Читать книгу Das Ende der Zukunft - Hans Jürgen Tscheulin - Страница 5
4. Genf (Schweiz), Juni 213
ОглавлениеIn Genf mühte sich das Taxi durch den zähen Verkehr bis vor den Eingang des Mövenpick Flughafenhotels. Es war der Beginn der Haupttouristenzeit und ein warmer Sommerabend. Als das Taxi hielt, gab Jacques Durrance dem Fahrer einen Zwanzigfrankenschein und stieg aus. Durrance war klein und wirkte energisch und drahtig. Seine Augen verrieten wache Intelligenz. Zielstrebig steuerte er auf das Restaurant zu, wo ihn ein Kellner zum bestellten Tisch führte.
Terry Hennings war vor zwei Stunden über London aus Mexiko eingetroffen und schlief heute Nacht im Mövenpick.
„Hallo, Jacques, Sie sind ja wieder überpünktlich“, sagte Hennings, als er an den Tisch herantrat.
„Hallo, Terry“, antwortete Durrance mit gebremster Begeisterung.
Der lange Engländer war ihm seit jeher eine Spur unsympathisch. Er hatte keinen festen Händedruck. Und seine blonden Haare waren leider öfter strähnig als gut gepflegt.
„Ich hoffe, Sie sind dem Desaster wohlbehalten entronnen. Ich hatte heute in der Zentrale deswegen bereits etliche unangenehme Begegnungen“, bemerkte Durrance knurrig. „Gott sei Dank ist der Schaden nicht so schlimm, wie befürchtet, trotzdem haben wir wertvolle Laboreinrichtungen und wichtige, lang angelegte Kulturen verloren. Der Brand muss kurz nach unserem Telefonat ausgebrochen sein. Trotzdem hat die mexikanische Polizei versucht, den Haftbefehl gegen Sie zu vollstrecken. Hidalgo erklärte wie abgesprochen, dass Sie auf Berichterstattung im Hauptquartier seien. Wir gehen davon aus, dass die mexikanischen Behörden keinen internationalen Haftbefehl erwirken. Aber zurück nach Mexiko können Sie auf keinen Fall mehr.“
„Jacques, das tut mir alles sehr leid. Aber machen Sie doch mal einen Punkt, alles, was ich bisher drüben in Mexiko erreicht habe, wäre hier undenkbar. Ich habe während der letzten zwölf Monate den Durchbruch geschafft. Uns beiden war von vornherein klar, dass unsere Forschung selbst nicht illegal ist, aber trotzdem nichts durchsickern darf. Offiziell hat auch SEEDAGRO dem Moratorium zur Forschung an Terminatortechnologien zugestimmt. Deshalb verlegten wir die Genexperimente nach Oaxaca. Die Anzucht der Maisschösslinge, die Vermehrung für Freilandversuche und die Freilandversuche selbst waren natürlich illegal. Aber unsere kühnsten Erwartungen wurden bestätigt. Die Technologie steht! Sie ist beherrschbar und funktioniert. Von mir aus wurden alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen erfüllt, damit nichts durchsickert und kein Material in falsche Hände gerät. Immer wieder erwirken Verrückte Haftbefehle gegen Menschen, die in Genlaboren arbeiten, weil sie dahinter den Teufel vermuten, oder gegen Zoos, die mit geraubten, halbverhungerten Tieren unerlaubte Experimente betreiben. Jacques, niemand hat, was wir haben! Endlich können wir jetzt die halsstarrigen Länder und Bauern in den Griff bekommen, endlich können sie unsere genetisch getrimmten Pflanzensorten nicht mehr ohne unsere Erlaubnis nutzen. Damit ist jetzt mit unserer Terminatortechnologie endgültig Schluss.“
Jacques nippte nachdenklich an seinem Campari.
„Ich brauche jetzt was Vernünftiges im Magen“, sagte Hennings und stand auf, um sich am Buffet zu bedienen.
Zurück am Tisch ergriff Durrance das Wort.
„Ich habe die letzten Ergebnisse noch nicht selbst gesehen, aber Ihre alten Aufzeichnungen alle gelesen. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass wir die Technologie sicher beherrschen und keine unbekannten Risiken beherbergen? Wir haben doch überhaupt keine Erfahrungen damit gesammelt! Bisher haben Sie ausschließlich mit Mais experimentiert. Die illegalen Freilandversuche können uns doch nicht die Sicherheit geben, die wir brauchen.“
„Das stimmt so nicht“, warf Hennings ein. „Ich habe die Pflanzen gentechnisch nur unwesentlich verändert. Ich habe tief in den genetischen Codesequenzen, von denen wir bisher annahmen, dass sie für die Pflanze und ihre Merkmale wertlos seien, einen Schalter, um es präziser zu sagen: einen Generationenzähler, entdeckt. Das bestätigte mich übrigens in meiner Meinung, dass die Pflanze wie ein Computer funktioniert. Da läuft auf einem Betriebssystem ein Programm ab, das wir nicht verstehen können, weil wir es noch gar nicht entdeckt haben.“
„Jetzt spinnen Sie nicht“, warf Durrance ein. „Sie wissen, dass ich für so einen Blödsinn kein Verständnis habe. Ich will Ergebnisse, mit denen wir unsere Marktstellung ausweiten und im Wettlauf mit den anderen Agrarmultis die Nase vorn haben können.“
„Sie verstehen mich, wie immer, falsch, Jacques“, sagte Hennings. „Sie sind Biologe, ich bin Biologe. Wir beide wissen, dass wir die Komplexität einer Pflanze noch nicht mal andeutungsweise verstehen. Wir sind blutige Anfänger, Laien, die bisher die Bettdecke nur an einem Zipfel hochgelupft haben; das ist viel zu wenig, um zu wissen, was der genetische Code in Pflanzen wirklich bewirkt.“
„Das haben Sie zwar schön gesagt, Terry, macht die Sache aber nur noch schlimmer. Ich weiß, Sie sind ein begnadeter Tüftler, der genial mit dem Erbgut einer Pflanze herumexperimentieren kann, aber leider sind Ihnen die Folgen gleichgültig.“
„Jacques, wieso haben Sie plötzlich auf einmal Skrupel?“, unterbrach ihn Hennings. „So kenne ich Sie ja gar nicht! Also gut, lassen Sie es mich noch mal versuchen. Meine Methode ist absolut sicher. Dieser Generationenzähler existiert gewissermaßen von Natur aus in einer Pflanze. Bisher ist er aber unentdeckt geblieben und normalerweise ist er stillgelegt, damit die Pflanze uneingeschränkt Nachkommen erzeugen kann. Ich habe nun herausgefunden, dass dieses Zählwerk aktiviert werden kann. Und ich kann es auf eine feste und endliche Anzahl von Folgegenerationen einstellen. Wenn die Pflanze die Nachfolgegeneration Null erreicht hat, stirbt sie mitten im Wachstum ab. Sie verübt Selbstmord. Ist der Generationenzähler erst einmal aktiviert, dann zählt er selbstständig runter auf Null. Fantastisch, oder?“
„Das mag ja alles richtig sein“, warf Durrance ein, wobei seine Gabel suchend über dem Zürcher Geschnetzelten schwebte. „Aber gibt die Pflanze den Zählerstand dann auch an die Nachfolgegeneration weiter? Oder wird er abgeschaltet?“
„Auch hier sind die Ergebnisse der Freilandversuche eindeutig“, antwortete Hennings. „Die Weitervermehrung funktioniert nur mit sich selbst bestäubenden Pflanzen. Wenn aber die Zählerstände bei männlicher und weiblicher Pflanze unterschiedlich aktiv waren, bekam ich überwiegend Pflanzen, bei denen der Zählmechanismus inaktiv war.“
„Was heißt überwiegend?“, fragte Durrance gereizt und wischte sich den Mund ab.
„Ich habe ziemlich konstant bei drei von hundert Maispflanzen die Weitergabe des Zählers entdeckt. Und er stand dann immer auf Null. Das bedeutet, diese drei Prozent Pflanzen sterben und erzeugen keine Nachkommen mehr. Wir sind auf der sicheren Seite, Jacques. Wir sollten das Patent anmelden.“
Durrance wusste, worauf Hennings hinauswollte. Immerhin hatte er Hennings eine Provision von einer halben Million englische Pfund in Aussicht gestellt, falls er die Terminatortechnologie sicher mache und ein Patent angemeldet werden könne.
Das Handy von Durrance trällerte. Er nickte still.
„Okay, ich melde mich morgen bei Ihnen“, sagte er.
Als er das Handy wieder einsteckte, sah er durch Hennings hindurch. Spätestens jetzt wusste Hennings, dass er ihm den Gesprächsteilnehmer (es war der Leiter des Eidgenössischen Biologischen Institutes) verschweigen würde. (Der Haftbefehl für Terry Hennings sei bekannt, hatte ihm der Eidgenosse mitgeteilt. Man werde nun von behördlicher Seite darauf hinwirken, dass Hennings die Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz nicht verlängert bekomme.)
Endlich sah Durrance zu ihm auf.
„Zurück zu uns. Wie bekomme ich Ihre Unterlagen?“
„Ich habe sämtliche Unterlagen hier in diesem Paket. Alles in doppelter Ausfertigung auf DVD. Bitte!“, sagte Hennings und reichte das Paket an Durrance weiter.
„Sie halten noch eine Kopie für sich zurück?“,
„Natürlich, Jacques“, sagte Hennings. „Ich hebe immer alles gut auf.“
„Ich bin nicht einverstanden!“, sagte Durrance bestimmt. „Sie sollten keine eigenen Unterlagen mehr aufheben. Das ist mir zu unsicher.“
„Dann lassen Sie uns schnell und unkompliziert über die Provision reden, lieber Jacques, dann können Sie alles bekommen, was Sie wollen. Solange behalte ich meine Version der Aufzeichnungen.“
Durrances Stirnadern schwollen deutlich an.
„Es wird trotzdem noch einige Tage mit der Provision dauern. Erscheinen Sie auf keinen Fall unverlangt in der Firma. Bleiben Sie solange hier im Hotel. Ich melde mich wieder.“
„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, danke für das Essen. Und ich freu mich auf Ihren Anruf, Jacques.“
Hennings erhob sich. Wütend winkte Durrance dem Kellner. Er bestellte noch einen Espresso und die Rechnung. Hennings benahm sich zu sorglos. Er war nur auf das Geld scharf. Natürlich hatten sie jetzt ein Werkzeug in der Hand, um die Pflanzenerzeugung und Pflanzenvermehrung wesentlich besser zu kontrollieren und die vielen illegalen Saatguterzeuger auszuschalten. Aber das Werkzeug war noch stumpf und konnte auf keinen Fall genutzt werden. Dafür war die Zeit noch nicht reif. Als Nächstes musste er sich Einblick in Hennings’ Material verschaffen und sich vergewissern, dass sie jederzeit in der Lage waren, seine Ergebnisse zu reproduzieren.