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III.Eingriffe

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351Wie die Bestimmung des Schutzbereichs bereitet auch die Qualifizierung einer Maßnahme als Eingriff in die Menschenwürde Schwierigkeiten. Das BVerfG hatte wohl wegen der Unabwägbarkeit der Menschenwürde Eingriffe zunächst mit drastischen Begriffen umschrieben.140 Heute wird zur Bestimmung eines Eingriffes meist auf die von Günter Dürig begründete Objektformel zurückgegriffen. Danach darf der Einzelnen weder zum bloßen Objekt staatlicher Willkür gemacht noch darf ihm seine Subjektsqualität genommen werden.141 Die Objektformel beinhaltet – vor allem, wenn sie verkürzt wiedergegeben und angewandt wird – Missverständnispotential.

In Klausuren und Hausarbeiten muss man sich davor hüten, die Objektformel vorschnell so zu verstehen als dürfe der Einzelne oder sein Verhalten niemals zum Gegenstand staatlichen Handelns gemacht werden.

Denn im Rechtsstaat ist der Einzelne sehr häufig Normen und Regelungen unterworfen, etwa Straßenverkehrsregelungen oder steuerrechtlichen Bestimmungen.

Das BVerfG hat die Objektformel bisweilen um einen subjektiven Aspekt angereicht, wonach die in Rede stehende Maßnahme Ausdruck von Verächtlichmachung sein müsse.142 Als Eingriff in die Menschenwürde sind jedenfalls die Maßnahmen zu qualifizieren, die die Subjektqualität des Menschen und den daraus folgenden Achtungsanspruch grundsätzlich in Frage stellen143, seinen Wert an sich verneinen.144

Beispiele: Sklaverei, Leibeigenschaft, Frauen- und Kinderhandel; Folter und andere Formen der massiven Verletzung der physischen oder psychischen Integrität; Herstellung von Embryonen zum alleinigen Zweck ihrer Nutzung als „Rohstoff“.

352Eingriffe in die Menschenwürde können „klassisch“ bewirkt werden, sich aber auch (erst) unter Anwendung des weiten Eingriffsbegriffs ergeben. Klassische Eingriffe, also imperative, rechtsförmliche, finale und unmittelbare Beeinträchtigungen des Schutzguts der Menschenwürde stellen nicht nur Maßnahmen der Exekutive (etwa Durchführung der Folter) oder Legislative (etwa ein Gesetz, das Sklavenhandel erlaubte) dar, sie können sich auch aus Urteilen ergeben (etwa wenn ein Schadensersatzanspruch trotz menschenwürdiger Unterbringung in einer Haftanstalt verneint wird).145 Ob sich gleichsam umgekehrt auch aus der Zuerkennung eines Schadenersatzanspruches eine Verletzung der Menschenwürde ergebenen kann, ist in der Rechtsprechung des BVerfG angesichts divergierender Entscheidungen der beiden Senate zum Fragenkreis „Kind als Schaden“146 noch ungeklärt. Der BGH hat es jüngst im Ergebnis offengelassen, ob es Art. 1 Abs. 1 ausschließe, Schadensersatz für wirtschaftliche Belastungen zuzusprechen, die mit dem eigenen Dasein verbunden sind; jedenfalls bestehe im konkreten Fall der Schutzzweck etwa verletzter Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen nicht darin, den Patienten vor wirtschaftlichen Belastungen, die mit seinem – wenn auch leidensbehafteten – Weiterleben verbunden waren, zu schützen.147

353Auch rein faktische Handlungen, etwa herabwürdigende Äußerungen können sich (unter Anwendung des weiten Eingriffsbegriffs) als Eingriffe in das Grundrecht der Menschenwürde darstellen.148 Bei der inhaltlichen Festlegung muss man sich allerdings darüber im Klaren sein, dass angesichts der Unabwägbarkeit der Menschenwürde die überkommene verfassungsrechtliche Rechtfertigungsprüfung modifiziert ist und mit der Festlegung des Eingriffs „steht und fällt“. Das – und der Charakter der Menschenwürde als „last refuge“ – nötigen nicht nur zu einer eher restriktiven Auslegung des Schutzbereichs, sondern auch zu einer besonders sorgfältigen Eingriffsprüfung.

Staatsrecht II

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