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2.„Grundrechtsverzicht“

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226a) Allgemeines. Grundrechtseingriffe erfordern in aller Regel ein staatliches Handeln gegen den Willen des Betroffenen. Liegt eine wirksame Einwilligung des Grundrechtsträgers in eine staatliche Maßnahme vor, so fehlt es an einem Eingriff88 in den Schutzbereich des Grundrechts.89

227Üblicherweise wird diese Einwilligung als „Grundrechtsverzicht“ bezeichnet. Dieser Begriff ist indes missverständlich, da nicht pauschal auf ein Grundrecht als solches verzichtet werden kann.90 Zulässig ist lediglich ein Verzicht auf einzelne durch das Grundrecht geschützte Befugnisse und Handlungsweisen.91 Die Einwilligung darf jedoch, sofern wirksam, nicht unbeachtlich bleiben, da es auch zur Freiheit des Einzelnen gehört, dass ihm grundrechtliche Rechtspositionen nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden.92

228Durch die rechtliche Bindungswirkung unterscheidet sich der Grundrechtsverzicht von der negativen Freiheit des Berechtigten, ein grundrechtlich geschütztes Handeln zu unterlassen, also von einem ihm zustehenden Grundrecht keinen Gebrauch zu machen.93

229Ein wirksamer Grundrechtsverzicht setzt voraus, dass das jeweilige Grundrecht zur Disposition des Einzelnen steht und dass der Grundrechtsträger eine wirksame Verzichtserklärung abgegeben hat.

230b) Dispositionsbefugnis des Grundrechtsberechtigten. Zunächst muss dem Einwilligenden die Dispositionsbefugnis über das Grundrecht zustehen. Dies setzt die grundsätzliche Verzichtbarkeit des Grundrechtsschutzes voraus.94 Sie hängt von der Funktion des jeweiligen Grundrechts ab und muss durch Auslegung der jeweiligen Grundrechtsnorm festgestellt werden.95 Bei Grundrechten, die der persönlichen Entfaltung oder der Freiheit des Einzelnen dienen, kann im Allgemeinen von einer Zulässigkeit des Verzichts ausgegangen werden.96

Beispiele hierfür sind die Durchsuchung einer Wohnung mit Einverständnis des Berechtigten oder das Installieren einer Fangschaltung am Telefon mit Einwilligung des Anschlussinhabers.97

231Eine Grenze der Dispositionsbefugnis ergibt sich aus der Garantie der Menschenwürde. Nach ganz herrschender Auffassung kann der Einzelne auf das Grundrecht der Menschenwürde nicht verzichten“.98 Nicht geklärt ist damit indes, ob und inwieweit das Verzichtsverbot gerade auch das konkret in Rede stehende Verhalten erfasst.99 Der vorschnelle Rekurs auf den Satz, der Schutz der Menschenwürde sei unverzichtbar, birgt jedenfalls Gefahren. Immerhin ist von Art. 1 Abs. 1 gerade auch die eigenverantwortliche, selbstbestimmte und in freier Autonomie getroffene Entscheidung „über sich selbst“ erfasst.100 Von Bedeutung war diese Frage etwa in der Entscheidung des BVerwG zur Sittenwidrigkeit von Peep-Shows, in der das Gericht die Versagung der gewerberechtlichen Erlaubnis wegen Verletzung der Menschenwürde der zur Schau gestellten Frauen bestätigt hat.101

232Bei den übrigen Grundrechten kommt es für die Frage der Verzichtbarkeit insbesondere auf Intensität und Dauer des Verzichts an, des Weiteren auf die Funktion des jeweiligen Grundrechts.102 Während auf Grundrechte, die der Freiheit der persönlichen Entfaltung dienen, in der Regel verzichtet werden kann, ist ein Verzicht auf Grundrechte, die für den staatlichen Willensbildungsprozess von Bedeutung sind, regelmäßig unzulässig.103

233c) Wirksame Einwilligungserklärung. Des Weiteren muss eine freiwillige, rechtlich verbindliche Einwilligungserklärung abgegeben worden sein.104 Täuschung oder Drohung schließen die Freiwilligkeit aus.105 Erforderlich sind darüber hinaus die hinreichende Bestimmtheit der Einwilligung und die Absehbarkeit ihrer Folgen für den Betroffenen.106

234Das Vorliegen einer wirksamen Verzichtserklärung muss mit Sicherheit festgestellt werden können, so dass bei mehrdeutigen Erklärungen nicht voreilig auf einen Grundrechtsverzicht geschlossen werden darf.107

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