Verhältnisfrage im Sinne einer klaren Entscheidung für eines der monistischen bzw dualistischen Modelle. Auch das BVerfG vermied lange Zeit eine eindeutige Stellungnahme und legte sich zunächst nur auf eine gemäßigte Variante fest, die sich gleichermaßen im Monismus wie im Dualismus verorten ließ (BVerfGE 45, S. 83 ff, 96):

„Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es denkbar, daß ein Vertragsgesetz die Verfassung verletzt, während der Vertrag, auf den es sich bezieht, völkerrechtlich bindet. In solchen Fällen mag der Staat zwar völkerrechtlich verpflichtet sein, den abgeschlossenen Vertrag durchzuführen; er kann aber die Pflicht haben, den dadurch geschaffenen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, soweit dies möglich ist (BVerfGE 6, 290 [295]; vgl auch BVerfGE 16, 220 [227 f]; 36, 1 [14]). Der Gesetzgeber kann gehalten sein, alle ‚Möglichkeit(en) eines irgendwie gearteten Ausgleichs‘ (BVerfGE 38, 49 [51]) auszuschöpfen, um auf diese Weise den Erfordernissen beider Rechtskreise Rechnung zu tragen.“

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In der Literatur werden von den Vertretern der beiden Theorien einzelne Bestimmungen des GG als Nachweis der jeweils eigenen Lösung herangezogen. So bestimmt Art. 25 GG, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, den Gesetzen vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen. Art. 25 GG kann einerseits als deklaratorische Kodifikation des Monismus verstanden (= Völkerrecht und Bundesrecht bilden eine Einheit), andererseits aber insofern als Nachweis des Dualismus angesehen werden, als durch diese Bestimmung die allgemeinen Regeln des Völkerrechts als Bestandteil einer getrennten Rechtsordnung ins innerstaatliche Recht aufgenommen werden und ihnen ein bestimmter Rang (= über den Gesetzen) eingeräumt wird. Gerade Letzteres ist nur nach dem Dualismus möglich, da nach monistischer Sicht mit Völkerrechtsprimat dem Völkerrecht immer der Vorrang gegenüber dem gesamten staatlichen Recht und nicht nur gegenüber den Gesetzen zukommt.

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Von den Dualisten wird zudem noch Art. 100 Abs. 2 GG angeführt, wonach das BVerfG zu entscheiden hat, ob eine Regel des Völkerrechts gemäß Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (s. Rn 1302). Dabei – so wird vorgebracht – müsse das BVerfG nicht nur über die Eigenschaft einer Regel des Völkerrechts als Bundesrecht, sondern inzidenter auch über die Existenz dieser Regel entscheiden. Dass ein staatliches Organ eine derartige Entscheidung treffen könne, sei nur im Rahmen des Dualismus erklärbar.

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Entsprechendes gilt für die wenigen, dem Art. 25 GG vergleichbaren Bestimmungen der Länderverfassungen (Art. 84 der Verfassung von Bayern, Art. 122 der Verfassung von Bremen, Art. 67 der Verfassung von Hessen).

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Von einem rechtstheoretischen Standpunkt aus lässt sich sagen, dass das GG und die Länderverfassungen die Verhältnisfrage nicht normativ lösen, sondern allenfalls deklaratorisch eine der beiden Theorien wiedergeben können. Wenn man die beiden angeführten Artikel des GG heranzieht, dann kann man danach lediglich die Sicht des Verfassungsgebers, aber nicht die normativ verbindliche Lösung der Verhältnisfrage herauslesen. Aus der Entstehungsgeschichte des GG ergibt sich, dass der Parlamentarische Rat bei der Ausarbeitung des GG eher von einem Dualismus ausgegangen ist.

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Dieser Sicht ist schließlich auch das BVerfG im Jahre 2004 gefolgt. Ohne den Dualismus ausdrücklich zu nennen, hat es sich recht eindeutig auf ihn festgelegt (BVerfGE 111, S. 307 ff, 318):

„Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zu Grunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann; dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG.“

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Dabei geht das BVerfG im Grundsatz von einem gemäßigten Dualismus aus. Dem Völkerrecht widersprechendes nationales Recht bleibt gültig und verbindlich, muss aber so angepasst werden (zB durch völkerrechtskonforme Auslegung, Gesetzesänderung, Aufhebung von Verwaltungsakten), dass es mit dem Völkerrecht in Einklang steht (vgl BVerfGE 111, S. 307 ff, 321 ff). Wohl in einer gewissen Abwehrhaltung gegen monistische Vorstellungen hebt das BVerfG explizit hervor, dass das GG „nicht die Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Geltungsvorrang von Völkerrecht vor dem Verfassungsrecht“ anordnet (BVerfGE 112, S. 1 ff, 25). Aus Sicht des Gerichts korreliert das mit dem allgemeinen Völkerrecht, wonach „(d)as gegenwärtige Völkerrecht … keine aus übereinstimmender Staatenpraxis und Rechtsüberzeugung entspringende allgemeine Regel dahin (enthält), daß Staaten verpflichtet wären, ihre Verträge in ihr innerstaatliches Recht zu inkorporieren und ihnen dort Geltungs- oder Anwendungsvorrang vor innerstaatlichem Recht beizumessen“ (BVerfGE 73, S. 339 ff, 375).

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In Ausnahmefällen fordert das BVerfGE allerdings einen in Teilen radikalen Dualismus mit der Folge, dass sich Völkerrecht und nationales Recht unversöhnlich im Sinne strikter Trennung gegenüber stehen. Das mit dem Völkerrecht unvereinbare nationale Recht muss bestehen bleiben, und die Bundesrepublik Deutschland muss einen Völkerrechtsbruch in Kauf nehmen. Dazu hat das BVerfG Folgendes ausgeführt (BVerfGE 111, S. 307 ff, 319):

„Das Grundgesetz … verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität. Insofern widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“

Ergänzend heißt es in BVerfGE 112, S. 1 ff, 26, dass das GG „die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt (nicht) aus der Hand … geben“ wollte (s. auch Rn 255 ff).

Diesen in Richtung auf einen ausnahmsweise radikalen Dualismus verweisenden Ton hat das BVerfG in jüngster Zeit noch verschärft.

Denn das Gericht betont, es habe mit der vorgenannten Rechtsprechung gerade „nicht entschieden, dass der Gesetzgeber nur zur Wahrung tragender Verfassungsgrundsätze von völkerrechtlichen Vereinbarungen abweichen dürfe“ (BVerfGE 141, S. 1 ff, 24). Vielmehr könne der Gesetzgeber bindende völkerrechtliche Verträge durch seine Gesetze verdrängen (sog. treaty override; dazu Rn 837 ff), ohne dass hierin ein Verfassungsverstoß läge. Dieser Auffassung ist das Sondervotum der Richterin König mit guten Gründen entgegen getreten (BVerfGE 141, S. 1 ff, 44 ff). Das Verfassungsgebot der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG (Rn 236 ff) dürfte dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich verbieten, dem Völkerrecht widersprechende Gesetze zu erlassen (s. Rn 242).

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Mit seiner dualistischen Sicht steht das BVerfG keineswegs allein. Andere Verfassungsgerichte (zB Russlands oder Italiens) vertreten vergleichbare Rechtsauffassungen. Selbst der EuGH hat sich (hinsichtlich des Verhältnisses von Unionsrecht zum Völkerrecht) diese radikal-dualistische Sichtweise zu eigen gemacht (und sich insoweit von seiner früheren, als Monismus mit Völkerrechtsprimat gedeuteten Rechtsprechung abgekehrt). Danach kann die Erfüllung einer Resolution des Sicherheitsrates der VN an elementaren Grundsätzen der Union, namentlich an den Unionsgrundrechten, mit der Folge scheitern, dass sich das Unionsrecht in einen normativ unauflösbaren Widerspruch zum Völkerrecht setzt (s. EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, Slg. 2008, S. I-6351 ff, Randnrn 290 f; vgl hierzu BVerfGE 123, S. 267 ff, 401).

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Zum Grundsatz der „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des GG s. Rn 236 ff.

§ 2 Völkerrecht, Europarecht und nationales Recht › A. Völkerrecht und nationales Recht › V. Literatur

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