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7. Lausanne (Schweiz), Juli 2013
ОглавлениеMax Ernie hatte eine kleine Wiedersehenswanderung für das kommende Wochenende vor. Sie könnten sich in Kandersteg treffen und dann vom Gasterntal aus über den Lötschenpass zur SBB-Südrampe im Rhonetal wandern. Hennings fand den Vorschlag perfekt. Aus den Internetnachrichten vom Morgen wusste er, dass die Wetterprognose für den kommenden Samstag und Sonntag schönes Wetter für das Berner Oberland ankündigte. Er hatte Max, der als freier Wissenschaftsjournalist arbeitete, schon fast zwei Jahre nicht mehr gesehen. Früher hatten sie viele gemeinsame Bergtouren unternommen. Der Höhepunkt war die Besteigung des Montblanc gewesen. Max Ernie und Hennings waren sich meist völlig uneinig in weltanschaulichen Themen. Aber beide stellten nicht die Dissonanz in den Mittelpunkt, sondern den Diskurs und den Respekt vor der Meinung des anderen. Hennings Weltanschauung war viel robuster bezüglich möglicher Folgen menschlichen Handelns und er vertrat die Maxime, dass alles, was durch den Menschen machbar war, irgendwann, irgendwo, von irgendwem auch gemacht werden würde. Deshalb tat man es am besten gleich selbst. Ernie vertrat dagegen den Standpunkt, dass die universelle Machbarkeit vieler Dinge vor ihrer Realisierung eine ethische Überprüfung benötigte und nur unter strengster Würdigung der potenziellen Folgen für die Menschheit auch freigegeben werden sollte. Hennings widersprach dem und vertrat die simple These, dass Forschung und deren konsequente Umsetzung die universelle Grundlage der zivilisatorischen Entwicklung seien und niemand einen Fortschritt, für den die Zeit reif sei, aufhalten könne.
Am Freitagnachmittag packte er seine Wanderausrüstung und Proviant in sein Auto. Da er seit Oaxaca auf der Hut vor Wohnungseinbrüchen war, packte er auch seine drei DVDs, auf denen er sein gesamtes Wissen über die Terminatorpflanzen gesichert hatte, in das Handschuhfach des Renaults. Die Anfahrt würde circa zwei bis drei Stunden dauern. Gegen sieben Uhr abends fuhr er endlich in Lausanne auf die Autobahn in Richtung Bern. Der Mietwagen, ein Renault Clio, war erst kürzlich vollgetankt worden und hatte nur einen geringen Verbrauch. Er musste sich also nicht noch an einer Tankstelle anstellen.
Er war bereits zwei Stunden unterwegs und hatte mittlerweile Bern umrundet, als plötzlich sein Motor eigenartig stotterte. Das Fahrzeug ruckelte heftig, und schließlich erstarb das Motorengeräusch. Er lenkte den Wagen auf die Standspur und schaltete die Warnblinkanlage ein.
Hennings stieß einen lauten Fluch aus und hieb mit der Faust auf das Lenkrad. Es würde spät werden, bis er sein Ziel erreichte. Zuerst nahm er sich vor, unter die Motorhaube zu schauen, obwohl er davon wenig verstand. Manchmal erkannte man den Grund einer Fehlfunktion spontan, aber diesmal fand er keinerlei Anhaltspunkt, warum die blöde Karre ihren Dienst quittierte. Zu allem Überfluss setzte noch ein heftiger Regenschauer ein, sodass Hennings in sicherer Entfernung das Warndreieck hinter dem Wagen auf die Standspur stellte.
Er rief über sein Handy die Auskunft an und ließ sich mit der Autobahnmeisterei verbinden. Die Stimme am anderen Ende versprach, innerhalb der nächsten zehn Minuten zurückzurufen. Nach fünfzehn Minuten war nichts passiert. Er fluchte, denn er hatte die Nummer der Autobahnmeisterei nicht notiert. Also rief er wieder die Auskunft an und ließ sich die Nummer durchgeben. Die Autobahnmeisterei entschuldigte sich, es seien in den letzten dreißig Minuten sehr viele Unfälle passiert, er müsse mindestens noch eine Stunde warten.
Seufzend ergab sich Hennings seinem Schicksal. Er sah nach draußen. Der Regen hatte nachgelassen. Hinter ihm hielt ein Fahrzeug auf dem Standstreifen. Ein asiatisch aussehender Mann näherte sich der Beifahrerseite und hielt sich dabei eine Zeitung über den Kopf. Hennings ließ das Fenster herunter.
„Können wir etwas für Sie tun?“, fragte der Asiat in einwandfreiem Englisch.
„Leider nicht“, antwortete Hennings, „ich muss wahrscheinlich abgeschleppt werden und noch ziemlich lange auf das Abschleppfahrzeug warten.“
„Wissen Sie was? Ich könnte Ihren Wagen ein Stück mitnehmen. Nach zwei Kilometern kommt eine Raststätte, dort können Sie viel bequemer im Trockenen warten“, schlug der Asiat vor.
„Ich will Ihnen keine Umstände machen. Nein danke, das ist sehr nett von Ihnen“, antwortete Hennings, obwohl ihn der Gedanke, alles Weitere in einer Raststelle abwarten zu können, doch stark anzog.
„Wir tun das gern für Sie, wir sind zu dritt, da geht es ganz schnell.“
Schließlich willigte Hennings ein und stieg aus dem Wagen, um das Abschleppseil zu holen. Der Asiat hatte schon die Abschleppstange zur Hand. Ein zweiter Asiat entstieg freundlich nickend dem anderen Auto, einem Fünfer BMW. Der erste Asiat hatte die Abschleppstange bereits am Renault befestigt, der Asiat am Steuer setzte den BMW dicht vor den Renault und stieß vorsichtig zurück, um die Stange zu befestigen.
„Steigen Sie in den großen Wagen, wir erledigen für Sie alles andere. Mein Freund wird Ihren Wagen sicher zur Rastanlage steuern.“
Da Hennings neugierig war, wer wohl die fleißigen Helfer sein könnten, nahm er bereitwillig auf dem Rücksitz des BMW Platz. Die Tür des BMW schloss sich. Hennings fiel die seltsame Innenkonstruktion auf. Es handelte sich um eine Chauffeurlimousine. Plötzlich surrte die Trennscheibe, die den Chauffeurbereich vom Fond abtrennte, nach oben. Es zischte und Nebel, der sofort die Augen schmerzen ließ und den Atem hemmte, strömte ein. Hennings riss am Türöffner und schlug gegen die Scheiben, doch seine Bewegungen erlahmten schnell. Die Asiaten stellten sich vor die Scheibe, hinter der Hennings umsank, um sie gegen unliebsame Beobachter zu verdecken. Unmittelbar danach öffneten sie die Tür, um frische Luft einzulassen. Dann setzte sich ein Asiat neben Hennings in das Fahrzeug. Es roch stark nach Krankenhausflur. Er schloss die Tür und gab ein Zeichen zur Abfahrt. Jetzt kam der gefährliche Teil. Sie durften von keiner Polizeikontrolle aufgehalten werden oder zu lange in einen Stau geraten, wo sich später jemand zufällig an sie erinnern konnte.
Im Abschlepptempo fuhren sie Richtung Süden. Drei Kilometer vor der Abfahrt Kiesen verlangsamten sie die Fahrt und fuhren ohne Warnblinker auf einen Parkplatz und hielten in gebührendem Abstand vor einem parkenden Fahrzeug. Der Asiat, der den Renault fuhr, entfernte in der Dunkelheit die Abschleppstange und brachte das Gepäck in den BMW. Er durchwühlte die Staufächer und fand im Handschuhfach drei DVD-Kinofilme, die allerdings nicht sein Interesse fanden. Er ließ den Schlüssel im Auto stecken und schloss die Türen. Dann stieg er auf der Beifahrerseite ein. Der Asiat legte seine Finger an Hennings Hals und fühlte den Puls. Er nahm das Kissen von der Hutablage und presste es Hennings auf das Gesicht. Hennings starb, ohne jemals wieder das Bewusstsein erlangt zu haben, dann gab der Asiat auf dem Rücksitz, der Hennings gerade getötet hatte, das Zeichen, die Geschwindigkeit zu erhöhen.
Der BMW fuhr zurück in Richtung Norden und hielt erst wieder in einer großen Lagerhalle neben einem kleinen Flugfeld in der Nähe von Olten. Der kleine Flugplatz war spät abends noch in Betrieb. Die Asiaten hatten die Lagerhalle samt Hubschrauber für eine Dauer von fünf Tagen angemietet. Die Halle und der Helikopter gehörten einer Firma für Spezialdienstleistungen. Die Asiaten besaßen alle notwendigen Fluglizenzen und Zertifikate. Offiziell führten sie eine Woche lang Spezialtransporte nach Como durch. Entsprechend lauteten die Flugbewilligungen, die die Asiaten streng einhielten und die von der schweizerischen Luftraumüberwachung auch streng kontrolliert wurde.
Hennings wurde aus dem Wagen gehievt und bis auf die Unterwäsche entkleidet. Umständlich zog man ihm seine Wanderbekleidung an, packte den Rucksack und gab ihm sein Portemonnaie mit. Schließlich wurde er in den Hubschrauber gehoben und ein langes Seil an seinem Gürtel befestigt. Nach zwanzig Minuten wurde fahrplanmäßig das große Hallentor geöffnet, und der Hubschrauber wurde von den Männern circa fünfzig Meter vor die Halle geschoben. Dann stiegen die Piloten ein und ließen kurze Zeit später die Turbine an.
Die Flugroute führte links an Bern vorbei nach Spiez über Kandersteg und Leukerbad ins Rhonetal. Es ging weiter über Brig, Locarno und Lugano bis nach Como in Oberitalien. Das Cockpit wurde nur von den Instrumenten erleuchtet. Auf dem Rücksitz saß der Anführer aus dem BMW neben dem toten Hennings. Er beleuchtete mit einer Taschenlampe eine Landkarte, die auf seinen Knien lag. Der Helikopter befand sich mittlerweile über dem Daubensee in fast dreitausend Meter Höhe. Der Pilot ging in der klaren, mondlosen Nacht auf zweitausendfünfhundert Meter runter, ohne der Flugüberwachung Bescheid zu geben. Er wusste, dass man an dieser Stelle seine Höheninformation nicht nachprüfen konnte. Sie näherten sich der Gemmi, einer nach Norden hin steil abfallenden Felswand. An deren Fußende lag der berühmte Thermalbadeort Leukerbad.
Vorsichtig wurde der tote Körper am Seil heruntergelassen. Keiner sprach ein Wort. Der Anführer ließ das Seil schnell über die Rolle laufen. Der Tote baumelte einhundertfünfzig Meter unter dem Hubschrauber. Noch einmal verlangsamte der Pilot die Fluggeschwindigkeit. Auf ein Zeichen schoss der Hubschrauber nach oben, und der Spezialknoten, an dem Hennings hing, öffnete sich. Das Seilende sauste durch den Gürtel und gab den Toten frei. Er fiel wie ein Stein in die Gemmi und schlug etliche Male hart auf den Felsvorsprüngen auf. Dann schraubte sich der Helikopter auf seine planmäßige Flughöhe hoch und setzte den Flug fort.
Nach vier Tagen entdeckte ein Bergwanderer die Leiche.