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1. Beijing (China) April 2012

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Das schmucklose und betagte Hochhaus des im Nordwesten Beijings gelegenen Chaoyang Distrikts gehörte zum Komplex des Landwirtschaftsministeriums. In einem fensterlosen Raum in der sechzehnten Etage tagten Hoa Yuan, Lij Ying und General Fong Yu.

Hoa Yuan, der Älteste, war Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. Der Minister hatte den anerkannten und eloquenten Experten für Reiszüchtung vor drei Jahren in seine unmittelbare Nähe geholt.

Lij Ying, der die anderen selbst im Sitzen überragte, nahm als Beauftragter des Zentralkomitees teil, wo alle Sonderprojekte in seine Zuständigkeit fielen.

General Fong Yu saß lässig zurückgelehnt in seinem Stuhl, dennoch war er außerordentlich konzentriert. Er sprach fließend Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch und leitete den Bereich der Industriebeobachtung und -aufklärung beim Ministerium für Staatsschutz. Da das Ministerium nach militärischen Gesichtspunkten organisiert war, bekleideten alle Beschäftigten militärische Ränge. Menschen, die nichts davon verstanden, verwechselten seine Arbeit leichtfertig mit Industriespionage. Da ihn seine Tätigkeit anfänglich nicht sonderlich herausforderte, begann er, sich nebenher intensiv mit dem eigenen Regierungsapparat vertraut zu machen und dabei ein informelles Netz aufzubauen. Seine Beharrlichkeit und Loyalität wurden schließlich mit der Bereichsleitung belohnt.

Als Ältester genoss Hoa das unausgesprochene Privileg, die Sitzung zu eröffnen und zu leiten.

„Lassen Sie uns zum eigentlichen Punkt unseres heutigen Treffens kommen“, schloss Hoa gerade seine Vorrede ab, als Lij ungeduldig seine Stimme erhob.

„Was meinten Sie eben mit Verstärkung der Überwachung in der Schweiz?“

„Die Observierung von SEEDAGRO in Mexiko reicht nicht, wir müssen uns vor allem um das Hauptquartier in Lausanne kümmern. Das muss mit unserer Botschaft in der Schweiz und dem Staatsschutz vorbereitet und durchgeführt werden. Sie sorgen bitte dafür, dass unsere Führung darüber Bescheid weiß“, sagte Hoa sachlich. „Die Arbeit vor Ort übernehmen wir.“

„Aber warum ist die ganze Entwicklung für uns so wichtig?“, hakte Lij nach. „Tausende und Abertausende von Forschern beschäftigen sich mit diesen Themen. Sind die alle dumm? Besitzen wir im Bereich der Pflanzengenetik nicht schon längst einen immensen Vorsprung vor dem Westen?“

„Mein lieber Freund“, antwortete Hoa gönnerhaft, „Sie kennen doch unsere Drei-Säulen-Strategie im Bereich der Pflanzengenetik. Erstens: Wir schaffen alle Voraussetzungen, um in der Forschung ganz vorne mitzuspielen. Zweitens: Wir verfolgen intensiv die weltweiten Aktivitäten und Forschungsergebnisse der führenden Institute und Firmen. Darin ist unser lieber Freund Fong, bekanntlich sehr erfolgreich. Drittens: Wir wollen weltweit die Vorherrschaft im Bereich der Pflanzengenetik erreichen. In zehn Jahren sollen von zehn Prozent aller weltweit vervielfältigten und angebauten Pflanzen die fälligen Lizenzgebühren in unsere Kassen fließen. Das ist nach chinesischen Maßstäben eine unglaublich kurze Zeitspanne. Deshalb ergreifen wir jede sich bietende Chance, um zusätzliches Know-how zu gewinnen und langwierige Forschungen abzukürzen. Ich weiß, wovon ich rede. Die Züchtung einer einzigen ertragreicheren Reissorte nimmt zehn bis fünfzehn Jahre in Anspruch. Und das müssen Sie mit Hunderten von Sorten parallel machen und hoffen, dass eine dabei ist, die wirklich alle Anforderungen bis zum Schluss erfüllt.“

„Ich kenne die Strategie, verehrter Hoa. Ich habe mich unklar ausgedrückt, eigentlich zielt meine Frage darauf ab, ob es sich bei der Maisforschung, die SEEDAGRO in Mexiko illegal durch Terry Hennings betreibt, um einen gefährlichen Irrweg mit unkalkulierbaren Folgen handeln könnte?“

„Irrweg hin oder her“, antwortete Fong, „wir müssen auch Irrwege sicher beherrschen. Wir können Folgen sehr gut abschätzen. Allerdings sind wir weniger ängstlich als der Westen und gehen Risiken ein, die der Westen aufgrund seines Wertekanons niemals eingehen würde, weil jeder Fortschritt, der das Leben auch nur im Entferntesten um eine Sekunde verkürzen könnte, sofort in Frage gestellt wird. Westliche Gesellschaften sind verweichlicht und werden zunehmend von irrationalen Ängsten beherrscht. Deswegen werden sie irgendwann ihre beherrschende Rolle einbüßen. Dann muss China bereit sein in die Fußstapfen zu treten!“

„General, wenn ich es richtig verstanden habe, heißt das aber: Wir wissen noch nicht, ob diese Technologie gefährlich ist oder nicht.“

„Ein Sprichwort sagt: Wer nicht lernt, ist dunkel wie einer, der durch die Nacht läuft. Wir werden nicht durch die Nacht laufen, wir werden von den Fehlern der anderen lernen. Und wenn die andern noch schlafen, werden wir schon wach sein. Wenn der Westen die Technologien fallen lassen sollte, weil sie gefährlich sind, so werden wir die Gefahr zum Bogen für den Pfeil gegen den Westen machen“, orakelte Fong.

„Als Waffen? Wie soll ich das verstehen?“, wollte Lij wissen.

Fong lächelte unerforschlich wie ein Mandarin.

„Manchmal ist man gezwungen, einer Entwicklung auf die Sprünge zu helfen. Wir vom Staatsschutz machen keine Politik, mein Lieber, aber ihr beim ZK habt manchmal Wünsche und Vorstellungen, die sich nicht ohne sanften Druck realisieren lassen. Also bitte sparen Sie sich die gespielte Verwunderung.“

„General, als ob ich nicht selber wüsste, wie China Spitzenpositionen erobert! Ich will diese Besprechung deshalb nicht ohne zwei klare Statements seitens des ZK verlassen“, antwortete Lij leicht gereizt.

Fong verschränkte die Arme und warf ihm einen gnädigen Blick zu. Lij wusste, wenn Fong die Arme verschränkte, war das, als ob man dem Rechner den Befehl gab, ein nichtssagendes Statement auszudrucken.

„Erstens: Das Zentralkomitee wird alles daransetzen, um in den Besitz der von SEEDAGRO entwickelten Technologie zur Pflanzengenetik zu kommen. Zweitens: Verwechseln Sie nie Ursache und Wirkung. Das Zentralkomitee bündelt den politischen Willen unseres Volkes, und Sie führen ihn durch.“

Daraufhin beschloss Hoa das Meeting, dankte allen Beteiligten und bat Lij um die Überstellung des geheimen Durchführungsbeschlusses. Alle verneigten sich voreinander und Hoa blieb die Genugtuung, als Erster den Raum verlassen zu dürfen.

Das Ende der Zukunft

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