Читать книгу Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian - Heinz Bellen - Страница 34
ОглавлениеBei der seditio in Puteoli handelte es sich um einen Streit zwischen Stadtrat (ordo decurionum) und Bürgerschaft (plebs). Zu einem solchen Streit gab es manchen Konfliktstoff in den italischen Städten. In denen Kampaniens war er vor allem durch die Existenz einer Schicht reicher Freigelassener gegeben, deren Mitgliedern infolge der lex Visellia des Jahres 24 der Aufstieg in den Stadtrat verwehrt war (Cod. Iust. 9, 21, 1). Ihre politische Ausschaltung stand im Gegensatz zu ihrer wirtschaftlichen Macht: Handel und Gewerbe waren die Quellen ihres Reichtums. Ein Spiegelbild dieser ‘Gesellschaft’ ist uns im ›Satyricon‹ des T. Petronius mit dem „Gastmahl des Trimalchio“ erhalten, dessen Schauplatz vielleicht sogar Puteoli war. Um künftigen Unruhen vorzubeugen, bezog Nero Puteoli in sein Kolonisationsprogramm ein. Schon im Jahre 57 hatte er Capua und Nuceria durch Veteranen verstärken lassen, jetzt (60) erhielt Puteoli gar seinen Namen: Colonia Claudia Neronensis. Offenbar war Nero an der Sicherung Kampaniens besonders interessiert. Freilich: die Naturgewalten konnte er nicht einkalkulieren. Sie waren es, die Kampanien in den nächsten Jahren hart zusetzten. Im Jahre 63 (5. Februar) richtete ein Erdbeben in Pompeii schwere Schäden an; auch andere Städte (Herculaneum, Neapolis, Nuceria) wurden in Mitleidenschaft gezogen (Sen. nat. quaest. 6, 1). Zwei Jahre später (65) verwüsteten Wirbelstürme weite Teile Kampaniens.
Während in Kampanien die Städte so dicht beieinander lagen, daß die Kleinhändler mehrmals in der Woche auf verschiedenen Märkten ihre Waren feilbieten konnten (Verzeichnis der Nundinae aus Pompeii: Corp. Inscr. Lat. IV 8863), prägten in Kalabrien riesige Weideflächen die Landschaft. Schaf- und Rinderherden fanden hier im Sommer ihre Nahrung; den Winter verbrachten sie in Lukanien (Hor. epod. 1, 27 – 28). Die Transhumanz erforderte zahlreiche Hirten für die Großgüter (saltus), welche die Weidewirtschaft betrieben. Die Hirten aber waren Sklaven und bildeten, da sie sich zumeist selbst überlassen waren, ein Sicherheitsrisiko. Im Jahre 24 wäre es fast zu einem Aufstand der Hirtensklaven gekommen, als sich ein Anführer fand, der sie aufrief, die Freiheit zu erringen. Die Verschwörung wurde durch ein Prätorianerdetachement niedergeschlagen (Tac. ann. 4, 27). Die Lage in Kalabrien blieb aber unübersichtlich, wenn nicht bedrohlich. Sie beruhigte sich erst, als im Jahre 54 der kalabrische Großgrundbesitz der Domitia Lepida in kaiserliche Verwaltung überging. Die Schwägerin der Kaiserin Agrippina war im Zusammenhang mit der Anklage wegen Magie beschuldigt worden, ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihren Sklavenscharen in Kalabrien vernachlässigt und dadurch den Frieden Italiens gestört zu haben (Tac. ann. 12, 65, 1). Im Jahre 60 führte Nero eine Veteranendeduktion nach Tarent durch (Tac. ann. 14, 27, 2) – wohl auch als Sicherheitsmaßnahme.
Süditalien war allgemein das Land der Viehzucht und damit der Großbetriebe (Latifundien). Aber solche gab es in einem anderen Sinne des Wortes auch im übrigen Italien. Hier ging der Trend schon lange dahin, Güter in verschiedenen Gegenden als Vermögenskomplex in einer Hand zu vereinigen. Im Jahre 33 ergab sich eine neue Gelegenheit zu solchen Akkumulationen, als infolge einer Kreditkrise viel Land zum Verkauf stand (Tac. ann. 6, 17, 2 – 3). Latifundien dieser Art wurden von den Grundherren nicht selbst bewirtschaftet, sondern teils Verwaltern aus dem Sklavenstande (vilici) anvertraut, teils an freie Pächter (coloni) vergeben. Columella bedauerte in seinem Werk ›De re rustica‹ diese Entwicklung als dem Profitstreben entsprungen (Colum. de re rust. 1 praef.), und Plinius (der Ältere) wagte sogar die verallgemeinernde Feststellung, die Latifundien (jeglicher Art) hätten Italien zugrunde gerichtet (Plin. nat. hist. 18, 35).
Das Schreckbild einer durch die Latifundien ruinierten italischen Landwirtschaft traf auf deren tatsächlichen Zustand nur bedingt zu. Der auf eigener Scholle wirtschaftende Bauer mit kleinem oder mittelgroßem Betrieb hatte ein zähes Leben. Ihm wurden gelegentlich auch staatliche Hilfen zuteil, die seine Überlebenschancen mehrten (vgl. oben S. 10f.). So richtete Tiberius auf dem Höhepunkt der schon erwähnten Kreditkrise des Jahres 33 eine staatliche Bodenkreditbank ein, die zinslose Darlehen auf drei Jahre gegen Übereignung von Landbesitz vergab. 100 Millionen Sesterzen stellte Tiberius dafür dem Aerarium zur Verfügung (Tac. ann. 6, 17, 3). Mit diesem Kapital konnte Tausenden von Bauern fürs erste geholfen werden. Dann freilich ging der Existenzkampf weiter.
Wenn Plinius das Umsichgreifen der Latifundien als Niedergangssymptom deutete, dann wohl hauptsächlich deswegen, weil der Begriff latifundium mit der Vorstellung einer Vielzahl von Sklaven verbunden war und man allgemein glaubte, die Zahl der Sklaven wachse ständig, während die der römischen Bürger zurückgehe (Tac. ann. 4, 27, 2). Dem stand freilich gegenüber, daß der Zensus, den Claudius in den Jahren 47 / 48 durchführte, eine Zunahme der römischen Bürgerschaft um eine Million Menschen seit der Zählung des Augustus in den Jahren 13 / 14 ergab. 4 937 000 waren damals gezählt worden (Mon. Anc. c. 8); in den Zensuslisten des Claudius erschienen 5 984 072 (Tac. ann. 11, 25, 5). Auch wenn man berücksichtigt, daß diese Zahlen die in den Provinzen lebenden Römer mitenthielten, so läßt sich dennoch nicht in Abrede stellen, daß Italien an der allgemeinen Zunahme Anteil hatte.