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1.Überblick

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235Der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts stellt nur dann eine Grundrechtsverletzung dar, wenn das staatliche Handeln nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Ob dies der Fall ist, muss in einer Zwei-Stufen-Prüfung festgestellt werden.

236Zunächst ist wegen des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes stets erforderlich, dass der Grundrechtseingriff auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Über die allgemeinen verfassungsrechtlichen Regeln hinaus muss das beschränkende Gesetz auch die speziellen Anforderungen des jeweiligen Grundrechts erfüllen, also entweder den besonderen Voraussetzungen eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts genügen oder, bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten, der Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts dienen.

237In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob das grundrechtseinschränkende Gesetz seinerseits formell und materiell verfassungsmäßig ist (sog. Schranken-Schranken oder Gegenschranken). So muss das Gesetz formell ordnungsgemäß zustande gekommen sein, d. h. unter Einhaltung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Art. 70 ff.)108 und des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. bei Bundesgesetzen).109

238Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil sich fragen lässt, inwiefern ein Verstoß gegen die außerhalb des Grundrechtskatalogs stehenden Kompetenznormen zugleich eine Grundrechtsverletzung bewirken kann. Es handelt sich hier um eine wesentliche Frucht einer in etwa mit der Elfes-Entscheidung des BVerfG begonnenen Rechtsprechungsentwicklung. In der Elfes-Entscheidung hatte das Gericht erkannt, dass nur ein in jeder Hinsicht formell und materiell verfassungsgemäßes Gesetz die allgemeine Handlungsfreiheit wirksam beschränken könne. Dieser Gedanke wird heute auf alle Grundrechte übertragen.

Hinweis zur Fallbearbeitung: Deshalb muss im Rahmen der Prüfung der Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde neben der materiellen Verfassungsmäßigkeit auch die formelle Verfassungsmäßigkeit eines ein Grundrecht einschränkenden Gesetzes überprüft werden. Zu beachten ist, dass dies in Verfassungsbeschwerdeverfahren nur gleichsam inzident geschieht. Der Obersatz der Begründetheitsprüfung muss also auch in Fällen, in denen unmittelbar oder mittelbar die Rüge der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes erhoben wird, von einer Grundrechtsverletzung ausgehen. Falsch wäre es, den für abstrakte Normenkontrollklagen geltenden Obersatz zu verwenden, etwa in dem Sinne, dass die Verfassungsbeschwerde begründet sei, wenn das Gesetz formell oder materiell verfassungswidrig sei. Richtigerweise muss etwa wie folgt formuliert werden. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die staatliche Maßnahme Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt. In Betracht kommen die Grundrechte X und Y. Im Rahmen der Erörterung dieser Grundrechte wird dann im Rahmen der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs die formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit des den Eingriff tragenden Gesetzes untersucht. In materieller Hinsicht sind insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip, der Bestimmtheitsgrundsatz und das Rückwirkungsverbot zu beachten,110 des Weiteren die in Art. 19 verankerten Anforderungen an Grundrechtseinschränkungen (Verbot des Einzelfallgesetzes, Zitiergebot und Wesensgehaltsgarantie).111

239Grundrechte enthalten vielfach einen Gesetzesvorbehalt, können also durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Falls an das Schrankengesetz über die allgemeinen Regeln hinaus keine weiteren Anforderungen gestellt werden, handelt es sich um einen einfachen Gesetzesvorbehalt.112 Sofern das Grundgesetz außerdem verlangt, dass das einschränkende Gesetz an bestimmte Situationen anknüpft, bestimmten Zwecken dient oder bestimmte Mittel benutzt, liegt ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt vor.113

240Andere Grundrechte weisen überhaupt keinen Gesetzesvorbehalt auf.114 Dies bedeutet allerdings nicht, dass in solche vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte nicht eingegriffen werden darf. Einschränkungen können aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts gerechtfertigt sein. Als verfassungsimmanente Schranken kommen Grundrechte Dritter oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang in Betracht, wobei im Kollisionsfall ein Ausgleich im Wege der praktischen Konkordanz herbeizuführen ist.115

241Manche Grundrechte werden ausnahmslos gewährleistet, können also auch durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht eingeschränkt werden. Dies gilt für die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1), das Verbot der Todesstrafe (Art. 102), die Grundsätze des Art. 103 Abs. 2 (nulla poena sine lege) und Art. 103 Abs. 3 (ne bis in idem) sowie das Zensurverbot (Art. 5 Abs. 1 S. 3).116

Staatsrecht II

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