Читать книгу Das Ende der Zukunft - Hans Jürgen Tscheulin - Страница 9
8. Beijing (China); Juli 2013
ОглавлениеDie Sitzung des Exekutivkomitees unter der Leitung von Staatssekretär Hoa Yuan wurde diesmal in den Räumen des Zweiten Parteisekretärs abgehalten, der für die Koordination der Geheimdienste verantwortlich war und dem das Ministerium für Staatsschutz unterstellt war. General Yiang Won, der zweite Teilnehmer, vertrat in der heutigen Sitzung den Minister für Staatsschutz. Die Geheimdienstarbeit für das Ausland war in China nicht zersplittert wie in anderen Ländern: Die Führungsrolle der Militärs für die Auslandsaufklärung wurde nie angefochten, sodass auch die Sammlung von Erkenntnissen für den Aufbau der nationalen Wirtschaft immer mit und von Militärs gesteuert blieb. Jeder eigenmächtige Versuch des für den Aufbau der nationalen Wirtschaft zuständigen Ministeriums, eine eigene Auslandsaufklärung aufzubauen, wurde sofort mit schwerwiegenden Folgen für den zuständigen Minister zerschlagen.
General Fong Yu war als Leiter der Abteilung für Industriebeobachtung im Ministerium für Staatsschutz der dritte Teilnehmer. Er hatte während der letzten Monate Aufträge zu umfangreichen Operationen im Ausland erhalten, damit China schnell in den Besitz der neu entwickelten Terminatortechnologie kommen würde. Dazu wurden ihm umfangreiche Befugnisse und die besten Männer und Frauen zur Seite gestellt. Der Vorteil dieser Vorgehensweise war, dass die Verklammerung der Verantwortung für Aufklärung und verdeckte Operationen sehr erfolgreich war. Lij Ying, der vierte Teilnehmer, vertrat das Zentralkomitee für Sonderprojekte.
„Danke, dass Sie alle gekommen sind“, eröffnete Hoa als Ältester die Sitzung des Exekutivkomitees. „Dank der hervorragenden Arbeit von General Fong und seinem Team haben wir seit einer Woche alle erforderlichen Unterlagen zur Terminatortechnologie in unserm Besitz. Wir konnten durch unseren Vorschlag die Forschung zu diesem Thema bei SEEDAGRO praktisch zum Erliegen bringen. Unser Vorsprung ist enorm angewachsen. Meine Herren: Damit können wir die Phase eins der Operation, nämlich in den Besitz des gentechnischen Verfahrens zur Züchtung von Terminatorpflanzen zu gelangen, innerhalb kürzester Zeit abschließen. General Fong ist mit äußerster Vorsicht, aber auch mit Brillanz vorgegangen. Wir haben keine verwertbaren Spuren in Mexiko und in der Schweiz hinterlassen; unsere Teams waren in jeder Situation hervorragend vorbereitet“, schloss Hoa ab und sah zu General Yiang.
Yiang warf einen steifen Blick in die Runde und nickte kurz.
„Meine Herren, der Minister ist stolz auf unsere Leistung. Aber wir stehen trotz dieser Erfolge erst am Anfang einer noch viel spannenderen Entwicklung. Jetzt geht es um den Kampf der Vorherrschaft. Und diese zweite Phase wird viel anstrengender, als wir alle befürchten. Doch dieser Kraftakt ist notwendig, um unseren Anspruch zu verwirklichen. Wir haben bereits vor zwei Jahren begonnen, in Qjing Dao unser neues gentechnisches Forschungslabor für Pflanzenzüchtung aufzubauen. Es ist inzwischen fertig gestellt. Wir haben dafür die besten Wissenschaftler unseres Landes verpflichten können. Für das Institut wurden alle Voraussetzungen geschaffen, um im großen Maßstab die Terminatortechnologie zu entwickeln. Wegen der hervorragenden Erfolge von General Fong haben wir beschlossen, dass er auch die zweite Phase vollverantwortlich betreut. Die letzten Wochen und Monate waren sehr anstrengend. Die Operation in Mexiko wäre beinahe missglückt, weil das Landwirtschaftsministerium auf die Beschwerden der Bauern reagierte und die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Hennings ausstellte. Fast wäre Hennings hinter Gittern verschwunden. Fong musste dafür sorgen, dass Hennings von der drohenden Verhaftung erfuhr, um der Staatsanwaltschaft zuvorkommen zu können. Nur gut, dass Hennings schnell reagierte und Mexiko sofort verließ. Die Lektion, die er Helfiger und Durrance von SEEDAGRO erteilte, war derart durchschlagend, dass sein Angebot, alle Unterlagen von Hennings zu kaufen, bei beiden Herren schnell auf Resonanz stieß. Sie schienen wirklich in großen Schwierigkeiten zu sein, denn als Fong ihnen versprach, auch eine Lösung für das Problem Hennings zu finden, waren sie rasch einverstanden. Die Überprüfung der Unterlagen, die Durrance an ihn weitergegeben hatte, stieß bei unseren Experten auf großes Erstaunen. Hennings Terminatortechnologie war für alle totales Neuland. Totales Neuland dürften für die Herren Durrance und Helfiger auch die Cayman Islands sein, aber ihre auf geheimen Konten deponierten zwanzig Millionen Euro Guthaben dürften sie über ihre Heimat hinwegtrösten.“
„Gut, General Fong“, antwortet Yiang, „wieder müssen Sie das Kunststück fertigbringen, geräuschlos zu arbeiten. Sie wissen alle, dass wir schnell vom Ausland als skrupellos gebrandmarkt werden, wenn etwas durchsickert. Das müssen wir vermeiden, auch wenn wir skrupellos sind.“
„Ich brenne darauf, das Mandat anzutreten“, sagte Fong. „Lji, ist die Regierung bereit, alle notwendige Unterstützung zu gewähren?“
„Ja, ohne Zweifel. Legen Sie los, General Fong. Herzlichen Glückwunsch zu der neuen Aufgabe. Parallel haben wir eine Initiative entwickelt, wie wir möglichst viele Pflanzenzucht- und Saatgutfirmen in Europa legal erwerben können, um die Verbreitung unserer neuen Pflanzensorten vor Ort zum Durchbruch zu verhelfen. Sie wissen, dass Pflanzenzüchtung und Saatgutherstellung in Europa unter starker nationaler Kontrolle stehen: Deshalb wollen wir innerhalb von vierundzwanzig Monaten viele geräuschlose Übernahmen tätigen. Wir sind dank der sehr guten Vorbereitung durch General Fong auch hier bereits sehr nah an etlichen Aufkäufen. Eine Firma in Deutschland, die kurz vor der Insolvenz stand und Saatgut herstellt für die Agrarmultis, konnten wir schon in unsern Besitz bringen. Zum Glück regte sich in Deutschland niemand darüber auf, denn chinesische Investitionen in marode deutsche Firmen sind derzeit gang und gäbe. Zwar wundern sich die Deutschen, warum wir das tun, sehen aber dahinter keine gelenkte Strategie.“
„Meine Herren“, drängelte sich Yiang dazwischen, „bitte haben Sie Verständnis, dass ich vieles, das sie hier besprechen, nicht hundertprozentig verstehe und nicht alle Ihre Fachbegriffe kenne. Ich habe das Projekt schon oft mit Hoa diskutiert. Aber nun sind mir Zweifel gekommen, ob unsere Strategie funktionieren kann. Wie soll die Terminatortechnologie uns eigentlich dazu verhelfen, in zehn Jahren zehn Prozent der Lizenzgebühren für Saatgut zu kassieren?“
„Sehen Sie, General Yiang“, antwortete Fong sehr höflich, schließlich war Yiang sein Vorgesetzter, „Sie sprechen die richtigen Punkte an, und wir alle machen aus dem Risiko, das wir eingehen, kein Geheimnis.“
„Welches sind denn die Knackpunkte, General Fong?“, fragte Yiang.
„Damit große Pflanzen- und Agrarmultis auf Dauer existieren und expandieren können, brauchen sie eine Produktpalette, die nicht einfach kopierbar ist, sondern durch Patente geschützt ist. Das garantiert ein sicheres und steigerungsfähiges Einkommen. Auf jeden Fall wird es die Konkurrenz schwer haben, mit einer eigenen Entwicklung gegenzuhalten, um den Gleichstand wiederherzustellen. Das Gros an landwirtschaftlichen Produkten wird aber nicht von riesigen, industriell organisierten Fabriken erzeugt, sondern von mittelständischen und kleineren Betrieben. Doch wo bekommen die vielen Millionen landwirtschaftliche Betriebe ihr Saatgut her? Ganz einfach: in den Industrieländern von zugelassenen und zertifizierten Saatgutherstellern. Die aber wiederum sind nur Vermehrungsstationen von Sorteneigentümern, denn die eigentlichen Sorten- und Patentrechte gehören oft den großen Pflanzen- und Agrarmultis. In den weniger industrialisierten Ländern produzieren die Bauern, Genossenschaften und landwirtschaftlichen Erzeugerverbände ihr eigenes Saatgut. Sehr oft aus Linien geschützter Sorten, die sie unkontrollierbar vermehren und ausbeuten. In Europa, in den USA und Kanada werden das Sortenrecht und der Patentschutz für Pflanzen intensiv überwacht und sind gesetzgeberisch dicht geregelt - mit einem leichten Übergewicht zugunsten der Multis.“
Fong trank einen Schluck Wasser und fuhr fort.
„In den weniger industrialisierten Ländern haben die Pflanzen und Agrarmultis kaum juristischen Durchgriff, wenn ihre geschützten Pflanzensorten von den Bauern kopiert werden, indem diese einfach einen Teil der geernteten Samen für den Nachbau verwenden. Meistens argumentieren die Politiker dieser Länder zugunsten ihrer Bauern und machen sich einen Spaß daraus, den Multis eine lange Nase zu drehen. In Europa gibt es ebenfalls Verbände, die offen für die Verletzung des Kopierschutzes eintreten und die Bezahlung von Lizenzkosten für Saatgutvermehrung boykottieren. Der weltweit enorme Bevölkerungszuwachs erfordert immer bessere Methoden und Verfahren, um die Verluste durch Schädlinge und Krankheiten zu eliminieren und die Haltbarkeit von pflanzlichen Erzeugnissen zu verbessern. Die zur Verfügung stehenden Anbauflächen nehmen aber nicht mehr zu. Deshalb spielen Pflanzenzucht und Pflanzenentwicklung in Zukunft eine absolute Schlüsselrolle. Die enormen Forschungskosten können sich aber nur noch große Pflanzen- und Agrarmultis leisten. Natürlich wollen sie am Ende des Tages auch davon profitieren. Profitabel wird es aber erst, wenn auch die Frage des Kopierschutzes gelöst wird, das heißt, der illegale Nachbau verhindert wird. Deshalb fahren wir eine doppelte Strategie. Zum einen werden wir proaktiv große Firmen aus dem Pflanzen- und Agrarsektor kaufen, um eine Marktmacht von fünfzehn bis zwanzig Prozent zu erreichen. Die daraus resultierenden Lizenzgebühren bilden die primäre Einnahmequelle. Zum anderen werden wir die Terminatortechnologie ab dem Jahr 2012 einsetzen, um Produktpiraterie zu verhindern und die primäre Einnahmequelle zu sichern. Natürlich werden auch die anderen Konzerne unseren Kopierschutz kaufen wollen. Damit hätten wir eine weitere Einnahmequelle aufgetan, die für alle Zeiten sprudelt.“
„Aber die Konkurrenten werden unsere Patentanmeldung zur Terminatortechnologie analysieren und andere Verfahren entwickeln, die zum gleichen Ziel führen“, warf Yiang ein.
„Lieber General, Sie haben ohne Zweifel Recht. Das stimmt, falls wir ein Patent anmelden. Aber das haben wir nicht vor. Niemand wird erfahren, dass wir diese Technologie beherrschen. Erst im letzten Moment werden wir den Weg der Patentierung wählen. Selbst danach benötigt die Konkurrenz noch zwei bis drei Jahre, um eigene Lösungen zu entwickeln. Damit wird unser Vorsprung uneinholbar.“
„Meine Herren, ich schlage vor, dass wir uns vertagen. General Fong wird nächste Woche zur gleichen Zeit in diesem Raum den Plan für die kommenden sechs Monate vorstellen, inklusive aller Budgets und Ressourcen, die benötigt werden. Werden Sie das schaffen, General Fong?“, fragte Hoa.
„Auf jeden Fall. Unser Zeitplan ist extrem angespannt und erträgt keinerlei Verzögerung“, antwortete Fong prompt.
„Ich bitte General Fong noch einen Moment um seine Aufmerksamkeit“, bemerkte Yiang, „und Ihnen danke ich für Ihre Teilnahme.“
Hoa und Lij verließen den Raum.
Yiang stand auf und öffnete eine Tür des Teakholzwandschranks, die ein Techniktableau mit Schaltern und Anzeigen zum Vorschein brachte. Er drückte verschiedene Knöpfe und beobachtete gespannt den LCD-Bildschirm. Schließlich nickte er zufrieden und schloss den Wandschrank.
„Dieser Raum ist absolut abhörsicher und wird ständig automatisch überprüft“, sagte Yiang. „Was ich Ihnen nun eröffne, mein lieber General Fong, ist streng geheim. Nur wir beide und die Spitzen unserer Regierung wissen darüber Bescheid. Und das soll sich auch nicht ändern. Aber noch können Sie hinausgehen und sich den Weichlingen Hoa und Lij anschließen. Ich werde Sie jetzt in einen Plan einweihen, den wir Atem des Drachen nennen.“
Yiang erklärte ihm in groben Zügen den Plan.
„Sie, General Fong, sind dazu auserwählt, den Plan umzusetzen. Der Atem des Drachen wird China in die Position katapultieren, die uns gebührt: auf Platz eins.“
Fong war verblüfft, errang aber schnell seine Fassung wieder und war schließlich fasziniert von der Kaltblütigkeit Yiangs. Er bewunderte die unglaubliche schauspielerische Leistung Yiangs, durch die es ihm gelang, Hoa und Lij in Ahnungslosigkeit zu wiegen.
„General Yiang, Sie wissen, wie ich darauf brenne, unserm Land zu dem gebührenden Platz in der Welt zu verhelfen. Kein Kampf geht ohne Schmerzen und Opfer ab“, sagte Fong.
„Es freut mich, dass Sie so denken, und es macht mich stolz. Jede andere Reaktion von Ihnen hätte mich verwundert.“
Ein Strich eines Lächelns fuhr über Yiangs Gesicht.
„Lassen Sie mich nun Ihnen die Details unseres Plans anvertrauen.“