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5. Genf (Schweiz), Juni 213
ОглавлениеObwohl Terry Hennings erst seit wenigen Tagen in dem Appartementhaus der Rue Henri Dunant wohnte, war er froh, als die Swisscom den Telefon- und Internetanschluss freigeschaltet hatte und die Zeit des Internet Cafés vorbei war, wo er sich immer beobachtet fühlte. Durrance hatte ihm mitgeteilt, dass momentan eine ganz schlechte Stimmung herrsche und man die Provision nicht so einfach abzweigen könne, ohne unnötige viele Fragen zu provozieren. Er solle sich gedulden. Schließlich bat ihn Durrance, der Firma bis auf Weiteres fernzubleiben. Das war vor zwei Wochen, danach hatte er sich entschieden, aus dem teuren Hotel auszuziehen. Durrance hielt ihn offensichtlich hin. Offensichtlich beabsichtigte Durrance, das Spiel noch eine Weile fortsetzen. Aber ohne ihn. Die letzten fünf Jahre seines Lebens hatte er der Firma geschenkt. Er war bereits siebenunddreißig Jahre alt und hatte bisher nur wenig Spaß in seinem Leben. Biologie, Pflanzen und Genetik waren seine Passion, seine Berufung. Ein Labor war alles, was er brauchte. Frauen sagten ihm wenig. Zurück blieben nur Erinnerungen an Stress und wie er seine kostbare Zeit mit Knutschen, Kino und Partys vertrödelte, anstatt seine Versuchsreihen im Unilabor durchzuziehen. Schon lange reifte in ihm der Traum vom eigenen Labor, in dem er unabhängig seine Forschungen betreiben konnte. Dazu war viel Geld nötig, und die Provision hätte ihn diesem Traum näher gerückt. Wenn Durrance ihn verarschte, musste er eben andere Wege gehen. Seine Freunde waren mittlerweile alle in guten Positionen in der Privatwirtschaft untergebracht. Wassili Orgakow hatte ihn inzwischen sogar schon besucht. Er kümmerte sich um westliche Firmen, die ihre Produktion aus Kostengründen nach Osten verlagerten, und sorgte dafür, den Speckgürtel um Moskau noch fetter zu machen. Orgakow hielt Hennings als Einziger die Treue und schrieb ihm mindestens einmal im Monat eine unverfängliche Mail. Vor drei Tagen hatte er Orgakow angerufen und ihn um dringenden Rückruf gebeten. Als sich Orgakow am nächsten Tag meldete, vergewisserte er sich Hennings als Erstes, dass Orgakow von einem anonymen Handy aus sprach.
„Wassili, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Hör mir zu und frag mich am Schluss, wenn du etwas nicht verstanden hast.“
„Okay“, brummte Orgakow am anderen Ende.
„Ich habe das Problem gelöst, sichere Terminatorpflanzen herzustellen. Mein Auftraggeber wird mir meinen Anteil an der mühsamen Arbeit nicht honorieren. Ich bin sicher, sie überlegen, wie sie mich abservieren können.“
„Für wen ist deine Arbeit interessant? Willst du Wissen verkaufen oder dich dazu?“, fragte Orgakow.
„Interessant ist es für alle Agrarfirmen, Pflanzenzuchtfirmen und Saatgutproduzenten, weil sie sich damit ein Monopol aufbauen können. Gerade in Russland, wo Gesetze nicht so ernst genommen werden, kann jemand sehr schnell mit dieser Technik die halsstarrigen Bauern und Großagrarproduzenten in die Knie zwingen und ihnen sein Saatgut aufzwingen. Ich habe die Technologie zwar erst für Mais beherrschbar gemacht, aber auch für andere Pflanzen lässt sich die Technik mit vertretbarem Aufwand anpassen. Schön und gut: Ich möchte mein Wissen verkaufen, Wassili.“
„Hast du etwas, das du mir zeigen kannst?“, fragte Wassili. „Du weißt, dass in dem Geschäft nur Beweise zählen.“
„Das ist kein Problem“, antwortete Hennings. „Wie kann ich dir eine DVD sicher zukommen lassen?“
„Gib sie persönlich an Olga Gromskaja in der Botschaft in Bern ab. Dann gelangt sie auf sicherem Weg zu mir. Verschlüssele alles mit dem lateinischen Namen jenes Wesens in der Mitte des Bildes, welches du erfolgreich mit einem Bierglas von der Tresenrückwand geschossen hast.“
„Lass mich überlegen …“, meint Hennings.
„Du kommst drauf, ganz sicher, denk nach und sag nichts am Telefon. Ich warte auf deine DVD, dann melde ich mich, sobald sich Unternehmen interessieren. Ciao, mein Freund.“
Hennings fiel das Bild wieder ein. Sie lungerten damals in einer Kneipe im Zentrum Edinburghs herum und waren furchtbar betrunken. Hennings wollte Wassili und die anderen Freunde beeindrucken, indem er den Wirt mit dem einzigen, aber furchtbar hässlichen Bild aufzog, das hinter dem Tresen an der Wand hing. Es war purer klassizistischer Irrsinn hinter Glas und Goldrahmen. Das Bild zeigte im Hintergrund eine stolze, mittelalterliche Burg mit heruntergelassener Zugbrücke, über die eine Schar Reiter zur Jagd in Richtung Wald stob, voran die wilde Meute geifernder Hunde. Im Vordergrund und in der Bildmitte formte eine Schar fülliger und in fließende, weiße Gewänder gehüllte weibliche Schönheiten einen Kreis, umrundet von liegenden, stehenden und schwebenden Putten. Und inmitten der grinsenden, hopsenden und leicht gekleideten jungen Damen äste ein Hirsch ruhig vor sich hin.
„Der Wirt wurde wohl wegen Schwarzbrennerei als Hirsch hinter Glas verbannt“, lallte Hennings damals laut und provozierend, damit es der Wirt hörte.
„Von wegen“, lachte der Wirt. „Das Bild hat mir meine Schwiegermutter zur Eröffnung der Kneipe geschenkt. Solange sie lebte durfte ich es nie entfernen, sonst hätte sie meine Frau enterbt. Vor einer Woche hat sie uns für immer verlassen. Wenn Sie, lieber Freund, anstatt mich zu beleidigen, mir dabei helfen, das Bild mit einem Glas Guiness von Ihrem Stuhl aus zu treffen, dann gebe ich eine Runde an Sie und ihre Freunde aus.“
Daraufhin hob er seine Rechte und traf tatsächlich mit einem halbvollen Glas genau den Hirsch.
Jetzt fiel ihm das Passwort wieder ein.
Dann rief er die russische Botschaft in Bern an und ließ sich mit Olga Gromskaja verbinden.