Читать книгу Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian - Heinz Bellen - Страница 35
ОглавлениеVon den Provinzen traten nach dem Tode des Augustus (14) zunächst Germanien und Pannonien ins Rampenlicht: Die 4 im niedergermanischen Militärdistrikt stationierten Legionen nahmen ebenso wie die 3 pannonischen Legionen den Princepswechsel in Rom zum Anlaß, ihrer Unzufriedenheit mit dem harten und langen Dienst, dem niedrigen Sold und der Ansiedlung der Veteranen in fernen Ländern Ausdruck zu verleihen. Die Meutereien nahmen einen gefährlichen Umfang an. Indes brachte es am Rhein Germanicus, an der Donau Drusus, der Sohn des Tiberius, fertig, durch den Wechsel von Strenge und Nachgiebigkeit, im Falle des Drusus auch durch Ausnutzen einer schreckenverbreitenden Mondfinsternis die Disziplin wiederherzustellen. Germanicus gelang es vor allem, die 4 Legionen des obergermanischen Heeres von den Aktionen der Truppen am Niederrhein fernzuhalten. Er wehrte auch den Versuch der Meuterer ab, ihn gegen Tiberius auszuspielen. Den Schlußpunkt unter die Meuterei setzte Germanicus, der inzwischen ein imperium proconsulare erhalten hatte, mit einem eilig unternommenen Marsch der 4 niederrheinischen Legionen sowie 34 Auxiliareinheiten in das rechtsrheinische Germanien. Ziel war das Gebiet der Marser, das von Vetera Castra/Xanten aus lippeaufwärts erreicht wurde. Hier ließ der römische Feldherr seinen Truppen freie Hand zu einem furchtbaren Massaker: Eine Fläche von 50 Meilen (7 qkm) wurde systematisch verwüstet und alle Menschen umgebracht. Trotz eines Angriffs der Nachbarstämme auf das zurückmarschierende Heer erreichte dieses unversehrt die Ausgangsbasis. Die Erinnerung an die Meuterei war getilgt – mit dem Blut Unschuldiger!
Germanicus hatte 13 n. Chr. Tiberius im Kommando über die Tres Galliae und die beiden germanischen Militärdistrikte abgelöst. Ihm war, wie einst seinem Vater Drusus (13 v. Chr.), der Zensus in Gallien aufgetragen worden. Diese Aufgabe beschäftigte ihn, als die Meuterei am Niederrhein ausbrach (Tac. ann. 1, 33, 1). Nach ihrer Niederschlagung und der Expedition gegen die Marser hätte Germanicus den Zensus zu Ende führen können. Statt dessen bereitete er für das Jahr 15 die gesamte Streitmacht am Rhein auf einen Feldzug gegen die Germanen vor. Es scheint, daß der Streit zwischen den Cheruskerfürsten Segestes und Arminius zu diesem Entschluß geführt hat, der die Möglichkeit bot, die Niederlage des Varus zu rächen und an die Erfolge des Drusus anzuknüpfen.
Germanicus drang zunächst (im Frühjahr 15) mit den obergermanischen Legionen von Mogontiacum/Mainz aus ins Land der Chatten ein, das er verwüstete. Die Krieger des Stammes bekam er allerdings nicht zu fassen; sie retteten sich über die Eder (Adrana), wo die Wälder ihnen Schutz boten. So setzte dieser Feldzug mehr ein Fanal – die Hauptstadt Mattium ging in Flammen auf –, als daß er einen greifbaren Erfolg gezeitigt hätte. Da kam ein Hilferuf des Segestes dem Germanicus sehr gelegen. Gewissermaßen in einem Stoßtruppunternehmen befreite er den Cheruskerfürsten von seinen Belagerern und nahm ihn nebst seiner Tochter Thusnelda, der Gattin des Arminius, mit an den Rhein. Im Sommer 15 bestimmte Germanicus dann die Gegend an der mittleren Ems (Amisia) zum Sammelplatz aller ihm unterstehenden Truppen; er selbst führte die 4 obergermanischen Legionen mit der Nordseeflotte (classis Germanica) heran. Das Land der Brukterer wurde verwüstet, gegen die Cherusker unter Arminius eine Schlacht mit unentschiedenem Ausgang geschlagen. Germanicus hatte die Genugtuung, daß er im Teutoburger Wald die Gefallenen der clades Variana bestatten konnte (Tac. ann. 1, 61) und daß er auch einen der damals verlorenen Adler zurückgewann (Tac. ann. 1, 60, 3). Der Rückmarsch der niedergermanischen Legionen unter A. Caecina hätte allerdings in den zu durchquerenden Moorgebieten (pontes longi) fast zur Katastrophe geführt; Arminius griff sie tagelang an. Nur durch die Erfahrung Caecinas erreichten sie Vetera Castra/Xanten.
Tiberius war mit der Kriegführung des Germanicus nicht einverstanden; ihre Erfolge entsprachen nicht dem Aufwand. Andererseits erkannte er in der Rückgewinnung des Legionsadlers und vermutlich anderer Feldzeichen die Möglichkeit, ein wichtiges Kriegsziel als erreicht zu bezeichnen: die Rache für die Niederlage des Varus. Er ließ daher für Germanicus den Triumph beschließen und erhielt selbst vom Senat einen Ehrenbogen zuerkannt ob recepta signa (Tac. ann. 2, 41, 1). Dieser Bogen wurde an der Via sacra auf dem Forum in der Nähe des Saturn-Tempels errichtet. Nur etwas mehr als 100 m von ihm entfernt stand auf der gleichen Straße neben dem Tempel des Divus Iulius der Bogen des Augustus, der die Wiedererlangung der Feldzeichen von den Parthern pries. Die Parallelisierung des Geschehens der Jahre 20 v. und 15 n. Chr. war offenkundig, damit aber auch, daß dem Krieg gegen die Germanen eigentlich der Grund entzogen wurde.
Germanicus beurteilte diese Dinge anders; vor allem sah er in der Zuerkennung des Triumphes keine Veranlassung, nach Rom zurückzukehren. Sein Ziel war ein entscheidender Sieg „mitten in Germanien“ (Tac. ann. 2, 5, 4). Er legte daher im Jahre 16 den Zensus Galliens in andere Hände (Tac. ann. 2, 6, 1) und widmete sich selbst ganz dem Krieg gegen die Germanen. Dieser verlangte sein Eingreifen an der Lippe, wo das als Vorposten errichtete Kastell Aliso (Haltern?) belagert wurde. Mit 6 Legionen vertrieb Germanicus die Belagerer und sicherte die Verbindung des Kastells zum Rhein durch neue Schneisen und Dämme. Zu einem großen Schlag holte er dann gegen die Cherusker und ihre Verbündeten aus. Das auf 1000 Schiffen über die Nordsee herangeschaffte Heer schlug die Germanen jenseits der mittleren Weser (Visurgis) bei Idistaviso und am Angrivarierwall. Die Rückkehr von Heer und Flotte aber führte zu furchtbaren Verlusten durch eine Sturmflut. Nichtsdestoweniger unternahm Germanicus noch einen Vorstoß ins Gebiet der Marser. Dabei hatte er das Glück, einen weiteren der von Varus verlorenen Adler zurückzugewinnen (Tac. ann. 2, 25, 1 – 2; vgl. oben S. 50). War dies der Lohn für seine Hartnäckigkeit gegenüber Tiberius?